TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/17 95/01/0127

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Veröffentlicht am 17.12.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AsylG 1991 §21 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1995, Zl. 4.332.374/6-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "früheren SFRJ", der am 21. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 23. Dezember 1991 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 28. Dezember 1991 als Grund für die Ausreise aus seinem Heimatland angegeben, er sei am 15. September 1991 aus der Kaserne desertiert. Er habe dort gerade seine militärische Ausbildung gemacht und erfahren, daß man ihn an die Front schicken wolle. In der Folge habe er sich für die Dauer von drei Monaten in Marburg bei Bekannten aufgehalten. Zurück in sein Elternhaus habe er nicht können, weil er dort mit Sicherheit von der Militärpolizei gesucht worden wäre. Er habe auf keiner Seite kämpfen wollen, weil es ein sinnloser Krieg unter den eigenen Landsleuten sei. In Marburg habe er von Gelegenheitsarbeiten gelebt und sich auch selbst eine Unterkunft bezahlt. Da er auch von Unterstützungen seiner Freunde gelebt habe, sei für ihn jetzt ein Weiterverbleib in Marburg nicht mehr möglich gewesen, weil er nicht auf Dauer von Unterstützungen seiner Freunde habe leben können. Seine Arbeiten seien sehr schlecht bezahlt gewesen. Auch wenn sich die Zustände in seiner Heimat normalisierten, wollte er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat mit Bescheid vom 13. Februar 1992 festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, bei seiner ersten Einvernahme sei ihm eine Russisch-Dolmetscherin beigegeben worden, welche seine Aussagen mißverständlich in die deutsche Sprache übersetzt habe. Außerdem habe er noch nervliche Belastungen der Flucht "in mir" gehabt. Die Familie des Beschwerdeführers leide im Kosovo unter politischer Verfolgung, welche auch dem Beschwerdeführer drohen würde. Außerdem müßte er ins Gefängnis oder in den Krieg.

Mit Bescheid vom 24. September 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein. Der Verwaltungsgerichtshof hob den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - infolge der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94 - auf. Im fortgesetzten Verfahren wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 11. April 1995 die Berufung neuerlich ab und versagte die Asylgewährung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid sowohl darauf, daß der Beschwerdeführer nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen nicht Flüchtling sei (- dem Berufungsvorbringen wurde die Glaubwürdigkeit versagt -), als auch darauf, daß er in Slowenien gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres seiner Entscheidung über die Berufung (...) das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen.

Gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der bereinigten Fassung nach der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) ist jedoch eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, ... (die weiteren Gründe sind für den Beschwerdefall ohne Bedeutung).

Die Frage, ob das Ermittlungsverfahren in erster Instanz mangelhaft war, ist von der Berufungsbehörde anhand des Berufungsvorbringens und der Akten des erstinstanzlichen Verfahrens zu beurteilen. Der Beschwerdeführer hat zwar in der Berufung geltend gemacht, daß seine Aussagen mißverständlich in die deutsche Sprache übersetzt worden seien, doch führt er weder aus, welche für die Beurteilung der Frage des Vorliegens von Verfolgung relevanten Angaben bereits in der erstinstanzlichen Vernehmung gemacht und aufgrund der Übersetzung "mißverstanden" worden seien, noch aber, was er aufgrund der "nervlichen Belastungen" nicht habe vorbringen können. Selbst in der Beschwerde wird kein konkreter Sachverhalt behauptet, den die belangte Behörde aufgrund von ergänzenden Befragungen im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 hätte ermitteln lassen können. Angesichts dieser Sachlage kann keine Mangelhaftigkeit darin erkannt werden, daß die belangte Behörde die Behauptung des Beschwerdeführers, seine Familie werde verfolgt, was auch ihm drohen würde, nicht zum Anlaß von ergänzenden Ermittlungen genommen hat.

Gleichermaßen kann die Tatsache, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine Gelegenheit zur allfälligen Ergänzung seines Berufungsvorbringens hinsichtlich des Vorliegens anderer als "offenkundiger" Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht ausdrücklich eingeräumt hat - eine solche Ergänzung wäre nach Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde vom 24. September 1993 durch den Verwaltungsgerichtshof jederzeit möglich gewesen - schon angesichts des Umstandes, daß selbst die Beschwerde weder einen solchen "nicht offenkundigen" Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens behauptet, noch aufzeigt, welches Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht der Beschwerdeführer bei Gewährung des Parteiengehöres in zweiter Instanz erstattet hätte, keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 18. Jänner 1995, Zlen. 94/01/0705-0707 sowie vom 21. September 1995, Zl. 95/19/0100).

Da somit insbesondere aus dem Blickwinkel des Beschwerdevorbringens ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht hervorgekommen ist, aufgrund dessen gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre, ist davon auszugehen, daß die belangte Behörde die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 anzuwenden hatte, wonach ihrer Entscheidung das Ermittlungsergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens zugrundezulegen war.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Beschwerdeführer einen Zusammenhang zwischen seiner bevorstehenden Verlegung an die Front und seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe im Kosovo nicht behauptet.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - worunter sowohl die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst als auch nach dessen Antritt die Desertion zu verstehen ist - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, was auch in den Fällen gilt, in denen in dem betreffenden Heimatstaat u.a. ein Bürgerkrieg oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattfindet. Allerdings kann Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit der Ableistung des Militärdienstes dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377).

Der Beschwerdeführer macht in rechtlicher Hinsicht geltend, daß im Zusammenhang mit dem von ihm vorgebrachten Sachverhalt "auch die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu berücksichtigen wäre", wobei er darauf verweist, daß der Gerichtshof "in einer Verfügung vom 18.2.1994 angestrebt" habe, "die Frage zu klären, ob Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention zu qualifizieren ist, wenn jemand an militärischen Aktionen teilnehmen soll, die von der Völkergemeinschaft verurteilt worden sind". Der Gerichtshof habe sich aber in der "dieser Verfügung folgenden Entscheidung des verstärkten Senates vom 29. Juli 1994 nicht mit den Erwägungen in der oben zitierten Verfügung beschäftigt" und es sei "der verstärkte Senat in dieser Frage bereits aus anderen Gründen zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides gelangt". Insoweit die Beschwerde damit eine "jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes" geltend macht, ist sie darauf zu verweisen, daß es sich bei der genannten "Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes" vom 18. Februar 1994 bloß um eine Berichterverfügung handelte, mit der den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die maßgeblichen Gründe für die Annahme eines Verstärkungsgrundes gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG im einfachen Senat mit der Möglichkeit zur Stellungnahme bekanntgegeben wurden. Die darin vertretene Rechtsansicht hat aber im abschließenden, oben zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates keinen Niederschlag gefunden. Anders als in dem dem angeführten Erkenntnis des verstärkten Senates zugrundeliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aus seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe im Kosovo keine Umstände abgeleitet, aus denen er Verfolgung während der Ableistung seines Militärdienstes befürchten müßte.

Soweit der Beschwerdeführer für seinen Standpunkt weiters ins Treffen führt, daß "laut UNHCR-Handbuch" ein Deserteur bzw. Wehrdienstverweigerer unter dort näher angeführten Voraussetzungen als Flüchtling im Sinne der Flüchtlingskonvention anzusehen sei, übersieht er, daß dem "Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft", herausgegeben vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, 1979, keine normative Kraft zukommt und daher dessen Inhalt rechtlich nicht verbindlich ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. November 1995, Zl. 95/01/0070).

Da sich somit die Beschwerde mangels Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als unbegründet erweist, war sie schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, weshalb eine Auseinandersetzung damit, ob die belangte Behörde zusätzlich vom Ausschließungsgrund der Verfolgungssicherheit gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zu Recht Gebrauch gemacht hat, entbehrlich war.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010127.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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