TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/7 Ra 2020/05/0232

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

AWG 2002 §1 Abs3
AWG 2002 §15 Abs5
AWG 2002 §79 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VStG §19
VStG §45 Abs1
VStG §45 Abs1 Z4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak sowie Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Braunau gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 9. September 2020, LVwG-500547/5/KH, betreffend Übertretung des AWG 2002 (mitbeteiligte Partei: J P in B, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1),

Spruch

1.   zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Beschwerdestattgebung (Ausspruch über die Ermahnung sowie über die Kostentragung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens und des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

2.   den Beschluss gefasst:

Im Übrigen - sohin in Bezug auf den unverändert gebliebenen Schuldspruch - wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis vom 19. Mai 2020 erkannte die revisionswerbende Bezirkshauptmannschaft den Mitbeteiligten als handelsrechtlichen Geschäftsführer der P GmbH der Übertretung des § 15 Abs. 5 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) für schuldig, weil die P GmbH, welche gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig sei, am 20. November 2019 im Standort I nicht gefährliche Abfälle, und zwar mindestens sechs Altreifen, entgegen § 15 Abs. 5 AWG 2002 einem nicht Berechtigten übergeben habe. Über den Mitbeteiligten wurde eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.100,-- (sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen und zwölf Stunden) verhängt. Weiters wurde der Mitbeteiligte zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe verpflichtet.

2        Die Möglichkeit der Ermahnung nach § 20 bzw. § 45 Abs. 1 Z 4 VStG verneinte die revisionswerbende Partei mit der Begründung, die P GmbH sei als Sammler von nicht gefährlichen Abfällen und somit gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig. Es lägen keine Milderungsgründe vor und das Verschulden sei nicht als geringfügig anzusehen. Ebenso sei die Bedeutung des geschützten Rechtsgutes, nämlich der Schutz der Umwelt und der Nachhaltigkeit, nicht als gering anzusehen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde insofern statt, als von der Verhängung einer Geldstrafe abgesehen und stattdessen unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens eine Ermahnung erteilt wurde. Der Mitbeteiligte habe weder einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens noch zu jenen des Verwaltungsstrafverfahrens zu leisten. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die abgelagerten Reifen, die noch über Profil verfügt hätten und noch nicht abgefahren gewesen seien, seien vom Mitbeteiligten zur Entnahme im Bedarfsfall außerhalb der Mulde, in der von der P GmbH gesammelte Altreifen am Betriebsgelände gelagert worden seien, bereitgelegt worden. Bei den Reifen habe es sich zum Zeitpunkt des Aussortierens bzw. getrennten Lagerns bereits um Abfälle im subjektiven Sinn gehandelt. Die Reifen seien zuvor augenscheinlich überprüft und jene, die noch als fahrtauglich eingeschätzt worden seien, seien separat für eine eventuelle Entnahme bereitgestellt worden. Es sei davon auszugehen, dass deren Verwendung keine Gefahr im Straßenverkehr dargestellt hätte. Die Bedeutung des gegenständlich geschützten Rechtsgutes sei somit als gering einzuschätzen. Ebenso sei die Intensität der Beeinträchtigung durch die Erlaubnis an T, aus separat gelagerten und zuvor augenscheinlich kontrollierten Reifen einige zu entnehmen, als gering einzustufen, da bei bestimmungsgemäßer Verwendung keine Gefahr von den Reifen ausgegangen wäre. Auch das Verschulden des Mitbeteiligten sei als gering einzustufen, da er die Reifen augenscheinlich kontrolliert und nur jene zur Entnahme freigegeben habe, die noch nicht abgefahren gewesen seien. Das Motiv des Mitbeteiligten, aus seiner Sicht noch gebrauchsfähige Reifen unentgeltlich zur Entnahme für Personen bereitzustellen, die finanziell schlechter gestellt seien, sei keineswegs als verwerflich zu werten. Das Verschulden des Mitbeteiligten sei daher als gering anzusehen.

5        Da eine völlige Straflosigkeit möglicherweise unerwünschte Beispiels- und Folgewirkungen nach sich ziehen könnte, dürfe die Verwaltungsstraftat nicht sanktionslos bleiben. Aufgrund der besonderen Sachverhaltslage könne jedoch mit der Erteilung einer Ermahnung unter gleichzeitigem Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Mitbeteiligten das Auslangen gefunden werden.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Zur Zulässigkeit wird in der Revision ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe den Begriff des geringen Verschuldens entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes interpretiert. Auch im Hinblick auf die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes sei es von der Rechtsprechung abgewichen, weil es lediglich eine mögliche Gefahr bei der weiteren Verwendung der Reifen im Straßenverkehr, nicht jedoch die strafrechtlich geschützten Rechtsgüter der „Umwelt“ und der „menschlichen Gesundheit“ und die Intensität deren Beeinträchtigung geprüft habe. Außerdem habe das Verwaltungsgericht die subjektive Vorwerfbarkeit des rechtswidrigen Verhaltens nicht geprüft.

8        Die Zulässigkeitsausführungen beziehen sich ausschließlich auf den Ausspruch der Ermahnung. Da hinsichtlich des Schuldspruchs kein Vorbringen erstattet wurde, war die Revision aufgrund der Trennbarkeit der diesbezüglichen Absprüche (vgl. etwa VwGH 18.12.2018, Ra 2016/04/0148; 25.2.2020, Ra 2019/09/0108; 5.7.2021, Ra 2019/17/0056) in der Schuldfrage gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. Damit ist dem Verwaltungsgerichtshof eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Hinblick auf das Aussortieren der verfahrensgegenständlichen Reifen (allenfalls Vorbereitung zur Wiederverwendung) die Abfalleigenschaft derselben überhaupt gegeben war, verwehrt.

9        Grundsätzlich handelt es sich - wie sowohl die revisionswerbende Partei als auch der Mitbeteiligte hervorheben - bei der Frage der Zulässigkeit einer Ermahnung um eine Wertungsfrage im Einzelfall, die keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG darstellt (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/09/0088). Allerdings setzt diese Ermessensentscheidung voraus, dass die in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen (vgl. VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167).

10       Die näher ausgeführte Zulässigkeitsbegründung zielt darauf ab, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung, es lägen die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Ermahnung vor, grob fehlerhaft erfolgt sei. Die Revision erweist sich diesbezüglich als zulässig und begründet.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG voraus, dass die dort genannten Umstände kumulativ vorliegen. Um daher eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift oder - wie im vorliegenden Fall - eine Ermahnung im Sinne des § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG vornehmen zu können, müssen erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/09/0209).

12       So hat das Verwaltungsgericht zum strafrechtlich geschützten Rechtsgut ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Verwendung der Reifen keine Gefahr im Straßenverkehr darstellen würde, weshalb die Bedeutung des gegenständlich geschützten Rechtsgutes als gering einzuschätzen sei. Damit verkennt das Verwaltungsgericht allerdings, dass es sich bei der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht per se um ein geschütztes Rechtsgut des AWG 2002 handelt. Betrachtet man die Sicherheit des Straßenverkehrs jedoch unter dem Aspekt einer möglichen Gesundheitsgefährdung von Menschen, so handelt es sich hierbei um ein geschütztes Rechtsgut des AWG 2002, jedoch nicht um das einzige. Vielmehr hätte sich das Verwaltungsgericht mit den in § 1 Abs. 3 AWG 2002 genannten öffentlichen Interessen auseinandersetzen und eine diesbezügliche Beurteilung der Bedeutung der Schutzgüter vornehmen müssen. Ziel der in § 15 Abs. 5 AWG 2002 normierten Übergabepflicht an einen zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten ist insbesondere der Schutz der Umwelt. Dieser Aspekt wurde vom Verwaltungsgericht überhaupt nicht beachtet, obwohl jener von der belangten Behörde als Begründung dafür herangezogen worden war, dass die Voraussetzungen für eine Ermahnung nicht vorliegen.

13       Die Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes findet ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens (vgl. u.a. VwGH 19.6.2018, Ra 2017/02/0102). Bei der gegenständlichen Übertretung ist als Strafrahmen nach § 79 Abs. 2 AWG 2002 eine Geldstrafe von € 450,-- bis € 8.400,--, für gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft Tätige eine Mindeststrafe von € 2.100,-- vorgesehen. Der Strafrahmen spricht daher gegen eine geringe Bedeutung der geschützten Rechtsgüter, zumal es sich beim Mitbeteiligten um den Geschäftsführer einer gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätigen Gesellschaft handelt.

14       Auch im Hinblick auf das Verschulden des Mitbeteiligten ist die Beurteilung des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar. Es handelt sich beim Mitbeteiligten um einen gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft Tätigen. In einem ähnlichen Fall hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass das tatbildmäßige Verhalten des Beschuldigten nicht erheblich hinter dem in der Strafdrohung des § 79 Abs. 2 AWG 2002 typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt zurückgeblieben ist (vgl. VwGH 28.1.2010, 2009/07/0210). Warum dies im konkreten Fall anders sein sollte, wird vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend begründet.

15       Dadurch, dass das Verwaltungsgericht eine Ermahnung ausgesprochen hat, ohne die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG entsprechend zu prüfen und zu begründen, hat es das Erkenntnis insoweit mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang des Strafausspruchs (Ermahnung) und des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Ausspruchs über die Verfahrenskosten wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 7. Oktober 2021

Schlagworte

Ermessen VwRallg8

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020050232.L00

Im RIS seit

03.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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