TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/11 G305 2191720-1

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Veröffentlicht am 11.08.2021
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Entscheidungsdatum

11.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G305 2191720-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX vom XXXX.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)       

I.       XXXX, geboren am XXXX, wird der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

II.     Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird dem Genannten eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.    Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am XXXX.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte XXXX, geboren am XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF), vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX.2015 wurde er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, er habe als stellvertretendes Oberhaupt seiner Großfamilie viele Mitglieder seiner Familie aufgefordert, mit ihm friedlich gegen die Regierung und deren brutale Mittel zu demonstrieren. Daraufhin sei er vom Chef der Polizei in XXXX (in der Folge: ND), mit dem Tod bedroht worden. Später sei dann der IS eingedrungen und er habe mit den Demonstrationen aufhören müssen und sei geflohen. Die Regierung habe zudem sein Haus mit einem Panzer zerstört, wobei er verletzt worden sei. Bei seiner Rückkehr würde man ihn sicher töten, konkrete Hinweise auf eine etwaige unmenschliche Behandlung oder eine Bedrohung mit der Todesstrafe nannte er nicht.

3. Am XXXX.2017 wurde der BF ab 13:00 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) im Beisein einer Rechtsvertreterin einvernommen.

Anlässlich dieser Einvernahme wiederholte er die von ihm bei der Erstbefragung erwähnten Fluchtgründe und präzisierte diese. Er habe vom XXXX.2013 bis Jänner 2015 Demonstrationen gegen die Regierung und die schiitischen Milizen Al Badr, Asaib Ahl al Haqq und Hizbollah organisiert. Diese hätten in XXXX stattgefunden, da dieser Ort, im Vergleich zu XXXX nicht von Milizen kontrolliert worden sei und hätten 120 bis 150 Personen umfasst. Er sei von einem Anführer der Badr Miliz, dem bereits erwähnten ND bedroht worden, dies Ende 2013, einmal 2014 und zuletzt im Jänner 2015. Die Demonstrationen seien gegen die Verschränkung von Politik und Religion sowie die durch schiitische Milizen ausgeübte Diskriminierung der Sunniten gerichtet gewesen. Die Polizei habe die Demonstrationen geschützt. Am Tag der letzten Demonstration, dem XXXX.2015, habe ND ihn erneut bedroht und sei es in der Nacht zu einer Explosion gekommen, die das Haus der Familie des BF zerstört habe; ob dies durch eine Bombe, Granate oder etwas Anderes geschehen sei, könne er nicht angeben. Durch diese Explosion seien er, seine Mutter und sein Bruder XXXX verletzt worden. Sämtliche Onkel des BF seien frühere Offiziere und hohe Beamte der ehemaligen Regierung unter Saddam Hussein gewesen, einer davon der Vorsitzende der Baath-Partei in XXXX. Drei von ihnen seien derzeit in Jordanien aufhältig. Der BF habe zwar zu den Demos aufgerufen, sich jedoch nicht exponiert, da er Angst gehabt habe, verfolgt zu werden. ND, der den BF bedroht habe, sei eine gefährliche Person, welche im gesamten Irak gesucht werde. Bei seiner Rückkehr drohe ihm die Tötung durch schiitische Milizen.

4. Mit dem zum XXXX.2018 datierten Bescheid der belangten Behörde, wies das BFA den Antrag des BF vom XXXX.2015 (korrekt müsste es hier lauten XXXX.2015) auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde dies im Wesentlichen kurz zusammengefasst damit, dass der BF keine asylrelevanten Bedrohungen glaubhaft machen konnte und auch die vorgebrachte Teilnahme an Demonstrationen unglaubwürdig sei, da sich diese zeitlich und örtlich mit den Kampfhandlungen mit dem IS überschneiden würden.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF. Darin erklärt er, dass er diesen - gestützt auf die Beschwerdegründe „unrichtige rechtliche Beurteilung“ und „Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ - vollumfänglich anfechte und die Beschwerde mit den Anträgen verbinde, 1.) den angefochtenen Bescheide zur Gänze zu beheben und ihm den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, in eventu 2.) den Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zuerkannt werde, 3.) jedenfalls die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu 4.) den Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückzuverweisen, und 5.) eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesgericht anzuberaumen. Er brachte hierbei vor, dass das BFA die Bedrohung durch ND nicht ausreichend berücksichtigt habe und die schiitischen Milizen als staatliche Organe zu werten seien. Es habe keine detaillierte Prüfung der vorgelegten Beweismittel stattgefunden und auch eine Zeugeneinvernahme sei unterblieben.

6. Am 09.04.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG vorgelegt und die vollumfängliche Bestätigung des Bescheides beantragt.

7. Anlässlich einer am XXXX.2019 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden der BF und ein von ihm beantragter Zeuge im Beisein seiner Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV), einer Behördenvertreterin (im Folgenden: BehV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen.

8. Mit hg. Erkenntnis vom 25.06.2020, GZ: G305 2191702-1/17E, wurde die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX, vom XXXX.2018 erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.

9. Über die gegen das Erkenntnis vom 25.06.2020, GZ: G305 2191702-1/17E, erhobene Beschwerde sprach der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom XXXX, Zl. XXXX, dahingehend ab, dass der BF durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen(§ 57 Asylgesetz), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden sei und das Erkenntnis insoweit aufgehoben werde (Spruchpunkt I. 1.). Im Übrigen lehnte der Gerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab (Spruchpunkt I. 2.)

10. Mit Eingabe vom 16.07.2021 wurde die Vollmacht der im Kopf genannten Rechtsvertretungsorganisation vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität und wurde am XXXX in XXXX geboren. Er lebte bis zum Jahr 2015 in seinem Heimatstaat und spricht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau. Er gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft.

Entgegen seinen Angaben in der Erstbefragung, aus dessen Protokoll sich eine Eheschließung ergibt, ist er ledig und ohne Sorgepflichten.

Der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX.2015 im Bundesgebiet (derzeit an der Anschrift XXXX).

1.2. Zur Reiseroute des Beschwerdeführers, die ihn vom Herkunftsstaat nach Österreich führte und zur darauffolgenden Asylantragstellung:

Der BF lebte bis zu seiner Flucht in der Region XXXX, hier im Ort XXXX in einem eigenen Haus, welches sich im Eigentum seiner Familie befindet.

Der BF hat Ende Jänner 2015 den Irak in Richtung Türkei verlassen. Er ist mit dem Bus ausgehend von Kirkuk nach Corum gefahren, wo er sich fünf Monate aufgehalten hat. In der Folge ist er an einen ihm unbekannten türkischen Ort gereist und schlepperunterstützt auf eine griechische Insel gelangt, wo er von der Polizei aufgegriffen wurde. Dort wurde er erkennungsdienstlich behandelt, indem ihm u.a. Fingerabdrücke abgenommen wurden. In der Folge wurde er nach einem gegen ihn ausgesprochenen Landesverweis mit einer Fähre nach Athen verbracht. Von fuhr er mit dem Zug nach Thessaloniki gelangte und in der Folge nach insgesamt etwa drei Tagen in Griechenland mit dem Zug und teilweise zu Fuß über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich. Die österreichische Staatsgrenze überquerte er fußläufig und wurde nach kurzer Zeit von der Polizei aufgegriffen.

1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Partei im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF sechs Jahre die Grundschule und zwei Jahre die Mittelschule, welche er jedoch nicht abgeschlossen hat; über weitere Ausbildungen verfügt er nicht. Er leistete keinen Militärdienst, da zu jenem Zeitpunkt, als er einberufen hätte werden können, der vormalige Staats- und Regierungschef des Herkunftstaates, Saddam Hussein, bereits entmachtet worden war. Ab dem Jahr 2003 arbeitete der Beschwerdeführer bis 2004 in der Landwirtschaft der Familie und im Anschluss daran als XXXX für seine Familie und brachte so monatlich zwischen 1.500 und 2.000 US-Dollar ins Verdienen.

Im Herkunftsstaat leben keine Mitglieder der Kernfamilie des BF. Sein Vater ist im Jahr XXXX bei einem Autounfall verstorben, seine Mutter, XXXX, geboren XXXX, befindet sich zusammen mit einem Bruder in der Türkei, ein zweiter Bruder befindet sich seit etwa einem Jahr in Tunesien. Eine Schwester des BF lebt bei der Mutter in der Türkei, zwei weitere Schwestern leben mit ihren Familien in Jordanien, alle Schwestern sind verheiratet. Die gesamte Familie gehört dem Clan der XXXX an, welcher im Irak etwa 100.000 Mitglieder umfasst. Während er zu seinen Brüdern wenig Kontakt hat, steht er im konstanten Austausch mit seiner Mutter. Der Rest der Kernfamilie des BF befindet sich in Jordanien, der Türkei, den USA und Finnland.

Die Kernfamilie des BF ist nach eigenen Angaben wohlhabend und verfügte im Irak über Grundflächen von etwa 70 Hektar, wovon 10 Hektar im Eigentum der Familie standen und 60 Hektar von staatlicher Seite an die Familie verpachtet wurden. Diese 60 Hektar wurden in der Folge weiterverpachtet. Auf diesen Flächen wurden Getreide, Weintrauben und Äpfel angebaut. Das Getreide wurde in Silos abgegeben und verkauft, das Obst und Gemüse wurde bevorzugt nach Bagdad geliefert, da auf den dortigen Märkten höhere Preise erzielt werden konnten. Für den eigenen Haushalt wurde Gemüse angebaut. Zur Bestellung des Landes verfügte die Familie über eine Egge, einen Pick-Up Baujahr 2001 und den LKW des BF. Darüber hinaus besaß der BF einen japanischen Pkw.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der Beschwerdeführer war nie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates. Er hatte nie ein Problem mit den Gerichten, der Polizei oder den Verwaltungsbehörden des Herkunftsstaates oder war je Mitglied einer Miliz oder des IS. Er ist in seiner Heimat strafrechtlich unbescholten.

Er war auch nie Adressat einer Verfolgung aus politischen Motiven oder aus Gründen seiner Zugehörigkeit zur Ethnie der Araber oder aus Gründen seiner religiösen Zugehörigkeit zu den sunnitischen Muslimen, sei es durch den Staat, durch eine Miliz oder aus anderen Gründen.

Ihm gelang es nicht, sein Fluchtvorbringen, das im Kern auf einer Bedrohung durch den Leiter der Al Badr Miliz, XXXX (in der Folge kurz: ND) wegen seiner angeblichen Teilnahme an Demonstrationen gegen die Regierung und die schiitischen Milizen Al Badr, Asa’ib ahl al Haqq und Hizbollah beruhen sollte, glaubhaft zu machen.

Tatsächlich war er weder einer konkreten Bedrohung noch gezielten Angriffen auf seine Person, von wem immer, ausgesetzt.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF legte im Rahmen der hg. Verhandlung eine Kursbestätigung für die Teilnahme an einem Deutschkurs Niveau A1/A2 vor. Von XXXX.2018 bis XXXX.2019 arbeitete er für das Seniorenheim XXXX, von November 2015 bis Februar 2017 besuchte er Deutschkurse des Vereins „XXXX“. Beim österreichischen Roten Kreuz absolvierte er die Ausbildung zum Workshop-Leiter im Projekt „XXXX“.

Der BF hat in Österreich weder ein Familienleben noch ein Privatleben von maßgeblicher Bedeutung.

Der Beschwerdeführer bezieht derzeit Leistungen aus der Grundversorgung.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Provinz Salah Ad-Din

Salah al-Din liegt im Zentralirak. Es ist in neun Bezirke unterteilt: al-Dour, al-Shirqat, Balad, Baiji, Fares, Samarra, Thethar, Tuz (umstrittenes Gebiet) und Tikrit. Für 2019 betrug die geschätzte Bevölkerung des Gouvernements 1 637 232. Das Gouvernement Salah al-Din wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt. Die Hauptstadt des Gouvernements, Tikrit City, ist der Geburtsort von Saddam Hussein und gilt als wichtiges Machtzentrum der sunnitischen Araber. Salah al-Din beherbergt Raffinerien von strategischer Bedeutung.

Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein. Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF, zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste.

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet, im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten. Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 - ein Raketen- bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht.

Im Mai 2020 wurde berichtet, dass das Gouvernement Salah al-Din in Bezug auf Angriffe im Jahr 2019 und Anfang 2020 durchweg als das niedrigste oder zweitniedrigste der sechs von IS-Aufständen betroffenen Gouvernements eingestuft wurde, aber immer noch Anzeichen einer Erholung des IS zu erkennen sind. Nach anhaltenden und verstärkten Aktivitäten des IS hat die ISF als Reaktion darauf mehrere große koordinierte Militäroperationen gegen den IS gestartet, die die Aktivitäten des IS verlangsamen, aber nicht beseitigen. IS-Gruppen tragen häufig asymmetrische Angriffe gegen das irakische Volk aus, Beobachtern zufolge haben die jüngsten Angriffe jedoch eine Verschiebung der Ziele gezeigt, indem sie häufiger und direkter auf den ISF und angegliederte regierungsnahe Kräfte zielten, wodurch diese Sicherheitsakteure geschwächt wurden.

ACLED meldete im Referenzzeitraum insgesamt 327 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 4 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Salah al-Din, von denen die meisten als Gefechte und Vorfälle von Gewalt/Explosionen aus der Ferne kodiert wurden. In fast allen Distrikten des Gouvernements kam es zu Sicherheitsvorfällen, wobei die meisten in den Distrikten al-Daur, Baiji und Tikrit verzeichnet wurden. Die UNAMI verzeichnete 43 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, 31 davon im Jahr 2019 und 12 vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 (durchschnittlich 0,5 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Zum 30. Juni 2020 stammten 11 % der gesamten Binnenvertriebenen im Irak aus dem Gouvernement Salah al-Din. Gleichzeitig beherbergte das Gouvernement Salah al-Din insgesamt 68.700 Binnenvertriebene. Die Rückkehr in das Gouvernement Salah al-Din übertrifft die Vertreibung und das Gouvernement Salah al-Din belegt weiterhin den dritten Platz unter den Top-Rückkehr-Gouvernements mit insgesamt 692.142 registrierten Rückkehrern zum 30. Juni 2020, von denen viele unter schwierigen Bedingungen leben. Im Jahr 2019 wurden viele Binnenvertriebene aufgrund von erzwungenen und vorzeitigen Rückführungen und erzwungenen oder erzwungenen Ausreisen aus Lagern und informellen Siedlungen in Salah Al-Din zu sekundärer Vertreibung gezwungen.

Salah al-Din gehört zu den Gouvernements mit besonders hohen konfliktbedingten Infrastrukturschäden, insbesondere in Bezug auf Schäden an Wohngebäuden, im Agrarsektor sowie im Wasser-, Sanitär- und Hygienesektor. Der Wiederaufbau in den vom Konflikt stark betroffenen Gouvernements, darunter Salah al-Din, verlief 2019 nur langsam. Die Kontamination mit explosiven Kampfmitteln soll auch die sichere Rückführung von Binnenvertriebenen sowie die Durchführung humanitärer Aktivitäten in Salah al-Din behindern.

Betrachtet man die Indikatoren, so lässt sich schlussfolgern, dass im Gouvernement Salah al-Din willkürliche Gewalt stattfindet und damit zu rechnen ist, dass der BF einem derzeit erhöhten Risiko ausgesetzt ist, bei seiner Rückkehr eine unsichere Zukunftsperspektive vorzufinden zumal in der Heimat des BF keine Familienmitglieder mehr leben.

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc

-        Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries

-        EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html

-        EASO – Country Guidance: Iraq (Stand Jänner 20219): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

-        FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 12.02.2021

-        Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.1. Sicherheitskräfte und Milizen

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle.

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen und werden vorwiegend vom Iran unterstützt. PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS. Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei.

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist.

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus.

Eine Rekrutierung in die PMF erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis und aus wirtschaftlichen Gründen, Desertion aus den PMF kam zudem seltener vor als bei den irakischen Streitkräften

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-20 18-12-01-2019.pdf

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/ document/2021156.html

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-m onitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html

-        Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.ay mennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index

-        Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-0 6/PB_Power_in_perspective.pdf

-        DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_ iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf

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-        MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis’s killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hash d-al-shaabi-after-muhandis-killing

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor toAl-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-hea d-as-successor-to-al-muhandis/

-        Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

-        Reuters (29.8.2019): Baghdad’s crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.re uters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance -idUSKCN1VJ0GS

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

-        TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integ ration/

-        USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/p art-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.2 Berufsgruppen und Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien. Auch Mitglieder der Ministerien sowie Mitarbeiter von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Der Beschwerdeführer übte während seiner Zeit im Irak keine dieser Tätigkeiten aus, weswegen ein diesen Betreffendes erhöhtes Sicherheitsrisiko nicht festgestellt werden kann.

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF ist gesund und arbeitsfähig und liegen anlassbezogen weder rechtliche noch faktische Hindernisse vor, die einem Rücktransport in den Herkunftsstaat bzw. einem Leben dort entgegenstünden. Eine medizinische Behandlung im Herkunftsstaat wird beim Beschwerdeführer nicht notwendig sein.

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html

1.6.4. Sunnitische Araber

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar. Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv.

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger.

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga. Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul.

Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die bloße Tatsache, dass eine Person ein sunnitischer Araber ist, normalerweise nicht zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung führt. Bei einer angenommenen Zugehörigkeit zum IS wäre im Allgemeinen eine begründete Furcht vor Verfolgung begründet. Eine solche Annahme oder der Verdacht der Mitarbeit beim IS ist beim BF jedoch auszuschließen und liegen in dieser Hinsicht auf keinerlei Informationen vor.

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf,

-        EASO – Country Guidance: Iraq (Stand Jänner 20219): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

-        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

1.6.5. Grundversorgung und Wirtschaft:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich.

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat“ leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums.

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt.

1.6.5.1. Wirtschaftslage:

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt.

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar. Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor.

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist. Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern. Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber.

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014.

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15 bis 24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25 bis 49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten.

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung.

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten.

1.6.5.2. Stromversorgung:

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste.

1.6.5.3. Wasserversorgung:

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist. Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird.

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Im August 2018 meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch.

1.6.5.4. Nahrungsversorgung:

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt. Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe.

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen. Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig.

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist. Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt.

Quellen (Zugriff am 03.11.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf,

-        Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf

-        EPIC - Enabling Peace in Iraq Center (18.7.2017): Drought in the land between two rives, https://www.epic-usa.org/iraq-water/

-        Fanack (17.9.2019): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (31.1.2020): Country Briefs, Iraq, http://www.fao.org/giews/countrybrief/country.jsp?code=IRQ,

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-        IOM - Internationale Organisation für Migration (o.D.): Iraq 2019, Humanitarian Compendium, https://humanitariancompendium.iom.int/appeals/iraq-2019

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-        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.10.2019): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html

1.6.6. Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt.

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak. In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Ku

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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