Entscheidungsdatum
10.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G308 2166018-2/8E
G308 2166023-2/7E
G308 2166019-2/7E
G308 2166025-2/10E
G308 2166021-2/7E
G308 2166016-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , 2.) der XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , 5.) des XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , und 6.) der minderjährigen XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Irak, die minderjährige Beschwerdeführerin gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2019, Zahlen: zu 1.) XXXX , zu 2.) XXXX , zu 5.) XXXX , und zu 6.) XXXX , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2021, zu Recht:
A.1.)
I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und der minderjährigen XXXX (alias: XXXX ) gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie XXXX (alias: XXXX , XXXX (alias: XXXX ) und XXXX (alias: XXXX ) jeweils gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird der minderjährigen XXXX (alias: XXXX ) sowie XXXX (alias: XXXX ), XXXX (alias: XXXX ) und XXXX (alias: XXXX ) jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. Die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
B.1.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 3.) des XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , und 4.) des XXXX (alias: XXXX ), geboren am XXXX , beide Staatsangehörigkeit: Irak, beide vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2019, Zahlen: zu 3.) XXXX , und zu 4.) XXXX , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2021, zu Recht:
A.2.)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV., V. und VII. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben, diese werden behoben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
III. XXXX (alias: XXXX ) wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
IV. XXXX (alias: XXXX ) wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B.2.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe stammen der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin.
2. Die Beschwerdeführer reisten alle gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie jeweils am 04.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 stellten.
3. Am 05.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Dritt- bis Fünftbeschwerdeführers zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz statt.
4. Die von den Beschwerdeführern mit Schriftsatz ihrer bevollmächtigten Rechtsvertreterin vom 05.05.2017 erhobene Säumnisbeschwerde wurde nach Stellung eines Fristsetzungsantrages mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018, Zahlen L526 2166016-1/7E, L526 2166018-1/7E, L526 2166019-1/7E, L526 2166021-1/7E, L526 2166023-1/7E und L526 2166025-1/7E gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
5. Die niederschriftlichen Einvernahmen der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, fanden am 10.01.2019 (Erstbeschwerdeführer), am 14.01.2019 (Zweitbeschwerdeführerin und Fünftbeschwerdeführer) und am 17.01.2019 (Drittbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführer) statt.
6. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes jeweils vom 04.02.2019 wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer gemeinsam mit Schriftsatz ihrer bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 07.03.2019, beim Bundesamt am 11.03.2019 einlangend (Datum des Poststempels 07.03.2019), fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den Beschwerden stattgeben und den Beschwerdeführern den Status der Asylberechtigten oder allenfalls der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu feststellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und den Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilen sowie die Unzulässigkeit ihrer Abschiebung feststellen und die Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos beheben; in eventu die angefochtenen Bescheide aufheben und die Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
8. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 12.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
9. Mit Eingabe vom 11.02.2021, am 12.02.2021 beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, wurden diverse Unterlagen, darunter Arztbriefe, ein Konvolut an Unterstützungsschreiben, Schulbesuchsbestätigungen, Gewerbeanmeldungen und ein Mietvertrag seitens der Beschwerdeführer vorgelegt.
10. Gemeinsam mit der Ladung vom 21.04.2021 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2021 wurden den Beschwerdeführern vorab aktuelle Länderberichte zur allgemeinen Lage im Irak, nämlich das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020, übermittelt und so in das Verfahren eingebracht. Unter einem wurde den Beschwerdeführern die Möglichkeit eingeräumt, zu diesen Länderberichten bis spätestens zur Verhandlung Stellung zu nehmen.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.06.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihre Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Die gegenständlichen Beschwerdeverfahren wurden vom Bundesverwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG verbunden.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit der Ladung vorab übermittelten Länderberichte erörtert und von der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch eine mündliche Stellungnahme dazu abgegeben.
Seitens der Rechtsvertretung wurde darüber hinaus ein Konvolut an Integrationsunterlagen für die Beschwerdeführer vorgelegt und wurden diese in Kopie zum Akt genommen.
Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre gemeinsame Muttersprache ist Arabisch. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander seit XXXX 1992 verheiratet. Aus dieser Ehe stammen ein Sohn, der mit seiner Familie in Schweden lebt und eine verheiratete Tochter, die in der Türkei lebt, sowie der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin (vgl. etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 216 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 210 ff Fünftbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der jeweils im Original vorgelegten irakischen Reisepässe, AS 301 ff Erstbeschwerdeführer, AS 199 ff Zweitbeschwerdeführerin, AS 205 ff Drittbeschwerdeführer, AS 233 ff Viertbeschwerdeführer, AS 223 ff Fünftbeschwerdeführer und AS 163 ff Sechstbeschwerdeführerin; Kopien der jeweils im Original vorgelegten irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise, AS 323 ff Erstbeschwerdeführer, AS 223 Zweitbeschwerdeführerin, AS 245 Drittbeschwerdeführer, AS 249 ff Viertbeschwerdeführer, AS 239 Fünftbeschwerdeführer; Kopie der irakischen Heiratsurkunde, AS 327 Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5).
Alle Beschwerdeführer sind in XXXX (im Folgenden. A.H.) im Gouvernement Kirkuk/Irak geboren und aufgewachsen (vgl. etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 216 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 210 ff Fünftbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5).
Der Erstbeschwerdeführer hat in A.H. sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule und drei Jahre ein Gymnasium besucht, dieses aber nicht mit Matura abgeschlossen. Direkt im Anschluss an die Schule leistete der Erstbeschwerdeführer von 1991 bis 1993 einen Militärdienst als einfacher Soldat. Im Jahr 2010 absolvierte er für sechs Monate eine Ausbildung zum Journalisten in Bagdad. Der Erstbeschwerdeführer verfügte in A.H. über ein großes Anwesen samt Landwirtschaft von 53 Hektar, die er mit seinen Söhnen bewirtschaftete (Vieh und Getreide), bis sie A.H. im August 2014 nach dem Einmarsch des IS verließen und nach Bagdad umzogen. Mit der Landwirtschaft verdiente der Erstbeschwerdeführer pro Saison etwa USD 15.000,00. Von 2011 bis zur Ausreise war er zudem als selbstständiger Journalist, Fotograf oder Kameramann für diverse Fernsehsender tätig und verdiente dort zusätzlich monatlich etwa USD 1.500,00. Der Vater des Erstbeschwerdeführers verstarb bereits 1988. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers verstarb vor wenigen Monaten im Oman, wo sie die letzten Jahre mit dem Bruder des Erstbeschwerdeführers lebte. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt bereits seit 2003 im Oman, die sechs Schwestern des Erstbeschwerdeführers sind allesamt verheiratet und leben alle nach wie vor in A.H./Kirkuk. Es besteht wegen der schlechten Internetverbindung nur sporadisch Kontakt zu den Familienangehörigen und Freunden des Erstbeschwerdeführers. In Österreich hat der Erstbeschwerdeführer keine weiteren Angehörigen, außer die übrigen Beschwerdeführer (vgl. Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 284 ff; diverse Kopien von im Original vorgelegten Presseausweisen, AS 329 ff Erstbeschwerdeführer; Konvolut an Fotos, die den Erstbeschwerdeführer bei der Arbeit als Journalist zeigen sowie vom Anwesen der Beschwerdeführer, AS 349 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, AS 6 ff).
Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Irak nur sechs Jahre die Grundschule und keine Berufsausbildung absolviert. Sie war auch nie berufstätig, sondern Hausfrau und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers. Beide Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sind bereits verstorben, ebenso wie einer ihrer sieben Brüder. Die sechs Brüder und sieben Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin sind nach Rückeroberung von A.H. vom IS wieder dorthin zurückgekehrt und leben dort nach wie vor. Etwa einmal monatlich hat die Zweitbeschwerdeführerin mit den Geschwistern über das Internet Kontakt, wenn eine Verbindung und Strom besteht. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin hat Häuser in A.H., die trotz des IS noch bei der Rückkehr bewohnbar gewesen sind. Sie sind alle ebenfalls Landwirte und betreiben die Landwirtschaften mit Kühen und Schafen nach wie vor (vgl. Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 232 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, AS 6 ff).
Der Drittbeschwerdeführer absolvierte im Irak in A.H./Kirkuk über einen Zeitraum von neun Jahren (2002-2011) die Grundschule und die Mittelschule, schloss diese aber nicht ab. Er hat keinen Beruf erlernt, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft. Während seines Aufenthalts in der Türkei arbeitete er von September bis November 2015 als Schweißer und Arbeiter in einer Holzfabrik (vgl. Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 219 f Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Der Viertbeschwerdeführer besuchte im Irak in A.H./Kirkuk über einen Zeitraum von neun Jahren (2002-2011) die Grundschule und schloss auch die Mittelschule ab. Er hat den Beruf Landwirt gelernt, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft (vgl. Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 219 f Viertbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Der zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch minderjährige Fünftbeschwerdeführer besuchte im Irak in A.H./Kirkuk sechs Jahre die Grundschule und bis zum Umzug nach Bagdad auch drei Jahre die Hauptschule, schloss diese aber nicht ab und besuchte auch in Bagdad die Schule nicht weiter. Er hat keinen Beruf gelernt, war zuletzt Schüler, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft (vgl. Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Fünftbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 231 f Fünftbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin verließ den Irak bereits vor ihrer Einschulung. Sie hat daher dort keine Schule besucht und kann auf Arabisch weder schreiben noch lesen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 18).
Die Beschwerdeführer verfügen somit im Irak insbesondere in A.H./Kirkuk über tragfähige familiäre Bindungen und Unterstützung im Fall der Rückkehr.
Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer verließen den Irak bereits am 11.06.2015 legal auf dem Luftweg und reisten nach Ankara in die Türkei (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 231 Drittbeschwerdeführer und AS 220 f Viertbeschwerdeführer; Ausreisestempel in den Reisepässen, AS 209 Drittbeschwerdeführer und AS 237 Viertbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7, 13 & 16 f). Nachdem der minderjährigen Sechstbeschwerdeführer am 12.08.2015 ein Reisepass ausgestellt wurde, verließ auch der Erstbeschwerdeführer am 12.08.2015 den Irak legal auf dem Luftweg und reiste mit einem Touristenvisum zu seinem Bruder und der damals noch lebenden Mutter in den Oman. Da er dort aber kein Aufenthaltsrecht erhielt, reiste er am 11.11.2015 zu seiner sich damals bereits in der Türkei aufhaltenden Familie nach Ankara (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 287 f; Aus- und Einreisestempel im Reisepass, AS 307 Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7 & 16 f). Die Zweitbeschwerdeführerin, der damals noch minderjährige Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin verließen den Irak schließlich ebenfalls legal, aber mit dem Autobus am 19.08.2015 und reisten ebenfalls nach Ankara in die Türkei (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 235 Zweitbeschwerdeführerin und AS 212 Fünftbeschwerdeführer; Ausreisestempel in den Reisepässen, AS 203 Zweitbeschwerdeführerin, AS 227 Fünftbeschwerdeführer und AS 167 Sechstbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7 & 16 f). Von der Türkei aus reisten alle gemeinsam schlepperunterstützt mit dem Flüchtlingsstrom über Griechenland, Nordmazedonien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich, wo sie alle am 04.01.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten (vgl. jeweils Erstbefragungen vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 16).
Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Asylantragstellung ununterbrochen in Österreich auf, leben alle durchgehend im gemeinsamen Haushalt und verfügen hier alle seit 06.01.2016 über im Wesentlichen ununterbrochene Hauptwohnsitzmeldungen. Alle Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Strafregister jeweils vom 16.07.2021).
Der Erstbeschwerdeführer, der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin sind jeweils gesund und arbeits- bzw. schulfähig. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich 2016 vorübergehend wegen Magen- und Kopfschmerzen behandelt, aktuell bedarf er keiner Behandlung. Es wird daher festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer, der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leiden, die im Irak nicht behandelbar wäre (vgl. Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 7; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 215 Viertbeschwerdeführer; Konvolut aktenkundiger Befunde, AS 311 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift vom 14.01.2019, AS 209 Fünftbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll S 4).
Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an symptomatischem, tachycard übergeleitetem Vorhofflimmern, einem Zustand nach Linksherzdekompensation, arterieller Hypertonie mit wiederkehrenden Blutdruckentgleisungen, Diabetes mellitus Typ II, einem Zustand nach Operation einer Belastungsinkontinenz 12/2020 und 6/2021 sowie muskulären Verspannungen im gesamten Wirbelsäulenbereich. Sie nimmt täglich eine Vielzahl an Medikamenten ein. An Diabetes mellitus und Bluthochdruck litt die Zweitbeschwerdeführerin bereits im Irak zumindest seit 2014 und wurde dort deswegen auch in Bagdad behandelt. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet jedoch an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar sind. Dass die Zweitbeschwerdeführerin arbeitsunfähig ist, konnte nicht festgestellt werden (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 229 f; ärztlicher Befund der Allgemeinmedizinerin vom 16.06.2021; Befundbericht vom 19.05.2021 der Universitätsklinik für Frauenheilkunde; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 4, 9 & 16 ff).
Der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer sind jeweils volljährig, ledig und haben keine Kinder (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5 ff; etwa auch entsprechende Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 16.07.2021).
Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin leben nach wie vor vollständig von Leistungen der Grundversorgung, wobei der Fünftbeschwerdeführer bereits im Juli und August 2018, 2019 und 2020 als Arbeiter sozialversichert im Rahmen schulischer Pflichtpraktika erwerbstätig gewesen ist. Der Fünftbeschwerdeführer besucht in Österreich noch eine Schule (Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe). Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind bisher keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen. Die Sechstbeschwerdeführerin ist noch unmündig minderjährig und besucht in Österreich die Schule. Sie geht derzeit in die zweite Klasse einer neuen Mittelschule (vgl. Auszüge aus den Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten jeweils vom 16.07.2021; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f; aktenkundige Schulbesuchsbestätigungen).
Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer beziehen jeweils insofern Leistungen aus der Grundversorgung, als sie gemeinsam mit den übrigen Familienangehörigen in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen (vgl. Auszüge aus den Grundversorgungsdaten jeweils vom 16.07.2021). Darüber hinaus finanzieren sie sich ihren Lebensunterhalt selbst:
Der Drittbeschwerdeführer verfügte ab 12.01.2021 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl XXXX ) (vgl. aktenkundigen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem vom 12.01.2021). Zum Entscheidungszeitpunkt konnte nicht festgestellt werden, dass er über eine Gewerbeberechtigung verfügt (vgl. aktenkundige GISA-Abfrage vom 15.07.2021). Er ist zudem seit 01.10.2019 als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger sozialversichert (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 16.07.2021) und ist mit einem aufrechten Vertrag als Medienzusteller von Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften und Werbesendungen oder Druckwerke) tätig (vgl. aktenkundiger Vertrag vom 11.12.2020), welche als Tätigkeiten einfachster Art nicht unter die Gewerbeordnung fallen (vgl. https://www.wko.at/service/Taetigkeiten,-die-nicht-unter-die-Gewerbeordnung-fallen.html, Zugriff am 16.07.2021). Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob der Drittbeschwerdeführer monatlich Einkünfte in einer Höhe erwirtschaftet, die über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG liegen. Mangels gültigem Gewerbeschein konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer darüber hinausgehend noch als Zustellfahrer/Subfrächter entsprechend dem vorgelegten Vertrag vom 01.12.2020 tätig ist.
Er hat mehrere Deutschkurse besucht (vgl. Bestätigungen, AS 253 ff Drittbeschwerdeführer), verfügt aber über keine absolvierte Deutschprüfung. Er konnte die an ihn in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen jedoch verstehen und auch auf Deutsch beantworten (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f). Er arbeitete von April bis November 2018 im Bauhof der Wohnortgemeinde (vgl. aktenkundige Bestätigung, AS 249 Drittbeschwerdeführer), war ehrenamtlich und freiwillig im Oktober 2016 für das Österreichische Rote Kreuz tätig (vgl. aktenkundige Bestätigung, AS 251 Drittbeschwerdeführer).
Der Viertbeschwerdeführer verfügte von 01.10.2019 bis 02.11.2020 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl XXXX ). Seit 02.11.2020 bis laufend verfügt er über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service)“ (GISA-Zahl XXXX ) und seit 01.02.2021 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl XXXX ) (vgl. aktenkundige Auszüge aus dem Gewerbeinformationssystem vom 15.07.2021). Er ist zudem seit 01.10.2019 als gewerblich selbstständig erwerbstätiger sozialversichert (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 16.07.2021). Seit 03.10.2019 ist der Viertbeschwerdeführer als Zustellfahrer/Subfrächter für XXXX tätig und erhält dafür pro Tag eine pauschale Zustellvergütung von Brutto EUR 170,00 (vgl. aktenkundiger Vertrag vom 03.10.2019). Seit 26.04.2020 ist der Viertbeschwerdeführer weiters als Zeitungsverteiler auf festgelegten Abholplätzen tätig (vgl. aktenkundiger Vertrag). Es ist daher festzustellen, dass der Viertbeschwerdeführer jedenfalls ein über der Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG liegendes monatliches Einkommen erwirtschaftet.
Der Viertbeschwerdeführer war zudem auch bei einer örtlichen Gemeinde zur Unterstützung der Durchführung einer Triathlonveranstaltung von 24.06.2019 bis 03.07.2019 tätig (vgl. aktenkundige Bestätigung) und engagierte sich dem in einen Naturpark (vgl. aktenkundiges Konvolut, AS 271 ff Viertbeschwerdeführer). Er arbeitete von April bis November 2018 im Bauhof der Wohnortgemeinde (vgl. aktenkundige Bestätigung, AS 295 Viertbeschwerdeführer), verfügt über ein am 17.08.2017 absolviertes ÖSD-Sprachzertifikat auf Niveau A1 (vgl. aktenkundiges Zertifikat, AS 307 ff Viertbeschwerdeführer) und spielt regelmäßig Tischtennis mit Freunden. Er konnte die an ihn in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen verstehen und auch auf Deutsch beantworten (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f).
Die Beschwerdeführer waren alle keine Mitglieder einer politischen Partei, einer anderen politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung im Irak. Sie wurden bisher staatlicherseits nicht festgenommen, verurteilt oder inhaftiert und hatten auch keine sonstigen Probleme mit Gerichten oder Behörden im Irak. Sie hatten auch keine Probleme aufgrund der Volksgruppe, Rasse, Nationalität, Religion oder der Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe (vgl. insbesondere Niederschriften Bundesamt vom 10.01.2019, AS 281 ff Erstbeschwerdeführer; vom 14.01.2019, AS 227 ff Zweitbeschwerdeführerin und AS 207 ff Fünftbeschwerdeführer; vom 17.01.2019, AS 223 ff Drittbeschwerdeführer und AS 213 ff Viertbeschwerdeführer).
Die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin haben keine eigenen Fluchtgründe und beziehen sich ausschließlich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers in Zusammenhang mit jenem des Dritt- und Viertbeschwerdeführers.
Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind oder, dass hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführers Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt sind.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak bezüglich der COVID-19-Pandemie werden die folgenden, dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entsprechenden, aktuellen Länderberichte auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Lage hinsichtlich der COVID-19 Pandemie im Irak nachfolgende Feststellungen:
Mit Stand 15.07.2021 gab es im Irak 1.457.192 bestätigte COVID-19 Erkrankungen, 17.677 Todesfälle und wurden zum Stand 05.07.2021 1.087.866 Impfdosen verabreicht (vgl. https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 16.07.2021).
Mit Stand 15.07.2021 ergibt sich aus der Zusammenfassung der WKO (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Zugriff am 16.07.2021), dass im Irak das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus seit 30.03.2021 läuft, die erste Dosis des COVID-19 Impfstoffes als Voraussetzung für die Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperren an Freitagen und Samstagen gilt und der Zentralirak das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, die Autonome Region Kurdistan für 22 Länder, unter anderem jeweils Österreich, aufgehoben hat. Der 18. bis 22.07.2021 sind Feiertage.
Alle Landgrenzen im Zentralirak sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Reisen in den Iran sind aus dem Irak und der Autonomen Region Kurdistan wieder gestattet. Bei einer Einreise in den Zentralirak gibt es Erleichterungen für Geimpfte und Getestete, nicht jedoch für Genesene; Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19 Test verfügen. Solche Passagiere müssen am Flughafen keinen Test mehr machen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten dafür (USD 50,00) tragen. Flüge zwischen Irak und Indien sind bis auf Weiteres eingestellt worden. Dabei sind Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, vom Einreiseverbot bei negativem PCR-Test ausgenommen.
Es gilt im Zentralirak eine nächtliche Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen von 21:00 – 05:00 Uhr. Geimpfte Personen (erste Dosis) dürfen sich an Wochenenden während der nächtlichen Ausgangssperre frei bewegen. Parks, Fitnesscenter, Kinos, Schwimmbäder, Veranstaltungsräume, Einkaufszentren. Restaurants, Cafés und Bars sind unter Auflage des Gesundheitskomitees geöffnet. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wieder geöffnet. Ab 15.02. sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten. Das Versammlungsverbot bleibt aufrecht. Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten. Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität. Ab dem 20.04. wird nur geimpften Personen oder Personen mit einem negativen PCR Test in Ministerien und Regierungsbehörden der Zutritt erlaubt. Moscheen sind geöffnet. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.
In der Autonomen Region Kurdistan (ARK) brauchen Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, einen negativen COVID-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Alle ankommenden Passagiere müssen sich bei Ankunft am Flughafen einem COVID19-Test unterziehen und es gilt eine 2-tägige Quarantäne. Die Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Flüge zwischen der Region Kurdistan und Indien sind bis auf weiteres eingestellt worden. Personen, die von Indien in die Region Kurdistan reisen, müssen sich bei ihrer Ankunft für 14 Tage unter Quarantäne stellen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde. Die Landesgrenze mit der Türkei ist wieder geöffnet. Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden. Alle Passagiere, die sich in den letzten 30 Tagen im Iran aufgehalten haben, dürfen nicht in Erbil einreisen. Vollständig geimpfte Personen müssen sich bei der Einreise keinem COVID-19 Test unterziehen.
In der ARK sind die nächtlichen Ausgangssperren aufgehoben. Reisen zwischen der Region Kurdistan und dem Irak sind wieder erlaubt. Irakische Patienten, die in der Region Kurdistan dringend medizinische Versorgung benötigen, Geschäftsleute und Investoren dürfen mit einem gültigen, negativen PCR-Test einreisen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind von dieser Regelung ausgenommen. Reisen innerhalb der Region Kurdistan ist an Wochenenden wieder erlaubt. Kindergärten und Schulen sind wieder geöffnet. Universitäten sind wieder geöffnet. Öffentliche und private Institute des Bildungsministeriums sind wieder geöffnet. Ministerien und öffentliche Einrichtungen sind wieder geöffnet, es gilt Maskenpflicht für alle. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren. Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren, Cafés, Fitness und Sportzentren sind wieder geöffnet. Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art, Trauerversammlungen sind weiterhin nicht erlaubt. In öffentlichen Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen sowie in Einkaufszentren und Märkten gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske und zur Einhaltung der Abstandsregeln.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet USD 22 Mio. des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19. Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung IQD 350 Mio. zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs. Ein neues Projekt wurde vom Minister für Migration, Ivan Faeq, vorgestellt, das Arbeitsstellen und Unterstützung für Unternehmer im Irak generieren soll. 30% des Projektes soll gezielt Frauen unterstützen. Das Projekt wird außerdem von der EU gefördert und unterstützt.
Zur allgemeinen Lage im Irak werden darüber hinaus die vom Bundesverwaltungsgericht gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand 17.03.2020) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.
Daraus ergibt sich auszugsweise:
„[…] 1 Politische Lage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1 Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
[Grafik gelöscht, Anm]
Quellen:
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
[…]
2 Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1 Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaube