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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2021, I416 2169252-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 10. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. August 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das BVwG führte in seiner Begründung - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Relevanz - aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aufgrund vager, nicht nachvollziehbarer und widersprüchlicher Angaben als unglaubwürdig einzustufen sei. Sofern der Revisionswerber sich bei seinen Fluchtgründen auf eine Entführung im Jahr 2005 bzw. die Ermordung seines Onkels im Jahr 2018 durch die Milizen stütze, sei es dem Revisionswerber betreffend die Ermordung des Onkels im Jahr 2018 nicht gelungen, schlüssig dazulegen, weshalb er die Beweise nicht bereits früher in das Verfahren eingebracht und die Ermordung des Onkels auch nicht in einer Stellungnahme vom 17. Dezember 2020 erwähnt habe. Ebenso habe der Revisionswerber in seiner Erstbefragung nicht einmal rudimentär seine Entführung erwähnt und ein anders gelagertes Fluchtvorbringen erstattet. Vor dem Hintergrund einschlägiger Länderberichte sei eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner sunnitischen Konfession zu verneinen. Diese Annahme werde auch nicht zuletzt bereits durch die eigenen Angaben des Revisionswerbers untermauert, wonach er und seine gesamte Kernfamilie im Jahr 2013, nach ihrer ursprünglichen Ausreise im Jahr 2005, in den Irak zurückgekehrt seien. Zudem lebe ein Teil seiner Familie unbehelligt in Bagdad, ohne dass vorgebracht worden sei, dass diese einer Verfolgung ausgesetzt sei. Bezüglich einer Verfolgung aufgrund seines sunnitischen Namens stehe dem Revisionswerber eine Namensänderung frei. Es sei dem Revisionswerber in einer Gesamtschau nicht gelungen, eine aktuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr weder aufgrund seiner sunnitischen Konfession, noch aufgrund seines Namens oder seines familiären Hintergrundes im Irak glaubhaft zu machen. Auch aus dem Umstand, dass dem Vater des Revisionswerbers in Finnland der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, habe sich keine asylrelevante Verfolgung ableiten lassen. Bei einer Rückkehr in den Irak sei keine Gefahr der Verletzung der Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK zu gewärtigen. Der Revisionswerber sei jung, gesund, habe Arbeitserfahrung und keine Sorgepflichten. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad. Nach Einschätzung des UNHCR könne ein alleinstehender, körperlich leistungsfähiger arabisch-sunnitischer Mann im arbeitsfähigen Alter und ohne besondere Vulnerabilitäten auch ohne familiäre Unterstützung in der Stadt Bagdad bestehen. Exzeptionelle Umstände lägen nicht vor. Im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK setzte sich das BVwG sowohl mit der Aufenthaltsdauer von fünfeinhalb Jahren sowie mit dem Familien- und Privatleben des Revisionswerbers auseinander. Die Aufenthaltsdauer sei mit fünfeinhalb Jahre noch nicht dergestalt, dass das Interesse an einem Verbleib in Österreich automatisch überwiegen würde. Die Beziehung mit der Lebensgefährtin sei angesichts der Intensität und des gemeinsamen Wohnsitzes als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu werten, jedoch werde dies dadurch relativiert, dass sich der Revisionswerber im Zeitpunkt der Entstehung der Beziehung seines unsicheren Aufenthalts habe bewusst sein müssen. Es gebe keine Kinder aus dieser Beziehung und es bestehe kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis, wobei sich das BVwG in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu familiären Beziehungen unter Erwachsenen stützte. Weiter bezog es die bestehenden sozialen Kontakte, Unterstützungsschreiben und eine Einstellungszusage ebenso in seine Abwägung mit ein wie die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit und die Bindungen zum Herkunftsstaat und kam zu dem Schluss, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise des Revisionswerbers dessen private Interessen überwiegen würden.
5 Die dagegen erhobene Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlungs- und Begründungspflicht in Bezug auf das Fluchtvorbringen und die Sicherheitslage im Irak notwendige Ermittlungen unterlassen und damit einhergehend eine unvertretbare Beweiswürdigung durchgeführt und sich nicht damit auseinandergesetzt, dass dem Vater des Revisionswerbers in Finnland der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Darüber hinaus habe das BVwG eine unvertretbare Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen, da es die Beziehung des Revisionswerbers mit seiner Lebensgefährtin, den gemeinsamen Haushalt, die lange Aufenthaltsdauer und die Integrationserfolge nicht entsprechend gewürdigt hätte.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel zum Fluchtvorbringen sowie zur Sicherheitslage im Irak und damit einhergehend eine unvertretbare Beweiswürdigung - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 21.5.2021, Ra 2021/19/0143, mwN). Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0143, mwN).
10 Mit den Verweisen auf im Verfahren beigebrachte Urkunden und auf Länderberichte ohne konkrete Darlegung des Bezugs zum vorliegenden Fall wird die Relevanz der vorgebrachten Verfahrensmängel nicht aufgezeigt (zum Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. VwGH 3.3.2020, Ra 2019/18/0447, mwN). Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG ist im gegenständlichen Fall nicht ersichtlich und wird eine solche in der Revision nicht aufgezeigt.
11 Soweit sich die Revision gegen die vom BVwG im Rahmen der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wendet und deren Unvertretbarkeit behauptet, ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
Das BVwG hat - entgegen dem Revisionsvorbringen - im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK den fünfeinhalbjährigen Aufenthalt, die seit dem Frühjahr 2018 bestehende Beziehung zu seiner Freundin, mit welcher ein gemeinsamer Wohnsitz, jedoch kein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis bestehe, bestehende soziale Kontakte, Unterstützungsschreiben und eine Einstellungszusage ebenso berücksichtigt wie die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit und die Bindungen zum Herkunftsstaat. Es hat damit alle für und gegen den Revisionswerber sprechenden Umstände berücksichtigt und ist nach Abwägung der Umstände in vertretbarer Art und Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass die öffentlichen Interessen überwiegen würden (vgl. zur Vertretbarkeit der Abwägung nach Art. 8 EMRK VwGH 28.4.2021, Ra 2021/14/0131, mwN).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140216.L00Im RIS seit
03.11.2021Zuletzt aktualisiert am
03.11.2021