TE Lvwg Erkenntnis 2021/9/13 LVwG-M-20/002-2021

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Veröffentlicht am 13.09.2021
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Entscheidungsdatum

13.09.2021

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
VStG 1991 §53b Abs2
VStG 1991 §54a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs betreffend des Strafvollzugs der Verfahren ***, ***, ***, *** und *** am 2.3.2021, zu Recht erkannt:

1.   Der Beschwerde wird betreffend den bekämpften Strafvollzug am 2.3.2021 zu dem Verfahren *** stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt.

2.   Die Beschwerde wird betreffend den bekämpften Strafvollzug am 2.3.2021 zu den Verfahren ***, ***, *** und *** als unbegründet abgewiesen.

3.   Die belangte Behörde, die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs hat dem Beschwerdeführer € 737,60 Euro für Schriftsatzaufwand, und € 922,00 Euro für den Aufwand für die Verhandlung und € 30,00 für die Eingabegebühr binnen 14 Tagen nach bei sonstigem Zwang zu leisten.

4.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 52 Abs. 1, 2 und 8 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 64 Abs. 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

Gang des Verfahrens:

Mit Schriftsatz vom 8.4.2021 brachte der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein. Dabei brachte er vor, dass die Sicherheitswachebeamten der PI ***, am 2.3.2021 gegen 10:00 Uhr den Beschwerdeführer zur Bezahlung der Verwaltungsstrafen zu den im Spruch angeführten Verfahren aufforderte. Der Beschwerdeführer habe den Beamten mitgeteilt, dass er nicht in der Lage sei die Strafen zu bezahlen. Weiters wies er darauf hin, dass die Strafen noch nicht in Rechtskraft erwachsen seien. Er habe auch Anträge auf Erwirkung eines Strafnachlasses gestellt. Die Beamten der PI *** nahmen Kontakt mit der BH Scheibbs auf, um den Sachverhalt zu klären. Dem Beschwerdeführer sei nicht gestattet worden mit dem Sachbearbeiter der BH Scheibbs in Kontakt zu treten, da dieser dies ablehnte. Er sei daraufhin in das Polizeianhaltezentrum *** gebracht worden, und seien die Ersatzfreiheitsstrafen der gegenständlichen fünf Verfahren vollstreckt worden. Mit der Eingabe legte der Beschwerdeführer ein umfangreiches Konvolut zu den Verfahren sowie die Fax-Bestätigungen der Verfahrenshilfeanträge in den Strafverfahren vor.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 7.6.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers und der Zeugin C, sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes und der vorgelegten Urkunden.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:

Zu den Verfahren *** (Straferkenntnis vom 14.5.2020), *** (Straferkenntnis vom 25.5.2020), *** (Straferkenntnis vom 25.5.2020) faxte der Beschwerdeführer am 22.6.2020 Anträge auf „beigebende Verteidigung innerhalb offener Frist zum beschwerdeerhebenden Rechtsbeistand gegen Straferkenntnis obzit. Zugestellt am 27.5.2020“. Die Faxbestätigungen zeigen okay bei den Sendeberichten. Nach Recherche bei den Faxprotokollen der BH Scheibbs und der IT-Abteilung im Land NÖ ergab sich, dass diese 3 Schriftstücke niemals in den Verfügungsbereich der BH Scheibbs gelangt sind.

Mit Fax vom 27.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer zu allen gegenständlichen Verfahren die Abstandnahme von der Betreibung der Ersatzfreiheitsstrafen und führte aus, dass er Verfahrenshilfe benötige.

Zu dem Verfahren *** legte der Beschwerdeführer die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vor und war zum Zeitpunkt der Vollstreckung somit das Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Diese wurde mittlerweile an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Bei dem Verfahren *** ergibt sich aus der Aktenlage, dass dieses rechtskräftig abgeschlossen war im Zeitpunkt der Maßnahme. Zu diesem Verfahren brachte der Beschwerdeführer lediglich einen Antrag auf Abstandnahme des Vollzugs wegen eines Härtefalls ein. Dieser Antrag wurde nicht bearbeitet.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden und der glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers.

Zum dem Verfahren *** war unstrittig eine Beschwerde zum Zeitpunkt der Vollstreckung am 2.3.2020 unter der Aktenzahl *** beim Verfassungsgerichtshof anhängig. (Der Beschluss vom 24.2.2021 wurde erst später zugestellt). Die Bezirkshauptmannschaft gab zu diesem Punkt an, dass sie zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal Kenntnis von dem Verfahren hatte. Daraus folgt auch, dass der Beschluss am 2.3.2021 der Bezirkshauptmannschaft noch nicht zugegangen sein konnte.

Zum Verfahren *** brachte der Beschwerdeführer keine Gründe die gegen die Rechtskraft des Verfahrens sprechen vor. Er gab lediglich an, dass in diesem Verfahren ein Antrag auf Abstandnahme vom Vollzug gestellt wurde und dieser nie bearbeitet wurde.

Der Beschwerdeführer hat laut Sendebericht von dem von ihm verwendeten Faxgerät am 22.6.2020 insgesamt zu drei gegenständlichen  Verfahren Verfahrenshilfeanträge an die Fax-Nummer der BH Scheibbs geschickt. Diese Verfahrenshilfeanträge sind jedoch niemals bei der BH Scheibbs eingelangt. Laut Auskunft der IT-Abteilung des Landes Niederösterreich sind diese auch nicht auf den Mail- bzw. Faxservern des Landes eingelangt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Übertragung nicht ordnungsgemäß erfolgte oder das verwendete Faxgerät des Beschwerdeführers eine fehlerhafte Zeit und Datumseinstellung hatte.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 53b Abs. 2 VStG ist mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe bis zu deren Entscheidung zuzuwarten, wenn gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem die Freiheitsstrafe verhängt wurde, Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben wird. Dies gilt nicht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 zweiter Satz vorliegen.

Gemäß § 54a. Abs. 1 VStG kann auf Antrag des Bestraften aus wichtigem Grund der Strafvollzug aufgeschoben werden, insbesondere wenn

1.   durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder

2.   dringende Angelegenheiten, die Angehörige (§ 36a AVG) betreffen, zu ordnen sind.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann auf Antrag des Bestraften aus wichtigem Grund (Abs. 1) auch die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe bewilligt werden. Die Zeit der Unterbrechung des Strafvollzuges ist nicht in die Strafzeit einzurechnen.

Die Vollstreckung im Verfahren *** war gemäß § 53b Abs. 2 VStG nicht zulässig, da zu diesem Zeitpunkt noch ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig war. Der verfahrensbeendende Beschluss vom 24.2.2021 war noch keiner Partei zugestellt worden.

Wird ein Anbringen mit einem geeigneten Telefaxgerät an die Behörde abgesandt, so kann dessen erfolgreiche Übertragung durch einen Defekt in der Sendeanlage, durch eine Störung im Übermittlungsnetz oder durch Umstände in der Empfangsanlage verhindert werden. Da die Verwendung eines Telekopierers durch das Gesetz (im materiellen Sinn) vorgesehen ist, gilt eine Eingabe auch dann als eingebracht, wenn die Behörde durch die Bekanntgabe einer Telefax-Nummer auf die Möglichkeit der Einbringung auf diesem Wege hingewiesen hat, das Ausdrucken der gesendeten Information am Empfangsgerät aber ausschließlich durch einen Defekt in ihrer Empfangsanlage zB Papierstau) unterblieben ist. Störungen im Netz und Umstände im Sendegerät, die zu einem Fehler in der Datenübertragung führen, gehen hingegen zu Lasten des Absenders. Wie bei Briefsendungen die Beförderung auf Gefahr des Absenders erfolgt (Hinweis E 19.9.1990, 89/13/0276, 0277) und es darauf ankommt, ob ein Schriftstück tatsächlich bei der Behörde einlangt (Hinweis E 7.11.1989, 88/14/0223), sind auch unter Verwendung von Telefaxgeräten übermittelte Anbringen erst dann eingebracht, wenn die Daten in zur vollständigen Wiedergabe geeigneter Form bei der Behörde einlangen.

Da die drei mittels Fax abgesandten Verfahrenshilfeanträge am 22.6.2020 niemals in den Verfügungsbereich der Behörde gelangten waren sie als nicht eingebracht zu werten, da sie offensichtlich am „Postweg“ verloren gegangen sind.

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe in den Verfahren ***, ***, *** und *** war daher rechtskonform. Die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes in dem Verfahren *** ist unstrittig rechtskräftig. Die Straferkenntnisse zu den Verfahren ***, *** und *** wurden mangels Einlangens eines Verfahrenshilfeantrages oder einer Beschwerde rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer hatte einen Antrag auf Nachsicht der Verwaltungsstrafe gestellt. Der Gesetzgeber hat so eine Nachsicht nicht vorgesehen und würde diese einer Amnestie gleichkommen. Lediglich ein Aufschub der Vollstreckung wäre möglich zu beantragen. Selbst wenn man diese Anträge als Antrag auf Aufschub der Vollstreckung interpretiert wäre dieser mittlerweile nach höchstgerichtlicher Judikatur gegenstandslos.

Das VStG sieht beim Vollzug von Freiheitsstrafen (§§ 53 ff VStG) keine neuerliche Möglichkeit der Abänderung von rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafen vor. (Erkenntnis des VwGH vom 11.9.2009, Zl. 2009/02/0236)

Die tatsächliche Vollstreckung der Strafe bewirkt bei Aufschubbegehren gemäß § 54a VStG den Wegfall der Rechtsverletzungsmöglichkeit iSd Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG und des Rechtsschutzbedürfnisses des Bf. Dies ist mit jenen Fällen vergleichbar, in denen nach Einbringung einer Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem ein befristeter Vollstreckungsaufschub versagt wurde, die Frist abgelaufen ist und zur Einstellung des Beschwerdeverfahrens infolge nachträglichen Wegfalles der Rechtsverletzungsmöglichkeit führt (Hinweis B 28.6.1994, 93/11/0143).

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen zu dem Verfahren *** war daher rechtswidrig. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zu den Verfahren ***, ***, *** und *** erfolgte rechtskonform. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in das PAZ *** und nicht in das PAZ *** gebracht wurde ändert nichts an der Zulässigkeit der Vollstreckung zu dem einen Verfahren. Das PAZ *** hatte zum Zeitpunkt der Vollstreckung keine freien Plätze mehr, sodass nach einer Alternative gesucht werden musste.

Kosten:

Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerde (teilweise) stattgegeben. Daher war die belangte Behörde die unterlege Partei und der Beschwerdeführer obsiegende Partei.

Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde im Zuge der Verhandlung betreffend die Maßnahmenbeschwerde vom Beschwerdeführer gestellt. Es waren daher die Kosten nach der VwG-Aufwandersatz-Verordnung (BGBl II 2013/517 idgF) und die Barauslagen dem Beschwerdeführer zuzusprechen.

Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Beigebung eines Verfahrenshelfers war keine Folge zu geben, da in der Beschwerde keine schweren oder komplizierten Rechtsfragen aufgeworfen wurden und der Sachverhalt relativ einfach zu erheben und Großteils unstrittig war.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Fall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Ersatzfreiheitsstrafe; Vollstreckung; Unzulässigkeit; Aufschub;

Anmerkung

VwGH 24.01.2022, Ra 2021/10/0164-10, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.20.002.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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