Entscheidungsdatum
02.06.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VwGVG §8a Abs1Text
A.
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Dr. Zirm über die Beschwerde des Herrn C. D. (geb. 1996, StA.: Türkei) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 10.12.2020, Zl. …, mit welchem der Antrag vom 18.3.2020 auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 iVm. § 54 Abs. 7 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005 - NAG zurückgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.5.2021
zu Recht:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
B.
und fasst in der unter A. genannten Angelegenheit den
BESCHLUSS
I. Der Antrag auf Verfahrenshilfe vom 18.5.2021 auf Befreiung von den Dolmetschergebühren wird gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG wegen offenbarer Mutwilligkeit abgewiesen.
II. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 17 VwGVG, §§ 76 Abs. 1 und 53b AVG wird dem Beschwerdeführer der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 27.5.2021 zur Zl. VGW-KO-087/617/2021-1, mit € 168,00—bestimmten Barauslagen für den zur mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2021 in der Zeit zwischen 10:00 Uhr und 12:55 Uhr beigezogenen nichtamtlichen Dolmetscher auferlegt. Der Beschwerdeführer hat der Stadt Wien die genannten Barauslagen durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 1200 0006 9621 2729, BIC BKAUATWW, lautend auf "MA6 BA40" mit dem Verwendungszweck "VGW-KO-087/617/2021-1" binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Zu A.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit Inlandsantrag vom 18. März 2020 begehrte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Aufenthaltskarte zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Dezember 2020 wurde dieser Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und Verständigung der LPD Wien wegen des Verdachts einer Aufenthaltsehe gemäß § 37 Abs. 4 NAG gemäß § 54 Abs. 1 iVm. Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle, da eine Aufenthaltsehe gemäß § 30 NAG vorliege.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die – zulässige – Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestreitet und die Ausstellung einer Aufenthaltskarte beantragt.
4. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt Akt des Verwaltungsverfahrens vor.
5. Das Verwaltungsgericht Wien führte am 18. Mai 2021 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Partei sowie die Ehegattin als Zeugin und E. F. als Zeuge einvernommen wurden. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde das Ermittlungsverfahren geschlossen und verzichtete der Beschwerdeführer auf eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses.
II. Sachverhalt
1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
1.1. Der 1996 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist in erster Ehe seit 30. Dezember 2019 mit der 25 Jahre älteren, 1971 geborenen, ungarischen Staatsangehörigen G. H. verheiratet. Dieser Ehe entstammen keine Kinder. Aus der ersten Ehe der Zusammenführenden in den 1990er Jahren entstammen ebenfalls keine Kinder.
1.2. Mit Antrag vom 18.3.2020 begehrte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Aufenthaltskarte zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bei der belangten Behörde im Inland. Er hat sich dabei auf die mit G. H. in der Türkei am 30.12.2019 geschlossene Ehe berufen. Zuvor stellte er beim Österreichischen Generalkonsulat in der Türkei einen Antrag auf ein Visum C und wurde im Zuge dessen bereits erstmals wegen des Verdachts einer Aufenthaltsehe am 3.2.2020 befragt. Eine weitere Befragung – diesmal beider Ehegatten – fand am 7.8.2020 durch die LPD Wien statt.
1.3. G. H. ist ungarische Staatsangehörige und seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Sie bezieht Notstandshilfe und betreibt gleichzeitig ein Gewerbe für Import- und Export und verkauft Datteln. Von 16.4.2020 bis 31.1.2021 war sie als selbständige Erwerbstätige zur Sozialversicherung gemeldet. Sozialversicherungsbeiträge sind ausständig. Sie ist seit 14.1.2020 mit Zweitwohnsitz an der Adresse J.-gasse, K. gemeldet, war dort aber nie wohnhaft und hat die Wohnung auch nie angemietet. Weder sie noch der Beschwerdeführer waren dort je aufhältig.
1.4. Der Beschwerdeführer ist im März 2020 in das Bundesgebiet eingereist und war wiederholt ohne Aufenthaltstitel oder Beschäftigungsbewilligung in Kenntnis der Rechtslage im Bundesgebiet erwerbstätig.
1.5. H. lebt in einer 1-Zimmer-Wohnung in der L.-gasse, Wien. Der Beschwerdeführer wohnt nicht in einem Haushalt mit seiner Ehegattin und übernachtet nicht in der Wohnung seiner Ehegattin. Umgekehrt übernachtet auch die Ehegattin nicht in der dem Verwaltungsgericht nicht näher bekannten Unterkunft des Beschwerdeführers Der Beschwerdeführer hat keine Schlüssel der Wohnung seiner Ehegattin und war auch nie im Besitz solcher.
1.6. Es gibt kein gemeinsames Vermögen, keine gemeinsamen Konten und wird die Miete von H. für ihre Wohnung selbst entrichtet. Eine Wirtschaftsgemeinschaft gibt es zwischen den Ehegatten nicht.
1.7. Im Zuge von Erhebungen der LPD an der Wohnadresse des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin im Juli 2020 konnten keine Hinweise auf ein gemeinsames Familienleben gefunden werden. Es konnten keine persönlichen Gegenstände des Beschwerdeführers vorgezeigt werden. Auch bei einem polizeilichen Besuch im März 2021 konnte der Beschwerdeführer an der vermeintlichen gemeinsamen Wohnadresse nicht angetroffen werden.
1.8. Zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Gattin besteht kein regelmäßiger Kontakt. Eine Hausgemeinschaft wurde zu keinem Zeitpunkt aufgenommen und ist auch nicht zu erwarten. Der Beschwerdeführer und seine Ehegattin führen kein Intimleben und haben dies auch nicht vor. Der Beschwerdeführer und seine Ehegattin tragen nicht gemeinsam zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts bei und haben dies auch nicht vor. Es besteht kein Familienleben und hat ein solches auch zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die Ehe wurde zu dem Zweck geschlossen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.
2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:
2.1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, insbesondere die Befragungsprotokolle des ÖGK in der Türkei vom 3.2.2020 und der LPD vom 7.8.2020, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, Einholung verschiedener Registerauszüge (Zentrales Melderegister, Fremdenregister, Sozialversicherungsdaten), Einsichtnahme in vorgelegte Unterlagen sowie Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei und seiner Ehegattin als Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Weiters wurde der vermeintliche Unterkunftgeber des Zweitwohnsitzes der H., E. F. als Zeuge vernommen.
2.2. Die Feststellungen zu den persönlichen Daten ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und vorgelegten Reisepässen des Beschwerdeführers und der H., jene zum Verfahrensgang, insbesondere zu den Befragungen ergeben sich aus der Aktenlage. Die Feststellungen zu den stattgefundenen Wohnungserhebungen ergeben sich aus dem Bericht der LPD Wien vom 30.7.2020 und zum Nichtantreffen des Beschwerdeführers bei einem Besuch der Polizei im März 2021 aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellungen hinsichtlich der Vorehe der H. ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und ihren eigenen Angaben, ebenso ihre Kinderlosigkeit.
2.3. Die Feststellungen zur illegalen Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus einem eingeholten Sozialversicherungsauszug, wonach der Beschwerdeführer für mehrere Monate sowohl 2020 als auch 2021 als Arbeiter gemeldet war, weiters aus den Lohneingängen auf seinen vorgelegten Kontoauszügen. Entgegen den Ausführungen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers in der Beschwerde vom Jänner 2020, der Beschwerdeführer habe seine illegale Arbeitstätigkeit sofort eingestellt als er darüber aufgeklärt worden sei, war dieser auch nach diesem Zeitpunkt erneut mehrere Wochen erwerbstätig.
2.4. Dass H. Notstandshilfe des AMS bezieht ergibt sich aus einem Sozialversicherungsauszug und ihren eigenen Angaben. Aus dem Sozialversicherungsauszug ergibt sich auch, dass sie seit 1.2.2021 nicht mehr zur Sozialversicherung als selbständig Erwerbstätige gemeldet ist. Nach den eigenen nicht glaubwürdigen Angaben habe sie ihr Unternehmen für Import und Export ruhend gestellt. Dass sie neben dem Bezug von AMS-Geld dennoch ein Gewerbe betreibt, in dessen Rahmen sie auch Datteln verkauft, ergibt sich aus ihrem Internetauftritt auf Facebook (… aufgerufen zuletzt am 2.6.2021), in welchem sie nicht nur ihren Namen und Adresse sowie ein Foto veröffentlicht hat, sondern auch mit Posting vom 26.3.2021 damit wirbt, dass man bei ihr Datteln bestellen könne. Damit deckt sich die Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, dass H. derzeit Datteln verkaufe.
2.5. Die Feststellungen zur Zweitwohnsitzmeldung der H., an welchem sie jedoch nie wohnhaft war, ergeben sich aus einem ZMR-Auszug und der Befragung des vermeintlichen Unterkunftgebers F. in der mündlichen Verhandlung. Dieser gab glaubhaft an, dass er H. zwar kenne, diese aber nie in seiner Wohnung gewohnt habe. Sie wollte die Unterkunft mieten, überlegte es sich aber dann anders und er habe nichts mehr von ihr gehört. Sowohl die Polizei habe schon bei ihm nachgefragt und habe er auch einen Brief hinsichtlich eines Impftermins beim Land NÖ für H. erhalten und wisse nicht warum. Auch den Beschwerdeführer kannte der Zeuge nicht. H. hat sich sohin nur zum Schein an dieser Adresse angemeldet und versucht bis zum heutigen Tage einen Nutzen daraus zu ziehen.
2.6. In der mündlichen Verhandlung hat sich insbesondere aufgrund der im Folgenden zusammengefassten massiv widersprüchlichen Aussagen, ein die Vermutung der belangten Behörde bestätigendes Bild betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe zwischen dem Beschwerdeführer und der Zeugin H. ergeben:
Der Beschwerdeführer gab an, dass sowohl er als auch seine Gattin Schlüssel für die gemeinsame Ehewohnung in der L.-gasse besitzen würden. Er zeigte in der mündlichen Verhandlung jedoch gänzlich andere Schlüssel vor, als dies während ihrer Befragung die Zeugin später tat. Diese gab an, der Beschwerdeführer hätte seine Schlüssel vor zwei Tagen verloren, was überhaupt nicht glaubhaft erschien, da dies auch der Beschwerdeführer zuvor nicht erwähnt hat.
Dass der Beschwerdeführer keinesfalls mit der Ehegattin zusammenwohnt und auch kein Eheleben führt, zeigte sich auch bei der Frage nach durchgemachten COVID-19 Erkrankungen des Ehepaares. Der Beschwerdeführer gab an, H. sei im März 2021 an COVID erkrankt, während diese angab, sie sei im November 2020 an COVID erkrankt. Auf die Frage, ob der nicht erkrankte Beschwerdeführer in Quarantäne geschickt wurde und wo er die Quarantäne verbracht habe, gab dieser an, er habe die Quarantäne gemeinsam mit seiner Ehegattin in der Wohnung verbracht, während H. angab, sie hätten die Quarantäne getrennt verbracht, ihr (negativ getesteter) Mann habe bei Freunden gewohnt.
Die Ehegattin gab weiters an, der Beschwerdeführer habe während des Ramadan von Mitte April 2021 bis Mitte Mai 2021 wiederholt bei Freunden übernachtet, wohingegen der Beschwerdeführer angab, er habe schon so lange nicht mehr auswärts übernachtet, dass er sich nicht an das letzte Mal erinnern könne.
Betreffend das Kennenlernen sprach der Beschwerdeführer von zwei Freunden (männlich), die das Kennenlernen vermittelt hätten, wohingegen H. von einer Freundin namens M. sprach. Die Gattin sagte weiters aus, sie seien mit dem Taxi in Izmir vom Flughafen ins Hotel gefahren und auch mit dem Taxi zum Standesamt gefahren, während der Beschwerdeführer angab, er habe sich für die gesamte Zeit ein Auto von seinem Freund ausgeborgt, mit welchem er H. sowohl vom Flughafen abgeholt habe als auch zum Standesamt gefahren sei. Der Beschwereführer gab an, er habe jede Nacht bei der Gattin im Hotel übernachtet, auch die Nacht vor der Hochzeit, wohingegen H. angab, sie habe die Nacht vor der Hochzeit alleine übernachtet und der Beschwerdeführer habe bei seinen Eltern übernachtet. Dabei schien H. ebenfalls nicht zu wissen, dass der Beschwerdeführer vor der Hochzeit bereits für 7-8 Jahre in einer Wohngemeinschaft lebte und nicht bei den Eltern.
Der Beschwerdeführer hat angegeben, er sei nie am Zweitwohnsitz der Gattin gewesen und kenne auch Herrn F. nicht, wohingegen H. aussagte, sie seien gemeinsam dort gewesen und der Beschwerdeführer kenne F. vom Sehen.
Zum gemeinsamen Geschlechtsleben gab der Beschwerdeführer an, er hätte 4-5mal Geschlechtsverkehr mit seiner Ehegattin pro Monat und sie würden mit Kondom verhüten, wohingegen H. die Aussage über die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr mit dem Beschwerdeführer verweigerte und angab, dass sie nicht verhüten würden.
2.7. All diese – nur exemplarisch angeführten – Widersprüche sowie der persönliche Eindruck des Ehepaares in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ließen klar erkennen, dass kein Familienleben, kein Eheleben oder eine eheähnliche Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und G. H. geführt wird oder jemals geführt wurde. Insgesamt erweckten die Eheleute nicht den Eindruck, einander gegenseitig Zuneigung zu schenken. Die Zeugin H. schreckte trotz Zeugenbelehrung nicht davor zurück, offenkundige Falschaussagen zu machen und hinterließ auch den Eindruck, vor rechtswidrigem Verhalten generell nicht zurückzuschrecken (Wohnsitzmeldung, COVID-Impftermin, Gewerbeausübung ohne entsprechende Sozialversicherungsmeldung und gleichzeitiger Bezug von Notstandshilfe, ungerechtfertigte Verweigerung der Zeugenaussage).
2.8. Auch die wenigen vorgelegten gemeinsamen Fotos, konnten keine Nähe zwischen dem Beschwerdeführer und der H. dartun. So befinden sich zwar beide nebeneinander auf Bildern wenigen verschiedenen Orten. Darauf dass es sich bei den beiden um ein Paar handeln würde, lassen die Bilder jedoch keine Rückschlüsse.
2.9. Angesichts der vorliegenden Beweisergebnisse steht für das Verwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer und G. H. eine Zweckgemeinschaft geschlossen haben, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eines dauerhaften Aufenthalts im Bundesgebiet zu vermitteln. Eine eheähnliche Beziehung, bestehend aus den Elementen einer Wohn-, Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft, ist für das Verwaltungsgericht Wien nicht zu erkennen.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Rechtslage:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lauten:
„Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption
§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.
[…]
Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers
§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.
[…]
(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.“
2. Erwägungen:
2.1. Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, dass er sich bei Antragstellung auf eine Ehe bezog, in welcher ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt wurde.
2.2. Zunächst ist festzuhalten, dass angesichts der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen der Beschwerdeführer mit G. H. tatsächlich niemals ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führte. So hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gezeigt, dass tatsächlich keine Wohngemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin bestanden hat; weiters haben sich keine Anhaltspunkte für eine Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne eines gemeinsamen Beitragens zur Lebensführung zwischen den Eheleuten ergeben; schließlich geht das Verwaltungsgericht Wien auch davon aus, dass keine Geschlechtsgemeinschaft zwischen den Eheleuten geführt wurde. Es liegt somit eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG vor (vgl. dazu VwGH 19.9.2012, 2008/22/0243 uva).
2.3. Der Beschwerdeführer hat sich vor der belangten Behörde somit tatsächlich auf das Eingehen einer Ehe mit der ungarischen Staatsangehörigen G. H. gestützt, obwohl ein Eheleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt wurde und die Ehe zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen.
2.4. Angesichts der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen und den bereits gemachten Ausführungen ist die Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 iVm. Abs. 7 NAG rechtmäßig erfolgt und war sohin zu bestätigen.
2.5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Beweiswürdigungsfragen sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich nicht revisibel. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 30.4.2018, Ra 2018/01/0172, mwN).
Zu B.
Begründung
Zu Spruchpunkt I. Verfahrenshilfe:
1. Der Beschwerdeführer hat am Ende der mündlichen Verhandlung am 18.5.2021 einen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Befreiung von Dolmetschergebühren gestellt. Es wurde ihm sogleich aufgetragen, ein Vermögensbekenntnis bis 28.5.2021 nachzureichen, welches er am 28.5.2021 übermittelte.
2. § 8a Abs. 1 VwGVG lautet:
„Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.“
3. Erscheint die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos, ist Verfahrenshilfe nicht zu bewilligen; dadurch sollen Verfahrensverzögerungen und eine etwaige finanzielle Belastung des öffentlichen Haushalts vermieden werden (vgl. RV 1255 BlgNR 25. GP 2). Die Kriterien der Mutwilligkeit und Aussichtslosigkeit entstammen § 63 Abs 1 ZPO. Gemäß § 63 Abs. 1 letzter Satz ZPO ist die Rechtsverfolgung insbesondere dann als mutwillig anzusehen, „wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles, besonders auch der für die Eintreibung ihres Anspruchs bestehenden Aussichten, von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde“. Dies trifft etwa dann zu, wenn offenkundig unbegründete Ansprüche geltend gemacht werden sollen, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Prozesstandpunkts bewusst ist und sie sich dennoch in einen Prozess einlassen will, sowie auch dann, wenn die Verfahrensführung zur Erzielung eines von der Rechtsordnung nicht geschützten Zwecks angestrebt wird (vgl. mit weiteren Nachweisen Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² § 8a VwGVG Rz 8 [Stand 1.5.2017, rdb.at]).
4. Gegenständlich musste sich der Beschwerdeführer seines unrichtigen Prozessstandpunkts bewusst sein, da er in rechtsmissbräuchlicher Absicht eine Scheinehe eingegangen ist und damit versuchte einen Aufenthaltstitel zu erschleichen. Dieser Standpunkt musste ihm umso mehr am Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bewusst sein, wo zahlreichste gravierende Widersprüche zwischen seinen Aussagen und jenen seiner Ehegattin zutage getreten sind. In vollstem Bewusstsein dessen einen Verfahrenshilfeantrag zu stellen, ist rechtsmissbräuchlich und mutwillig und war der Verfahrenshilfeantrag deshalb abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. Auferlegung von Barauslagen:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine klare und verlässliche Verständigung in einer mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. VwGH 19.3.2014, 2013/09/0109). Insoweit hat die antragstellende Partei für die in Rechnung gestellten Gebühren von zu diesem Zweck beizuziehenden nichtamtlichen Dolmetschern aufzukommen (vgl. zur Tragung allfälliger Kosten für die zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Amtshandlungen das Erkenntnis des VwGH vom 20.9.2012, 2010/06/0108).
Die Übersetzung in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2021 war auf Grund der nicht ausreichenden Deutschkenntnisse des einvernommenen Beschwerdeführers für eine gänzlich unbeeinträchtigte Verständigung sowie zur verlässlichen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlich.
Dem Verwaltungsgericht Wien stand eine amtliche Dolmetscherin oder ein amtlicher Dolmetscher für die türkische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung hat es daher externe Personen zur Übersetzung beigezogen.
Der Dolmetscher legte seine Gebührennote postalisch.
Die in der Gebührennote (nach dem Gebührenanspruchsgesetz – GebAG, BGBl. 136/1975) verzeichneten Gebühren hat das Verwaltungsgericht Wien geprüft und in der im Spruch genannten Höhe für in Ordnung befunden. Die Buchhaltungsabteilung der Stadt Wien wurde zur Bezahlung der Gebühr aus Amtsmitteln angewiesen (vgl. zu alldem § 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 erster Satz AVG).
Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz sowie § 53b AVG hat die beschwerdeführende Partei für diese Barauslagen aufzukommen.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Gebühren; Dolmetscher; Mutwilligkeit; RechtsmissbrauchAnmerkung
VwGH v. 11.10.2021, Ra 2021/22/0197; ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.151.087.1317.2021Zuletzt aktualisiert am
04.11.2021