TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/1 W247 2241536-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2021
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Entscheidungsdatum

01.07.2021

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9

Spruch


W247 2241536-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 4, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., sowie §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 55 Abs. 1 bis Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) ist russischer Staatsangehöriger und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , geboren am XXXX , Vater des BF, reiste am 03.05.2003 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 04.05.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der BF reiste als Minderjähriger am 01.05.2003 gemeinsam mit seiner Mutter und Geschwistern unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 02.07.2003 stellte seine gesetzliche Vertreterin und Mutter, XXXX , für den BF einen Asylerstreckungsantrag gemäß §§ 10 und 11 AsylG 1997 auf den Asylantrag des Vaters des BF, XXXX .

3. Mit Bescheid des seinerzeitigen Bundesasylamtes vom 03.07.2003, XXXX , wurde der Asylantrag des Vaters des BF gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation jedoch gemäß § 8 AsylG 1997 für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II.), sowie für den Fall des Eintritts der Rechtskraft der Spruchpunkte I. und II. gemäß § 15 Abs. 1 iVm Abs. 3 AsylG 1997 eine Aufenthaltsberechtigung befristet auf drei Monate erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend führte das ehemalige Bundesasylamt aus, dass das Fluchtvorbringen des Antragstellers (Vater des BF) nicht glaubhaft gewesen sei, jedoch für die Person des BF gegenwärtig ein Abschiebehindernis vorliegen würde und eine Rückkehr aber mit großer Wahrscheinlichkeit wegen der individuellen Situation des BF, sowie der damaligen Lage in Bezug auf seinen Herkunftsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK zur Folge gehabt hätte.

4. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 03.07.2003, XXXX , wurde der Asylerstreckungsantrag des BF gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen. Begründend führte das ehemaliges Bundesasylamt aus, dass dem Vater kein internationaler Schutz gewährt worden sei und sohin die Voraussetzungen für die Erstreckung von internationalem Schutz nicht vorliegen würden.

5. Gegen die oben genannten Bescheide brachten der Vater des BF und für den BF dessen Mutter Berufung (14.07.2003) beim seinerzeitigen Unabhängigen Bundeasylsenat ein und beantragten, die angefochtenen Bescheide, allenfalls nach Verfahrensergänzung zu beheben, dem Vater des BF gemäß § 7 AsylG 1997 internationalen Schutz in Österreich zu gewähren sowie die Erstreckung des sohin gewährten internationalen Schutzes des Vaters des BF auf den BF.

6. Mit Bescheid vom 14.01.2004, Zl. XXXX , gab der seinerzeitige Unabhängige Bundesasylsenat der Berufung gegen den angefochtenen Bescheid betreffend die Gewährung von internationalem Schutz an den Vater des BF statt: Dem Vater des BF wurde internationaler Schutz gemäß § 7 AsylG 1997 gewährt und kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft festgestellt. Begründend führte der seinerzeitige Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass eine Rückkehr nach Tschetschenien aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Lage in der Russischen Föderation eine unmenschliche Behandlung nach Art. 3 EMRK zur Folge hätte. Russische Staatsangehörige, die der tschetschenischen Volksgruppe angehören würden und neu aus Tschetschenien geflohen seien, hätten nach den damals zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Verhältnissen in der Russischen Föderation keine Möglichkeit gehabt, sich in anderen Teilen der Russischen Föderation niederzulassen. Die Russische Föderation sei nicht bereit gewesen, dem Vater des BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe durch die Niederlassung in anderen Gebieten in der Russischen Föderation vor unmenschlicher Behandlung zu schützen, so sei dies asylrelevant und sei daher internationaler Schutz zu gewähren.

7. Mit Bescheid vom 02.02.2004, Zl. XXXX , gab der seinerzeitig Unabhängige Bundesasylsenat der Berufung gegen den angefochtenen Bescheid betreffend den Asylerstreckungsantrag des BF statt: Dem BF wurde gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend führte der ehemalige Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass dem Vater des BF internationaler Schutz gewährt worden sei und dem BF die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens iSd Art. 8 EMRK in einem anderen Staat nicht möglich sei.

8.1. Infolge der Meldung der LPD Steiermark an das BFA über den Verdacht der Begehung einer Straftat durch den BF wurde am 25.08.2017 ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Der BF wurde dazu am 18.06.2018, im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin, der Mutter, XXXX , niederschriftlich einvernommen und in Kenntnis gesetzt. Im Zuge dessen gab der BF über sein Privat- und Familienleben im Wesentlichen an, dass er gesund sei und keine Medikamente nehme. Er habe als Schneider bei XXXX gearbeitet. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe neun Geschwister in Österreich. In der Russischen Föderation habe der BF Tanten und Onkel, 3 Brüder und Schwestern seiner Mutter würden dort leben. Er habe die Neue Mittelschule absolviert, das „Poly“ jedoch abgebrochen. Der BF habe keinen Beruf erlernt. Er könne aber als Kellner zu arbeiten beginnen. Jedenfalls habe er in der Justizanstalt begonnen, Mechaniker zu lernen, später aber wieder damit aufgehört. Er sei kein Mitglied in Vereinen oder Organisationen. In seiner Freizeit sei er nach der Arbeit nachhause gegangen, Freunde getroffen oder mit Konsolen gespielt. Der BF habe noch ein paar Freunde, mit anderen Freunde wolle er aber den Kontakt abbrechen, weil sie den BF immer auf schlechte Gedanken und Ideen bringen würden. Der BF glaube an Gott. Er glaube an den Islam, weil seine Eltern daran glauben würden. Er habe nie zu Ramadan gefastet, fände es aber gut, mehr könne er dazu nicht sagen. Er sei nie in eine Moschee gegangen.

8.2. Weiters gab der BF im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme zu seinen Fluchtgründen an, dass er sich nicht mehr erinnere, warum ihm internationaler Schutz gewährt worden sei. Die gesetzliche Vertreterin des BF gab an, dass damals Krieg geherrscht haben soll und sie unter Diabetes und hohem Blutdruck leide. Anschließend gab sie an, lieber schweigen zu wollen. Auf Nachfrage gab die gesetzliche Vertreterin weiters an, sie und ihre Kinder hätten keine eigenen Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates gehabt. Sie habe ihre Heimat verlassen, weil Angst in der Heimat gehabt habe, sie habe Schüsse gehört und Flugzeuge hätten Bomben abgeworfen. XXXX , den Ehemann der gesetzlichen Vertreterin und Vater des BF, habe man beschuldigt bei den Rebellen zu sein. Als es Krieg gegeben habe, hätten sich alle gegen die Machthaber erhoben. Der BF habe keine eigenen Fluchtgründe genannt.

8.3. Der BF führte aus, dass er im Falle eine Rückkehr Angst vor der Mafia habe. Er kenne niemanden in der russischen Föderation und wolle auch nicht hin. Er habe keinen russischen Pass. Er habe lediglich eine russische Geburtsurkunde. Der BF habe keinen Kontakt mit seiner Familie in der russischen Föderation. Er könne dort keine Unterkunft finden. Er würde mit seinem Herkunftsstaat nichts verbinden können.

8.4. Zu seinen Straftaten gab der BF an, dass er nicht wisse, warum er die Straftaten begangen habe. Er sei bereits drei Mal verurteilt und zwei Mal in Haft gewesen. Auf Vorhalt, dass der BF bereit 7 Mal verurteilt worden sei, führte der BF aus, dass er sich schnell zu etwas überreden habe lassen und auch nicht nachgedacht habe.

9. Mit Verfahrensanordnung vom 21.06.2018 wurde der BF aufgefordert, Stellung zu den von der belangten Behörde übermittelten Länderdokumentationen zu nehmen, sowie diverse Fragen über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere schulischer und beruflicher Werdegang, familiäre Verhältnisse, Ziele nach der Entlassung aus der Strafhaft sowie Eigentums- und Familienverhältnisse in seinem Herkunftsstaat wahrheitsgemäß zu beantworten.

10. Mit Schreiben vom 16.07.2018 kam der BF der oben genannten Aufforderung nach. Zu den Länderdokumentationen hat sich der BF nicht geäußert. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte der BF im Wesentlichen aus, dass er eine Maurerlehre beginnen und einen Beruf als Maurer ausüben wolle. Seine Kernfamilie lebe in Österreich. Im Herkunftsstaat verfüge der BF noch über Onkeln und Tanten (mütterlicher- und väterlicherseits). Er sei seit seiner Ausreise aus der Russischen Föderation nie dort gewesen. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wolle er sich sofort um eine Arbeitsstelle bemühen und die österreichische und europäische Rechtsordnung respektieren. Auch bereue er seine Taten und werde in Zukunft nicht mehr gegen die Rechtsordnung verstoßen.

11.1. Mit Mitteilung der LPD Steiermark vom 19.03.2019 wurde das BFA informiert, dass gegen den BF wegen des Verdachts der Begehung von Straftaten ermittelt werde. Dazu wurde der BF vom BFA am 05.04.2019 niederschriftlich einvernommen. Der BF gab im Zuge dessen im Wesentlichen an, dass er gesund sei und keine Medikamente nehme. Er sei in Untersuchungshaft, weil er beschuldigt werde, 14 Einbrüche begangen zu haben. Auf Nachfrage gab der BF an, dass er die Einbrüche wegen Geldsorgen zuhause begangen habe. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Familie würde ihn finanziell unterstützen. Er sei ca. 15, 16 Jahre in Österreich. Er habe einen Monat lang als Reifenmonteur gearbeitet. Der BF sei weiterhin kein Mitglied in Vereinen oder Organisationen. Der BF wolle den Kontakt zu seinen Freunden abbrechen, da diese ihn immer in Schwierigkeiten bringen würden. Er glaube an seine Familie und wolle nach der Haft selbst eine Familie gründen. Er habe den Koran auf Deutsch gelesen, aber nicht vollständig. Der BF habe auch Moscheen in XXXX besucht. Davor habe er eine tschetschenische Moschee besucht. Er habe eine sehr gute Beziehung zu seinem Bruder, XXXX , dieser würde den BF sehr gut verstehen. Warum er Asyl in Österreich bekommen habe, wisse er nicht mehr, da er damals zu klein gewesen sei.

11.2. Der BF führte weiters aus, dass er keinen Bezug zur Russischen Föderation hätte. Er glaube, er habe keine Familie dort. Er könne in der Russischen Föderation niemals Unterkunft finden. Seine Heimat sei XXXX , hier in Österreich.

11.3. Für den Fall seiner Rückkehr gab der BF dieselben Bedenken an, wie bei seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme vom 18.06.2018.

12. Mit Verfahrensanordnung vom 27.11.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, seinen Status als Asylberechtigter wegen des Eintritts eines Endigungsgrundes abzuerkennen. Gleichzeitig wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt, sich zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen, wie zu seinen Integrationsbemühungen, Stellung zu nehmen. Am 18.12.2020 langte die Stellungnahme des BF beim BFA ein. Das Vorbringen des BF entspricht dabei im Wesentlichen dessen Ausführungen in den vorangegangenen niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA.

13.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 09.03.2021, XXXX , wurde dem BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 AsylG erlassen (Spruchpunkt IV.)., die Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG für zulässig erklärt (Spruchpunkt V.), eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

13.2. Im Rahmen der Begründung wurde durch die belangte Behörde im Wesentlichen angeführt, dass dem Vater des BF bereits mit Bescheid vom 06.07.2020 der Status des Asylberechtigten aberkannt worden sei. Der BF habe seinen Status des Asylberechtigten seinerzeit von seinem Vater abgeleitet erhalten. Da dem Vater des BF der Status des Asylberechtigten aberkannt worden sei, sei auch beim BF ein Endigungsgrund eingetreten. Der BF sei bei Rückkehr in den Herkunftsstaat keiner existenziellen Gefahr ausgesetzt.

14. Mit beschwerdeseitig fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 06.04.2021 wurde gegen den Bescheid vom 09.03.2021, zugestellt am 22.03.2021, hinsichtlich aller Spruchpunkte wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung das BFA dem BF den Status des Asylberechtigten nicht aberkannt hätte, Beschwerde erhoben. Zusammenfassend wurde vorgebracht, dass die belangte ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Die belangte Behörde hätte zu den Fluchtgründen die Eltern des BF vernehmen müssen, um zu prüfen, ob die Fluchtgründe noch bestünden. Die belangte Behörde hätte die Länderdokumentationen im Rahmen des Beweisverfahrens unzureichend gewürdigt und keine ausführliche Prüfung dahingehend vorgenommen, ob die seinerzeitigen Gründe für die Asylzuerkennung noch bestehen würden. Eine Rückkehrentscheidung sei nicht zulässig, weil der BF von seinem Herkunftsstaat entfremdet, verfüge im Bundesgebiet über ein schützenswertes Familienleben und sei in Österreich hineingewachsen. Er bereue seine Straftaten zutiefst und habe keinerlei Bindungen zur Russischen Föderation. Beim Erlass eines Einreiseverbots habe die belangte Behörde es unterlassen, eine Prognoseentscheidung zu treffen. Es wurde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möge 1.) zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Ermittlungsverfahrens gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, 2.) den angefochtenen Bescheid – behelfsweise unter Heranziehung anderer als der hier geltend gemachten Rechte – zur Gänze beheben und feststellen, dass dem BF zuerkannte Status des Asylberechtigten nicht gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG abzuerkennen ist und dem BF daher die Flüchtlingseigenschaft zukommt., 3.) falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemachten wurden, diese amtswegig aufzugreifen bzw. allenfalls dem BF einen Verbesserungsauftrag erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können, 4.) in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das Bundesamt zurückverweisen, 5.) für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation zukommt bzw. für den Fall, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 3a Ivm 9 Abs. 2 AsylG nicht zuerkannt wird, feststellen, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 9 Abs. 2, letzter Satz, unzulässig ist, 6.) feststellen, dass die gem. § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 3 BVA-VG auf Dauer unzulässig ist und dem BF eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erteilen; 7.) in eventu das Einreiseverbot aufheben, 8.) in eventu die Dauer des Einreiseverbotes verkürzen.

15. Die Beschwerdevorlage vom 12.04.2021 und die Verwaltungsakte langten beim BVwG am 15.04.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der seinerzeitigen Anträge auf internationalen Schutz für den minderjährigen BF vom 02.07.2003 und den seines Vaters vom 04.05.2003, der Einvernahmen des BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 18.06.2018, sowie vom 05.04.2019, der vom BF auf Nachfrage des BFA gemachten Angaben über seine persönlichen und familiären Verhältnisse vom 16.07.2018, sowie vom 18.12.2020, der für den BF am 06.04.2021 erhobenen Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid vom 09.03.2021, des Aberkennungsbescheides gegen den Vater des BF vom 06.07.2020, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, der Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem, dem Strafregister der Republik Österreich und dem AJ-Web, sowie den im Akt befindlichen Strafurteilen gegen den BF, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen und dem muslimischen Glauben an. Er spricht Tschetschenisch als Muttersprache, sowie Deutsch. Der BF verfügt über keinen russischen Reisepass. Der BF ist im Besitz seiner russischen Geburtsurkunde.

Der BF reiste als Minderjähriger am 01.05.2003, in Begleitung seiner Mutter, XXXX , und Geschwistern in das österreichische Bundesgebiet ein. Seine Mutter, als gesetzliche Vertreterin, stellte am 02.07.2003 für den mj. BF einen Antrag, dass der Asylstatus des Vaters des BF auf den BF erstreckt wird.

XXXX , Vater des BF, wurde mit Bescheid vom 14.01.2004, Zl. XXXX , des seinerzeitigen Unabhängigen Bundesasylsenats Asyl gewährt. Da zur damaligen Zeit die Russische Föderation geflüchteten Tschetschenen bei Rückkehr wegen ihrer Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe nicht die Möglichkeit einräumten, sich in anderen Gebieten in der Russischen Föderation niederzulassen und ihnen Schutz zu gewähren, gewährte der seinerzeitige Unabhängige Bundesasylsenat dem Vater des BF internationalen Schutz und sprach ihm die Flüchtlingseigenschaft zu. Dem Vater des BF wurde am 03.06.2020 durch das Amt der steiermärkischen Landesregierung ein Aufenthaltstitel bis zum 02.06.2025 erteilt. Mit Bescheid des BFA vom 06.07.2020, Zl. XXXX , wurde dem Vater des BF der Asylstatus aberkannt, (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zuerkannt (Spruchpunkt III.). Die Umstände im Herkunftsstaat, auf Grund derer ihm seinerzeit der Status des Asylberechtigten zugesprochen wurde, würden nicht mehr bestehen und könne es XXXX daher nicht mehr weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Der Asylstatus des Vaters des BF wurde auf den BF am 02.02.2004 erstreckt, sodass dem BF der gleiche Schutz - wie seinem Vater - gewährt wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Infolge der Meldung der LPD Steiermark an das BFA über den Verdacht der Begehung einer Straftat durch den BF wurde am 25.08.2017 ein Aberkennungsverfahren gegen den BF eingeleitet. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 09.03.2021, XXXX , wurde dem BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 AsylG erlassen (Spruchpunkt IV.)., die Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG für zulässig erklärt (Spruchpunkt V.), eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Der BF ist seit Mai 2003 bis zum jetzigen Zeitpunkt durchgehend in Österreich aufhältig. Der BF hat die Volksschule und die Neue Mittelschule in Österreich absolviert. Die Polytechnische Schule hat er abgebrochen. Der BF hat keinen Beruf erlernt. Der BF begann in Strafhaft die Ausbildung zum Mechaniker, brach diese aber wieder ab. Später war er als Reifenmonteur tätig, wurde aber gekündigt. Der BF ist im Bundesgebiet am 08.11.2017, am 14.11.2017, am 17.11.2017, am 21.11.2017, von 23.11.2017 bis 24.11.2017, am 28.11.2017, am 30.11.2017, am 04.12.2017, am 06.12.2017, von 13.12.2017 bis 15.12.2017, von 15.10.2018 bis 25.10.2018 angemeldeten Berufstätigkeiten nachgegangen, wobei festzuhalten ist, dass sich die jeweiligen Tätigkeiten des BF im Bundesgebiet entweder auf einzelne Tage bzw. nur auf Zeiträume weniger Tage erstreckt haben. Von einer auch nur den Zeitraum von einem Monat übersteigende durchgehende Berufstätigkeit des BF kann in casu nicht gesprochen werden. Der BF erwies sich im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt als selbsterhaltungsfähig.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF ist seit 17.07.2006 durchgehend bei seiner Mutter mit Hauptwohnsitz gemeldet und hat dort mit Ausnahme jener Zeiten, die er in diversen Justizanstalten verbracht hat und wo er mit Nebenwohnsitz gemeldet war (JA XXXX : 13.08.2017-28.09.2017, JA XXXX : 03.01.2018 bis 17.09.2018, JA XXXX : 22.03.2019 bis 03.01.2020, JA XXXX : 03.01.2020 bis 06.02.2020, JA XXXX : 06.02.2020 bis 27.10.2020, JA XXXX : 27.10.2020 bis 19.02.2021), auch gewohnt und wurde von der Mutter finanziell versorgt. Derzeit verbüßt der BF eine Strafhaft bis voraussichtlich 20.02.2023 in der JA XXXX . Er ist weder Mitglied in Vereinen, noch in Organisationen im Bundesgebiet, hat aber Moscheen in XXXX besucht. Im Verfahren sind keine Hinweise auf eine nennenswerte soziale oder gesellschaftliche Integration des BF in Österreich hervorgekommen, noch wurden solche hinreichend subtantiiert behauptet.

Der BF hat seine Kernfamilie, nämlich seine 9 Geschwister, sowie seine Eltern, in Österreich. Er hat eine sehr gute Beziehung zu seinem Bruder, XXXX . Der BF verfügt über Tanten und Onkeln, welche in der Russischen Föderation wohnhaft sind, mit welchen der BF aber nicht in Kontakt steht. Der BF ist sowohl grundsätzlich arbeitsfähig, als auch arbeitswillig und damit grundsätzlich in der Lage sich seinen Lebensunterhalt in seinem Herkunftsland auch selbst zu erwirtschaften.

Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würden. Er ist gesund und nimmt keine Medikamente.

Der BF wurde in Österreich straffällig, im Strafregister der Republik Österreich sind folgende Verurteilungen ersichtlich:

01) BG XXXX vom 08.05.2015 RK 12.05.2015

§ 125 StGB

Datum der (letzten) Tat 06.01.2015

Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, Probezeit 3 Jahre

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 02.06.2016

02) BG XXXX vom 20.04.2016 RK 26.04.2016

§ 15 StGB § 83 (1) StGB

§ 15 StGB § 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 21.01.2016

Geldstrafe von 60 Tags zu je 4,00 EUR (240,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Unter Einbeziehung des Schuldspruches von BG XXXX RK 12.05.2015

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 02.06.2016

03) LG F.STRAFS. XXXX vom 14.06.2016 RK 18.06.2016

§ 83 (1) StGB

§ 107 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 16.03.2016

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf BG XXXX RK 26.04.2016

Jugendstraftat

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 18.06.2016

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX vom 11.10.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 18.06.2016

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG F.STRAFS. XXXX vom 15.02.2018

04) LG F.STRAFS. XXXX vom 11.10.2016 RK 15.11.2016

§§ 146, 147 (1) Z 1 2. Fall StGB

§ 229 (1) StGB

§ 241e (3) StGB

§ 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 11.08.2016

Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Jugendstraftat

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 15.11.2016

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX vom 15.02.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 15.11.2016

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS. XXXX vom 18.04.2018

05) LG F.STRAFS. XXXX vom 23.01.2017 RK 27.01.2017

§§ 136 (1), 136 (2) StGB

Datum der (letzten) Tat 27.08.2016

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS. XXXX RK

15.11.2016

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 20.12.2019

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 27.01.2017

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX vom 15.02.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 27.01.2017

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG F.STRAFS. XXXX vom 14.09.2018

06) BG XXXX vom 20.03.2017 RK 24.03.2017

§ 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 14.08.2016

Keine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS. XXXX RK

15.11.2016

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 24.03.2017

07) LG F.STRAFS. XXXX vom 15.02.2018 RK 15.02.2018

§ 83 (1) StGB

§ 15 StGB § 105 (1) StGB

§§ 127, 129 (1) Z 1, 129 (1) Z 3, 130 (1), 130 (2) 2. Fall StGB § 15 StGB

§§ 142 (1), 142 (2) StGB § 15 StGB

§ 105 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 01.01.2018

Freiheitsstrafe 12 Monate

Jugendstraftat

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 15.02.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 18.06.2016

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 17.09.2018, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS. XXXX vom 18.06.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 15.02.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 18.06.2016

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS. XXXX vom 17.07.2019

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 15.02.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 18.06.2016

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG F.STRAFS. XXXX vom 16.04.2020

08) LG F.STRAFS. XXXX vom 14.09.2018 RK 30.04.2019

§ 142 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 25.06.2017

Freiheitsstrafe 6 Monate

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS. XXXX RK

15.02.2018

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 20.09.2019

09) LG F.STRAFS. XXXX vom 16.04.2020 RK 01.09.2020

§§ 127, 128 (1) Z 5, 129 (1) Z 1,2, 130 (1) 1. Fall, 130 (1) 2. Fall, 130 (2) StGB § 15 StGB

§ 241e (1) 1. Fall StGB

§§ 125, 126 (1) Z 5 StGB

§ 288 (1) teil in Verbindung mit Abs. 4 StGB

§ 297 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 07.08.2019

Freiheitsstrafe 2 Jahre 9 Monate

Junge(r) Erwachsene(r)

Der strafgerichtlichen Verurteilung zu GZ XXXX , unter der Folgenummer 07 lag zugrunde, dass der BF u.a.

I.) am 01 August 2017 als unmittelbarer Täter teils durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§89 StGB) teils mit Gewalt gegen bestimmte Personen, fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen hat, teils wegzunehmen versucht hat, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Taten ohne Anwendung erheblicher Gewalt an Sachen geringen Wertes begangen wurden und die Taten nur unbedeutende Folgen nach sich zogen, indem der BF 1.) einem Opfer durch die Aufforderung: „Gib deinen Rucksack her, sonst schlagen wir dich!“ dessen Rucksack, sowie durch die Aufforderung: „Geldtasche her sonst fangst eine!“ dessen Geldtasche wegnahm, wobei er den Rucksack und die Geldtasche durchsuchte, wobei es jedoch mangels Beute beim Versuch blieb, 2.) einem anderen Opfer durch die Aufforderung: „Geldtasche her sonst fangst eine!“ und nach der Weigerung des Opfers durch Versetzen eines Schlages mit der flachen Hand in das Gesicht eine Geldbörse wegnahm, die er durchsuchte, wobei es jedoch beim Versuch blieb, 3.) einem weiteren Opfer Bargeld im Betrag von EUR 16,00 durch die Aufforderung „Geldtasche her sonst fangst eine“ und Versetzen eines Schlages gegen das linke Bein im Bereich der linken vorderen Hosentasche wegnahm.

II.) am 01. August 2017 unmittelbar vor der unter Punkt A.) geschilderten Tathandlung einer Person mit Gewalt, indem der BF durch Anwendung von Körperkraft diese Person zur Seite stieß, zu einer Handlung, nämlich zur kurzfristigen Überlassung des Fahrrades dieser Person an den BF, genötigt hat.

III.) teils allein, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Tätern, bestimmten Personen fremde bewegliche Sachen teils durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie die Diebstähle durch Einbruch in der Absicht ausführten, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und zwar 1.) zwischen 18.07.2017 und 20.07.2017 Berechtigten eines Geschäfts Bargeld und Wertgegenstände in nicht näher bekannten Wert durch gewaltsames Aufbrechen der versperrten Eingangstür unter Zuhilfenahme eines Werkzeuges, wobei es jedoch nicht zur Tatvollendung kam, 2.) zwischen 04.08.2017 und 06.08.2017 einer Person Bargeld und Wertgegenstände im nicht näher bekannten Wert durch gewaltsames Aufbrechen eines verschlossenen Fensters des vom Opfer betriebenen Geschäfts mit einem Werkzeug, wobei es beim Versuch blieb, 3.) zwischen 05.08.2017 und 08.08.2017 Berechtigten eines Geschäfts diverse Produkte im nicht näher bekannten Wert durch gewaltsames Aufbrechen einer verschlossenen Nebentür des Geschäftslokales mit einem Werkzeug, wobei es beim Versuch blieb, 4.) am 27.12.2016 Berechtigten einem Verein einen Wertgegenstand mit darin enthaltenem Bargeld im Gesamtwert von EUR 125,00 bzw. einem Opfer einen Laptop im Wert von EUR 394,00 durch gewaltsames Aufbrechen einer verschlossenen Bürotür und gewaltsames Aufbrechen eines versperrten Kastens, 5.) in zwei Angriffen zu nicht näher bekannten Zeitpunkten Mitte Juli 2017 unbekannten Eigentümer ein Herrenfahrrad und ein BMX-Rad im nicht näher bekannt Wert.

Für die Strafbemessung wurden das umfassende reumütige Geständnis, die teils untergeordnete Rolle bei den Einbruchsdiebstählen, teils beim ersuch gebliebenen Tathandlungen als mildernde Umstände, das belastete Vorleben, die einschlägigen Vorstrafen, die Tatbegehung während offener Probezeiten und offener Verfahren, die Vielzahl der Tathandlungen, das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen mit Vergehen sowie die Tatbegehung in Gemeinschaft als erschwerende Umstände herangezogen.

Der strafgerichtlichen Verurteilung zu GZ XXXX , unter der Folgenummer 09 lag zugrunde, dass der BF u.a.

A.) gemeinsam mit anderen Tätern fremde bewegliche Sachen in einem teils EUR 5.000,00-, nicht jedoch EUR 300.000,00- übersteigenden Wert bestimmten Personen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, durch Einbruch in Gebäude und Transportmittel und Aufbrechen von Behältnissen teils weggenommen hat, teils wegzunehmen versucht hat, wobei der BF die Taten auch in der Absicht beging, sich durch wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und bereits zwei solche Taten begangen hat und bereits einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist, sowie die Tat zudem als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung beging, und zwar im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem anderen Täter 1.) am 22.12.2018 in XXXX einem Dritten als Berechtigtem eines Lokals eine Kellnerbrieftasche in unbekanntem Wert und Bargeld in der Gesamthöhe von EUR 2.000,00, indem der BF und der andere Täter durch Aufbrechen der Eingangstür ins Lokal gelangten und die Kellnerbrieftasche samt Inhalt sowie das Wechselgeld an sich nahmen, 2.) zwischen 10. und 11.12.2018 in XXXX Berechtigten eines Lokals Getränke und Eis in unbekannten Wert, indem der BF und der andere Täter durch Aufzwängen der Schiebetür ins Lokal gelangten, dort einen Möbeltresor aufzubrechen versuchten und die Gegenstände an sich nahmen, 3.) in der Nacht von 07. Auf 08. März 2019 in XXXX einer Person als Berechtigtem eines Geschäfts Bargeld iHv EUR 260,48, indem der BF und der andere Täter durch Aufbrechen der Eingangstür in das Geschäft gelangten und aus der Handkasse das Wechselgeld entnahmen, 4.) am 01.01.2019 in XXXX einer Verantwortlichen eines Lokals Bargeld, zwei Geldkassetten und eine Kellnerbrieftasche im Gesamtwert von EUR 1.020,00, indem der BF und der andere Täter durch Aufbrechen der Hintertür ins Geschäft gelangten und die Gegenstände an sich nahmen, 5.) in der Nacht vom 21. auf 22.01.2019 in XXXX einer Person nicht näher bekannte Gegenstände, indem der BF und der andere Täter durch Aufbrechen der Eingangstür in das Geschäft zu gelangen versuchten, was jedoch misslang.

Der BF wurde wegen insgesamt 33 Taten verurteilt, wo er gemeinsam mit anderen Täter oder alleine Wertgegenstände und Bargeld iHv insgesamt EUR 16.093,31 durch Einbruch gestohlen hat, wobei es teilweise beim Versuch blieb. Für die Strafbemessung erkannte das Strafgericht als erschwerend, die acht Vorverurteilungen, sowie die Tatbegehung innerhalb offener Probezeiten, wie auch das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit Vergehen, wie auch die Tatwiederholung bzw. die Vielzahl an Fakten in kurzem Tatzeitraum und die mehrfache Qualifikation. Das Strafgericht hat die umfassende reumütige geständige Verantwortung als Milderungsgrund gewertet. Ferner, dass es teilweise beim Versuch blieb und die Tat vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen wurde.

Dem BF wurde die Rechtswohltat der Anordnung von Bewährungshilfe, Weisungen für den Antritt von Resozialisierungsmaßnahmen, der bedingten Strafnachsicht, der bedingten Entlassung abermals erfolglos erteilt.

Aktuell sitzt der BF - wie oben erwähnt- seit 20.03.2019 in Strafhaft in der JA XXXX und wird voraussichtlich bis zum 20.02.2023 angehalten. Der BF hat das Haftübel bereits mehrfach, mindestens drei Mal verspürt.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung in Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit noch asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt ist. Der BF konnte nicht glaubwürdig dartun, dass ihm noch im gesamten Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgung der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten, seitens der Behörden oder privater Personen, drohen würde, obwohl er zweimal dazu niederschriftlich einvernommen wurde. Die Mutter des BF erzählte im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme des BF am 18.06.2018, dass sie keine Fluchtgründe haben. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass der BF bei Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF ist volljährig, hat keine gesundheitlichen Probleme und spricht Tschetschenisch als Muttersprache. Als Zusatzqualifikation, welche ihm auch bei einer Jobsuche im Herkunftsstaat durchaus von Hilfe sein kann, spricht er auch sehr gut Deutsch. Der BF absolvierte in Österreich die Volks- und die Neue Mittelschule. Auch hat er in Österreich bereits Joberfahrungen gesammelt. Der BF ist in Österreich in einem tschetschenisch geprägten Familienverband mit Eltern und 9 Geschwistern aufgewachsen. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass der BF mit den kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates nicht vertraut wäre, bzw. davon entwöhnt wäre. Ebenso verfügt der BF im Herkunftsstaat – wie oben erwähnt - über familiäre Anknüpfungspunkte. Es wird nicht verkannt, dass der BF derzeit keine Kontakte zu seinen im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten pflegt. Dennoch ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er diese Kontakte im Falle der Rückkehr – notfalls über seine Eltern – recht zeitnahe reaktivieren könnte, ist aufgrund der Länderinformationen von traditionell bedingten recht starken familiären Bindungen innerhalb tschetschenischer Familien auszugehen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notwendige Lebensgrundlage entzogen wäre. So können ihn auch insbesondere seine Verwandten - zumindest in der Anfangsphase - in der Russischen Föderation nach einer Rückkehr im Bedarfsfall eine Unterstützung bei Unterkunft und Jobvermittlung sein, bis der BF aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt voll bestreiten kann.

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.09.2020:

„[…] Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

[…]

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

[…]

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

[…]

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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