TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/17 96/08/0251

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Veröffentlicht am 17.12.1996
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

ABGB §140;
SHG Wr 1973 §10;
SHG Wr 1973 §25;
SHG Wr 1973 §26;
SHG Wr 1973 §27;
SHG Wr 1973 §8;
StbG 1985 §10 Abs1 impl;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/08/0279 E 11. Februar 1997 96/08/0310 E 11. Februar 1997 97/08/0048 E 24. Juni 1997 97/08/0157 E 24. Juni 1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 24. Juli 1996, Zl. MA 12 - 19515/95, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage wurde die Beschwerdeführerin mit ihren Eltern im Jahre 1994 eingebürgert. Die Eltern der am 3. Juni 1974 geborenen Beschwerdeführerin unterfertigten am 14. März 1994 folgende - von der für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zuständigen Magistratsabteilung im gegenständlichen Verfahren dem Sozialreferat übermittelte - "Verpflichtungserklärung":

"Ich, (Vor- und Zuname des Stiefvaters und der Mutter, Geburtsdaten und Wohnanschrift) verpflichte mich hiemit unwiderruflich, für den gesamten Lebensunterhalt meiner Tochter (der Beschwerdeführerin) solange uneingeschränkt aufzukommen, bis sie dazu aus eigenem Einkommen in der Lage sein wird.

Ich erkläre, daß meine Einkommensverhältnisse es mir jetzt und künftig ermöglichen, dieser Unterhaltsverpflichtung regelmäßig nachzukommen, was auch durch Unterhaltsverpflichtung gegenüber anderen Personen nicht eingeschränkt wird. Nachweise über mein Einkommen lege ich vor.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer schweren, unheilbaren Muskelerkrankung aufgrund derer sie - wie auch die belangte Behörde nicht bestreitet - erwerbsunfähig ist und Pflegegeld der Stufe 5 bezieht.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 1. Dezember 1995 auf Zuerkennung einer monatlichen Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes abgewiesen. Dieser Bescheid wird von der belangten Behörde damit begründet, daß gemäß § 8 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung, Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes habe, wer einen Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln beschaffen könne und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhalte. Gemäß § 10 Abs. 1 WSHG sei die Hilfe nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfesuchenden nicht ausreichten, um den Lebensbedarf zu sichern. Der Beschwerdeführerin stünden Rechtsansprüche gegen Dritte auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes zu. Konkret basierten diese Ansprüche auf der Verpflichtungserklärung vom

11. (richtig: 14.) März 1994, die zugunsten der Beschwerdeführerin von ihrem Stiefvater sowie ihrer Mutter abgegeben worden sei. Darin hätten sich die Unterzeichner verpflichtet, wie aus dem Wortlaut der Verpflichtungserklärung hervorgehe, unwiderruflich für den gesamten Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin solange uneingeschränkt aufzukommen, bis diese dazu aus eigenem Einkommen in der Lage sein werde. Des weiteren habe die Erklärung auch den Passus enthalten, daß die Einkommensverhältnisse es den Genannten jetzt und künftig ermöglichten, dieser Unterhaltsverpflichtung regelmäßig nachzukommen, was auch durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber anderen Personen nicht eingeschränkt werde. Da die Beschwerdeführerin nach wie vor der Hilfe durch ihren Stiefvater bzw. ihrer Mutter bedürfe, um ihren Lebensbedarf zu decken, liege ein Endigungsgrund für die Verpflichtung der Eltern der Beschwerdeführerin nicht vor. Keine andere rechtliche Beurteilung hätte sich ergeben, wenn der Stiefvater der Beschwerdeführerin oder ihre Mutter einen Widerruf ihrer Verpflichtung erklärt hätten, da eine solche Willenserklärung ohne Wegfall der Geschäftsgrundlage, der etwa in einer gravierenden Verschlechterung der Einkommens- und Vermögenssituation der Eltern begründet wäre, unwirksam wäre. Wie die Erhebungen der erstinstanzlichen Behörde ergeben hätten, sei im Einkommen des Stiefvaters der Beschwerdeführerin keine Verschlechterung eingetreten. Auch die Mutter der Beschwerdeführerin sei im gleichen Umfang ohne Minderung ihres Einkommens berufstätig. Auch dem Argument, zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung sei die Erkrankung der Beschwerdeführerin und damit offenbar ein Mehrbedarf an Lebensunterhalt nicht absehbar gewesen, müsse entgegengehalten werden, daß bereits im Grundantrag auf Sozialhilfe ausdrücklich erklärt worden sei, daß die Beschwerdeführerin schon 1987, somit drei Jahre vor ihrer Einreise nach Österreich, an Muskeldistropie erkrankt sei. Darüber hinaus habe sich die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin gegenüber dem Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft wesentlich verbessert, da sie nunmehr Pflegegeld der Stufe 5 beziehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973, hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle wird der Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes jedoch nicht berührt durch Unterhaltsleistung von Angehörigen, die gemäß § 29 Abs. 2 nicht zum Ersatz der Sozialhilfekosten herangezogen werden dürfen und durch Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege.

Gemäß § 9 WSHG hat der Hilfesuchende seine eigenen Kräfte, gemäß § 10 seine eigenen Mittel einzusetzen. Die zuletzt genannte Bestimmung lautet:

"(1) Hilfe ist nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfesuchenden nicht ausreichen um den Lebensbedarf (§ 11) zu sichern.

(2) Als nicht verwertbar gelten Gegenstände, die zur persönlichen Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit oder zur Befriedigung kultureller Bedürfnisse in angemessenem Ausmaß dienen.

(3) Die Verwertung des Einkommens oder Vermögens darf nicht verlangt werden, wenn dadurch die Notlage verschärft oder von einer vorübergehenden zu einer dauernden würde.

(4) Hat ein Hilfesuchender Vermögen, dessen Verwertung ihm vorerst nicht möglich oder nicht zumutbar ist, können Hilfeleistungen von der Sicherstellung des Ersatzanspruches abhängig gemacht werden, wenn die Rückzahlung voraussichtlich ohne Härte möglich sein wird."

Gemäß § 13 Abs. 1 hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von - in dieser Gesetzesstelle näher geregelten - Richtsätzen zu erfolgen, die durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen sind und bestimmte, näher bezeichnete Bedürfnisse zu decken haben.

Gemäß § 25 WSHG ist für Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen vom Empfänger der Hilfe, von seinen Erben, seinen unterhaltspflichtigen Angehörigen und von sonstigen Dritten Ersatz zu leisten, gegen die der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfes hat.

§ 26 WSHG (in der Fassung der 5. Novelle, LGBl. Nr. 50/1993) regelt den Ersatz durch den Empfänger der Hilfe und seine Erben, § 27 den Ersatz durch Dritte. Diese Bestimmung lautet:

"Hat der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfes gegen einen Dritten, so gehen diese Ansprüche auf die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den Sozialhilfeträger über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat. Ersatzansprüche nach den Bestimmungen des Zivilrechts bleiben davon unberührt."

Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist - aus dem Blickwinkel der Begründung des angefochtenen Bescheides - nur die Frage strittig, ob die "Verpflichtungserklärung", welche der Stiefvater und die Mutter der Beschwerdeführerin anläßlich von deren Einbürgerung gegenüber der Staatsbürgerschaftsbehörde abgegeben haben, derart umfassende Unterhaltsansprüche begründet, die der Hilfeleistung gemäß § 10 Abs. 1 WSHG deshalb entgegenstehen, weil die Beschwerdeführerin über ausreichende eigene Mittel verfügt. Die belangte Behörde vertritt dazu den Standpunkt, der Vater der Beschwerdeführerin habe sich unwiderruflich verpflichtet, für den gesamten Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin solange uneingeschränkt aufzukommen, bis diese dazu aus eigenem Einkommen in der Lage sein werde. Die Erklärung habe auch den Passus enthalten, daß diese Unterhaltsverpflichtung durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber anderen Personen nicht eingeschränkt werde. In ihrer Gegenschrift führt die belangte Behörde dazu noch aus, Hilfsbedürftigkeit liege auch dann nicht vor, wenn dem Hilfesuchenden die je nach Lage des Falles erforderliche rechtzeitige Durchsetzung seines Unterhaltsanspruches mit Hilfe der Gerichte oder Verwaltungsbehörden möglich und auch zumutbar wäre.

Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, dieser Unterhaltsanspruch sei nicht in vollem (gemeint und hier ausschließlich maßgebend: in einem den Sozialhilferichtsatz erreichenden) Ausmaß durchsetzbar, bestreitet das gültige Zustandekommen der Verpflichtungserklärung und behauptet deren Sittenwidrigkeit.

Ehe auf die rechtliche Bedeutung dieser Verpflichtungserklärung einzugehen ist, muß zunächst darauf hingewiesen werden, daß die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in erster Linie anhand der Bestimmungen des Wiener Sozialhilfegesetzes zu beurteilen ist. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß es den Behörden bei der Vollziehung dieses Gesetzes nicht freisteht, die gesetzlich für den Fall der Notlage einer Person angeordneten Rechtsfolgen (z.B. die Erbringung richtsatzgemäßer Leistungen) dadurch zu umgehen, daß durch privatrechtliche Vereinbarungen mit Dritten mit dem Ziel, diese Leistungsverpflichtung zu beseitigen, die Partei auf die Inanspruchnahme solcher Dritter verwiesen würde. Derartige Vereinbarungen zwischen der Behörde und Dritten wäre in Ansehung des Sozialhilfeanspruches einer bedürftigen Person rechtsunwirksam, weil sie im Wiener Sozialhilfegesetz nicht vorgesehen sind.

Davon zu unterscheiden sind (gesetzliche oder vertragliche) Ansprüche, vor allem Unterhaltsansprüche der bedürftigen Person gegenüber Dritten: Nach den hier anzuwendenden Bestimmungen der §§ 8 Abs. 1 in Verbindung mit 8 Abs. 2 Z. 1 WSHG darf die Sozialhilfebehörde derartige Unterhaltsansprüche (es sei denn, es handelte sich um Unterhaltsansprüche der Eltern gegenüber ihren Kindern) berücksichtigen. Diese Unterhaltsansprüche bestimmen sich jedoch - soweit es sich um Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern handelt - nach dem Gesetz: Gemäß § 140 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Gemäß § 140 Abs. 3 ABGB mindert sich dieser Unterhaltsanspruch insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Hat das Kind die Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt, später aber wieder verloren, so lebt die Unterhaltspflicht wieder auf, insbesondere dann, wenn - wie hier - Erwerbsunfähigkeit des Kindes vorliegt (vgl. dazu z.B. die in ABGB, MGA34, E Nr. 328 ff zu § 140 wiedergegebene Rechtsprechung; ferner Pichler in Rummel I2, Rz 12 zu § 140, sowie Koziol-Welser, Grundriß II10, 256; zum Aufleben der Unterhaltspflicht bei Erwerbsunfähigkeit des Kindes insbesondere MGA, aaO, E Nr. 352 b ff). Das Ausmaß dieser Unterhaltspflicht geht somit (arg.: "nach Kräften") bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit der Eltern, ist aber zugleich durch diese begrenzt ("Anspannungsgrundsatz", vgl. MGA, aaO, E Nr. 39 ff; Pichler, aaO, Rz 6; Koziol-Welser, aaO, 254).

Ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch besteht im Beschwerdefall nur gegenüber der Mutter, nicht aber gegenüber dem Stiefvater der Beschwerdeführerin. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß die belangte Behörde auf diesen Unterhaltsanspruch jedoch nicht abgestellt hat. Die belangte Behörde hat Feststellungen über das Einkommen der Mutter, sowie über die Höhe des Unterhaltsanspruches, insbesondere, ob dieser den anzuwendenden Sozialhilferichtsatz zumindest erreicht, nicht getroffen; sie vertritt vielmehr die Auffassung, daß der Beschwerdeführerin ein (vom Einkommen beider Elternteile offenbar unabhängiger), in Ansehung der Mutter jedenfalls über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch hinausgehender vertraglicher Unterhaltsanspruch (gegenüber ihrem Stiefvater und ihrer Mutter) in einem Ausmaß zusteht, der ihre "gesamten Bedürfnisse" (jedenfalls in der Höhe des Richtsatzes) zu decken hätte.

Zunächst ist der angefochtene Bescheid schon deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde selbst auf dem Boden ihrer Rechtsauffassung verpflichtet gewesen wäre, die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Eltern der Beschwerdeführerin im maßgebenden Zeitraum festzustellen, da einerseits auch eine "umfassende Unterhaltsverpflichtung", wie sie der belangten Behörde vorzuschweben scheint, im tatsächlichen Leistungsvermögen der Eltern insoweit eine faktische Grenze fände, als ein solcher Unterhaltsanspruch über diese Grenze hinaus nicht oder nur erschwert einbringlich gemacht werden könnte, und zwar unabhängig davon, ob der Unterhaltsanspruch nur den Regelbedarf oder - wie im Beschwerdefall aufgrund der schweren Erkrankung der Berechtigten - auch einen vom Pflegegeld nicht gedeckten Sonderbedarf umfaßt; eine nicht leicht liquidierbare Unterhaltsverpflichtung zählt aber - ungeachtet allfälliger Ersatzforderungen des Sozialhilfeträgers gegenüber diesen Verpflichteten - nicht zu den eigenen Mitteln des Bedürftigen im Sinne des § 10 WSHG, weil in einem solchen Fall die Durchsetzung zum Teil nicht, jedenfalls aber nicht rechtzeitig möglich wäre (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 14. Juni 1988, Zl. 87/11/0244 (kritisch dazu Pfeil, österreichisches Sozialhilferecht, 414), und vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032). Ehe daher die belangte Behörde - im Sinne ihrer Ausführungen in der Gegenschrift - von der Zumutbarkeit und Rechtzeitigkeit der Durchsetzung des Unterhaltsanspruches ausgehen durfte, hätte sie dessen Höhe sowie die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Eltern ermitteln und dem in Betracht kommenden Richtsatz gegenüberstellen müssen. Die schriftliche Zusicherung der Eltern gegenüber der Staatsbürgerschaftsbehörde vermag (selbst für den noch zu behandelnden Fall ihrer Gültigkeit) tatsächlich nicht vorhandene oder für die Beschwerdeführerin zumindest nicht leicht beschaffbare Mittel nicht zu ersetzen und konnte daher die belangte Behörde auch von der erforderlichen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entbinden.

Ein über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Mutter hinausgehender bzw. mit dem Stiefvater erst begründeter Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin liegt auf dem Boden der Feststellungen der belangten Behörde aber gar nicht vor:

Aus der oben wiedergegebenen Verpflichtungserklärung ist weder zu entnehmen, daß sich diese Erklärung auf eine zwischen den Eltern (bzw. dem Stiefvater) und der Beschwerdeführerin getroffene Vereinbarung dieser Art stützt, noch, daß damit eine solche Vereinbarung begründet werden sollte. Die Verpflichtungserklärung intendiert ihrem Wortlaut nach vielmehr nur, eine Leistungsverpflichtung der Eltern der Beschwerdeführerin GEGENÜBER DER BEHÖRDE zu begründen.

Hinsichtlich der Mutter kann diese Erklärung auch nicht dahin ausgelegt werden, daß diese damit mehr hätte erklären wollen, als daß sie ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht (die bei mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit der Tochter ohnehin unter Anspannung der Kräfte zu erfüllen ist) gegebenenfalls in vollem Umfang nachkommen würde.

Darüber hinaus, insbesondere auch hinsichtlich der Verpflichtung des Stiefvaters ist diese Erklärung jedoch ohne rechtliche Wirkung: Es ist dem Verwaltungsgerichtshof nämlich keine Rechtsgrundlage dafür erkennbar, auf Grund der die Behörde diese Erklärung anläßlich der Staatsbürgerschaftsverleihung an die Beschwerdeführerin deren Eltern abverlangen durfte. Nach § 10 Abs. 1 Z. 7 Staatsbürgerschaftsgesetz ist Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft, daß der Lebensunterhalt "hinreichend gesichert ist" oder, daß sich die Partei "ohne Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet". Eine hinreichende Sicherung des Lebensunterhaltes kann - abgesehen von Kapitalvermögen - aber nur entweder in der Fähigkeit, diesen Lebensunterhalt mit eigener Arbeit zu erwerben, oder in einem Unterhaltsanspruch bestehen, der zu dieser Sicherung ausreicht (vgl. dazu das Erkenntnis vom 18. April 1979, Zl. 2877/78). Ist jemandes Lebensunterhalt auf diese Weise ohne sein Verschulden nicht gesichert, so steht der Staatsbürgerschaftsverleihung von Gesetzes wegen nichts entgegen (vgl. das Erkenntnis vom 29. März 1977, Slg. Nr. 9287/A). Nur die selbstverschuldete Notlage sollte nach dem Willen des Gesetzgebers ein Verleihungshindernis darstellen (so ausdrücklich auch die EB zu § 11 Abs. 1 Z. 7 der RV zum Staatsbürgerschaftsgesetz 1965, 497 Blg. Sten. Prot. NR X. GP, 21 f). Im Beschwerdefall geht die belangte Behörde davon aus, daß sich die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Muskelerkrankung (d.h. ohne ihr Verschulden) schon damals in einer Notlage befunden hat. Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ohne weiteres vom rechtmäßigen Zustandekommen dieser Verpflichtungserklärung ausgeht, so ist ihr zu erwidern, daß es der Staatsbürgerschaftsbehörde bei dieser Sachlage durch keine Rechtsnorm erlaubt war, die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Beschwerdeführerin von der Unterfertigung einer derartigen Verpflichtungserklärung durch den Stiefvater und die Mutter der Beschwerdeführerin abhängig zu machen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß solche Erklärungen in § 10 Abs. 3 Z. 2 Fremdengesetz als eine Voraussetzung dafür vorgesehen sind, daß die Behörde vom Sichtvermerksversagungsgrund fehlender Mittel im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 bzw. § 10 Abs. 2 FrG Abstand nehmen darf. Die Rechtswirkungen derartiger Erklärungen sind nämlich auf jenen Bereich, der ihnen nach den jeweiligen Rechtsvorschriften zukommt, beschränkt, wie z.B. auf Inhaber von Sichtvermerken, welche unter Nachsicht von einem der erwähnten Sichtvermerksversagungsgründe aufgrund einer solchen Erklärung erteilt wurden.

Die ohne gesetzliche Grundlage von den Eltern der Beschwerdeführerin abverlangte Verpflichtungserklärung kann daher in Ermangelung ihrer öffentlich-rechtlichen Zulässigkeit (und zwar sowohl unter staatsbürgerschaftsrechtlichen als auch unter sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten) keine Rechtswirkungen zum Nachteil der Beschwerdeführerin entfalten.

Ob diese Verpflichtungserklärung dessen ungeachtet geeignet ist, eine privatrechtliche Leistungsverpflichtung des Stiefvaters und der Mutter der Beschwerdeführerin gegenüber dem Land Wien als Trägerin von Privatrechten zu begründen, insbesondere ob sie nach den Umständen ihres Entstehens frei von Zwang oer anderen Willensmängeln zustande gekommen ist, ist für den vorliegenden Beschwerdefall ohne Bedeutung.

Da die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage den Sozialhilfeanspruch der Beschwerdeführerin zu Unrecht ohne nähere Prüfung der eigenen Mittel im Sinne des § 10 WSHG verneint hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996080251.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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