TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/30 G312 2133502-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch


G312 2133502-3/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Manuela WILD als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – Regionaldirektion XXXX – vom 25.02.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.02.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 19.07.2016, Zl. XXXX , wurde der Antrag von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX (in weiterer Folge: BF) vom 04.01.2015 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.04.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.11.2016 als unbegründet abgewiesen.

2. Am 15.05.2018 beantragte der BF neuerlich internationalen Schutz, dieser wurde mit Bescheid des BFA vom 22.11.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Mit Erkenntnis vom 17.12.2018, XXXX wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. - III. als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und gab der Beschwerde im Übrigen Folge, hob den angefochtenen Bescheid im Umfang seiner Spruchpunkte IV., V. und VI. auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück.

3. Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25.02.2019, Zl. XXXX wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt I.) erlassen und festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der BF durch seinen Vertreter fristgerecht Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde wurde mit dem maßgeblichen Verwaltungsakt am 28.03.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Am 16.02.2021 wurde am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung im Beisein des BF seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum schiitisch muslimischen Glauben und gehört der arabischen Volksgruppe an. Der BF ist ledig und stammt aus XXXX , wo er bis zu seiner Ausreise lebte.

Der BF verfügt über eine 6-jährige Schulbildung und war danach als Hilfsarbeiter in verschiedenen Branchen, zuletzt als Schmied tätig.

Im Irak leben nach wie vor Familienangehörige des BF, mit denen er auch in Kontakt steht.

1.2. Der BF reiste im Jahr 2014 aus dem Irak aus und stellte am 04.01.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieses Verfahren wurde schließlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.04.2017 rechtskräftig abgewiesen.

Am 15.05.2018 stellte der BF einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit der Geburt seiner Tochter in Österreich begründete. In diesem Verfahren machte der BF keine Verfolgungsgründe geltend.

1.3. Der BF reiste Ende 2017 nach Deutschland und hielt sich dort ca. 8 Monate auf, ehe er nach Österreich zurückkehrte.

Der BF ist Vater einer minderjährigen österreichischen Staatsangehörigen ( XXXX , geb. XXXX ), welche bei der Kindesmutter lebt. Mit der Kindesmutter XXXX führte der BF einige Zeit eine Beziehung und lebte tageweise bei ihr im Haushalt. Mittlerweile ist die Beziehung zur Kindesmutter beendet.

Der BF verfügt über ein zweiwöchiges Besuchsrecht für seine Tochter, nimmt dieses jedoch nicht regelmäßig in Anspruch. In den letzten 5 Monaten vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung hat der BF seine Tochter 3-4 Mal je eine Stunde lang gesehen.

Der BF geht keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er verfügt über eine Einstellungszusage in einer Pizzeria. Er hat bis dato einen Deutschkurs A1 besucht und verfügt über geringe Deutschkenntnisse.

Der BF pflegt Freundschaft zu einem österreichischen Staatsangehörigen.

Der BF wurde in Österreich zweimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:

1) Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , XXXX vom 16.11.2018 wurde der BF schuldig erkannt, vorschriftswidrig Suchtgift (I.) am 17.09.2017 in XXXX an einem öffentlich zugänglichen Ort, nämlich im XXXX während sich in unmittelbarer Nähe zumindest 15 Personen aufhielten, mithin öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, anderen gegen Entgelt überlassen zu haben, indem er einem Dritten Cannabiskraut um EUR 10,00 weiterveräußerte und (II.) besessen zu haben, indem er im Zeitraum von zumindest Mai 2018 bis 17.09.2018 unbekannte Mengen an Cannabiskraut bis zum Eigenkonsum zum persönlichen Gebrauch innehatte.

Der BF wurde gemäß § 27 Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, wobei die Strafe auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafzumessung bewertete das Gericht als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen.

2) Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 26.09.2019, XXXX wurde der BF schuldig erkannt, eine andere Peron durch heftiges Erfassen der Schulter bzw. der Oberarme sowie Erfassen und Verdrehen der linken Hand, welche eine Zerrung des linken Mittelfingers und zwei Hämatome an der Innenseite der Oberarme zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt zu haben.

Der BF wurde gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Das Strafgericht wertete eine einschlägige Vorverurteilung und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit als erschwerend.

1.4. Der BF ist grundsätzlich gesund und arbeitsfähig, er befindet sich derzeit in psychiatrischer Behandlung. Der BF leidet an agitierter Depression mit gemischter Angststörung und Traumafolgestörung. Eine längere medikamentöse (Mirtazapin) und psychotherapeutische Behandlung zur Stabilisierung wird empfohlen.

Die medizinische Versorgung im Irak stellt sich wie folgt dar (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak vom 17.03.2020, Änderung am 14.05.2020):

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020

- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020

- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 13.3.2020

- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf, Zugriff 13.3.2020

- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 13.3.2020

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Identität des BF steht aufgrund der vorgelegten Dokumente im Original (Personalausweis und Reisepass) fest. Die Angaben zur Volksgruppe und Religionszugehörigkeit beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben des BF.

2.2. Die Feststellungen zu Herkunftsort, Familienstand und zum familiären Umfeld im Irak beruhen ebenso auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben.

2.3. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Österreich ergeben sich aus den Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.02.2021 und den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des BF stützen sich auf seine Sprachfertigkeiten in der mündlichen Verhandlung.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF gründen sich auf die Bestätigung vom 10.02.2021 des XXXX sowie die Bestätigungen über Konsultationen mit Therapieempfehlung vom 02.02.2021 und 15.12.2020.

2.4. Die Feststellungen medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat beruhen auf den angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der BF befindet sich seit Jänner 2015 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als irakischer Staatsangehöriger kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, so ist gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Nach § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.“

Art. 8 EMRK lautet wie folgt:

„Art. 8 EMRK (1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.“

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd. Art 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl etwa VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423; 8.6.2006, 2003/01/0600; 26.1.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017).

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, indem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 05.09.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.01.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, OJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Der BF ist Vater einer dreijährigen österreichischen Staatsangehörigen, welche bei der Kindesmutter lebt. Der BF verfügt zwar über ein zweiwöchiges Besuchsrecht, nimmt dieses, wie den Feststellungen zu entnehmen ist, aber nur selten in Anspruch.

Aufgrund des spärlichen Kontakts des BF zu seiner Tochter, ist sein Familienleben in Österreich als nur sehr eingeschränkt zu bewerten.

Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 MRK zulässig ist, ist zu beachten, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob eine aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen könnte. In einem solchen Fall ist der damit verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss dann aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (VwGH 07.05.2014, 2012/22/0084). Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0162).

Aufgrund der Straffälligkeit des BF in Österreich ist dem öffentlichen Interesse an der Rückkehrentscheidung ein sehr großes Gewicht beizumessen, welche im gegenständlichen Fall den Eingriff in das - ohnehin nur eingeschränkte - Familienleben zulässig macht.

Die vom BF ausgehende Gefährdung im Sinne der obenzitierten Rechtsprechung ist evident: Der BF wurde wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift sowie der Körperverletzung zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt.

Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159).

Der BF zeigte sich nicht nur delinquent nach dem Suchtmittelgesetz, sondern schreckte auch nicht zurück, innerhalb kurzer Zeit Gewalt gegen eine andere Person anzuwenden und damit das Gut der körperlichen Unversehrtheit zu verletzen.

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118). Da der BF bereits während offener Probezeit erneut straffällig wurde, kann ihm keine positive Zukunftsprognose erteilt werden. Dieser Umstand wurde bei der zweiten Verurteilung auch als erschwerend gewertet.

Das "Kindeswohl" ist bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 zu berücksichtigen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235).

Auch wenn eine Fortsetzung des Familienlebens im Irak ausgeschlossen ist bzw. die Aufrechterhaltung des Kontakts mittels E-Mail und Telefon mit einem Kleinkind nicht möglich ist (vgl. VwGH 2010/21/0420 vom 29.02.2012), ist durch die Rückkehrentscheidung des BF keine maßgebliche Gefährdung des Kindeswohles zu erkennen. Auch wenn Kinder grundsätzlich Anspruch auf persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen (Artikel 2 Abs. 1 des BVG über die Rechte von Kindern) haben, war dieser Anspruch aufgrund des Obsorgebeschlusses bereits eingeschränkt bzw. wurde vom BF gar nicht regelmäßig genutzt. Unterhaltszahlungen, welche der BF laut eigenen Angaben derzeit nicht leistet, könnten auch von seinem Herkunftsstaat aus geleistet werden.

Hinzu kommt, dass der BF mit seinem straffälligen Handeln eine strafgerichtliche Verurteilung und damit eine Trennung von seinem Kind vorsätzlich in Kauf nahm.

Hinsichtlich des Privatlebens ist zunächst auf die Aufenthaltsdauer des BF von 6 Jahren zu verweisen. Der VwGH hat zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 30.07.2015 Ra 2014/22/0055 mit Hinweis auf 23.06.2015, Ra 2015/22/0026 und 0027). Die vorliegende Aufenthaltsdauer von 6 Jahren bewirkt im konkreten Fall daher für sich genommen eine Verstärkung der persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich.

Die Aufenthaltsdauer wird aber dadurch relativiert, dass sich der BF zwischenzeitlich 8 Monate lang in Deutschland aufhielt und der Aufenthalt in Österreich bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Der BF musste sich seines unsicheren Aufenthalts somit bewusst sein musste.

Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).

Dazu ist auszuführen, dass der BF trotz seines 6-jährigen Aufenthaltes nur über sehr geringe Deutschkenntnisse verfügt und in Österreich nur wenig Sozialkontakte pflegt. Auch wenn er über eine Einstellungszusage verfügt, geht er keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung.

Der BF machte somit keine maßgeblichen Integrationsschritte geltend, die einen Eingriff in sein Privatleben unzulässig machen würden.

Hinzu kommt, dass der BF im Irak geboren, dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat und mit den sozialen und kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist. Der BF verfügt über dortigen familiären Anschluss und steht auch in Kontakt zur Familie. Er besuchte im Irak auch die Schule und war in mehreren Sparten berufstätig. Aufgrund der bestehenden Bindungen zu seinem Herkunftsstaat wird es dem BF jedenfalls möglich sein, sich wieder in die Gesellschaft seines Heimatlandes einzugliedern.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde unter Beachtung der ständigen Judikatur des VwGH, wonach den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zuzukommen habe (vgl. VwGH 9.3.2003, 2002/18/0293), sohin zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen bzw. nicht vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsyG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat die belangte Behörde zu Recht festgestellt, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Irak gegeben ist. Die Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG wurde bereits mit Erkenntnissen vom 04.04.2017, XXXX und vom 17.12.2018, XXXX in den vorangegangen Asylverfahren verneint. Auch seit Erlassung dieser Entscheidungen hat sich - unter Berücksichtigung der Stellungnahme des BF vom 08.03.2021 zu den aktuellen Länderberichten - keine relevante Änderung des Sachverhalts ergeben, weder im Hinblick auf die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, noch im Hinblick auf die persönliche Situation des BF. Eine Gefährdung auf Grund neuer Umstände wurde nicht vorgebracht und ist auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Der BF gründete seinen Verbleib im Bundesgebiet lediglich mit seinem Familienleben in Österreich.

Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Virus kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen auch im Irak bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die diesbezüglich eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK erkennen lässt (zu den aktuellen Zahlen vgl. WHO COVID-19, Global Irak, vom 21.07.2021, https://covid19.who.int/region/emro/country/iq). Unabhängig davon liegen sowohl im Hinblick auf das Alter als auch den Gesundheitszustand des BF keine Anhaltspunkte vor, wonach er bei einer allfälligen COVID-19 Infektion zu einer Hoch-Risikogruppe zählen würde. Die psychiatrische Erkrankung des BF ist nicht lebensbedrohlich und trotz der angespannten medizinischen Versorgung im Irak in XXXX jedenfalls behandelbar.

Die Abschiebung in den Irak ist daher zulässig.

Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß §§ 52 Abs. 9 und 46 FPG als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt; die Frist beträgt gemäß § 52 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Solches wurde nicht dargetan und liegen keine Anhaltspunkte vor, die in concreto für eine längere Frist sprächen.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. war daher gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG abzuweisen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G312.2133502.3.00

Im RIS seit

03.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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