TE Vwgh Beschluss 1996/12/17 96/08/0282

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Veröffentlicht am 17.12.1996
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §45;
ASVG §409;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, in der Beschwerdesache der B AG in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 27. August 1996, Zl. 37.001/20-2/96, betreffend Nichtigerklärung eines verfahrensrechtlichen Bescheides gemäß § 417 Abs. 1 ASVG, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt der Beschwerde und der ihr angeschlossenen Bescheidkopie stellte die Beschwerdeführerin am 27. Juli 1994 an die Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag, in Ansehung bei ihr "definitiv gestellter" in Wien beschäftigter Dienstnehmer bescheidmäßig das Nichtvorliegen einer Versicherungspflicht nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz in der ab 1. Jänner 1995 geltenden Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 817/1993 festzustellen, weil diese Dienstnehmer von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen seien und auch keine Teilversicherung gemäß § 7 ASVG bestehe.

Mit Bescheid vom 14. September 1994 wies die Wiener Gebietskrankenkasse diesen Antrag wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Da die dauernd angestellten Dienstnehmer der Beschwerdeführerin von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen seien, sei die Wiener Gebietskrankenkasse nicht für die Durchführung der Krankenversicherung und daher auch nicht zur Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Arbeitslosenversicherungspflicht berufen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin kein Rechtsmittel.

Mit dem in der Beschwerde und im angefochtenen Bescheid erwähnten Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 1995, G 8/95 und G 9/95, wurden die Anträge der Beschwerdeführerin und eines ihrer Dienstnehmer, die Wortfolge "oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben" im § 1 Abs. 1 des AlVG 1977 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993 als verfassungswidrig aufzuheben, zurückgewiesen. Nach der Begründung dieses Beschlusses führte die Beschwerdeführerin vor dem Verfassungsgerichtshof u.a. aus, durch die bekämpfte Wortfolge werde die Arbeitslosenversicherungspflicht bisher nicht arbeitslosenversicherungspflichtiger Dienstnehmer der Beschwerdeführerin bewirkt, weshalb die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin ab 1. Jänner 1995 insbesondere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten habe. Diese Beitragspflicht sei nach Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt und bedürfe keiner weiteren Konkretisierung, sodaß das Gesetz in die Rechtssphäre (das Eigentumsrecht) der Beschwerdeführerin unmittelbar eingreife. Die Erwirkung eines Feststellungsbescheides (hier: gemäß § 45 AlVG in Verbindung mit §§ 409 ff ASVG) sei kein anderer zumutbarer Weg, um die Normbedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, zumal es infolge der Ausnahme der "definitiven Arbeitnehmer" von der Versicherungspflicht nach dem ASVG "keinen zur Bescheiderlassung zuständigen Versicherungsträger geben dürfte". Die Beschwerdeführerin habe sogar versucht, diesen Weg zu beschreiten. Die Wiener Gebietskrankenkasse habe sich aber mit Bescheid vom 14. September 1994 für sachlich unzuständig erklärt.

Die Bundesregierung hielt dem entgegen, die Erwirkung eines Feststellungsbescheides, auf den die Beschwerdeführerin gemäß § 45 AlVG in Verbindung mit §§ 409 ff ASVG Anspruch habe, sei ein zumutbarer Weg zur Klärung der Rechtslage. Aus dem Gesetz ergebe sich trotz der Wortfolge "gemeinsam mit dem Beitrag zur Krankenversicherung" in § 5 Abs. 1 Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (und davor in § 62 Abs. 1 AlVG) und des Umstandes, daß im zu beurteilenden Fall keine Beiträge zur Krankenversicherung einzuheben seien, die Zuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse.

Der Verfassungsgerichtshof verwies die Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit, die Rückzahlung zu Ungebühr entrichteter Beiträge (mit der Begründung, die Beitragsentrichtung erweise sich im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der durch die bekämpfte Wortfolge in § 1 Abs. 1 AlVG bewirkten Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung als unrichtig) zu beantragen, und trat dem Einwand, es mangle an einem zuständigen Krankenversicherungsträger, im Anschluß u.a. an die Rechtsauffassung der Bundesregierung mit dem Argument entgegen, daß die Zuständigkeit der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse gegeben sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid erklärte die belangte Behörde als unmittelbare Aufsichtsbehörde (§ 417 Abs. 2 in Verbindung mit § 448 Abs. 2 ASVG) den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 14. September 1994, mit dem die Wiener Gebietskrankenkasse den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen hatte, gemäß § 417 Abs. 1 ASVG in Verbindung mit § 68 Abs. 4 "lit. d" AVG 1991 als nichtig. Begründend führte sie u.a. aus, die Zuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse sei aus den vom Verfassungsgerichtshof im "Erkenntnis" vom 26. September 1995 "bestätigten" Gründen gegeben.

Dagegen richtet sich die vorliegende, das "Recht auf Nicht-Nichtigerklärung eines nicht-nichtigen Bescheides sowie auf gesetzmäßige Ermessensausübung" geltend machende Beschwerde. Zur Begründung der Beschwerde wird zunächst ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, weil die belangte Behörde ihn "auf eine nicht existierende Gesetzesbestimmung gestützt hat bzw. ein bereits außer Kraft getretenes Gesetz gesetzloserweise ihrem Bescheid zugrundegelegt hat". Es enthalte nämlich das AVG 1991 keinen § 68 Abs. 4 "lit. d" (gemeint: sondern nur eine "Z. 4") und das AVG 1950, in dem es eine "lit. d" (statt der nunmehrigen, inhaltsgleichen "Z. 4") dieser Bestimmung gegeben habe, sei auf den Beschwerdefall nicht mehr anzuwenden gewesen.

In einem zweiten Teil der Beschwerdebegründung wird dargelegt, daß der als nichtig erklärte Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse deren Zuständigkeit zu Recht verneint habe. Die belangte Behörde verkenne in dieser Hinsicht - ebenso wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 26. September 1995 - die Rechtslage. Daß für die Entscheidung über den Feststellungsantrag vom 27. Juli 1994 ein anderer als der von der Beschwerdeführerin - nach ihrer nunmehrigen Rechtsansicht zu Unrecht - angerufene Entscheidungsträger zuständig gewesen wäre (oder seit dem 1. Jänner 1995 zuständig sei), wird in diesem Zusammenhang in der Beschwerde nicht geltend gemacht.

Der dritte Teil der Beschwerdebegründung dient der weiteren Untermauerung des Standpunktes, daß die Zuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse nicht gegeben sei. Der Wortlaut der relevanten Normen sei in dieser Hinsicht "eindeutig" und die gegenteilige Auffassung nur dadurch begründbar, daß die entsprechenden Bestimmungen "gegen ihren Wortlaut interpretiert" würden. Eine Zuständigkeit, die "durch eine derartige Interpretation erzeugt werden" müsse, müßte - wäre sie dem Gesetz tatsächlich entnehmbar - dem Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter entsprechen. Durch die von der belangten Behörde (und vom Verfassungsgerichtshof) vertretene, dem Wortlaut der relevanten Normen widersprechende Auslegung würde sich - die Richtigkeit dieser Auslegung unterstellt - "die Norm" aber "als völlig unbestimmt erweisen". In diesem Zusammenhang wird der zweite der geltend gemachten Beschwerdepunkte ("Recht auf gesetzmäßige Ermessensausübung") in der Beschwerde wie folgt ausgeführt:

"Mit anderen Worten ist die Gesetzesinterpretation der belangten Behörde EXZESSIV, da mit den Interpretationsregeln nicht mehr vereinbar. Die belangte Behörde hat daher den ihr allenfalls zukommenden Ermessensspielraum bei der Interpretation von Normen überschritten".

Schließlich legt die Beschwerdeführerin noch "verfassungsrechtliche Bedenken" gegen die "zugrundeliegende Rechtslage" dar. Die Beschwerdeführerin werde durch diese Rechtslage "verpflichtet, für ihre definitiv gestellten Arbeitnehmer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abzuführen, obwohl der Versicherungsfall praktisch kaum eintreten kann". Für die "Einhebung der Beiträge" habe der Gesetzgeber keine Behörde als zuständig vorgesehen. Behördenzuständigkeiten "durch Lückenfüllung zu konstruieren", sei "höchst bedenklich", zumal die "angeblich" zuständige Behörde selbst der Auffassung gewesen sei, nicht zuständig zu sein. Es liege daher ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vor. Da der Versicherungsfall kaum eintreten könne, sei die Regelung auch gleichheitswidrig. Es sei "offenkundig", daß sie sich "einseitig und willkürlich vorwiegend gegen die Bank Austria AG und ihre definitiven Dienstnehmer" richte, weil "nur letztere durch § 1 Abs. 1 AlVG in der ab 1. Jänner 1995 geltenden Fassung erfaßt" seien. Die Unsachlichkeit der Regelung bewirke auch einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin. Nach der Beseitigung der Wortfolge "oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben" im § 1 Abs. 1 AlVG 1977 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993, deren Beantragung beim Verfassungsgerichtshof angeregt werde, werde die Arbeitslosenversicherungspflicht nicht mehr bestehen, sodaß keine Behörde mehr "zuständig gemacht zu werden" brauche. Da der Verfassungsgerichtshof keine Möglichkeit habe, "den Gesetzgeber zu substituieren", könne er auch nicht an dessen Stelle eine Behörde "als zuständig erklären". Die Aufhebung der zitierten Wortfolge sei daher die einzige Möglichkeit, die bestehende Verfassungswidrigkeit zu beseitigen.

Die Beschwerde ist unzulässig:

Die Beschwerdeführerin deutet die einfachgesetzliche Rechtslage dahingehend, daß die Arbeitslosenversicherungspflicht der betroffenen Dienstnehmer gegeben sei und für diese Dienstnehmer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abzuführen seien, es aber keine für die Entscheidung über die Arbeitslosenversicherungspflicht und für die Einhebung der Beiträge zuständige Behörde gebe. In der Beschwerde wird diese Rechtslage aus dem zuletzt genannten Grund und aus anderen Gründen als verfassungswidrig beurteilt.

Mit dem Antrag vom 27. Juli 1994 begehrte die Beschwerdeführerin von der Wiener Gebietskrankenkasse eine Entscheidung über die Arbeitslosenversicherungspflicht der betroffenen Dienstnehmer, und zwar in der Form einer Feststellung, daß die Arbeitslosenversicherungspflicht nicht gegeben sei. Geht man von der in der Beschwerde artikulierten Rechtsansicht aus, so wurde damit die Zuständigkeit eines unzuständigen Entscheidungsträgers für einen Antrag, zu dessen inhaltlicher Behandlung nach dem Gesetz auch nicht eine andere, sondern überhaupt keine Stelle zuständig sein soll, in Anspruch genommen und die bescheidmäßige Feststellung des Gegenteils dessen, was sich aus dem (einfachen) Gesetz ergibt, begehrt. Demgegenüber entsprach die Zurückweisung des Antrages durch die Wiener Gebietskrankenkasse in der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage der in der Beschwerde vertretenen Rechtsansicht. Auf den angefochtenen Bescheid traf dies nicht zu. Die dagegen erhobene Beschwerde dient nun - in inhaltlichem Widerspruch zu dem das Verwaltungsverfahren einleitenden Antrag - der Durchsetzung des Standpunktes, daß für die Entscheidung über diesen Antrag niemand zuständig sei.

Dem steht entgegen, daß die Zuständigkeit der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse zur Einhebung der Beiträge - sofern die Arbeitslosenversicherungspflicht in bezug auf die betroffenen Dienstnehmer der Beschwerdeführerin nach dem AlVG in seiner derzeitigen Fassung besteht - aus den vom Verfassungsgerichtshof in dem Beschluß vom 26. September 1995 hervorgehobenen Gründen gegeben ist, vor allem aber "Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht" nach dem Wortlaut des § 45 AlVG, mit dessen Inhalt sich die Beschwerde nicht auseinandersetzt, "in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden" sind. Letzteres gilt - wie § 409 ASVG für Streitigkeiten über die Versicherungspflicht nach diesem Gesetz - nicht nur unter der Voraussetzung, daß (zumindest) die Krankenversicherungspflicht besteht. In bezug auf die Beurteilung der Arbeitslosenversicherungspflicht kann es vor diesem Hintergrund auch keine Ausnahme von der gesetzlichen Anordnung des § 45 AlVG bedeuten, wenn die Versicherungspflicht nach dem ASVG, wie im Beschwerdefall, weder eindeutig gegeben noch strittig, sondern eindeutig nicht gegeben ist. Der der Beschwerde zugrundegelegte Standpunkt, die Zurückweisung des Antrags vom 27. Juli 1994 sei zu Recht erfolgt und es gebe keine für die Entscheidung über diesen Antrag zuständige Behörde, ist daher verfehlt.

Im Versuch der Durchsetzung eines derartigen Standpunktes liegt aber auch keine Verfolgung eines subjektiven Rechtes, das der angefochtene Bescheid verletzt haben könnte. Wäre es bei der Zurückweisung des Antrages vom 27. Juli 1994 geblieben, so wäre die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nicht besser als aufgrund des angefochtenen Bescheides. Im Gegenteil: Nach der Zurückweisung ihres Antrages war die Beschwerdeführerin mit dem darin - zumindest nach außen hin - verfolgten Begehren endgültig gescheitert. Nach der Nichtigerklärung des Zurückweisungsbescheides steht es ihr wieder frei, es weiter zu verfolgen oder davon Abstand zu nehmen. Eine Beeinträchtigung von Rechtspositionen, die zur Beschwerde berechtigen könnte, ist darin nicht erkennbar. Durch die Zurückweisung ihres Feststellungsantrages war die Beschwerdeführerin im besonderen nicht davor geschützt, daß die Wiener Gebietskrankenkasse - etwa mit Rücksicht auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 1995 - ihre Zuständigkeit zur Einhebung von Beiträgen und im Rahmen der Beurteilung der Beitragspflicht auch die Arbeitslosenversicherungspflicht der betroffenen Dienstnehmer bejahen würde. Der aufrechte Bestand eines auf den Antrag vom 27. Juli 1994 bezogenen Zurückweisungsbescheides, dessen Gründe auch gegen die Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Einhebung von Beiträgen sprechen könnten, ohne die Wiener Gebietskrankenkasse in dieser Hinsicht jedoch zu binden, mag bei der Abwehr eines solchen Vorgehens einen argumentativen Vorteil bedeuten. Der Schutz einer solchen bloß taktischen Position, deren Verlust keine Verletzung in einem subjektiven Recht bedeutet, ist aber nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Beschwerde war daher - in Ermangelung einer rechtlichen Beschwer - gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996080282.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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