TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/16 G308 2191355-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2021
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Entscheidungsdatum

16.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G308 2191355-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2018, Zahl: XXXX , betreffend die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2021, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 02.10.2016 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2. Am 02.10.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt.

3. Der Beschwerdeführer wurde wegen diverser Verstöße, nämlich des Verdachts der sexuellen Belästigung einer minderjährigen Person in einem öffentlichen Verkehrsmittel sowie wegen Störung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Asylunterkunft durch Streitgespräche schriftlich im März 2017 verwarnt.

4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , rechtskräftig am XXXX .2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung gemäß § 218 Abs. 1a StGB zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am XXXX .2017 in einem Personenzug der ÖBB eine andere, minderjährige weibliche Person, durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzte, indem er sie mehrmals am Oberschenkel streichelte.

5. Die Ehe des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , rechtskräftig am XXXX .2017, im beiderseitigen Einvernehmen gemäß § 55a EheG unter wechselseitigem Verzicht auf jegliche (Unterhalts-)Ansprüche geschieden.

6. Am 11.01.2018 meldete sich der Beschwerdeführer für eine freiwillige Rückkehr in den Irak unter Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe und des ERRIN-Projektes an. Als Kontaktperson gab der Beschwerdeführer dabei seinen ältesten Bruder XXXX (im Folgenden: F.) und seine Mutter an.

7. Am 24.01.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, statt.

8. Mit Dokumentenvorlage vom 02.02.2018 wurde ein Befundbericht des Psychosozialen Dienstes des Beschwerdeführers vom 01.02.2018 vorgelegt.

9. Ein gegen den Beschwerdeführer stattfindendes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts nach §§ 107a Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 StGB wurde am 02.02.2018 eingestellt.

10. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.03.2018, dem Beschwerdeführer am 16.03.2018 zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.10.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat „Irak“ (Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den „Irak“ gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

11. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung, datiert mit 27.03.2018, beim Bundesamt am 30.03.2018 einlangend, das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten oder allenfalls subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufheben und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.

12. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 05.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

13. Mit Eingabe vom 12.04.2018 übermittelte der Beschwerdeführer ein Schreiben eines ehemaligen Arbeitskollegen im Irak vom 05.04.2018 zur Bestätigung, dass der Beschwerdeführer seine Ex-Ehefrau aus Liebe geheiratet habe.

14. Seitens der ehemaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers langte darüber hinaus am 29.08.2018 die Mitteilung ein, dass der Beschwerdeführer die freiwillige Ausreise widerrufen habe.

15. Mit nachfolgenden Eingaben vom 23.11.2018, 07.01.2019 und 04.02.2019 wurden seitens des Beschwerdeführers jeweils Teilnahmebestätigungen an Deutsch-Alphabetisierungskursen vorgelegt.

16. Am 12.03.2019 langte ein neuerlicher Antrag des Beschwerdeführers auf freiwillige Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak vom 07.03.2019 unter Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe sowie Anmeldung beim ERRIN-Projekt ein. Als Kontaktperson gab der Beschwerdeführer dabei wieder seinen ältesten Bruder F. und seine Mutter an.

17. Mit Eingabe vom 12.08.2019 wurden (teilweise bereits aktenkundige) Deutschkursbestätigungen des Beschwerdeführers sowie eine Bestätigung über die Absolvierung eines Werte- und Orientierungskurses vorgelegt.

18. Am 06.04.2021 wurde die Vertretungsvollmacht der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vorgelegt.

19. Gemeinsam mit der Ladung vom 30.04.2021 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.06.2021 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zum Herkunftsland Irak, konkret das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 sowie einige Berichte zur Lage hinsichtlich der COVID-19 Pandemie, übermittelt.

20. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.06.2021 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die Sprache Kurdisch-Sorani teilnahmen. Seitens des Bundesamtes nahm ein Vertreter der belangten Behörde teil.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde zudem ein Konvolut an Integrationsunterlangen vorgelegt.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

21. Mit Eingabe vom 06.07.2021, beim Bundesverwaltungsgericht am 07.07.2021 einlangend, wurden eine Behandlungsbestätigung beim Zentrum für seelische Gesundheit von 23.03.2017 bis 04.10.2018 sowie einige Fotos und Unterstützungsschreiben vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Kurdisch-Sorani. Er ist geschieden und hat keine Kinder (vgl. etwa Erstbefragung vom 02.10.2016, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 123 ff; Kopie des irakischen Reisepasses, AS 95; Kopie des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, AS 93; Kopie Scheidungsbeschluss samt Scheidungsvergleich nach Scheidung im Einvernehmen vom 09.11.2017, AS 101 ff; Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 4 ff).

Geboren und aufgewachsen ist der Beschwerdeführer in Erbil in der Autonomen Region Kurdistan (im Folgenden: ARK), wo er nur etwa vier bis fünf Jahre die Grundschule besuchte. Seinen Lebensunterhalt verdiente der Beschwerdeführer als Fahrer und Müllmann bei der städtischen Müllabfuhr in Erbil, wo er monatlich zwischen USD 300,00 und USD 350,00 verdiente. Er lebte mit seiner damaligen Ehefrau in einem gemieteten Haus. Seine Eltern ließen sich bereits vor 20 Jahren scheiden, leben beide aber nach wie vor in Erbil, jedoch in unterschiedlichen Stadtteilen. Der Vater war von Beruf Taxifahrer. In Erbil leben weiters noch drei Brüder und drei Schwestern. In Österreich hat der Beschwerdeführer seit der Scheidung von seiner Ehefrau keine Familienangehörigen oder Verwandte. Ein Onkel mütterlicherseits lebt in Deutschland, zu diesem hat der Beschwerdeführer aber keinen Kontakt. Seine Mutter schickt ihm hin und wieder Geld aus dem Irak und hat er mit dieser sowie seinem ältesten Bruder F. regelmäßig Kontakt (vgl. etwa Erstbefragung vom 02.10.2016, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 85 ff und AS 123 ff; Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 4 ff).

1.2. Der Beschwerdeführer verließ den Irak gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau am 15. oder 16.09.2016 von Erbil aus und reiste nach Istanbul in die Türkei, von wo aus er weiter schlepperunterstützt über ihm unbekannte Länder, jedenfalls aber Bulgarien und Ungarn bis nach Österreich reiste, wo er und seine damalige Ehefrau jeweils am 02.10.2016 Anträge auf internationalen Schutz stellten. Es konnte weder festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer legal oder illegal aus dem Irak ausreiste noch wie er seine Reise konkret absolvierte (vgl. etwa Erstbefragung vom 02.10.2016, AS 5 ff; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 125 ff; Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 10).

1.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt im Bundesgebiet seit 06.10.2016 bis zum Entscheidungszeitpunkt über ununterbrochene Hauptwohnsitzmeldungen (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 09.07.2021).

1.4. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak bzw. der ARK nicht behandelbar wären (vgl. etwa Erstbefragung vom 02.10.2016, AS 5; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 121; Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 3).

1.5. Die Ehe des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , rechtskräftig am XXXX .2017, im beiderseitigen Einvernehmen gemäß § 55a EheG unter wechselseitigem Verzicht auf jegliche (Unterhalts-)Ansprüche geschieden (vgl. aktenkundiger Beschluss und Vergleich, etwa AS 101 ff).

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.09.2019, G306 2195617-1/10E, wurde der Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten und die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und ihr gemäß § 3 Abs. 4 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von drei Jahren erteilt (vgl. aktenkundiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.09.2019).

In den Feststellungen hielt das Bundesverwaltungsgericht zu den Gründen für die Ausreise bzw. die nicht mögliche Rückkehr der Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers auszugsweise fest [Fehler im Original, Anm.] (vgl. Erkenntnis vom 24.09.2019, S 5 ff):

„[…]

Mit Beschluss des BG XXXX , XXXX , vom XXXX .2017, wurde die Ehe der BF mit XXXX , geb. XXXX , (im Folgenden: EX-Mann) geschieden.

Mit Schriftsatz vom 18.01.2018 brachte die BF Anzeige gegen ihren EX-Mann wegen Stalking iSd. § 107a StGB bei der LPD XXXX ein. Das Verfahren wurde von Seiten der zuständigen StA XXXX zur Zahl AZ XXXX , am 02.02.2018 eingestellt. Der EX-Mann der BF wurde jedoch wegen am XXXX .2017 wegen der sexuellen Belästigung eines 15-jährigen Mädchens verurteilt und hat die BF jeden Kontakt zu diesem abgebrochen. Zudem wurde der EX-Mann des BF wegen des Verdachtes der sexuellen Belästigug einer minderjährigen Person in einem öffentlichen Verkehrsmittel sowie wegen der Störung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Unterkunft, vom Land XXXX , sohin wegen Verstoßes gegen § 5 Abs. 3 Z 1 XXXX . LBetreuG, nachdrücklich verwarnt.

Die BF erweist sich in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten, lebt mit einem afghanischen Asylwerber, XXXX , geb. XXXX , in einer Lebensgmeinschaft und hat diesen am XXXX .2018 nach traditionell muslimischen Ritus geheiratet. Mittlerweile ist die BF von ihrem aktuellen Lebensgefährten schwanger und ist der errechnete Geburtstermin der XXXX .2020.

Die BF hatte mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.

Die BF wurde von ihrer Familie im Alter von 18 Jahren zwangsverheiratet und wurde ihr die Fortführung ihrer schulischen Ausbildung verweigert. In weiterer Folge wurde die BF von ihrem EX-Gatten und dessen Familie zum Tragen eines Kopftuches, dem Unterlassen von Erwerbstätigkeiten und zum Gehorsam gegenüber denselben, teilweise mit Gewalt, angehalten. Die Familie der BF, insbesondere deren Mutter, bot der BF keine Hilfe an, sondern unterstützte das Vorgehen ihres Ex-Mannes und dessen Familie, mit der Betonung traditioneller Gepflogenheiten. Eine Scheidung wäre aufgrund der tradtionellen Einstellungen der Familie der BF und jener ihres EX-Gatten nicht denkbar gewesen und verblieb die BF sohin bei ihrem EX-Mann.

Auf Drängen ihres EX-Mannes und in Hoffnung auf eine Besserung ihrer Lebensumstände reiste die BF mit demselben nach Österreich, wobei Deutschland das eigentliche Ziel war, zumal ein Onkel ihres EX-Mannes dort lebt.

Nach erfolgter Scheidung von ihrem EX-Mann, welche die BF nur mit der Hilfestellung der Diakoniie und Frauenbewegeung, gegen den Willen des EX-Mannes, erreichen konnte, brachte dieser die BF gegenüber ihrer Familie im Irak in Verruf, indem er behauptete die Scheidung sei von der BF ausgegangen, diese sei ein Prostituierte und, dass die BF vom Islamischen Glauben abgefallen sei. Die BF wird seither von einem ihrer Brüder und ihrem – nach dem Tod ihres Vaters die Vormundschaft gegenüber der BF innehabenden – Großonkel, welcher in Suleymanie lebt, im Irak bedroht, zumal sie mit ihrem Verhalten die Ehre der Familie verletzt habe.

Die BF pflegt keinen Kontakt zur ihrer Familie im Irak und kann sie im Falle ihrer Rückkehr auch mit keiner Unterstützung seitens derselben rechnen.

[…]“

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise aus [Fehler im Original, Anm.] (vgl. Erkenntnis vom 24.09.2019, S 65 ff):

„[…]

Das BVwG erachtet das Vorbringen der BF hinsichtlich des Bestehens einer Bedrohung im Irak aus folgenden Erwägungen als glaubhaft:

[…]

Bei den der BF wiederholt gebotenen Möglichkeiten ihre Fluchtvorbringen darzulegen, vermochte es diese ihre Fluchtgeschichte glaubwürdig, vorzubringen.

Die BF brachte letztlich zusammengefasst im Wesentlichen vor, im Herkunftsstaat von ihrer Familie zwangsverheiratet und von einer weiteren schulischen Ausbildung abgehalten worden zu sein. Sowohl ihr Ehemann als auch dessen Familie, insbesondere die Schwiegermutter der BF, hätten die BF zur Achtung traditioneller Gebräuche, wie das Tragen eines Kopftuches, das Unterlassen einer Erwerbstätigkeit sowie Gehorsam gegenüber ihrem Mann und dessen Familie, teils mit Gewalt, angehalten. Ihre Lebensumstände seien sohin von anderen, nicht von ihr selbst, bestimmt worden. Nach dem Tod ihres Vaters habe sich ihre Situation zunehmend verschlechtert und habe ihre Mutter die traditionellen Ansichten der Familie des EX-Mannes der BF geteilt. Aufgrund dieser übereinstimmenden Einstellungen der besagten Familien, sei es für die BF, wenn diese es sich auch gewünscht hätte und es rein rechtlich möglich gewesen wäre, nicht denkbar gewesen eine Scheidung von ihrem Ex-Mann zu bewirken. Auf Drängen ihres EX-Ehemannes sei die BF gemeinsam mit diesen in Richtung Deutschland aufgebrochen, wodurch die BF sich selbst auch bessere Lebensverhältnisse erhofft hätte. In Österreich sei die BF weiterhin von ihrem EX-Mann zum Tragen eines Kopftuches gezwungen worden und hätte dieser das Interesse der BF an einer neuen Religion nicht geduldet. Erst mit Hilfe der Diakonie und der Frauenberatung habe die BF ihre Scheidung von ihrem EX-Mann, gegen dessen Willen bewirken können, welcher sie daraufhin telefonisch und über Internet wiederholt belästigt hätte, woraufhin die BF diesen zur Anzeige gebracht habe. Die BF habe durch eine Bekannte Interesse am christlich-evangelischen-freikirchlichen Glauben gefunden und sei letztlich zu diesem Glauben übergetreten. Der EX-Mann der BF habe sie nach deren Scheidung bei ihrer Familie in Verruf gebracht, indem er dieser gegenüber behauptete, dass die Scheidung von der BF ausgegangen, sie eine Prostituierte und vom Islam abgefallen sei. Die BF sei seither der Anfeidung ihrer Familie, insbesondere von Seiten eines Bruders und ihrem Vormund, einem (Groß-) Onkel aus Suleymanie, ausgesetzt, da ihr von diesen ehrverletzendes Verhalten unterstellt werde. Die BF habe aufgrund der Ereignisse der Vergangenheit jeglichen Kontakt zu ihrer Familie im Irak abgebrochen und sei diese auch nicht bereit der BF Hilfe zu gewähren. Die Mutter der BF habe alle Familienmitglieder gegen die BF aufgebracht und würde ihr im Falle ihrer Rückkehr die Ermordung drohen. Nach traditionellen irakischen Vorstellungen, welchen die Familie der BF anhänge, stelle der Abfall vom Islam, Ablehnen traditioneller Gepflogenheiten, sowie eine Scheidung ohne Zustimmung ihrer Familie ein ehrverletzendes Verhalten dar, welches sogar die Ermordung der BF rechtfertigen würde.

Wenn die BF auch in deren Erstbefragung angab, dass sie und ihr EX-Mann aufgrund der Weigerung ihres EX-Mannes sich von ihr scheiden zu lassen, von ihrem von Rache getriebenen Bruder mit der Ermordung bedroht worden seien, und sie in weiterer Folge vor der belangten Behörde eingestand diesbezüglich die Unwahrheit gesagt zu haben, und letztlich die zuvor dargelegte Fluchtgeschichte vorgebracht hat, war der BF dennoch Glabuen zu schenken.

Die BF gestand ein von ihrem EX-Mann zu den Angaben bei der Erstbefragung gezwungen worden zu sein, was – wie in weiterer Folge nocht dargelegt wird – glaubhaft erscheint. Die BF hat, anstelle bei ihrer ursprünglichen, von ihrem EX-Mann vorgebenen und von diesem bestätigten Geschichte zu bleiben, durch ihr Eingeständnis der Lüge wissentlich ihre Glaubwürdigkeit im Grunde belastet und damit ihre Chancen auf Asyl im Ergebnis denkmöglich verringert. Insbesondere, da sie dabei eingestanden hat, im Grund nur im Glauben an ein besseres Leben im Ausland geflohen zu sein. Wenn die BF das Interesse verfolgt hätte, durch das Vortragen wahrheitswidriger Sachverhalte internationalen Schutz zu erlangen, wäre davon auzugehen gewesen, dass die BF sich bemüht gezeigt hätte, Widersprüchlichkeiten zu vermeiden, die Wahrheit all ihrer Angaben zu betonen und an ihrer ursprünglichen Geschichte festzuhalten. Inwiefern die BF jedoch dann das Fehlen von Fluchtgründen im Zeitpunkt ihrer Flucht sowie das Vortragen falscher Angaben eingestehen hätte sollen, ließe sich jedoch nicht erklären.

Ferner unterstreicht das vom EX-Mann der BF dokumentierte Verhalten die Vorbringen der BF. So wurde dieser wegen der Belästigung einer minderjährigen Person veurteilt und wegen Störung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in seiner Wohnunterkunft nachdrücklich verwarnt. Vor diesem Hintergrund, insbesondere der damit aufgezeigten Neigung des EX-Mannes des BF, Rechte anderer sowie allgemeine Verhaltensregeln zu ignorieren, erscheint das Vorbringen der BF, von ihrem Mann zu Falschaussagen gezwungen worden zu sein glaubwürdig. Die von der BF eingebrachte Anzeige gegen deren EX-Mann sowie deren damals an das BFA gerichtete Wunsch, nicht mehr auf ihren EX-Mann im Zuge des Asylverfahrens treffen zu müssen (siehe AS 21) runden das Bild ab. Zudem wurde im Beschwerdeschreibn betont, dass die Scheidung der BF nur mit Hilfestellung Dritter möglich gewesen sei, was nahelegt, dass es der BF nicht gelungen wäre ihre Rechte gegen allein den Willen ihres EX-Mannes durchzusetzen. Die BF beschreibt ihren EX-Mann als dominante von irakischen Traditionen geprägte Persönlichkeit, welcher sie im Irak, mit Unerstützung seiner Familie und irakischer Traditionen unterdrückt hätte und dies auch in Österreich weiterführte. Die Länderfeststellungen bekräftigen das Vorbringen der BF insofern, als diesen entnommen werden kann, dass Traditionen im Irak teils gelebt werden und Frauen nach diesen bestimmten Kleidervorschriften und Verhaltensregeln unterworfen und in ihren Entscheidungen nicht immer frei sind. Auch Zwangsverheiratungen kommen laut Länderfeststellungen noch immer im Irak vor. Vor dem Hintergrund der Glabuwürdigkeit der von der BF dargelegten Fluchtgeschichte und Nachfluchtgründe, kann logisch nachvollzogen werden, dass die BF, insbesondere nach Jahre lang gelebter und erfahrer Einschränkungen in ihren Freiheiten, sich zum Zeitpunkt ihrer Erstbefragung dem Willen ihres EX-Mannes gebeugt und letztlich die vom ihm gewünschte Fluchtgeschichte vorgetragen hat. So gilt auch zu berücksichtigen, dass die BF bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BF bereits 17 Monate in Österreich aufhältig und seit 4 Monaten von ihrem EX-Mann geschieden war, und wesentliche Änderungen ihn ihrem Leben und ihrer Einstellung betont hat.

Die BF hat ihre letztgültige (Nach-) Fluchtgeschichte letztlich unfangreich, detalliert und konsistent vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung ausgebreitet. Allfällige – wie von der belangten Behörde betonte – Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der Vorbringen des EX-Mannes der BF in dessen Asylverfahren vor dem BFA, müssen gegenständlich im Lichte der glaubwürdigen Vorwürfe der BF, insbesondere auch ihres zerrütteten Verhätnisses, deren Vorgeschichte und von der BF eingestanenden Lüge in deren Erstbefragung, beurteilt werden. Der bloße Umstand des allfälligen Bestehens solcher vermag gegenständlich die Glaubwürdigkeit der BF nicht zu erschüttern. Viemehr hat diese eine nachvollziehbare durch die Länderfeststellungen eine Untermauerung findende detaillierte Fluchtgeschichte vorgetragen. Selbst in der mündlichen Verhandlung bot die BF ein vertauenswürdiges Bild und vermochten keine Anhaltspunkte gefasst werden, welche die Glaubwürdigkeit der BF in Zweifel ziehen konnten.

Insofern die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, dass eine Misshandlung der BF durch ihren EX-Mann oder dessen Familie nicht nachvollzogen werden könne, da die BF keinen Arzt oder kein Krankenhaus aufgesucht hätte, lässt diese außer Acht, dass die BF vorgerbacht hat, in ihren Freiheiten und Entscheidungen eingeschränkt gewesen zu sein. Insofern liegt der Schluss nahe, dass die kraft Tradition Macht über die BF ausübenden Täter (EX-Mann und dessen Familie) diese im Falle deren Verletzung den Weg zu einem Arzt oder Krankenhaus verhindert hätten. Demzufolge kann dem Umstand der allfälligen Nichtinanspruchnahme medizinischer Einrichtungen, genauso wenig wie der Schweregrad allfällig erlittener Verletzungen entscheidungsrelvant sein. Ferner scheint die belangte Behörde,– wenn sie – unter Berufung auf den EX-Mann der BF – der BF vorwirft sich einzig zur Steigerung ihrer Asylchancen auf Anraten iranischer Frauen scheiden hätte lassen, zu übersehen, dass die BF die Annahme einer westlichen Lebenseinstelllung und Nähe zu einer neuen Religion vorbrachte, und somit auf ein selbstbestimmtes Leben abstellte. Eingedenk dessen, sowie der Verurteilung ihres EX-Mannes und der geschilderten Erlebnisse im Irak, kann die mittlerweile eingetretene Einstellungsänderung der BF und erfahrene Hilfe in Österreich gegenständlich als glaubwürdiger Grund für deren Entscheidung sich von ihrem EX-Mann scheiden zu lassen angesehen werden. So spricht auch der Umstand, dass die BF erneut, wenn auch nur traditionell, geheiratet hat, gegen eine Scheidung von ihrem EX-Mann zum Zwecke als alleinstehende Frau zu gelten.

Ferner ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass nicht erkannt werden kann, worauf sie ihre Ausführungen, die BF hätte – familiäre Probleme ausschließend – angegeben, in Erbil gut gelebt zu haben, stützt. Dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme der BF kann bloß entnommen werden, dass die BF zur Frage ihrer wirtschaftlichen Situation im Irak angab, keine wirtschaftlichen Probleme gehabt zu haben. Eingedenk wiederholter Schilderungen von negativen familiären Erfahrungen, scheint die besagte Angabe der BF sohin aus dem Kontext gelöst worden zu sein. Hinsichtlich des Tragens eines Kopftuches im Irak, brachte die BF in der mündlichen Verhandlunge mehrere Fotos in Vorlage, die sie beim Tragn eines solchen im Irak zeigen.

In der mündlichen Verhandlung trat die BF zudem selbstbewusst und westlich orientiert auf und vermochte in überzeugender Art und Weise deren Abneigung gegen irakische Tradtionen im Hinblick auf die darin gezeichnete Rolle von Frauen darlegen. Die BF betonte den Widerspruch dieser Traditionen zu ihren eigenen Einstellungen und ihren Rechten und ließ damit eine innere Überzeugung der Annahme westlicher Lebenseinstellungen erkennen.

Zudem betonte die BF ihre Zuwendung zum christlich-evangelisch-freikirchlichen Glauben und brachte zuletzt eine Taufbestätigung sowie eine Bestätigung über den regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes der besagten Glaubensrichtung in Vorlage.

Vor diesem Hintergrund, insbesondere der Traditionsverhaftung ihrer Familie, kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die BF aufgrund ihrer ohne Zustimmung ihrer Familie vorgenommenen Scheidung, Zuwendung, bzw. offenkundigen Annäherung an einen anderen Glauben, des Übernehmens westlicher Lebenseinstellungen und ihrer neuerlichen Verehelichung ohne eingeholter Genehmigung ihrer Familie, des ehrverletzenden Verhaltens seitens ihrer Familie beschuldigt werde und daher im Falle ihrer Rückkehr Gefahr droht. Gegenständlich kommt es im Hinblick auf deren neuen Glaubensbekundung nicht darauf an, ob sie aus tatsächlicher Überzeugung zum evangelischen Glauben konvertiert ist. Vielmehr ist verfahrensgegenständlich relevant, dass die Familie der BF einen Abfall vom Islam und Konvertierung zum christlichen Glauben für möglich bzw. für wahr hält und die BF im Ergebnis des ehrverletzenden Verhaltens bschuldigt. Das dies der Fall ist, hat die BF durch das wiederholte und konsistente Vorbringen, von ihrem Bruder und ihrem (Groß-) Onkel im Irak bereits wegen ihres ehrverletztenden Verhaltens bedroht worden zu sein, bekräftig.

[…]“

1.6. In Österreich ist der Beschwerdeführer bisher keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit nachgegangen und bezieht nach wie vor Leistungen aus der Grundversorgung (vgl. Sozialversicherungs- und Grundversorgungsdatenauszug jeweils vom 09.07.2021). Er engagiert sich ehrenamtlich als Dolmetscher im Flüchtlingsquartier (vgl. Bestätigung Diakonie vom 11.03.2021) und bietet älteren Privatpersonen Alltagshilfe an (vgl. Konvolut an Unterstützungsschreiben). Eine Einstellungszusage konnte er bis dato nicht vorlegen.

Er hat in Österreich bisher mehrere Deutschkurse, die meisten jedoch nur auf „Alphabetisierungsniveau“, zuletzt jedoch auf Niveau A1, besucht. Er hat jedenfalls in Österreich weder eine Deutschsprachprüfung noch eine Integrationsprüfung absolviert. Die im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung an den Beschwerdeführer auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen konnte er nur teilweise verstehen und auf Deutsch beantworten. Der Beschwerdeführer verfügt somit über keine maßgeblichen Deutschkenntnisse (vgl. Konvolut aktenkundiger Deutschkursbestätigungen; Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 8).

Bei der Volkshochschule besucht der Beschwerdeführer einen sogenannten „Brückenkurs“, welcher 300 Unterrichtseinheiten in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und digitale Kompetenzen umfasst und voraussichtlich im Oktober 2021 endet (vgl. Bestätigungsschreiben vom 07.06.2021). Im März 2021 konnte er zudem den Basisbildungskurs der Volkshochschule erfolgreich absolvieren (Deutsch-Niveau A1) (vgl. Bestätigung vom 12.03.2021). Er hat weiters an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (vgl. Bestätigung vom 24.10.2017),

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer kein Mitglied in einem Verein. Der Beschwerdeführer konnte zudem einige Unterstützungsschreiben zur Vorlage bringen (vgl. aktenkundiges Konvolut).

Er hat eine österreichische Freundin, lebt mit dieser aber nicht im gemeinsamen Haushalt (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 29.06.2021, S 9).

1.7. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , rechtskräftig am XXXX .2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung gemäß § 218 Abs. 1a StGB zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2021 wurde die Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am XXXX .2017 in einem Personenzug der ÖBB eine andere, nämlich minderjährige weibliche Person, durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzte, indem er sie mehrmals am Oberschenkel streichelte (vgl. etwa Strafregisterauszug vom 09.07.2021; Strafantrag vom 02.06.2017, AS 33 ff; Mitteilung über die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers, AS 41; Abschluss-Bericht der LPD Burgenland vom 21.05.2017).

Insgesamt liegen jedoch keine besonders berücksichtigungswürdigen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.

1.8. Der Beschwerdeführer ist im Irak nicht vorbestraft, festgenommen oder inhaftiert worden. Es besteht kein Haftbefehl, er ist kein Mitglied einer terroristischen Organisation und hat auch keinen Kontakt zu einer solchen gehabt. Er hat sich im Irak nicht politisch engagiert und ist auch kein Mitglied einer Partei gewesen. Er hat im Irak keine Probleme mit Behörden oder Gerichten, wegen seiner Volksgruppe, Religionszugehörigkeit oder sonstigen Gründen gehabt.

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak bezüglich der COVID-19-Pandemie werden die folgenden, dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entsprechenden, aktuellen Länderberichte auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Lage hinsichtlich der COVID-19 Pandemie im Irak nachfolgende Feststellungen:

Mit Stand 09.07.2021 gab es im Irak 1.406.289 bestätigte COVID-19 Erkrankungen, 17.444 Todesfälle und wurden zum Stand 05.072021 1.087.866 Impfdosen verabreicht (vgl. https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 12.07.2021).

Mit Stand 08.07.2021 ergibt sich aus der Zusammenfassung der WKO (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Zugriff am 12.07.2021), dass im Irak das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus seit 30.03.2021 läuft, die erste Dosis des COVID-19 Impfstoffes als Voraussetzung für die Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperren an Freitagen und Samstagen gilt und der Zentralirak das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, die Autonome Region Kurdistan für 22 Länder, unter anderem jeweils Österreich, aufgehoben hat.

Alle Landgrenzen im Zentralirak sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Reisen in den Iran sind aus dem Irak und der Autonomen Region Kurdistan wieder gestattet. Bei einer Einreise in den Zentralirak gibt es Erleichterungen für Geimpfte und Getestete, nicht jedoch für Genesene; Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19 Test verfügen. Solche Passagiere müssen am Flughafen keinen Test mehr machen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten dafür (USD 50,00) tragen. Flüge zwischen Irak und Indien sind bis auf Weiteres eingestellt worden. Dabei sind Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, vom Einreiseverbot bei negativem PCR-Test ausgenommen.

Es gilt im Zentralirak eine nächtliche Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen von 21:00 – 05:00 Uhr. Geimpfte Personen (erste Dosis) dürfen sich an Wochenenden während der nächtlichen Ausgangssperre frei bewegen. Parks, Fitnesscenter, Kinos, Schwimmbäder, Veranstaltungsräume, Einkaufszentren. Restaurants, Cafés und Bars sind unter Auflage des Gesundheitskomitees geöffnet. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wieder geöffnet. Ab 15.02. sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten. Das Versammlungsverbot bleibt aufrecht. Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten. Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität. Ab dem 20.04. wird nur geimpften Personen oder Personen mit einem negativen PCR Test in Ministerien und Regierungsbehörden der Zutritt erlaubt. Moscheen sind geöffnet. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.

In der Autonomen Region Kurdistan (ARK) brauchen Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, einen negativen COVID-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Alle ankommenden Passagiere müssen sich bei Ankunft am Flughafen einem COVID19-Test unterziehen und es gilt eine 2-tägige Quarantäne. Die Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Flüge zwischen der Region Kurdistan und Indien sind bis auf weiteres eingestellt worden. Personen, die von Indien in die Region Kurdistan reisen, müssen sich bei ihrer Ankunft für 14 Tage unter Quarantäne stellen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde. Die Landesgrenze mit der Türkei ist wieder geöffnet. Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden. Alle Passagiere, die sich in den letzten 30 Tagen im Iran aufgehalten haben, dürfen nicht in Erbil einreisen. Vollständig geimpfte Personen müssen sich bei der Einreise keinem COVID-19 Test unterziehen.

In der ARK sind die nächtlichen Ausgangssperren aufgehoben. Reisen zwischen der Region Kurdistan und dem Irak sind wieder erlaubt. Irakische Patienten, die in der Region Kurdistan dringend medizinische Versorgung benötigen, Geschäftsleute und Investoren dürfen mit einem gültigen, negativen PCR-Test einreisen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind von dieser Regelung ausgenommen. Reisen innerhalb der Region Kurdistan ist an Wochenenden wieder erlaubt. Kindergärten und Schulen sind wieder geöffnet. Universitäten sind wieder geöffnet. Öffentliche und private Institute des Bildungsministeriums sind wieder geöffnet. Ministerien und öffentliche Einrichtungen sind wieder geöffnet, es gilt Maskenpflicht für alle. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren. Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren, Cafés, Fitness und Sportzentren sind wieder geöffnet. Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art, Trauerversammlungen sind weiterhin nicht erlaubt. In öffentlichen Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen sowie in Einkaufszentren und Märkten gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske und zur Einhaltung der Abstandsregeln.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet USD 22 Mio. des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19. Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung IQD 350 Mio. zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs.

Zur allgemeinen Lage im Irak werden darüber hinaus die vom Bundesverwaltungsgericht gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand 17.03.2020), auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Daraus ergibt sich auszugsweise:

„[…] 1  Politische Lage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

-        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

1.1     Parteienlandschaft

Letzte Änderung: 17.3.2020

Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).

[Grafik gelöscht, Anm]

Quellen:

-        CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020

1.2     Kurdische Region im Irak (KRI)/Autonome Region Kurdistan

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).

Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).

Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019).

Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vgl. KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/mideast/IF10404.pdf, Zugriff 13.3.2020

- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020

- WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq , https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.3.2020

2        Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertreten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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