Entscheidungsdatum
17.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W236 1436128-2/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018, Zl. 821302610/180117450, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.06.2021 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Dem (damals minderjährigen) Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen Somalias, wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet und Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz am 19.09.2012 mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2014, GZ. W206 1436128-1/8E, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt (verlängert mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2015, ZI. 821302610/1551498, bis zum 08.05.2017, da die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vorlagen).
Begründend für die Zuerkennung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der aus Mogadischu stammende Beschwerdeführer aufgrund der anhaltend instabilen und prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage in Somalia im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufe, unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Abgesehen von den in der Hauptstadt und anderen Landesteilen stattfindenden zahlreichen Anschlägen und terroristischen Aktionen, welche wahllos Zivilpersonen zu Opfern machen würden, stelle sich vor allem auch die Versorgungslage vielfach als instabil und problematisch dar. Die Behörde habe selbst eingeräumt, dass sich die Rückkehrsituation für Menschen ohne nennenswertes Vermögen als schwierig darstelle; es genüge somit nicht, pauschal auf das Alter und die prinzipielle Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers abzustellen. Zudem habe die Behörde die Abwanderung der Eltern des Beschwerdeführers nicht in Abrede gestellt, diese aber ebenso wie die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen; es sei nicht klar, welche „sozialen Anknüpfungspunkte“ für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Mogadischu bestehen sollten. Es ergäben sich aktuell auch aufgrund der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage keine konkreten Anhaltspunkte für das Bestehen tatsächlicher Chancen auf dem Arbeitsmarkt und den Aufbau einer eigenen Existenz. Unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer individuell betreffenden Umstände – Minderjährigkeit, Abwanderung der Eltern aus Mogadischu, fehlende Schulbildung – könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Somalia einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und der derzeit in Somalia vorherrschenden Sicherheits- und Versorgungslage mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.
2. Infolge der Verurteilung des Beschwerdeführers durch ein österreichisches Landesgericht wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschwerdeführer per 03.02.2018 ein Aberkennungsverfahren gemäß § 9 AsylG 2005 ein.
3. Am 20.06.2018 wurde der Beschwerdeführer im Aberkennungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, Somalia bereits im Jahr 2012 verlassen zu haben. Damals sei seine Familie noch komplett gewesen und habe in Mogadischu gelebt. Er habe nun keine Familie mehr; er habe seinen Vater und seinen Bruder verloren, seine Mutter und seine Schwester seien nicht mehr dort. Er hätte im Fall einer Rückkehr Existenzangst und wüsste nicht, wohin er zurückkehren könnte.
4. Mit oben genanntem, gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2014, GZ. W206 1436128-1/8E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt III.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass sich die Versorgungslage in Somalia, insbesondere in Mogadischu, grundlegend gebessert habe und die seinerzeit für die Gewährung des subsidiären Schutzes maßgeblichen Gründe – die prekäre Sicherheits- und Menschenrechtslage in Somalia und die im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes angeführten individuellen Umstände der Minderjährigkeit und der fehlenden Schulbildung – zwischenzeitlich nicht mehr in ganz Somalia gegeben seien; dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr nach Mogadischu zuzumuten. Die Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Abwanderung seiner Eltern aus Mogadischu hätten nicht glaubhaft festgestellt werden können. Im Fall einer Rückkehr wäre der Beschwerdeführer keiner Gefährdung ausgesetzt und würde nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen familiären Anknüpfungspunkten in Mogadischu seien nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, glaubhaft zu machen, dass er in Mogadischu einer ausweglosen Situation gegenüberstehen würde. Die Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes seien nicht mehr gegeben, da sich Mogadischu, wo der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise gelebt habe, mittlerweile unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM befinde und sich die Versorgungslage aufgrund der Regenfälle wieder entspannt habe. Der Beschwerdeführer könne in Mogadischu die Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen und verfüge offenbar auch über familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger und junger Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne; der erwähnten Anfragebeantwortung sei zu entnehmen, dass es in Mogadischu Arbeitsmöglichkeiten gebe. Bei Mogadischu handle es sich zudem um eine für Normalbürger vergleichsweise sichere und über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Die allgemeine Lage in Mogadischu sei als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es zu Anschlägen komme. Der Beschwerdeführer sei mittlerweile volljährig und verfüge über einen Hauptschulabschluss.
5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 16.08.2018 Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zwar allgemeine Aussagen über Somalia enthalten würden, sich jedoch nicht mit der konkreten Gefährdung des Beschwerdeführers und der Verfolgung des Beschwerdeführers als „verwestlichter Rückkehrer“ befassen würden. Der Beschwerdeführer habe keine ausreichende Gelegenheit gehabt, auf die Länderfeststellungen zu reagieren. Die Behörde habe grob mangelhaft begründet festgestellt, dass der Beschwerdeführer Verwandtschaft in Mogadischu habe, die ihn unterstützen könnte. Die zur Begründung des Einreiseverbotes erstellte Gefährdungsprognose sei nicht nachvollziehbar; die Behörde setze sich überhaupt nicht damit auseinander, wieso der Beschwerdeführer weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen sollte.
Mit Beschwerdeergänzung vom 05.09.2018 wurde überdies dargelegt, dass die Behörde die zitierten Länderberichte (insbesondere zur Sicherheitslage, den Lebensbedingungen in Mogadischu, der Relevanz von Mogadischu als innerstaatlicher Fluchtalternative sowie zu Dürre und Überschwemmungen in Somalia), welche öffentlich zugänglich und einfach zu recherchieren seien, heranziehen hätte müssen und zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.
6. Am 16.06.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und des Beschwerdeführers sowie dessen Rechtsvertretung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Lebensumständen in Österreich, seinen strafrechtlichen Verurteilungen und seinen Rückkehrbefürchtungen in Bezug auf Somalia befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, des Verwaltungsaktes (12 13.026-BAT) sowie des Gerichtsaktes (1436128-1) betreffend das Asylverfahren des Beschwerdeführers und Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister sowie insbesondere auf Grundlage der am 16.06.2021 durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Dem (damals minderjährigen) Beschwerdeführer wurde nach Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz am 19.09.2012 mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2014, GZ. W206 1436128-1/8E, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt (verlängert mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2015, ZI. 821302610/1551498, bis zum 08.05.2017, da die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vorlagen). Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer, der aus Mogadischu stamme, aufgrund der allgemein prekären und instabilen Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände (Minderjährigkeit, Abwanderung der Eltern aus Mogadischu bzw. mangelnde soziale Anknüpfungspunkte, fehlende Schulbildung) im Fall der Rückkehr nach Somalia einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2014, GZ. W206 1436128-1/8E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Die Aberkennung wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Versorgungslage in Somalia, insbesondere in Mogadischu, sich grundlegend gebessert habe sowie die prekäre Sicherheits- und Menschenrechtslage in Somalia und die individuellen Umstände der Minderjährigkeit und der fehlenden Schulbildung nicht mehr in ganz Somalia gegeben seien. Die Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Abwanderung seiner Eltern aus Mogadischu hätten nicht glaubhaft festgestellt werden können. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr nach Mogadischu zuzumuten.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 16.08.2018 Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Am 16.06.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und des Beschwerdeführers sowie dessen Rechtsvertretung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Lebensumständen in Österreich, seinen strafrechtlichen Verurteilungen und seinen Rückkehrbefürchtungen in Bezug auf Somalia befragt wurde.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt die im Kopf dieser Entscheidung genannten Personalien; seine Identität steht nicht fest. Er ist somalischer Staatsangehöriger, Angehöriger des Clans der Sheikhal und bekennt sich zum islamischen Glauben.
Seit seiner Einreise nach Österreich im September 2012 lebt der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich. Er besuchte mehrere Deutschkurse, bestand zuletzt am 30.01.2020 die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 und beherrscht Deutsch. Der Beschwerdeführer absolvierte am 01.07.2015 die Pflichtschulabschluss-Prüfung und am 13.02.2020 die Prüfung zur Erlangung der Grundqualifikation für den Güterkraftverkehr (C-Führerschein). Der Beschwerdeführer war in Österreich nach seiner Haftentlassung im Dezember 2018 bis Mai 2021 erwerbstätig und zur Sozialversicherung gemeldet, zuletzt als Kraftfahrer und Maschinenbediener. Aktuell ist er über eine Personalmanagementfirma als Arbeiter angestellt und bezieht ein Gehalt von rund € 2.000 pro Monat. Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich dreimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt:
1. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.11.2012, XXXX wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 224, 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 04.05.2017, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 15, 27 Abs. 1 Z 1 erster, siebter und achter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 18.07.2017, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer (Drittangeklagter), L. H. (Erstangeklagter) und Y. Y. (Zweitangeklagter) nahmen als Mittäter dem Opfer A. S. am 17.02.2017 ein iPad (Zeitwert 300,00 Euro), ein Mobiltelefon (Zeitwert 250,00 Euro), eine Flasche Wodka in nicht mehr festzustellendem Wert und Frauenkleidung (Zeitwert 50,00 Euro) mit Bereicherungsvorsatz weg, indem L. H. dem Opfer zwei Faustschläge ins Gesicht versetzte, Y. Y. dem Opfer den Mund zuhielt sowie mit dem Griff seiner mitgeführten CO2-Pistole (einer Waffe) gegen die rechte Schläfe schlug, einer der Angreifer einen Fuß auf den Hals des Opfers stellte sowie ein weiterer Angreifer einen Polster auf das Gesicht des Opfers drückte, L. H., Y. Y. und der Beschwerdeführer das Opfer abwechselnd festhielten und ihm Schläge und Tritte versetzten, Y. Y. den Lauf der CO2-Pistole gegen die Stirn des Opfers drückte und einer der Angreifer rief, „Hol Messer, hol Messer, der beschmutzt unsere Ehre und Religion, wir lassen ihn nicht mehr leben!“.
Zu den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, dass nachfolgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt feststehe:
„[…]
Der 2. Angeklagte [Y. Y.] sprach im November 2016 am […]bahnhof den homosexuellen somalischen Staatsangehörigen [A. S., das Opfer] an, stellte sich diesem als [M. D.] vor und bat ihn um seine Kontaktdaten auf Facebook und seine Telefonnummer, die ihm [das Opfer] im Zuge eines weiteren Treffens auch aushändigte. In weiterer Folge kommunizierten der 2. Angeklagte und [das Opfer] insbesondere über Videochats, wobei bei [dem Opfer] der Eindruck entstand, dass der 2. Angeklagte an einer Beziehung mit ihm interessiert sei. Nach Wochen der Kommunikation über soziale Medien und mehreren zunächst fehlgeschlagenen Anläufen, vereinbarten [das Opfer] und der 2. Angeklagte sodann ein Treffen für 17.2.2017 in der Wohnung des [Opfers].
Am 17.02.2017 trafen sich zunächst der 2. Angeklagte, der [Beschwerdeführer] sowie der 4. Angeklagte [Z. A.] bei einem somalischen Kulturverein nahe der […]straße. Bereits dort packte der 2. Angeklagte in Anwesenheit des [Beschwerdeführers] und 4. Angeklagten eine mitgebrachte CO2 Pistole aus, spielte mit dieser herum und richtete diese sogar auf den 4. Angeklagten, welcher zum 2. Angeklagten sinngemäß sagte, er solle mit diesem Blödsinn aufhören. In der Folge begaben sich der [2. und 4. Angeklagte und der Beschwerdeführer] zum […] Platz, wo sie sich mit dem 1. Angeklagten [L. H.] trafen, welcher mit seinem Auto gekommen war. Nachdem der [2. und 4. Angeklagte und der Beschwerdeführer] zum 1. Angeklagten ins Auto gestiegen waren und der 2. Angeklagte nochmals mit [dem Opfer] telefoniert hatte, fassten die Angeklagten den Tatentschluss, [das Opfer] für seine homosexuelle Orientierung, von welcher der 2. Angeklagte den anderen berichtete und mit der [das Opfer] ihrer Ansicht nach die somalische Ehre beschmutzte, eine „Abreibung zu verpassen“. Die vier Angeklagten fuhren zu diesem Zweck in den dritten Bezirk zur Wohnung des [Opfers]. Während sich zunächst nur der 2. Angeklagte, welcher nach wie vor seine CO2 Pistole im Hosenbund mit sich führte, auf den Weg in den ersten Stock zur Wohnung [des Opfers] machte, warteten der [1. und 4. Angeklagte und der Beschwerdeführer] im Stiegenhaus. Der 2. Angeklagte betrat sodann wie ausgemacht die Wohnung des [Opfers], welcher die Tür nach Eintreten des 2. Angeklagten wieder schloss und versperrte. Der 2. Angeklagte vergewisserte sich zunächst, dass keine weiteren Personen in der Wohnung anwesend waren. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich [das Opfer] alleine in der Wohnung befand, forderte er diesen unter dem Vorwand, dass er sich nicht gut fühle, auf, die Wohnungstüre wieder zu öffnen.
Als [das Opfer] dieser Aufforderung nachkam, schlug ihm der mittlerweile vor der Eingangstüre zur Wohnung wartende 1. Angeklagte sofort mit zwei wuchtigen Faustschlägen ins Gesicht. Während der [1. Angeklagte und der Beschwerdeführer] mit Tüchern maskiert die Wohnung betraten, zog der hinter dem Opfer stehende 2. Angeklagte [das Opfer], [das] vor Angst schrie, zurück in den hinteren Teil der Wohnung und hielt ihm sodann den Mund zu. Ob auch noch ein fünfter unbekannter Täter an dem Tatgeschehen beteiligt war, kann nicht festgestellt werden.
Die Angeklagten trugen [das Opfer] in sein Schlafzimmer, wo der 2. Angeklagte auch für die anderen Mittäter sichtbar die von ihm mitgeführte CO2-Pistole zog, diese repetierte und sie gegen die Schläfe des [Opfers] drückte, während [das Opfer] abwechselnd von einem anderen Mittäter gehalten und geschlagen wurde. [Das Opfer] schrie panisch um Hilfe und versuchte, die Schläge mit seinem Arm abzuwehren, woraufhin einer der Angreifer diesen Arm nach hinten zog und der 2. Angeklagte [dem Opfer] mit dem Griff der CO2-Pistole gegen die rechte Schläge schlug. Inzwischen brachten die Angeklagten das Opfer unter anderem mit Tritten gegen dessen Körper zu Boden und fixierten es indem einer der Täter [dem Opfer] seinen Fuß auf dessen Hals stellte, während ein anderer Angreifer ihm einen Kopfpolster gegen dessen Gesicht drückte, um [das Opfer] davon abzuhalten weiter lauthals um Hilfe zu schreien. Währenddessen beschimpften sie [das Opfer], dass er durch seine homosexuelle Lebensweise Schande über Somalia gebracht habe, und einer der Angreifer forderte die übrigen auf „Hol Messer, hol Messer, der beschmutzt unsere Ehre und Religion, wir lassen ihn nicht mehr leben!“. Nachdem sie jedoch in der Küche kein geeignetes Messer finden konnten, durchsuchten die übrigen Täter die Wohnung des Opfers auf Wertgegenstände und fanden neben dem Mobiltelefon […] und dem […] iPad des Opfers im Kasten auch Frauenkleidung und Schuhe vor. Um [das Opfer] noch weiter zu demütigen, beschlossen die Angeklagten dem Opfer diese Gegenstände wegzunehmen, und sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Da die Angeklagten aufgrund der anhaltenden Schreie [des Opfers] befürchteten, dass die Polizei nun bald kommen könnte, verließen die Angeklagten mit dem Mobiltelefon, dem iPad, der Frauenkleidung und einer Flasche Wodka die Wohnung des [Opfers]. [Dem Opfer] gelang es in der Folge mit Hilfe eines Nachbarn die Polizei zu verständigen und wurde danach von der Rettung ins […]spital verbracht. [Das Opfer] erlitt durch den Angriff der Angeklagten Rissquetschwunden an der rechten Stirn, an der linken Unterlippe sowie eine Prellung des Brustkorbs.
[…]
Als der [1.und 2. Angeklagte und der Beschwerdeführer das Opfer] mit der CO2 Pistole bedrohten, und anschließend auf ihn einschlugen sowie auf ihn eintraten, handelten sie zunächst in der Absicht ihn durch Drohung sowie durch die Anwendung erheblicher Gewalt zu demütigen, nahmen dabei die Verletzung des Opfers auch billigend in Kauf und beschlossen noch im Zuge der Gewalthandlungen gegen das Opfer diesem auch noch Wertgegenstände, über welche sie nicht verfügungsberechtigt waren und welche nicht ihnen gehörten, sohin fremde bewegliche Sachen wegzunehmen, um sich insbesondere durch die anschließende Zueignung des Mobiltelefons sowie des iPads des Opfers und der Flasche Wodka bewusst unrechtmäßig zu bereichern, wobei [sie] die Wegnahme von Wertgegenständen wechselseitig billigend in Kauf nahmen. Mit der Wegnahme der [vom Opfer] erst kurz zuvor erworbenen Damenbekleidung, welche sie nach Verlassen der Wohnung entsorgten, beabsichtigten sie das Opfer vor allem noch über das bisherige Maß hinaus zu demütigen.
Der [Beschwerdeführer] wusste bereits vor Tatbeginn, dass der 2. Angeklagte eine CO2 Pistole in seinem Hosenbund mit sich führte und billigte ebenso wie der 1. Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht nur den Einsatz der CO2-Pistole zur Drohung gegen [das Opfer] sondern übten der [1. Angeklagte und der Beschwerdeführer] jeweils auch selbst Gewalt gegen das Opfern in Form von Schlägen und Tritten aus und beabsichtigten sie letztlich dadurch ebenso, es [dem Opfer] unmöglich zu machen, seine Sachen vor fremdem Zugriff zu schützen, um sich die Wegnahme der oben genannten Gegenstände zu ermöglichen.
[…]“
Bei der Strafzumessung wurden mildernd das Alter des Beschwerdeführers unter 21 Jahren bei der Tatbegehung und der Beitrag zur Wahrheitsfindung (Ausforschung des Viertangeklagten), erschwerend die brutale Vorgehensweise, die Verletzung des Opfers, die Tatbegehung aus einem besonders verwerflichen Beweggrund und die Verwirklichung beider Alternativen des § 142 StGB (Gewalt und Drohung) gewertet. Beim Beschwerdeführer war bei der Strafzumessung unter Anwendung des § 19 Jugendgerichtsgesetz 1988 (JGG), BGBl. Nr. 599/1988, von einer Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren auszugehen.
Der Beschwerdeführer befand sich von 11.04.2017 bis 20.12.2018 (bedingt entlassen auf eine Probezeit von drei Jahren) in Strafhaft.
1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers in Somalia und der dort herrschenden Lage:
1.3.1. Die Lage in Somalia hat sich in Bezug auf die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgebliche schlechte Sicherheits- und Versorgungssituation nicht wesentlich und nachhaltig gebessert.
1.3.2. Der Beschwerdeführer verfügt in Somalia nach wie vor weder über ein leistungsfähiges familiäres noch ein leistungsfähiges soziales Netz. Der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers wurden in Mogadischu getötet; die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers haben Somalia verlassen und leben in Kenia. Die Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers hat ebenso wenig eine Änderung erfahren wie der aufgrund dieser Clanzugehörigkeit bestehende Schutz.
1.3.3. Eine entscheidungswesentliche Änderung des für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblichen Sachverhalts ist weder im Hinblick auf die individuellen Umstände des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat noch in Bezug auf die allgemeine Lage in Somalia eingetreten. Der Beschwerdeführer wäre von der schwierigen Situation in Somalia, insbesondere der schlechten Versorgungs- und Sicherheitslage, zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht wesentlich weniger intensiv betroffen, als mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2014 festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zum Verfahrensgang:
Die Feststellungen zum Verfahren des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Verwaltungsakt betreffend das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie Verwaltungsakt betreffend das gegenständliche Aberkennungsverfahren des Beschwerdeführers) und den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes (Gerichtsakt betreffend das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie Gerichtsakt betreffend das Aberkennungsverfahren des Beschwerdeführers) in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und das Grundversorgungs-Informationssystem.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu der Identität, der Staatsangehörigkeit und der Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers in seinen bisherigen Verfahren (etwa AS 41, 43 und 113 im Verwaltungsakt betreffend das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz – im Folgenden: Verwaltungsakt Asylverfahren; Seite 7 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), wurden überdies bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt und zudem in der Beschwerde nicht bestritten. Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht fest.
Die Feststellungen zum Aufenthalt, den Lebensumständen und den Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Seiten 5f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) in Verbindung mit den vorgelegten Integrationsunterlagen (Beilage ./2 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), einem eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug vom 17.08.2021 und einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung (Seite 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).
Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie der Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft ergeben sich aus dem dem gegenständlichen Verwaltungsakt einliegenden Strafurteil (AS 13ff) in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Strafregister und das Zentrale Melderegister.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation des Beschwerdeführers in Somalia und der dort herrschenden Lage:
2.3.1. Die Feststellung, dass sich die Lage in Somalia in Bezug auf die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgebliche schlechte Sicherheits- und Versorgungssituation nicht wesentlich und nachhaltig gebessert hat, ergibt sich aus einem Vergleich des im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Zuerkennung von subsidiärem Schutz am 08.05.2014 aktuellen Länderinformationsblattes des Bundesasylamtes zu Somalia vom September 2013 (im Folgenden: LIB 2013), und den im aktuellen Aberkennungsverfahren herangezogenen Länderberichten (Seite 10 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia, Version 1 (im Folgenden: LIB Version 1).
Im LIB 2013 wird zur Versorgungslage in Somalia (Kapitel 22 – Grundversorgung/Wirtschaft, Seiten 44f) Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
„Die Versorgungslage für Rückkehrer, die nicht über größeres eigenes Vermögen verfügen, ist äußerst schwierig. Somalia ist eines der ärmsten Länder der Welt. Soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; private Hilfe wird allenfalls im Klan- und Familienverband oder im Einzelfall auch durch internationale Nichtregierungsorganisationen geleistet. Die Lebensbedingungen für Rückkehrer, die nicht über familiäre oder andere soziale Bindungen verfügen, sind unter diesen Bedingungen sowie angesichts der prekären Sicherheitslage extrem schwierig. Schon in den Vorjahren lebte etwa ein Drittel der Bevölkerung permanent an bzw. teilweise auch schon jenseits der Grenze zur akuten Hungersnot. Die von Mitte 2011 bis Mitte 2012 andauernde, am Horn von Afrika ausgebrochene Dürre, die Somalia besonders hart traf, verschärfte diese Problematik noch. VN-Organisationen und internationale NGOs versuchen, mit Notprogrammen zu helfen. Das Welternährungsprogramm (WFP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) halten inzwischen etwa 40% der Bevölkerung für akut hilfsbedürftig; dies gilt allgemein als plausibel. (AA 12.6.2013)
Die ohnehin schlechte Grundversorgung wurde durch die verheerende Dürre 2011 in weiten Teilen des Landes noch weiter verschärft. (ÖBN 8.2013) Im Februar 2012 erklärten die Vereinten Nationen die Hungersnot in Somalia für beendet, gaben jedoch zu bedenken, dass die humanitäre Krise anhalte. Ende des Jahres 2012 litten 31% der Bevölkerung unter Mangelernährung und waren auf Hilfe angewiesen. (AI 23.5.2013) Derzeit sind laut Angaben des Welternährungsprogramms 14,3 % der somalischen Bevölkerung unterernährt. Die Versorgungslage ist v.a. im Süden des Landes anhaltend schlecht. (ÖBN 8.2013) Allerdings hat sich die Situation im Frühjahr 2013 gegenüber dem Vorjahr drastisch verbessert. Die Anzahl an Menschen, die auf Überlebenshilfe angewiesen waren, sank um 50 Prozent. Auch die Raten an Unterernährung sanken aufgrund einer Kombination an Hilfe und besseren Wetterbedingungen. In den ersten Monaten des Jahres 2013 erreichten die Hilfen des WFP über eine Million Menschen. Allerdings sind noch immer 2,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. (UNSC 31.5.2013)
Zuverlässige Wirtschaftsdaten für Somalia sind nicht verfügbar. Die in manchen Medien kolportierte Wirtschaftswachstumsrate von bis zu 10 % kann daher mangels offizieller Statistiken nicht bestätigt werden. Investitionen – v.a. der somalischen Diaspora bzw. von Heimkehrern – bestehen insbes. in den Bereichen Hotels (Tourismus), Immobilien sowie Infrastruktur und Landwirtschaft. (ÖBN 8.2013) Insgesamt gab es beim Privatsektor ein rapides Wachstum in Mogadischu, seit die neue Regierung ihr Amt angetreten hat. UNDP unterstützt die Regierung dabei, das Klima für Investitionen zu verbessern und damit der (Jugend-)Arbeitslosigkeit entgegenzutreten. Auch die Möglichkeiten für Mikrokredite sollen ausgebaut werden. (UNSC 31.5.2013)“
Im LIB Version 1 wird zur Versorgungslage in Somalia (Kapitel 23.1.1. – Grundversorgung und humanitäre Lage, betreffend Süd-/Zentralsomalia und Puntland, Seiten 176ff) Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
“Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen (UNSC 13.11.2020, Abs.50; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.54). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 2.4.2020, S.4/21). Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen (DEVEX 13.8.2020). Die Aussicht für das Jahr 2021 ist düster, die Gesamtzahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen wird von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen steigen (UNSC 17.2.2021, Abs.60). Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen Gu-Regenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (UNSOM 31.1.2021).“
Im Kapitel 23.2.2. – Grundversorgung betreffend Somalialand des LIB Version 1 (Seiten 198f) werden folgende Feststellungen getroffen (Hervorhebungen nicht im Original):
„Die Regierung ist in der Lage, grundlegende Dienste bereitzustellen. Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich wurden hier signifikante Verbesserungen erreicht (BS 2020, S.11). Allerdings herrscht im Land noch immer ein hohes Maß an Armut (BS 2020, S.33). Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz bilden die erweiterte Familie und der Clan. Auch Remissen aus dem Ausland tragen zu diesem Netz bei (BS 2020, S.29). Viele Haushalte sind darauf angewiesen (FH 4.3.2020, G4).
In vielen Teilen Somalilands gibt es nach wie vor Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und Armut. In ländlichen Gebieten lebt mehr als eine von drei Personen in Armut, in urbanen Gebieten ist es mehr als eine von vier (HD 14.1.2021). Überdurchschnittlich viele der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten (76 %) oder aber auch in institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 54% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn. Generell sind gesellschaftlicher Zusammenhalt und soziale Netze in Somaliland besser als in anderen Landesteilen (OXFAM 6.2018, S.11f). Wenn Verwandten aber die Ressourcen zur Hilfe ausgehen, führt der Weg oft ins IDP-Lager (TG 8.7.2019).
In Somaliland ist es den Menschen aufgrund der besseren Sicherheitslage und der grundsätzlich besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Interventionen im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (AA 2.4.2020, S.22). Allerdings hat das Land in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren Dürre durchlebt. Vielen Menschen ist dadurch ihr Lebensunterhalt verloren gegangen. Auch früher hat es Dürren gegeben, aber nicht in dieser Frequenz (DEVEX 9.7.2019; vgl. TG 8.7.2019). Rund 725.000 Menschen sind akut von einer Unsicherheit in der Nahrungsmittelversorgung betroffen (ÖB 3.2020, S.19). Aus Bari, Nugaal und Sanaag kommen Anfang 2021 Meldungen über Wassermangel; auch die Region Togdheer ist von der Krise betroffen (UNOCHA 27.1.2021, S.1). Die National Disaster Agency (NADFOR) hat bestätigt, dass eine schwere Dürre Teile von Maroodi-Jeex, Togdheer, Sool und Sanaag getroffen hat. Anfangs wurde durch die Regierung Nahrung verteilt, doch war dies zu wenig, um die betroffenen ca. 55.000 Familien zu versorgen (SLS 7.3.2021).
Bereits seit der Hungersnot 2011 versuchen internationale Organisationen, eine Resilienz gegenüber den Klimabedingungen in der Region aufzubauen. Allerdings führen akute Notlagen immer wieder zu einer Umplanung der Ressourcen, damit nötige Soforthilfe bereitgestellt werden kann (ÖB 3.2020, S.19). Der Konflikt in den umstrittenen Gebieten von Sool und Sanaag schränkt den Zugang für humanitäre Organisationen ein (USDOS 11.3.2020, S.14). Dahingegen kommt es zu keinen Problemen durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.38).
Aufgrund der vergleichsweise guten Sicherheitslage, verzeichnen die UN in Somaliland weniger Zwischenfälle im Zusammenhang mit humanitärem Zugang als anderswo im Land (ÖB 3.2020, S.19). Alleine die UN führt für die somaliländischen Regionen folgende Zahlen an aktiven 198 Partnern an: Awdal: 29; Woqooyi Galbeed: 42; Togdheer: 34; Sool: 36; Sanaag: 32 (UNOCHA 11.2020).“
Weiters wird im LIB Version 1 im Kapitel 23.1.3. – Rückkehrspezifische Grundversorgung (Seiten 191ff) Folgendes festgestellt (Hervorhebungen nicht im Original):
„Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, S.14). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, S.39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, S.5).
[…]
Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARA o.D.a).
Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern – je nach Bedarf – medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).
Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG-Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, S.25). In den „besseren“ Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25m² 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand – z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, S.31). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vgl. AA 2.4.2020, S.22, USDOS 11.3.2020, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, S.22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, S.32).“
Die Gegenüberstellung dieser Länderinformationen des LIB 2013 und des LIB Version 1 lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, dass es bezüglich der Versorgungslage in Somalia zu grundlegenden und nachhaltigen Verbesserungen gekommen wäre, sondern ist im Gegenteil eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage in Somalia eingetreten. Während im LIB 2013 ausgeführt wird, dass sich seit dem Frühjahr 2013 die Situation gegenüber dem Vorjahr drastisch verbessert habe und die Anzahl der auf Überlebenshilfe angewiesenen Menschen um 50% gesunken sei, aber immer noch 2,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen seien, wird im LIB Version 1 dargelegt, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet sei, wobei Covid-19 die infolge periodisch wiederkehrender Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, der Heuschreckenplage, der äußerst mangelhaften Gesundheitsversorgung sowie des mangelhafte Zugangs zu sauberem Trinkwasser und des Fehlens eines funktionierenden Abwassersystems bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert habe und sich in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre einfüge. Insgesamt seien nun bereits 3,5 Millionen Menschen nicht in der Lage, auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung sicherzustellen, wobei die Aussicht für das Jahr 2021 düster sei und die Gesamtzahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen von schon 5,2 Millionen im Jahr 2020 weiter auf 5,9 Millionen steigen werde. In Somaliland kommt es dem LIB Version 1 zufolge zwar zu keinen Problemen mit Al Shabaab und verzeichnen die UN aufgrund der vergleichsweise guten Sicherheitslage in Somaliland weniger Zwischenfälle im Zusammenhang mit humanitärem Zugang als anderswo im Land; allerdings bilden auch dort das eigentliche soziale Sicherungsnetz die erweiterte Familie und der Clan und gibt es nach wie vor in vielen Teilen Somalilands Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung, wobei die Frequenz der bereits früher gegebenen Dürren zugenommen hat. Zwar wird nicht verkannt, dass dem LIB Version 1 zu entnehmen ist, dass inzwischen mehr Programme zur Unterstützung von Rückkehrern existieren, die verschiedene Formen der Unterstützung anbieten; allerdings wird der Zugang zu einer Unterkunft ungeachtet dessen als problematisch beschrieben und auf die prekäre Situation von Rückkehrern verwiesen. Bereits im LIB 2013 wird auf die Leistung von Hilfe im Einzelfall durch internationale Nichtregierungsorganisationen verwiesen. Eine entscheidungswesentliche Änderung im Sinn einer grundlegenden und nachhaltigen Verbesserung der Versorgungslage in Somalia ist somit nicht ersichtlich.
Zur Sicherheitslage in Mogadischu wird im LIB 2013 (Kapitel 3.2. – Mogadischu, Seiten 10f) Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
„Der EGMR hat entschieden, dass die Rückführung abgewiesener somalischer Asylwerber nach Somalia nicht gegen die Artikel 2 und 3 der EMRK verstößt (Recht auf Leben; Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung). Das Gericht stellte fest, dass sich die generelle Situation in Mogadischu verbessert hat und nicht länger von genereller Gewalt gesprochen werden kann. Die Situation in Mogadischu, die nach wie vor fragil ist, sei kein Hinderungsgrund für eine Rückführung. Mit dieser Entscheidung des EGMR ist das vormalige Urteil von Sufi/Elmi (2011) offenbar obsolet. (EGMR 5.9.2013; vgl. ECRE 6.9.2013)
Nach dem Abzug der al Shabaab aus Mogadischu im August 2011 und den wiederholten Offensiven der Truppen der Afrikanischen Union (AMISOM) und der Übergangsregierung (TFG) ist die somalische Hauptstadt heute weitestgehend ein von den Islamisten befreiter und von direkten Kampfhandlungen verschonter Teil des Landes. Die Situation hat sich über die vergangenen Monate stabilisiert und mittelfristig ist keine Lagebildänderung abzusehen. Eine effektive Rückkehr der Islamisten nach Mogadischu kann ausgeschlossen werden. (BAA 14.3.2012)
Die Sicherheitslage ist z.B. während des Ramadan prekär. (ÖBN 8.2013) Die generelle Sicherheitssituation für die Bevölkerung von Mogadischu hat sich allerdings verbessert. (BAA 25.7.2013; vgl. DIS 5.2013; vgl. MV 18.10.2012) Diese Verbesserungen betreffen in erster Linie die Bezirke im Zentrum, den Westen der Stadt und die Hafengegend. Die Bewegungsfreiheit hat sich dramatisch verbessert, illegale Straßensperren wurden entfernt, die noch verbliebenen sind von staatlichen Sicherheitskräften besetzt. Durchgehend treffen Heimkehrer aus IDP-Lagern im Afgooye-Korridor, aus anderen somalischen Regionen und aus der Diaspora ein. (BAA 25.7.2013) Die noch im Jahr 2012 von einigen Experten geäußerten Bedenken hinsichtlich der Gefahr, dass (Clan-)Milizen in Mogadischu wieder die Oberhand gewinnen könnten, kann als nicht mehr gegeben bezeichnet werden. (DIS 5.2013)
Es gibt kaum noch direkte bewaffnete Zusammenstöße. Damit ist auch das Risiko für Zivilisten, unbeteiligt ins Kreuzfeuer zu geraten, drastisch gesunken. Zivilisten sind vorrangig von Handgranaten- und Sprengstoffanschlägen betroffen. Auch wenn die Priorität der al Shabaab auf Zielen der Sicherheitskräfte und der Regierung liegt, richten sich Sprengstoffanschläge auch regelmäßig gegen Zivilisten. Anschläge mit Handgranaten wiederum können Opfer von unbeteiligten Personen zur Folge haben. (BAA 25.7.2013)
Es besteht aufgrund der verdeckten Präsenz von AS in der Stadt für mehrere Risikogruppen eine Gefahr. Quellen bei DIS/Landinfo nennen hier: Regierungsmitarbeiter, AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte, mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker und Deserteure. (DIS 5.2013)
Mogadischu selbst ist vielleicht nicht befriedet, es befindet sich jedoch definitiv nicht im Kriegszustand. Für den einfachen Stadtbewohner droht hingegen als einzige Gefahr, sich zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden – wie es auch in fast allen Sicherheitsberichten zitierte wird. Nachdem der Krieg aus der Stadt verbannt worden ist, nachdem Milizen und Claneinfluss am Verschwinden sind, stellen Terrorismus und Kriminalität nunmehr die Hauptbedrohungen dar. (BAA 25.7.2013)“
Im LIB Version 1 wird zur Sicherheitslage in Mogadischu (Kapitel 5.1.3 – Banadir Regional Administration [BRA; Mogadischu], Seiten 41ff) Folgendes festgehalten (Hervorhebungen nicht im Original):
„Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, S.1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert (FIS 7.8.2020, S.4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Abs.18). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, S.20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021). Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, S.20).
Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, S.4).
Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.5).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).
Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5; vgl. BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vgl. BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 17.2.2021, Abs.14). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, S.13; vgl. BBC 23.11.2020). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, S.6f/12; vgl. BMLV 25.2.2021).
Anschläge und Attentate: Die Zahl größerer Anschläge und Operationen in der Hauptstadt hat abgenommen (FIS 7.8.2020, S.10f). Trotzdem ermordet al Shabaab immer noch regelmäßig Menschen in Mogadischu (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, S.14).
Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, S.8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vgl. FIS 7.8.2020, S.25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, S.6f/12).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, S.14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. FIS 7.8.2020, S.24ff).
Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, S.25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, S.22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, S.22f).
[…]“
Ein Vergleich dieser Länderberichte zur Sicherheitslage in Mogadischu ergibt, dass dem LIB 2013 zufolge bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer eine Verbesserung der Situation gegeben war, sodass damals die Sicherheitssituation in Mogadischu kein Rückkehrhindernis darstellte. Dem LIB 2013 ist zu entnehmen, dass Mogadischu weitestgehend ein von den Islamisten befreiter und von direkten Kampfhandlungen verschonter Teil des Landes gewesen sei, wobei sich die Situation stabilisiert habe und mittelfristig keine Lagebildänderung abzusehen gewesen sei; eine effektive Rückkehr der Islamisten nach Mogadischu habe bereits damals ausgeschlossen werden können. Das Risiko für Zivilisten, unbeteiligt ins Kreuzfeuer zu geraten, sei drastisch gesunken; Zivilisten seien vorrangig von Handgranaten- und Sprengstoffanschlägen betroffen. Aufgrund der verdeckten Präsenz von Al Shabaab habe bereits damals eine Gefahr insbesondere für Regierungsmitarbeiter, AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte, mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker und Deserteure bestanden; für den einfachen Stadtbewohner drohe hingegen als einzige Gefahr, sich zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden. Dem LIB Version 1 ist mit diesen Informationen im Wesentlichen nach wie vor übereinstimmend zu entnehmen, dass sich generell die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren verbessert habe, die Sicherheitsla