Entscheidungsdatum
19.08.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W240 2245458-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.07.2021, Zl. 1280512702/210929352, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF), ein syrischer Staatsangehöriger, reiste spätestens am 09.07.2021 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Abgleich der Fingerabdrücke ergab, dass der BF in Bulgarien am 01.06.2021 aufgrund seiner Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt wurde.
Im Rahmen seiner polizeilichen Erstbefragung am 10.07.2021 gab der BF zu Protokoll, seine Geschwister würden in Syrien leben, seine Ehefrau und seine sieben Kinder in der Türkei. Er habe den Wohnort im Jahr 2014 verlassen und wäre sieben Jahre in der Türkei gewesen. Am 01.04.2021 hätte er die Türkei verlassen und wäre nach Bulgarien gereist. In Bulgarien wäre er ca. einen Monat gewesen und hätte Kontakt zu den Behörden gehabt und wäre auch erkennungsdienstlich behandelt worden. Zum Aufenthalt in Bulgarien gab der BF an, dass er beim Grenzübertritt von bulgarischen Behörden festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden wäre. Er wäre erkennungsdienstlich behandelt worden, wüsste aber nicht, ob das wegen eines Asylantrages gewesen wäre. Nach seinem Aufenthalt in Bulgarien sei er 20 Tage in Serbien gewesen, danach durch Ungarn gereist.
Am 12.07.2021 wurde seitens des BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gem.
Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Bulgarien gestellt mit Verweis auf die angegebene Reiseroute des BF und seine angegebene Asylantragstellung in der Bulgarien.
Mit Schreiben vom 15.07.2021 wurde von Seiten der bulgarischen Asyl- und Fremdenbehörde mitgeteilt, dass diese der Wiederaufnahme des BF ausdrücklich gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b
Dublin III-VO zustimmen.
In seiner Einvernahme vor dem BFA am 27.07.2021 tätigte der BF insbesondere folgende Angaben:
„(…)
LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
VP: Gott sei Dank bin ich gesund, ich habe nur Schwierigkeiten mit meinen Augen. Bei der Einreise nach Österreich wurde ich durch einen Ast im Augenbereich verletzt. Ich war bei einem Arzt. Gestern wurde mein Auge beim Arzt gereinigt. Jetzt sehe ich nicht ganz gut. Es brennt ein wenig.
LA: Haben Sie da noch Untersuchungen bzw. Kontrolltermine?
VP: Nächste Woche habe ich noch einen Kontrolltermin.
LA: Haben Sie medizinische Unterlagen?
VP: Ja, ich habe etwas vom Arzt bekommen
VP legt ein Rezept (Gentax AU-SLB) (in Kopie zum Akt) und eine Zeitbestätigung vor.
LA: Sind das Augentropfen?
VP: Ja, genau.
LA: Haben Sie Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?
VP: Auf meinem Handy habe ich eine Kopie von meinem Personalausweis. Das Original ist in der Türkei.
VP zeigt ein Foto am Handy.
Laut Dolmetscher stimmen Name und Geburtsdatum überein.
LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz durch die Polizei erstbefragt. Haben Sie da die Wahrheit gesagt?
VP: Ja.
LA: Möchten Sie etwas korrigieren oder ergänzen?
VP: Nein.
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte oder sonstige Angehörige?
VP: Ich habe einen Cousin in Wien. Nachgefragt gebe ich an, dass er XXXX heißt, das Alter weiß ich nicht. Er ist seit ca. neun Jahren in Österreich. Eigentlich ist er ein Cousin meiner Frau.
LA: Haben Sie ihn mal gesehen, seit Sie in Österreich sind.
VP: Er hat mich einmal in Traiskirchen besucht und brachte mir Kleidung. Nachgefragt gebe ich an, dass ich ihn seither nicht mehr gesehen habe. Eigentlich war ich in Quarantäne und wir haben uns nicht mal persönlich gesehen, er hat mir die Sachen nur hinterlegt.
LA: Haben Sie bereits jemals irgendwo einen Antrag auf int. Schutz gestellt?
VP: Ja, unter Zwang in Bulgarien.
LA: Haben Sie jemals ein Visum für ein EU-Land beantragt?
VP: Nein.
LA: Haben Sie in einem Land der EU einen Aufenthaltstitel?
VP: Nein.
LA: Sind Sie vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Wann sind Sie in Bulgarien eingereist?
VP: Das war am 20. Ramadan, es war im Mai 2021.
LA: Wie lange waren Sie in Bulgarien?
VP: Ca. einen Monat, davon war ich 27 Tage in Haft. Es hieß, dass es ein Quarantäne-Zentrum ist, es war aber ein Gefängnis.
LA: Wieso haben Sie Bulgarien verlassen?
VP: Mein Ziel war nicht Bulgarien, ich wollte nach Österreich, aber die bulgarischen Behörden haben mich angehalten und gesagt, dass sie mich in die Türkei schicken würden. Somit habe ich meine Fingerabdrücke abgegeben.
LA: Was können Sie zu Ihrem Aufenthalt in Bulgarien sonst noch angeben?
VP: Es war ein Gefängnis dort, 2-3 Tage nachdem ich entlassen wurde, wurde ich ins Camp Harmali (phon) in Bulgarien verlegt. Dort war ich nur 2-3 Tage, dann reiste ich über Sofia nach Serbien.
Anmerkung: Ihnen wurde eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005 zu eigenen Handen am 23.07.2021 zugestellt. Anhand dieser Verfahrensanordnung wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass im in Ihrem Fall eine Zuständigkeit Bulgariens für Ihr Asylverfahren angenommen wird.
LA: Der Staat Bulgarien stimmte in Ihrem Fall bereits mit Anschreiben vom 15.07.2021 gem. Art. 18 (1) (b) der Dublin-Verordnung zu. Seitens des BFA ist nunmehr geplant, gegenständlichen Antrag auf int. Schutz gem. § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen und gegen Sie die Anordnung zur Außerlandesbringung gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG auszusprechen. Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?
VP: Erstens bin ich Vater von sieben Kindern, ich möchte sie nachholen. In Bulgarien gibt es keine Krankenversicherung und meine Kinder sind alle unter 15. Sie brauchen Schulen. Was ich gesehen habe, ist Bulgarien ein armes Land und es gibt dort keine Arbeit.
LA: Sonst noch etwas.
VP: Das wars.
LA: Ihnen wurden bereits am 23.07.2021 die aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in Bulgarien ausgefolgt. Möchten Sie nunmehr eine Stellungnahme zu dieser Länderfeststellung abgeben?
VP: Nein, es interessiert mich nicht, man wird in Bulgarien auch nicht unterstützt.
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?
VP: Ja.
LA: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint?
VP: Nein, ich möchte gerne hierbleiben, wegen der Zukunft meiner Kinder.
Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung:
LA: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?
VP: Ja.
LA: Hat Ihnen der Dolmetscher alles rückübersetzt?
VP: Ja.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: In Bulgarien, als ich angehalten wurde, habe ich die Behörden gebeten, mich in die Türkei zu schicken. Sie haben mir gesagt, dass sie mich nach Syrien schicken würden und somit stellte ich dort den Asylantrag. Ansonsten habe ich keine Einwände.
(…)“
Vorgelegt wurde ein Rezept für eine Augensalbe (Gentax).
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Bulgarien für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Bulgarien wurden im angefochtenen Bescheid, wie folgt, wiedergegeben (unkorrigiert und ungekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
Letzte Änderung: 29.07.2020
Das Länderinformationsblatt geht nicht oder nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf die monatlichen Kurzinformationen der Staatendokumentation zur aktuellen COVID19 Lage in bestimmten Ländern hingewiesen werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/i ndex.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Allgemeines zum Asylverfahren
Letzte Änderung: 29.07.2020
Zuständig für das erstinstanzliche Asylverfahren ist die Staatliche Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat (State Agency for Refugees with the Council of Ministers, SAR). Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (AIDA2.2020; vgl. CoESG 19.4.2018, EMN 6.6.2020; SAR o.D.a, SAR o.D.b, UNHCR 9.2019; USDOS 13.3.2020).
(AIDA 2.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)
Die Zahl der Antragsteller ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. 2019 lag die Quote der Antragssteller, der ihr Verfahren nicht zu Ende führten, bei 72%. Davon wurde in 40% der Fälle das Asylverfahren eingestellt (discontinued) und bei 24% in Abwesenheit entschieden (AIDA 2.2020). 2020 gab es in Bulgarien bis 31.5.2020 289 Asylanträge (VB 15.7.2020).
Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin von weit verbreiteten sogenannten Pushbacks (AIDA2.2020; vgl. USDOS 13.3.2020), Gewalt, Diebstählen und erniedrigenden Praktiken gegenüber Migranten und Asylwerbern an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei. Im August 2019 behaupteten Medienveröffentlichungen, die angeblich interne Quellen der europäischen Grenzkontrollagentur Frontex zitierten, dass die Grenzpolizei Migranten mit Hunden gejagt, geschlagen und über die Grenze zurückgedrängt habe. Die Vorwürfe wurden vom Innenminister dementiert und er erklärte, dass die Grenzschutzbeamten nur dann Gewalt anwenden,
wenn die Situation es erfordert (USDOS 13.3.2020).
Es gibt Vorwürfe, dass die bulgarischen Behörden Migranten, die es schaffen bulgarisches
Territorium zu betreten, durch- und auch wieder ausreisen lassen, um sich der Verantwortung im Rahmen der Dublin-Verordnung oder der Rückübernahmeabkommen zu entziehen (AIDA
2.2020).
Der Zugang von Asylsuchenden zum bulgarischen Hoheitsgebiet bliebt auch 2019 stark eingeschränkt. Dem Innenministerium zufolge wurden insgesamt 2.495 Drittstaatsangehörige festgenommen, darunter 2.184 neu angekommene Asylwerber. Dies entspricht einem Rückgang von 23% im Vergleich zum 2018. Seit dem 1. Jänner 2017 gibt das Innenministerium die Zahl der verweigerten Einreisen ins Land in seinen öffentlich zugänglichen Statistiken nicht mehr bekannt. 2019 haben 309 Asylsuchende an den Grenzen internationalen Schutz beantragt aber nur 2% von ihnen (d.h. 12 Personen) hatten Zugang zum Asylverfahren. Die restlichen 98% kamen in die Schubhaftzentren des Innenministeriums (AIDA 2.2020).
Einzelne Übergriffe von staatlichen Organen auf Migranten und Asylwerber in Bulgarien sind nicht völlig auszuschließen. Ein systematisches Vorgehen von Misshandlungen und/oder herabwürdigender Behandlung durch die bulgarischen Sicherheitskräfte besteht laut Einschätzung des BM.I-Verbindungsbeamten jedoch nicht. Das Disziplinarsystem innerhalb des Innenministeriums wird strikt ausgelegt, und die Täter hätten mit sofortiger Entlassung zu rechnen (VB
31.1.2017).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
EMN – European Migration Network (6.6.2020): Annual Report on Migration and Asylum 2019, https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/00_eu_arm2019_synthesis_report_final _en_0.pdf , Zugriff 20.7.2020
SAR – State Agency for Refugees (o.D.a): Verfahrensschritte zur Gewährung internationalen Schutzes – Rechte und Pflichten (????? ?? ???????????? ?? ???????????? ?? ???????????? ???????
– ????? ? ??????????), https://aref.government.bg/index.php/en/node/42 , Zugriff 20.7.2020 • SAR – State Agency for Refugees (o.D.b): Dublin-Verfahren (???????????? ?? ??????), https: //aref.government.bg/index.php/bg/node/43 , Zugriff 20.7.2020
UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (9.2019): Bulgaria Factsheet, https:
//reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/73117_0.pdf , Zugriff 20.7.2020
USDOS – US Department of State (13.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019
– Bulgaria, https://www.ecoi.net/en/document/2027508.html , Zugriff 20.7.2020
VB des BM.I Bulgarien (15.7.2020): Bericht des VB, per E-Mail
VB des BM.I Bulgarien (31.1.2017): Bericht des VB, per E-Mail
Dublin-Rückkehrer
Letzte Änderung: 29.07.2020
Dublin-Rückkehrer haben grundsätzlich Zugang zum Asylverfahren in Bulgarien. Nach Rücküberstellungen auf der Grundlage der Dublin-Verordnung wird das Asylverfahren regelmäßig eingeleitet bzw. wieder aufgenommen, dabei wird je nach Verfahrensstand unterschieden (UNHCR 17.12.2018):
Eine Person, die noch keinen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat, hat die Möglichkeit einen Erstantrag zu stellen (UNHCR 17.12.2018).
Bei Dublin-Rückkehrern, die in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt haben, der ohne inhaltliche Prüfung abgeschlossen wurde, wird das Verfahren automatisch wieder eröffnet. Ein Verfahren wird nach bulgarischem Asyl- und Flüchtlingsgesetz (AuFG) ausgesetzt, wenn die asylsuchende Person innerhalb von 10 Werktagen nicht zu einem Termin mit den Behörden erscheint oder ihre Adresse ändert, ohne die Behörde davon in Kenntnis zu setzen. Nach weiteren drei Monaten wird das Asylverfahren beendet, wenn die asylsuchende Person sich nicht bei den Behörden meldet (UNHCR 17.12.2018; vgl. BAMF-BMI 5.2019).
Wurde das Asylgesuch auf der Grundlage einer inhaltlichen Prüfung abgewiesen, besteht die Möglichkeit, erneut einen Asylantrag zu stellen. Dieser Antrag wird als Folgeantrag betrachtet und ist nur zulässig, wenn er neue Elemente enthält. Wird der Folgeantrag für zulässig erklärt, was in der Praxis selten der Fall ist, wird der Antrag im regulären Verfahren geprüft. Eine Prüfung im regulären Verfahren erfolgt auch dann, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit nicht innerhalb von 14 Tagen ergeht (UNHCR 17.12.2018).
Die Aufnahmebedingungen von Personen, die unter der Dublin-Verordnung zurückkehren, sind abhängig vom Verfahrensstand (UNHCR 17.12.2018). Vor der Ankunft der Dublin-Rückkehrer informiert SAR die Grenzpolizei über die voraussichtliche Ankunft und gibt an, ob der Rückkehrer in ein Asylaufnahmezentrum oder in ein Schubhaftzentrum zu überstellen ist (AIDA 2.2020):
Wer sich in einem laufenden Asylverfahren befindet, wird in ein Unterbringungszentrum der SAR gebracht (AIDA 2.2020).
Eine Person, die noch keinen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat, kann bei der Ankunft in einem der von der Direktion für Einwanderung verwalteten Zentren für die vorübergehende Unterbringung vor der Abschiebung (Special Centre for the Temporary Accommodation of Foreigners, SCTAF) gebracht werden. Nach Stellen eines Asylantrags wird sie jedoch in ein Aufnahmezentrum der Flüchtlingsagentur SAR überstellt (UNHCR 17.12.2018).
Auch Personen, deren Verfahren wiedereröffnet wurde, werden in ein Aufnahmezentrumgebracht. UNHCR hat in letzter Zeit keine Fälle beobachtet, in denen einem Dublin-Rückkehrer, dessen Verfahren noch nicht abgeschlossen war, der Zugang zu Aufnahmezentren verweigert wurde. Dies kann jedoch grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, wenn diese ihre volle Kapazität erreichen (UNHCR 17.12.2018).
Personen, deren Asylantrag bereits inhaltlich geprüft und abgewiesen wurde, werden in einem geschlossenen Zentrum untergebracht. Während des anschließenden Zulässigkeitsverfahrens kommt es darauf an, ob der asylsuchenden Person die negative Erstentscheidung vor deren Ausreise aus Bulgarien zugestellt wurde oder nicht. Ist Letzteres der Fall, wird sie einem Aufnahmezentrum zugewiesen. Wurde die Entscheidung der asylsuchenden Person allerdings vor deren Ausreise aus Bulgarien bereits zugestellt und nicht innerhalb der Frist angefochten, wird sie inhaftiert und in ein geschlossenes Zentrum (SCTAF) gebracht. Die Haft kann während des Zulässigkeitsverfahrens andauern. Auch wenn dies nicht der Fall ist, werden sie jedoch keinem regulären Aufnahmezentrum zugewiesen und haben auch keinen Anspruch auf Verpflegung, Unterkunft oder Sozialhilfe (UNHCR 17.12.2018; vgl. AIDA 2.2020; BAMF-BMI 5.2019).
In der Praxis werden in Sofia ankommende Personen nach der Überstellung unterrichtet, dass sie verpflichtet sind, sich bei der staatlichen Asylbehörde vorzustellen, meist schon am folgenden Tag. Wenn sie dort vorstellig werden, erhalten sie die Entscheidung, dass das Verfahren
wiedereröffnet wird zusammen mit der ’take-back’ Entscheidung (UNHCR 26.3.2019).
Bezüglich der Anschlussversorgung depressiver Dublin-Rückkehrer teilt SAR mit, dass bei vulnerablen Personen mit spezifischen Bedürfnissen, einschließlich Personen mit psychischen und psychiatrischen Problemen, deren spezifischer Zustand berücksichtigt wird. Gegenwärtig entsprechen das nationale System für internationalen Schutz in Bulgarien und die nationale Gesetzgebung im Bereich des Asyls der Gesetzgebung der EU mit sämtlichen Mindeststandards, einschließlich für die Aufnahmebedingungen. Als EU-Mitglied hält sich Bulgarien an die EU-Asylpolitik und –Gesetzgebung. Im Falle eines depressiven Dublin-Rückkehrers wird das
Verfahren wieder aufgenommen und die Person hat alle in der Gesetzgebung vorgesehenen Rechte eines Asylwerbers, einschließlich das Recht auf psychologische Hilfe. Bei der Aufnahme einer Person mit speziellen Bedürfnissen werden Experten mit der jeweiligen medizinischen Qualifikation zugezogen und die betroffene Person wird medizinisch, bzw. psychologisch betreut. Die Psychologen von SAR und die NGOs Zentrum ’Nadya’ IOM und das Bulgarische Rote Kreuz leisten selbstmordgefährdeten Dublin-Rückkehrer in Bulgarien Hilfe. Folgende Dienstleistungen werden angeboten: psychologische Beratung, Psychotherapie, psychiatrische Beratung, individuelle Einschätzung des psychologischen Verhaltens, Erstellen von Zertifikaten für psychologische und psychisch-gesundheitliche Folgen eines Traumas (VB 20.6.2017).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
BAMF-BMI – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Bundesministerium des Innern (Deutschland) (5.2019): Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylwerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/68 3266/684671/684878/684880/684924/20138868/21716440/Deutschland___Botschaft_%28Bulg arien%29%2C_Aktuelle_Entwicklungen_zur_Rechtslage_und_Situaton_von_Asylbewerbern_u nd_anerkannt_Schutzberechtigten_in_Bulgarien%2C_2019.pdf?nodeid=21726048&vernum=-2 , Zugriff 20.7.2020
UNHCR Representation in Germany – Die Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver-einten Nationen in Deutschland (26.3.2019): Auskunft des UNHCR, https://milo.bamf.de/milop/cs. exe/fetch/2000/702450/683266/687377/687464/687466/687288/20122890/United_Nations___H igh_Commissioner_for_Refugees___Amt_des_Vertreters_in_der_Bundesrepublik_Deutschland
_%28Berlin%29%2C_26%2E03%2E2019%2C_ohne_Az.pdf?nodeid=20149532&vernum=-2 ,
Zugriff 20.7.2020
UNHCR Representation in Germany – Die Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver-einten Nationen in Deutschland (17.12.2018): Auskunft des UNHCR, https://milo.bamf.de/milop/l ivelink.exe/fetch/2000/702450/683266/687377/687464/687466/687288/19129797/United_Natio ns___High_Commissioner_for_Refugees___Amt_des_Vertreters_in_der_Bundesrepublik_Deu tschland__Berlin_%2C_17%2E12%2E2018%2C_ohne_Az.pdf?nodeid=20024439&vernum=-2 , Zugriff 20.7.2020
VB des BM.I Bulgarien (20.6.2017): Auskunft SAR, per E-Mail
Non-Refoulement
Letzte Änderung: 29.07.2020
Schutz vor Refoulement ist eine Erwägung in der Zulässigkeitsprüfung und unerlässlich für sichere Dritt- und Herkunftsstaaten (AIDA 2.2020).
Menschenrechtsorganisationen zufolge wendet Bulgarien Gewalt und sogenannte ’Pushbacks’ an, um Migranten von seinem Territorium fernzuhalten (AIDA 2.2020; vgl. BM 2.3.2020; USDOS
11.3.2020).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
BM – Boardermonitoring Bulgaria (2.3.2020): Bulgaria ist not changing its push-back policy at its border to Turkey, https://bulgaria.bordermonitoring.eu/ , Zugriff 20.7.2020
USDOS – US Department of State (13.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019
– Bulgaria, https://www.ecoi.net/en/document/2027508.html , Zugriff 20.7.2020
Versorgung
Grundversorgung
Letzte Änderung: 29.07.2020
Asylwerber haben laut Gesetz das Recht auf materielle Versorgung während des Asylverfahrens. Wenn es für Neuankömmlinge nicht genug Unterbringungsplätze geben sollte, werden in der Praxis solche ohne eigene Mittel prioritär untergebracht. Spezifische Bedürfnisse und das Armutsrisiko (finanzielle Mittel, Arbeitsmöglichkeiten, Arbeitserlaubnis, Zahl der abhängigen Familienmitglieder, etc.) werden in jedem Fall bewertet. Mit Erhalt der Asylwerbekarte, welche die Verfahrensidentität bestätigt, ist das Recht sich in Bulgarien aufzuhalten, auf Unterbringung und Versorgung, sowie auf Sozialhilfe im selben Ausmaß wie bulgarische Staatsbürger und auf Krankenversicherung, medizinische Versorgung, psychologische Versorgung und Bildung gegeben. 2015 wurde die Auszahlung der Sozialhilfe für Asylwerber eingestellt. Dies wird von den Behörden damit begründet, dass sie in den Aufnahmezentren mit Lebensmitteln versorgt werden (AIDA 2.2020; vgl. UNHCR 17.12.2018). Spezielle Bedürfnisse können daher nicht mehr angemessen berücksichtigt werden, was besonders für Familien mit kleinen Kindern, chronisch kranke und ältere Menschen problematisch ist (UNHCR 17.12.2018). Um außerhalb des Aufnahmezentrums zu wohnen, müssen Asylwerber schriftlich erklären, dass sie über ausreichende Ressourcen verfügen, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, was sie automatisch vom Recht auf die monatliche finanzielle Unterstützung ausschließt (AIDA 2.2020).
Folgeantragsteller erhalten keine Asylwerberkarte und haben auch kein Recht auf materielle
Versorgung. Sie haben lediglich ein Recht auf Übersetzerleistungen während die Zulässigkeit ihres Folgeantrags im Eilverfahren geprüft wird. Wurde der Folgeantrag nur eingebracht, um die Außerlandesbringung zu verzögern, besteht auch kein Recht auf Verbleib im Land. Die Zulässigkeit muss binnen 14 Tagen geklärt werden (AIDA 2.2020).
Falls das Asylverfahren aus objektiven Umständen länger als drei Monate dauert, haben die Asylwerber noch während des Asylverfahrens Zugang zum Arbeitsmarkt. 2019 wurden 101
Arbeitserlaubnisse für Asylwerber im laufenden Verfahren erteilt; 72 Personen haben danach eine Beschäftigung angenommen. In der Praxis ist der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund der Sprachbarriere, genereller Rezession und hoher Arbeitslosenzahlen jedoch schwierig (AIDA
2.2020).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
UNHCR Representation in Germany – Die Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver-einten Nationen in Deutschland (17.12.2018): Auskunft des UNHCR, https://milo.bamf.de/milop/l ivelink.exe/fetch/2000/702450/683266/687377/687464/687466/687288/19129797/United_Natio ns___High_Commissioner_for_Refugees___Amt_des_Vertreters_in_der_Bundesrepublik_Deu tschland__Berlin_%2C_17%2E12%2E2018%2C_ohne_Az.pdf?nodeid=20024439&vernum=-2 , Zugriff 20.7.2020
Unterbringung
Letzte Änderung: 29.07.2020
Bulgarien verfügt über Unterbringungszentren in Sofia (Ovcha Kupel, Vrazhdebna und Voenna
Rampa), Banya und Pastrogor sowie Harmanli, die von der Migrationsbehörde (SAR) verwaltet werden. Im Dezember 2018 wurde das Aufnahmezentrum Vrazhdebna in Sofia von der SAR geschlossen und im Mai 2019 wiedereröffnet. Vrazhdebna wurde mit EU-Mitteln vollständig renoviert (AIDA 2.2019). Die Kapazität der Unterbringungszentren betrug zwischen Ende Dezember 2019 5.330 Plätze (5.190 Plätze in Aufnahmezentren und 140 in Privatunterkünften) (AIDA 2.2020).
Die Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen, einschließlich der Verpflegung für Migranten und Asylwerber sind nach wie vor inadäquat, obwohl die Zahl der nach Bulgarien einreisenden Personen deutlich zurückgegangen ist (AI 16.4.2020). Die Lebensbedingungen in den staatlichen Aufnahmezentren bis auf in Vrazhdebna und in der Sicherheitszone für unbegleitete Minderjährige in Voenna Rampa sind trotz der von der SAR regelmäßig durchgeführten Teilrenovierungen nach wie vor schlecht und liegen unter den Mindeststandards oder erfüllen diese knapp, vor allem in Bezug auf die sanitären Anlagen (AIDA 2.2019; vgl. UNHCR 9.2019). Darüber hinaus beklagten sich die Bewohner aller Aufnahmezentren außer in Vrazhdebna über die insgesamt schlechten hygienischen Umstände, insbesondere aber über Bettwanzen, die regelmäßig zu Gesundheitsproblemen führen. Wo immer möglich, erfolgt die Unterbringung von Familien ohne deren Trennung. Auf die Trennung der verschiedenen Nationalitäten wird geachtet. Asylwerber können mit Erlaubnis auf eigene Kosten auch außerhalb eines Zentrums leben, verlieren dann aber das Recht auf Unterbringung und soziale Unterstützung. Gegen Verweigerung der Unterbringung ist binnen sieben Tagen ein gerichtliches Rechtsmittel möglich (AIDA 2.2020).
Das Land verfügt über zwei Schubhaftzentren: Busmantsi (400 Plätze) und Lyubimets (300 Plätze). Der Betrieb des geschlossenen Verteilerzentrums Elhovo wurde im Februar 2017 eingestellt. Das Aufnahmezentrum Pastrogor kann gegebenenfalls auch als geschlossenes Zentrum verwendet werden. Die Haftbedingungen werden vor allem bezüglich Hygiene kritisiert. Medizinische Versorgung ist nicht in jedem Haftzentrum täglich verfügbar. Die Sprachbarriere und Mangel an Medikamenten stehen ebenfalls unter Kritik (AIDA2.2020), ebenso wie unter anderem unzureichende Verpflegung, zu kurzer Aufenthalt im Freien, fehlende spezielle Voraussetzungen für Familien, fehlender Zugang zu Toiletten in der Nacht und der Mangel an qualifizierten Dolmetschern (FRA 5.2019; vgl. CoE-CPT 11.7.2019).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
AIDA – Asylum Information Database (2.2019): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2018update.pdf , Zugriff 20.7.2020
AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 - Bulgiaria [EUR 01/2098/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028188.html , Zugriff 20.7.2020
CoE-CPT – Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (11.7.2019): Report to the Bulgarian Government on the visit to Bulgaria carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman
or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 10 to 17 December 2018 [CPT/Inf (2019) 24], https://www.ecoi.net/en/file/local/2012591/2019-24-inf-eng.docx.pdf , Zugriff 20.7.2020
FRA – European Agency for Fundamental Rights (5.2019): Migration: key fundamental rights concerns, https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2019-migration-bulletin-2_en.pdf , Zugriff 20.7.2020
UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (9.2019): Bulgaria Factsheet, https:
//reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/73117_0.pdf , Zugriff 20.7.2020
VB des BM.I Bulgarien (15.7.2020): Bericht des VB, per E-Mail
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 29.07.2020
Asylwerber in Bulgarien haben nach wie vor Zugang zu medizinischer Versorgung im selben
Ausmaß wie bulgarische Staatsbürger (AIDA 2.2020; vgl. UNHCR 17.12.2018), das umfasst auch den Zugang zu psychologischer/psychiatrischer Versorgung (UNHCR 17.12.2018). Asyl-
werber, die sich für eine Unterkunft außerhalb der Aufnahmezentren entscheiden oder denen keine Unterkunft gewährt wird, haben keinen Zugang zu psychologischer Unterstützung. Der Zugang zu medizinischer Grundversorgung ist ansonsten gewährleistet, unabhängig vom Wohnort der Asylwerber (AIDA 2.2020).
SAR ist verpflichtet Asylwerber krankenzuversichern. In der Praxis haben Asylwerber mit denselben Problemen zu kämpfen wie Bulgaren (AIDA 2.2020), da das nationale Gesundheitssystem große materielle und finanzielle Defizite aufweist (AIDA 2.2020; vgl. BTI 29.4.2020; OECD/EO 29.10.2019). In dieser Situation ist spezielle Betreuung für Folteropfer und Traumatisierte nicht verfügbar. Wenn das Recht auf Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, entzogen wird, betrifft das auch das Recht auf medizinische Versorgung. Medizinische Grundversorgung ist in den Unterbringungszentren gegeben, und zwar entweder durch eigenes medizinisches Personal oder Nutzung der Notaufnahmen lokaler Hospitäler. Alle Zentren verfügen über medizinische Behandlungsräume (AIDA 2.2020).
Fehlende Dolmetscher und die mangelnde Bereitschaft einiger Ärzte, Asylsuchende als Patienten zu registrieren, stellen jedoch praktische Hindernisse beim Zugang zu medizinischer Versorgung dar. Zudem umfasst die Versicherung nicht alle medizinischen Behandlungen und Medikamente. Insbesondere bei schweren und chronischen Erkrankungen können einige Behandlungen nur teilweise erstattet werden. Ohne finanzielle Unterstützung stoßen Asylsuchende auf Schwierigkeiten, diese zusätzlichen Kosten zu decken. Das Bulgarische Rote Kreuz verfügt über einen kleinen Fonds, der hauptsächlich von UNHCR finanziert wird, um die Kosten für medizinische Versorgung und Medikamente für eine begrenzte Anzahl extrem vulnerabler Asylsuchender zu decken. In der Praxis wird psychologische Unterstützung in den Aufnahmezentren von NGOs geleistet, die auf Projektbasis finanziert wird, und nicht in allen Zentren auf dem gleichen Niveau und in gleicher Häufigkeit angeboten werden kann. Die Nachhaltigkeit dieser Dienstleistungen ist entsprechend nicht gewährleistet (UNHCR 17.12.2018).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2020): Country Report: Bulgaria, https://www.asylumineu rope.org/sites/default/files/report-download/aida_bg_2019update.pdf , Zugriff 20.7.2020
BTI – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bulgaria,https://www.ecoi.net/en/file/local/2029432/country_report_2020_BGR.pdf , Zugriff 20.7.2020
MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail
OECD/EO – Organisation for Economic Co-operation and Development/European Observatory on Health Systems and Policies (29.10.2019): Bulgaria: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/34781ac1-en.pdf?expires=1594814329&id=id
&accname=guest&checksum=975003598D2DE0B62B342C613516F30C , Zugriff 20.7.2020
UNHCR Representation in Germany – Die Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver-einten Nationen in Deutschland (17.12.2018): Auskunft des UNHCR, https://milo.bamf.de/milop/l ivelink.exe/fetch/2000/702450/683266/687377/687464/687466/687288/19129797/United_Natio ns___High_Commissioner_for_Refugees___Amt_des_Vertreters_in_der_Bundesrepublik_Deu tschland__Berlin_%2C_17%2E12%2E2018%2C_ohne_Az.pdf?nodeid=20024439&vernum=-2 , Zugriff 20.7.2020
WHO – World Health Organisation (2018): Bulgaria – Health system review, http://www.euro.who.i nt/__data/assets/pdf_file/0005/383054/HiT-Bulgaria-2018-web.pdf?ua=1 , Zugriff 20.7.2020
Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Bulgarien wurden bisher 424.295 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher diesbezügliche 18.205 Todesfälle bestätigt wurden (https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/dashboards/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6, abgerufen am 29.07.2021).
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass die Identität für das Verfahren des BF aufgrund der gleichlautenden Angaben in Bulgarien und Österreich sowie aufgrund der damit in Einklang stehenden Kopie des Personalausweises feststehe. Die Feststellung der Staatsangehörigkeit ergebe sich aus den glaubhaften, nachvollziehbaren Angaben sowie den Sprachkenntnissen. Dass der BF an schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leide oder von einer Immunschwäche betroffen sei, habe der BF weder behauptet noch sei dies aus der Aktenlage ersichtlich. Der BF habe in der Einvernahme am 27.07.2021 angegeben, dass er gesund wäre. Er habe Schwierigkeiten mit den Augen, da er bei seiner Einreise nach Österreich durch einen Ast am Auge verletzt worden wäre. Er sei bei einem Arzt gewesen und dieser hätte das Auge gereinigt und ihm Augentropfen verschrieben. Es seien laut BFA im gesamten Verfahren keine Hinweise auf eine schwere, lebensbedrohende Erkrankung, die einer Überstellung nach Bulgarien entgegenstehen würden, hervorgekommen.
3. Gegen den vorzitierten Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer durch seine Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde und stellte gleichzeitig den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF habe behauptet, in Bulgarien rund einen Monat gewesen zu sein und davon 27 Tage inhaftiert gewesen zu sein. Er habe die Befürchtungen geäußert, dass er in Bulgarien aufgrund der prekären Versorgungs- und Arbeitsmarktlage nicht in der Lage sein werde, seine sieben Kinder zu versorgen. Darüber hinaus befinde sich der Cousin seiner Frau in Österreich. Er habe ihn mit Kleidung unterstützt, habe ihn aber wegen der Quarantäne nicht persönlich gesehen, dann sei er nach Kärnten verlegt worden. Auszugsweise seien Berichte über Bulgarien vom August 2019 in der Beschwerde wiedergegeben worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang.
Am 12.07.2021 wurde seitens des BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gem.
Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Bulgarien gestellt mit Verweis auf die angegebene Reiseroute des BF und seine angegebene Asylantragstellung in der Bulgarien.
Mit Schreiben vom 15.07.2021 wurde von Seiten der bulgarischen Asyl- und Fremdenbehörde mitgeteilt, dass diese der Wiederaufnahme des BF ausdrücklich gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b
Dublin III-VO zustimmen.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Bulgarien an.
Konkrete, in der Person des BF gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen würden, liegen nicht vor.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Überstellung nach Bulgarien Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Ein Sachverhalt, der die Zuständigkeit Bulgariens beendet hätte, liegt nicht vor. Der BF hat nach Asylantragstellung in Bulgarien das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht für mindestens drei Monate verlassen.
Der BF leidet an keinen akut lebensbedrohenden Krankheiten, aufgrund einer Augenverletzung wurde ihm eine Augensalbe verschrieben, er ist auch nicht immungeschwächt. Der BF gehört keiner COVID-19-Risikogruppe an.
Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des BF nach Bulgarien. Die sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Im österreichischen Bundesgebiet befindet sich ein Cousin der Ehefrau des BF. Eine finanzielle Abhängigkeit oder eine besonders enge Beziehung zu dem Genannten besteht nicht. Der BF lebt in keiner Familiengemeinschaft und keiner familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Sonstige private oder berufliche Bindungen zu Österreich sind nicht vorhanden. Eine besondere Integrationsverfestigung des BF in Österreich besteht nicht.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Reiseweg des BF und der in Bulgarien erfolgten Asylantragstellung ergeben sich aus der Aktenlage im Zusammenhalt mit den vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie „1“ zu Bulgarien bzw Rumänien.
Die Feststellung hinsichtlich der Zustimmung Bulgariens zur Wiederaufnahme des BF nach
Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO beruhen auf dem durchgeführten Konsultationsverfahren, welches im Verwaltungsakt dokumentiert ist.
Die Feststellung, dass der BF seit seiner Asylantragstellung in Bulgarien das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht für mindestens drei Monate verlassen hat, beruht auf dessen eigenen Angaben zum Reiseweg. Ein zuständigkeitsbeendendes Element betreffend Bulgarien ist somit nicht ersichtlich.
Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, die auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Sofern Quellen älteren Datums herangezogen wurden, ist festzuhalten, dass sich hier keine maßgeblichen Änderungen ergeben haben. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Bulgarien auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin III-VO), samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen, wobei auch aktuelle Stellungnahmen von UNHCR in die Erwägungen eingeflossen sind.
Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das bulgarische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Insofern war aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die Sicherheitslage von Asylsuchenden in Bulgarien den Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung zu folgen. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderberichten klar und substantiell widersprechen würden, hat der BF nicht dargetan. Eine den BF konkret treffende Bedrohungssituation in Bulgarien wurde nicht ausreichend substantiiert vorgebracht (siehe auch unten).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand basieren auf den eigenen Angaben des BF, wonach er grundsätzlich gesund sei, es wurden einzig Augenprobleme aufgrund einer Verletzung behauptet und ein Rezept für eine Augensalbe übermittelt. Diesbezüglich wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren.
Die getroffenen Feststellungen zur aktuell vorliegenden COVID-19-Pandemie ergeben sich aus unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen (www.bing.com/covid/bulgarien). Es ist notorisch, dass die Mitgliedstaaten allesamt - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - vom Ausbruch der Pandemie betroffen sind und hier vor großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich stehen. Diesbezüglich wurden und werden in den einzelnen Ländern tagesaktuell entsprechende Maßnahmen gesetzt (beispielsweise die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen sowie teilweise die Vornahme von Grenzschließungen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr), welche die Ausbreitung von COVID-19 hintanhalten und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung - seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde - möglichst sicherstellen sollen. Für den Anwendungsbereich der Dublin III-VO bedeutet dies konkret, dass zahlreiche Mitgliedstaaten die Durchführung von Überstellungen temporär ausgesetzt haben, respektive keine sogenannten Dublin-Rückkehrer übernehmen, wobei die Mitgliedstaaten aufgrund der dynamischen Entwicklung der Situation im engen Austausch miteinander stehen, ebenso mit der Europäischen Kommission. Es ist davon auszugehen, dass Überstellungen erst dann wieder durchgeführt werden, wenn sich die Lage entspannt, sich die einzelnen Mitgliedstaaten wieder dazu im Stande sehen, die von ihnen übernommenen Dublin-Rückkehrer potentiell auch medizinisch zu versorgen und insofern insgesamt eine Situation eintritt, die mit jener vor Ausbruch der Pandemie vergleichbar ist. Die skizzierten derzeit bestehenden Überstellungshindernisse sind aus heutiger Sicht - aller Wahrscheinlichkeit nach - zeitlich begrenzt. Es ist davon auszugehen, dass Reisebewegungen jedenfalls in den Maximalfristen der Verordnung (vgl. Art. 29 Dublin III-VO) wiederaufgenommen werden können.
Die festgestellten persönlichen Verhältnisse des BF ergeben sich aus dessen eigenen Angaben und der damit im Einklang stehenden Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.
Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 17 AsylG 2005 idgF).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:
§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. ...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:
§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. ...
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) lauten:
Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
Art. 7 Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Art. 16 Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17 Ermessensklauseln