Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Dr. ***** W***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt nach § 311 StGB, AZ 9 Hv 106/20i des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der Oberstaatsanwaltschaft Graz auf Delegierung nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.
Die Akten werden dem Oberlandesgericht Graz zurückgestellt.
Text
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. Februar 2021, GZ 9 Hv 106/20i-90, wurden die Angeklagten Dr. ***** W***** und ***** K***** jeweils mehrerer Vergehen der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt nach § 311 StGB schuldig erkannt und zu Geldstrafen verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Über die dagegen erhobenen Berufungen der Angeklagten wurde noch nicht entschieden.
[3] Das Oberlandesgericht Graz legte zu AZ 9 Bs 141/21k dem Obersten Gerichtshof die Akten zur Entscheidung über den Antrag der Oberstaatsanwaltschaft Graz vor, das Rechtsmittelverfahren dem Oberlandesgericht Wien zu delegieren.
[4] Die Oberstaatsanwaltschaft führte aus, die Generalprokuratur habe seinerzeit das Ermittlungsverfahren gegen leitende Beamte der Bezirkshauptmannschaft L***** (letztlich) über Anregung der Staatsanwaltschaft Leoben dieser Staatsanwaltschaft abgenommen und der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt übertragen (§ 28 Abs 1 dritter Satz StPO), nachdem sich im Zuge mehrmaliger Bestimmung der Zuständigkeit durch die Oberstaatsanwaltschaft Graz (§ 28 Abs 1 StPO) herausgestellt hatte, dass hinsichtlich der Staatsanwaltschaften Graz, Klagenfurt und Leoben aus unterschiedlichen Gründen jedweder Anschein von Befangenheit hintanzuhalten wäre.
[5] Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt habe nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens den Strafantrag gegen die nunmehr Angeklagten (bei welchen es sich dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz zufolge um den Bezirkshauptmann des Bezirkes L***** und einen ehemaligen, zuletzt im Gemeinderechnungs- und -prüfungsreferat tätig gewesenen Beamten der Bezirkshauptmannschaft L***** handelt) beim örtlich zuständigen Landesgericht für Strafsachen Graz eingebracht, wo das Verfahren unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft Graz bis zur (seitens der Anklagebehörde unbekämpft gebliebenen) Urteilsfällung geführt wurde.
[6] Die Oberstaatsanwaltschaft vertritt die Ansicht, dass ein zur Übertragung des Verfahrens nach § 28 Abs 1 StPO führender Grund bei unveränderten Umständen auch auf das Haupt- und Rechtsmittelverfahren durchschlage, weshalb an sich schon die Staatsanwaltschaft Graz zur Stellung eines Delegierungsantrags in Ansehung des Hauptverfahrens berufen gewesen wäre und einen solchen Antrag im Fall einer Kassation des Urteils jedenfalls im zweiten Rechtsgang zu stellen hätte. Bei der Annahme von Befangenheit sämtlicher ihr unterstellter (berichtspflichtiger) Staatsanwaltschaften bestehe zudem der Anschein von (struktureller) Befangenheit auch der Oberstaatsanwaltschaft.
[7] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[8] Ein wichtiger Grund, aus dem allein gemäß § 39 StPO die Veränderung des gesetzlichen Richters (Art 83 Abs 2 B-VG) ausnahmsweise zulässig wäre (RIS-Justiz RS0053539 [T3]; Oshidari, WK-StPO § 39 Rz 3; Nordmeyer, WK-StPO § 28 Rz 2; Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 3), wird im Antrag nicht dargetan.
[9] Schon die (hier ohnehin nicht aufgestellte) Behauptung einer allfälligen Ausgeschlossenheit (sämtlicher Richter des Landesgerichts Graz oder) des Oberlandesgerichts Graz würde fallbezogen als Grund für eine Delegierung nach § 39 Abs 1 StPO ausscheiden, weil eben kein Fall des § 39 Abs 1 zweiter Fall StPO vorliegt und nach ständiger Rechtsprechung (abgesehen von einem solchen Fall) alle mit Ausgeschlossenheit oder Befangenheit des Gerichts (vgl dazu Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 1) zusammenhängenden Verfahrenshandlungen abschließend in den speziellen Vorschriften der (nunmehr) §§ 43–45 StPO geregelt sind (RIS-Justiz RS0097037 [T5–T8]; Lässig, WK-StPO § 45 Rz 11).
[10] Eine allfällige Befangenheit (bloß) eines Organs oder sämtlicher Organe der Staatsanwaltschaft wiederum tangiert die Sachentscheidung des Gerichts in der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Sache nicht (vgl RIS-Justiz RS0127031), sodass sich auch daraus kein Delegierungsgrund ableiten ließe.
[11] Auch sonst ist kein wichtiger Grund im Sinn des § 39 Abs 1 StPO ersichtlich.
[12] Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Textnummer
E132778European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0150NS00072.21P.1004.000Im RIS seit
04.11.2021Zuletzt aktualisiert am
04.11.2021