TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/21 W220 2214681-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W220 2214681-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2021, ZI.: 831773405/2433582, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 03.12.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 16.01.2019 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abwies. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Indiens sei und der Glaubensgemeinschaft der Sikh zugehöre. Er verfüge über Schulbildung und beherrsche die Sprachen Punjabi und Hindi in Wort und Schrift sowie etwas Englisch. In Indien sei sein Lebensunterhalt von seinem Vater finanziert worden. Er habe eine ungarische Freundin, mit welcher er ein gemeinsames Kind habe. Er sei im Bundesgebiet strafrechtlich verurteilt worden. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates seien nicht glaubhaft; der Beschwerdeführer sei keiner konkreten, persönlichen, asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung in seinem Herkunftsstaat Indien ausgesetzt gewesen und hätte eine solche zukünftig nicht zu befürchten. Der Beschwerdeführer sei eine volljährige, arbeitsfähige und gesunde Person. Im Fall einer Rückkehr nach Indien würde der Beschwerdeführer nicht in eine Notlage entsprechend Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK gelangen, sondern könnte seinen Lebensunterhalt mit Hilfe seiner Angehörigen sichern. In Österreich sei der Beschwerdeführer weder beruflich noch sozial verankert und habe entsprechend seinen eigenen Angaben keine Familienangehörigen im Sinn des Art. 8 EMRK. Er habe weder den vollständigen Namen noch Näheres, wie Hobbies, Beruf oder Eltern seiner Freundin nennen können.

Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.04.2020, GZ.: W220 2214681-1/6E, sowohl hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen; die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides wurden behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen, wozu begründend im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Hinblick auf ein in Österreich bestehendes schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers bloß ansatzweise ermittelt, basierend auf diesen lediglich ansatzweisen und ungeeigneten Ermittlungsschritten widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Feststellungen getroffen und somit notwendige Ermittlungen zur Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen habe.

Am 30.10.2020 fand im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Dabei brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, gesund zu sein, keine Medikamente zu nehmen und Punjabi, Hindi, Englisch und Deutsch zu sprechen. Einen Deutschkurs habe er nicht gemacht, er verstehe aber etwa 70%. Er halte sich seit sieben Jahren in Österreich auf, verdiene als Zeitungszusteller etwa 550,00 bis 600,00 Euro und lebe mit seiner Freundin, die derzeit wieder schwanger sei, und der im Dezember 2018 geborenen gemeinsamen Tochter im gemeinsamen Haushalt. Er passe auf seine Tochter auf, wenn seine Freundin arbeiten gehe.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 24.03.2021 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von dreißig Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich seit Dezember 2013 in Österreich aufhalte, nachdem er illegal eingereist sei, und seinen Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz legitimiert habe. Er sei einer unerlaubten Beschäftigung nachgegangen. Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit seiner ungarischen Partnerin, die nach dem NAG aufenthaltsberechtigt und schwanger sei und mit der er in häuslicher Beziehung lebe, eine minderjährige, ebenfalls aufenthaltsberechtigte Tochter, wobei dem Beschwerdeführer bewusst gewesen sei, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet unsicher sei. Der Beschwerdeführer sei gegenüber seiner Partnerin gewalttätig geworden und strafrechtlich verurteilt worden. In Indien verfüge der Beschwerdeführer nach wie vor über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Dem Beschwerdeführer sei die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seiner Partnerin via elektronischer Kommunikationsmittel möglich; zudem bestehe die Möglichkeit, mit Hilfe seiner Eltern gemeinsam mit seiner Partnerin und dem Kind in Indien eine Zukunft aufzubauen oder auf legalem Weg nach Österreich zu reisen. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers wiege in einer Gesamtabwägung schwerer als die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich. Wie bereits im Rahmen der Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz festgestellt worden sei, ergebe sich im Fall einer Rückkehr nach Indien keine Gefährdung des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Begründend wurde zusammengefasst dargelegt, dass der Beschwerdeführer sich seit siebeneinhalb Jahren rechtmäßig in Österreich aufhalte und sich um die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind bemühe. Im Fall einer Abschiebung des Beschwerdeführers wäre seine derzeit schwangere Lebensgefährtin auf sich alleine gestellt und würde nicht nur die finanzielle Unterstützung durch den Beschwerdeführer, sondern auch die Mitwirkung des Beschwerdeführers im Haushalt sowie die Betreuung des Kindes wegfallen. Seit seiner strafrechtlichen Verurteilung, der eine im März 2016 begangene Straftat zugrunde liege, habe sich der Beschwerdeführer wohlverhalten. Unter Berücksichtigung des Kindeswohles würden daher die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und der Volksgruppe der Jat sowie der Glaubensgemeinschaft der Sikh zugehörig. Er führt die im Kopf dieser Entscheidung angeführten Personalien; seine Identität steht nicht fest. Er beherrscht seine Muttersprache Punjabi.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesstaat Punjab in Indien geboren und aufgewachsen und absolvierte dort Schulbildung im Umfang von zwölf Jahren. Der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers in Indien wurde von seinem Vater finanziert. Die Eltern und Geschwister sowie weitere Verwandte des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Indien; der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen Kontakt.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.12.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer leistete mehrmals Ladungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht Folge, hielt sich nicht an den angemeldeten Wohnsitzadressen auf und entzog sich seinem Verfahren; seine Einvernahme im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fand in der Folge erst am 28.12.2018 statt.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich seit August 2017 im gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin, einer ungarischen Staatsangehörigen, sowie (seit deren Geburt) mit der gemeinsamen, im Dezember 2018 geborenen Tochter. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist derzeit schwanger, sie ist bei einer Reinigungsfirma beschäftigt.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine sozialen Bindungen in Österreich. Er ist als Zeitungszusteller erwerbstätig. Derzeit bezieht der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat bis dato weder einen Deutschkurs noch eine Deutschprüfung absolviert.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.01.2017, GZ.: XXXX , wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten (Probezeit drei Jahre) verurteilt. Der Beschwerdeführer war seiner Lebensgefährtin gegenüber gewalttätig.

Mit Schreiben vom 07.04.2021 erstattete das Landeskriminalamt XXXX einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft XXXX wegen des Verdachtes nach § 27 Abs. 1 SMG, nachdem der Beschwerdeführer im Zuge von Ermittlungen als vermutlicher Abnehmer von Heroin in Erscheinung getreten war; der Beschwerdeführer selbst hatte im Zuge seiner Vernehmung angegeben, Heroin für den Eigenkonsum erworben zu haben.

Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört im Hinblick auf sein Alter sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung erleiden würde. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Zur Lage in Indien wird unter auszugsweiser Heranziehung der seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Länderfeststellungen nachfolgend festgestellt:

„Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 1.11.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Punjab

Letzte Änderung: 23.10.2020

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015).

Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders als im übrigen Indien dar. Jüngste Berichte internationaler Menschenrechts-NGOs (Amnesty International, Human Rights Watch), aber auch jene des US State Department enthalten keine gesonderten Informationen zum Punjab (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Per 13.10.2020 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 13.10.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 05.11.2020

Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 23.9.2020). Es besteht keine Wehrpflicht (BICC 7.2020; vgl. CIA 9.10.2020). Das Mindesteintrittsalter in die Armee beträgt 16 Lebensjahre. Fahnenflucht, der Versuch der Fahnenflucht und die Beihilfe dazu werden nach dem „Army Act“ von 1950 und den entsprechend lautenden „Navy Act“ und „Air Force Act“ je nach Schwere des Falles mit hohen Gefängnisstrafen oder mit der Todesstrafe geahndet (ÖB 23.9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Im Alter von 16 bis 18 Jahren kann man sich freiwillig zum Militärdienst melden (CIA 9.10.2020). Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Chancengleichheit von Frauen in den indischen Streitkräften sicherstellt (2020) (AA 23.9.2020). Über Zwangsrekrutierungen durch die Armee ist nichts bekannt (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 7.2020). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, ÖB 9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).


Todesstrafe

Letzte Änderung: 05.11.2020

Gemäß Art. 53 Strafgesetzbuch von 1860 (Indian Penal Code) gilt für bestimmte Verbrechen die Todesstrafe (Mord, Hochverrat, Anstiftung zu Selbstmord eines Kindes, terroristische Gewalttat, Besitz von tödlichem Sprengstoff, wiederholter Drogenhandel, Vergewaltigung von Kindern etc.). In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht vorgesehen. Ende 2001 trat eine Änderung des Sprengstoffgesetzes in Kraft, die den Besitz tödlicher Sprengstoffe mit der Todesstrafe bedroht. Die Antiterrorgesetzgebung sieht für „terroristische Straftaten“, durch die Menschen zu Tode kommen, ebenfalls die Todesstrafe vor (AA 23.9.2020). Vergewaltigungen von Mädchen unter 12 Jahren können seit August 2018 mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 19.7.2019).

Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Memorandum in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 22.11.2012). 2019 wurden 102 Personen zum Tode verurteilt (ÖB 9.2020; vgl. AI 21.4.2020). Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht infrage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle („rarest of rare cases“) auf (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019).

Am 20.3.2020 wurden vier Todesurteile im Fall einer 2012 begangenen Gruppenvergewaltigung vollstreckt (AA 23.9.2020; vgl. ZO 20.3.2020, BBC 20.3.2020, IT 20.3.2020). Die Hinrichtungen wurden in den letzten Monaten durch Einsprüche und Gnadengesuche der Verurteilten immer wieder verschoben. Der aus der schrittweisen Abarbeitung der Rechtsbehelfe resultierende Aufschub - trotz enormen Drucks aus Politik und Öffentlichkeit - demonstriert das prinzipielle funktionieren des indischen Rechtsstaates (AA 23.9.2020). Es war dies die erste Hinrichtung seit dem Jahr 2015 (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Etwa 400 bis 500 Gefangene sitzen in Todeszellen (AA 21.4.2020; vgl. HRW 18.1.2018, DW 5.5.2017; vgl. AA 23.9.2020).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 05.11.2020

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020). Religionsfreiheit wird im Allgemeinen auch in der Praxis respektiert (FH 4.3.2020) und kaum eingeschränkt (AA 23.9.2020). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 28.04.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Die größten religiösen Gruppen, nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung aus dem Jahr 2011, sind Hindus (79,8 Prozent), Muslime (14,2 Prozent), Christen (2,3 Prozent) und Sikhs (1,7 Prozent) (CIA 9.10.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder „Verlockung“ erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 4.3.2020). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch „Betrug“, „Gewalt“ und „Anstiftung“ umfassen. Die Definition von „Verführung“ wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020). Die Datenlage zur Entwicklung von Hassverbrechen in Indien in den letzten Jahren ist uneinheitlich und erschwert eine genaue Einordnung. Die Zahl stieg von insgesamt 701 Vorfällen (116 Tote, 2138 Verletzte) im Jahr 2010 zunächst auf 823 Vorfälle (133 Tote, 2269 Verletzte) 2013 an, um dann nach einem Rückgang 2014 wieder auf 822 Vorfälle (111 Tote, 2384 Verletzte) im Jahr 2017 anzusteigen. Seit 2018 hat die Regierung bislang keine Zahlen vorgelegt (AA 23.9.2020). Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020).

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 06.11.2020

Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 9.2020). Die Verfassung enthält eine Garantie zum Schutz vor Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Rasse, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort (USDOS 21.6.2019).

Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 11.3.2020). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit jedoch weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. BAMF 30.9.2019). Kritiker behaupten, dass viele der Unterstützungsprogramme zur Förderung Angehöriger der unteren Kasten an den Folgen einer mangelhaften Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 11.3.2020).

Noch immer werden in Indien – trotz umfangreicher Förderprogramme und verfassungsmäßigem Verbot der Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit – Angehörige von niederen Kasten und Kastenlose (sogenannte Dalits, offiziell: „Scheduled Castes“, rund 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) diskriminiert. Diese Benachteiligung ist in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt, fußt auf sozialen und religiösen Traditionen und verläuft vielfach implizit (AA 23.9.2020; vgl. FH 4.2.2019).

Mob-geleitete Gewaltakte gegenüber Angehörige von Minderheiten durch extremistische Hindu-Gruppen, die der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) angehören, setzten sich das ganze Jahr 2019 über fort (HRW 14.1.2020).

Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 11.3.2020).

Im Nordosten des Landes, sind die Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land und die Verteilung der Erträge vor allem ethno-politischer Natur. Die Hauptursachen, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen, liegen zum einen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit, Rückständigkeit und politischen Marginalisierung der Region und zum anderen in den Konflikten zwischen den kulturell und ethnisch sehr unterschiedlichen Stammes- und Bevölkerungsgruppen. Die Nordostregion unterscheidet sich kulturell und ethnisch erheblich vom restlichen Indien. Bis heute fühlt sich die lokale Bevölkerung um ihre wirtschaftliche und politische Macht betrogen (BPB 12.12.2017). Die Situation von Kindern aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften bleiben weiterhin in ganz Indien ein ernsthaftes Problem (HRW 17.1.2019).

[…]

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 22.10.2020

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 23.9.2020).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Myanmar. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 9.2020).

[…]

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 23.10.2020

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Mio. Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und 2017/18 bei 6,75 Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4,9 Prozent. Für 2020 wurde ein Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Doch schrumpfte im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020/2021 (1. April 2020 bis 30. Juni 2021) aufgrund der COVID-19-Pandemie das Wirtschaftswachstum um beispiellose 23,9 Prozent. Der private Konsum und die Investitionen gingen stark zurück. Gleichzeitig verringerte sich in derselben Periode der Output der Industrie (Minus 38 Prozent) und des Dienstleistungssektors (Minus 21 Prozent) dramatisch. Für das am 1.4.2020 begonnene Geschäftsjahr erwarten Experten, dass die indische Wirtschaft um 9,6 Prozent schrumpfen und danach nur sehr langsam eine Erholung einsetzen wird. Die schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland dürfte auch die Handelsbilanz in beide Richtungen belasten (WKO 10.2020).

2017 lag die Erwerbsquote bei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Frauen sind weniger häufig als Männer berufstätig (FES 9.2019). Indien besitzt mit ca. 520 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei 7,6 Prozent, 2020 bei 10,8 Prozent. Für 2021 wird eine Arbeitslosenrate von 9,5 Prozent erwartet (WKO 10.2020).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (Shah-Paulini 2017).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2019; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2019).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 7.2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 2019).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).

55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).


Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 05.11.2020

Eine gesundheitliche Minimalversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 9.2020; vgl. BAMF 3.9.2018). Sie ist aber durchwegs unzureichend (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten europäische Standards. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 23.9.2020). Darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 3.9.2018). Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 3.9.2018).

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.500 solcher Kliniken in Indien, von denen 15.700 von nur einem Arzt betrieben werden. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 3.9.2018).

Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 9.2020).

Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 26.8.2019) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (GTAI 23.4.2020). In ländlichen Gebieten ist der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden. Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen (WKO 10.2020).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 3.9.2018).

Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan begonnen (auch „Modicare“ genannt), einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können. Diese Krankenversicherung deckt die wichtigsten Risiken und Kosten ab. Dazu kommen noch verschiedene öffentliche Krankenversicherungen in einzelnen Unionsstaaten mit unterschiedlichem Empfänger- und Leistungsumfang (ÖB 9.2020). Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 3.9.2018).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 23.9.2020). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 3.9.2018). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 23.9.2020). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 3.9.2018).

Rückkehr

Letzte Änderung: 23.10.2020

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).“

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zur Muttersprache des Beschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (vgl. etwa AS 196 und 201). Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest.

Die Feststellungen zum Geburtsort des Beschwerdeführers, seinen Aufenthaltsorten, seiner Schulbildung und seinen in Indien aufhältigen Familienangehörigen bzw. deren Lebensverhältnissen, dem Kontakt zu diesen sowie der Finanzierung des Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers durch seinen Vater beruhen ebenfalls auf den plausiblen und sohin glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (AS 196, 198f, 201 und 452; zu den seit der Einvernahme im Dezember 2018 nicht eingetretenen Änderungen vgl. AS 451), an denen kein Grund zu zweifeln besteht, und wurden im Wesentlichen bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid getroffen.

Die Feststellungen zur illegalen Einreise des Beschwerdeführers ins österreichische Bundesgebiet sowie dem Datum der Antragstellung ergeben sich aus der fehlenden Vorlage eines gültigen Reisepasses samt Visum für Österreich und den Angaben des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (AS 19) bzw. vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (AS 201). Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer mehrmals Ladungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht Folge leistete, sich nicht an den angemeldeten Wohnsitzadressen aufhielt und sich seinem Verfahren entzog sowie der Umstand, dass seine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Folge erst am 28.12.2018 stattfand, ergeben sich aus dem Akteninhalt (Auszug aus dem Zentralen Melderegister, AS 101ff und 153).

Die Feststellungen zur Lebensgefährtin und der Tochter des Beschwerdeführers, ihren Lebensumständen und dem gemeinsamen Haushalt resultieren aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (AS 450 bis 452) und der vorgelegten Geburtsurkunde der Tochter des Beschwerdeführers (AS 291) in Verbindung mit einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Diese Feststellungen legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem angefochtenen Bescheid zugrunde; in der Beschwerde wurde kein entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt behauptet.

Die Feststellungen zu den fehlenden sozialen Bindungen, der Erwerbstätigkeit, dem Nichtbezug von Leistungen aus der Grundversorgung und der mangelnden Absolvierung eines Deutschkurses und einer Deutschprüfung beruhen auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (AS 450 bis 452) in Verbindung mit der Nichtvorlage von Integrationsunterlagen. Vom festgestellten Sachverhalt ging bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid aus; ein darüberhinausgehendes integrationsrelevantes Vorbringen wurde in der Beschwerde nicht erstattet.

Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand (AS 196 und 450) in Verbindung mit der in Österreich verrichteten Tätigkeit als Zeitungszusteller.

Die Feststellung zur Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellung zur Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem kriminalpolizeilichen Aktenindex des Bundesministeriums für Inneres (AS 463f) in Verbindung mit der Verurteilung und den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (AS 452).

Die Feststellungen zum Abschlussbericht des Landeskriminalamtes XXXX vom 07.04.2021 ergeben sich aus dem übermittelten, im Gerichtsakt einliegenden Bericht selbst (OZ 2).

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Indien gefährdet wäre, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, von der Todesstrafe bedroht wäre oder in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht dargetan. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.04.2020, GZ.: W220 2214681-1/6E, abgewiesen, wobei festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer in Indien nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt worden sei, im Fall der Rückkehr nach Indien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt sei und nicht konkret Gefahr laufe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten. Im gegenständlich angefochtenen Bescheid führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nachvollziehbar aus, dass es dem Beschwerdeführer als volljährigen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Familienangehörige in Indien verfüge, zu welchen er Kontakt habe, möglich sei, im Fall der Rückkehr durch eigene Erwerbstätigkeit und allenfalls auch Unterstützung seiner Angehörigen (die bereits in der Vergangenheit den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers sicherten) seine Existenz zu sichern. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Indien die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht möglich wäre, sind, wie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgezeigt, im Verfahren nicht hervorgekommen. Es ist sohin dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht entgegenzutreten, wenn es – vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen – zu dem Schluss kommt, dass der Beschwerdeführer nicht Gefahr laufe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten. Gegenteiliges wurde auch in der Beschwerde nicht vorgebracht.

Die notorische Lage in Indien betreffend die COVID-19-Pandemie sowie die Definition von Risikogruppen ergeben sich aus allgemein zugänglichen, wissenschaftsbasierten Informationen von WHO (https://www.who.int) und CDC (https://www.cdc.gov/) sowie auf Basis von Informationen der österreichischen Bundesregierung (https://www.oesterreich.gv.at/?gclid=EAIaIQobChMI0ZWfp52a6QIVRaqaCh2o2gR4EAAYASAAEgL9NfD_BwE) und aus unbedenklichen tagesaktuellen Berichten. Dabei wird nicht verkannt, dass COVID-19 Indien aufgrund mangelnder Kapazitäten im Gesundheitssystem hart trifft und die Fallzahlen aktuell sehr hoch sind. Da der Beschwerdeführer jedoch gesund ist und im Hinblick auf sein Alter von nicht ganz dreißig Jahren sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 angehört, besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung erleiden würde.

Die oben wiedergegebenen Feststellungen zur Situation in Indien ergeben sich aus den im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderberichten, die auch dieser Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben. Diesen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005):

3.2.1.1. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten