Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des T in S, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. August 1995, Zl. 4.343.193/6-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger. Er verließ sein Heimatland am 25. Juni 1993. Am 17. Juli 1993 reiste er von Ungarn illegal die Grenze überquerend, in das Bundesgebiet ein und am darauffolgenden Tag Richtung Köln/BRD wiederum aus. Beim Bundesamt für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Außenstelle Köln, stellte er einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 21. Juli 1993 abgewiesen wurde. Alleiniger Abweisungsgrund war dabei die Einreise aus einem sicheren Drittstaat (=Österreich). In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 27. Juli 1993 nach Österreich rückgeschoben, und stellte noch am selben Tag den Asylantrag. Anläßlich seiner am 2. August 1993 erfolgten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt wurde zu seinen Fluchtgründen folgende Aussage festgehalten:
"Ich werde seit drei Jahren von den iranischen Behörden verfolgt. Gegen mich besteht ein Haftbefehl.
Ich werde gefragt weswegen ich verfolgt werde und weshalb gegen mich ein Haftbefehl erlassen wurde. Dazu gebe ich an, daß ich vor 16 Jahren begonnen habe für eine Organisation namens Democratic Khalgh zu arbeiten. Diese Organisation ist gegen Kapitalismus und ist für eine sozial-kommunistische Gesellschaft. Den Namen des Führers dieser Organisation gebe ich nicht preis. Ich habe während dieser Zeit Zeitschriften und Flugblätter verteilt, außerdem besuchte ich Kurse, die die Ideologie dieser Organisation zum Ziele hatten. Die Zeitschrift heißt genauso wie unsere Gruppierung.
Ich war wegen meines Engagements mehrere Male in Haft. Ich wurde insgesamt zwei Mal verhaftet. Vor acht Jahren, nach persischer Zeitrechnung im Jahre 1364, wurde ich zu 31 Monaten Haft verurteilt. Ich saß diese Strafe in Teheran, im Evin-Gefängnis, ab. Es gab keine ordentliche Gerichtsverhandlung, ich wurde willkürlich eingesperrt. Mein Onkel hat dann eine Kaution hinterlegt. Bei meiner Freilassung wollte man dann von mir eine Unterschrift haben, daß ich nie wieder gegen die islamische Republik tätig werde. Ich habe diese Unterschrift aber verweigert. Ich glaubte, daß damit die Angelegenheit erledigt sei und man mich in Ruhe lassen werde. Außerdem hatte ich noch eine Mutter zu Hause, deshalb bin ich nicht weggegangen.
Ich werde über die Haftbedingungen gefragt. Dazu gebe ich an, daß ich die ersten eineinhalb Monate in Einzelhaft war, dann bin ich zusammen mit drei anderen Iranern in einer Zelle gesessen. Ich wurde dort sehr oft einvernommen. Ich wurde einzwei Mal zu Scheinhinrichtungen geführt. Ich bin ein-zweimal gestolpert, das war für die Wärter sehr lustig; ich wurde während der ganzen Haftzeit als Untermensch behandelt. Ich schäme mich zu sagen, was mir passiert ist. Das harmloseste war, daß wir geschlagen wurden.
Meine Mutter wohnte in Rasht, ich bin dann zu ihr gefahren. Meiner Mutter zuliebe, habe ich mich zunächst entschlossen mit meinem politischen Engagement Schluß zu machen. Ich habe mich auch der Verpflichtung gefügt, regelmäßig bei den Pasdaran zu erscheinen. Es gab nämlich für mich eine Meldepflicht. Ich habe in Rasht Schwierigkeiten eine Arbeit zu finden. Mit Hilfe eines Freundes bekam ich dann doch eine Stelle als Verkäufer in einer Boutique. Trotzdem ich mich gefügt habe, hat man mich nicht in Ruhe gelassen. Es gab Hausdurchsuchungen, immer wieder wurde ich belästigt. Ich wurde sogar auf offener Straße von den Pasdaran festgenommen und in aller Öffentlichkeit geschlagen. Rasht ist eine kleine Stadt. Wenn ich mit jemandem Kontakt haben wollte, so war das nicht möglich, weil diejenigen dann auch sofort Probleme bekamen.
Am 20.11.1368 pers. Zeitrechnung hatte ich abends Besuch. Auf einmal kamen die Pasdaran, durchsuchten unser Haus und hat man mich festgenommen. Man hat mich in das "Shahrbany-Rasht"-Gefängnis gebracht und ich war dort 54 Tage in Haft. Bis 8.1.1369 pers.ZR war ich dort im Gefängnis. Der Direktor dieses Gefängnisses war ein entfernter Bekannter des Cousins meiner Mutter. Ich konnte deshalb aufgrund einer vom Cousin hinterlegten Kaution freikommen. Auch diese Verhaftung erfolgte völlig grundlos, es gab keine ordentliche Verhandlung.
Nach meiner Freilassung habe ich sofort meinen Arbeitsplatz verloren. Ca. 4 Monate nach meiner Entlassung ist es in Rasht zu einer Demonstration gekommen. Ich hatte mit dieser Demonstration überhaupt nichts zu tun. Trotzdem wurde wieder gegen mich ein Haftbefehl ausgestellt. Dieser Haftbefehl datierte vom 27.4.1369 pers.ZR. Wenn ich gefragt werde, woher ich das Datum dieses Haftbefehles kenne, führe ich erläuternd aus: Meine Mutter ist herzkrank. Deshalb hat sie ihr Haus in Rasht vermietet; sie ist frühpensioniert. Ursprünglich wohnte bei ihr im Haus auch meine Cousine. Ich war damals in Teheran wohnhaft. Die Pasdaran haben von meinem Wohnsitzwechsel noch nichts gewußt. Sie sind am 27.3.1369 pers.ZR in das Haus meiner Mutter gekommen und haben der Cousine den Haftbefehl gezeigt.
Nachdem ich von diesem Haftbefehl Kenntnis erlangte, bin ich in den Süden des Landes zu meinen Cousinen gefahren und hielt mich dort für ca. 2 1/2 Jahre versteckt. Meine beiden Cousinen waren in einem staatlichen iranischen Unternehmen beschäftigt. Ich hatte die Idee dort meine Identität zu verschleiern. Ich habe versucht für mich einen neuen Namen auszusuchen, auch eine Geburtsurkunde wollte ich mir besorgen. Ich habe das alles aber nicht geschafft. Ich war dort zur Untätigkeit verdammt. Meine Verwandten haben für mich gesorgt.
Der Ort hieß Bandar Lengeh, das ist ein Hafen, fallweise war ich auch in Bandar Abbas, dies ist auch eine Hafenstadt. Das sind beides große Städte.
Über einen weitschichtigen Verwandten habe ich dann in Erfahrung bringen können, das man seitens der Stadt wissen möchte, wer da eigentlich bei meinen Cousinen wohnt, das heißt man wollte meine genauere Identität eruieren.
Ich bekam es mit der Angst zu tun und fuhr nach Täbris. Ich war auch bei der Hinreise nach Täbris vorsichtig. Ich bin mit meinem Schwager, einem LKW-Fahrer, nach Täbris gefahren.
Dort hatte ein weiterer Verwandter einen Speditionsbetrieb. Meine Verwandten meinten, ich solle mich offen deklarieren, dann hätte ich keine Schwierigkeiten mehr. Ich hätte dort in der Spedition zu arbeiten beginnen können. Das ist
ca. 7-8 Monate gut gegangen, ich hatte aber dann aufgrund meiner bisherigen Erlebnisse Angst, daß meine Probleme wieder beginnen könnten. Meine Mutter hat dann das Haus verkauft und sind wir zum Entschluß gekommen, ich solle den Iran verlassen. Das habe ich dann getan und den Erlös des Hausverkaufes für die Kosten meiner Flucht hergenommen."
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. August 1993 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.
In der dagegen gerichteten Berufung bestritt der Beschwerdeführer zunächst die von der Erstbehörde angenommene Verfolgungssicherheit in Ungarn und der BRD, berichtigte die im erstinstanzlichen Verfahren aufgenommene Niederschrift in mehreren Details als Folge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, rügte die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit seiner Schilderungen über den Gefängnisaufenthalt im Evin-Gefängnis und die von der Erstbehörde vorgenommene rechtliche Beurteilung des mangelnden zeitlichen Zusammenhanges etwaiger Verfolgungshandlungen zu seiner Ausreise.
Mit Bescheid vom 28. September 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers von der belangten Behörde abgewiesen. Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0221, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren bei der belangten Behörde neuerlich anhängig wurde.
Auf Grund des Manuduktionsschreibens der belangten Behörde vom 2. März 1995 brachte der Beschwerdeführer eine Ergänzung zu seiner Berufung ein, in der er die näheren Umstände seiner Haft im Evin-Gefängnis, seine Tätigkeiten und Lebensbedingungen nach seiner Haft im Evin-Gefängnis in Rasht sowie die näheren Umstände seines Aufenthaltes am persischen Golf schilderte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (samt deren Ergänzung) gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab und begründete ihre Entscheidung nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges (ohne Berücksichtigung der in der Berufung bzw. Berufungsergänzung vorgenommenen inhaltlichen Korrekturen) sowie der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage dahingehend, sie erachte - anders als die Behörde erster Instanz - die Aktivitäten des Beschwerdeführers für die Organisation der Democratic Khalgh bzw. Fedayin nicht als unglaubwürdig und gestand dem Beschwerdeführer zu, die von ihm geschilderten Gefängnisaufenthalte seien "im Bereich des Möglichen anzusiedeln". Dessenungeachtet kam die belangte Behörde zum Schluß, diese Ereignisse seien bereits so lange zurückliegend, daß sie nicht als "unmittelbar fluchtauslösend" angesehen werden könnten. Damit seien diese Umstände mangels eines entsprechenden zeitlichen Konnexes zur Ausreise nicht mehr beachtlich. Seinen eigenen Angaben zufolge sei der Beschwerdeführer seit seiner erstmaligen Entlassung aus der Haft nicht mehr politisch tätig gewesen. Als nicht nachvollziehbar erachtete die belangte Behörde weiters, daß nach der 54-tägigen Inhaftierung des Beschwerdeführers im "Shahbany-Rasht"-Gefängnis (korrigiert wurde die Aufenthaltsdauer im Berufungsverfahren mit 45 Tagen) der dortige Gefängnisdirektor, ein entfernter Bekannter eines Cousins der Mutter des Beschwerdeführers, auf Grund einer von dieser hinterlegten Kaution die Freilassung bewirkt hätte, da auf Grund der bekannten Lage im Iran angenommen werden müsse, daß dieser dann durch die Freilassung des Beschwerdeführers mit erheblichen Konsequenzen seitens der iranischen Behörden zu rechnen gehabt hätte; weiters sei unglaubwürdig, "daß Entlassungen in den alleinigen Zuständigkeitsbereich eines Gefängnisdirektors fallen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Bereits im Berufungsverfahren wurde darauf hingewiesen und vom Verwaltungsgerichtshof wurde in anderem Zusammenhang auch mehrfach ausgesprochen, daß es nicht zielführend sein kann, wenn die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung auf Rechtsinstitute und Begriffe westlicher, rechtsstaatlicher Demokratien stützt, kann doch nicht von vornherein angenommen werden, daß auch in nichtdemokratischen, fundamentalistisch regierten oder im Umbruch befindlichen Staaten auch nur annähernd vergleichbare Verhältnisse herrschen. Dies gilt auch für die weitere beweiswürdigende Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich der Zahlung und der Höhe der zweiten für den Beschwerdeführer entrichteten Kaution. Aus welchen näheren Gründen die Ausführungen des Beschwerdeführers, er habe die Gründe seines 45-tägigen Aufenthaltes im Sharbany-Rasht-Gefängnis nicht gekannt, als nicht glaubwürdig erachtet wurden, entbehrt überhaupt jeder näheren Begründung. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde scheint daher unschlüssig.
Ebenso erweisen sich die weiteren Argumente der belangten Behörde zur Beweiswürdigung als nicht nachvollziehbar, wenn sie unter Heranziehung allgemeiner Feststellungen auf Grund dem Akt nicht entnehmbarer Ermittlungsergebnisse (gleichlautend mit der bereits vom Bundesasylamt verwendeten Begründung, gegen die sich der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren jedoch ausdrücklich gewendet hat) meint, es sei nicht glaubhaft, daß er sich trotz eines aufrechten Haftbefehles insgesamt noch mehr als drei Jahre im Lande ohne weitere Behelligung habe aufhalten können. Auch in diesem Zusammenhang übersieht die belangte Behörde, daß der Beschwerdeführer bereits in der Berufung die Ergänzungsbedürftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens (nicht nur) in diesem Zusammenhang aufgezeigt, insbesondere aber darauf hingewiesen hat, daß er sich illegal (versteckt) und unter mehrfachem Wechsel seines Aufenthaltes im Süden des Landes, bzw. in Täbris, befunden habe. Seine niederschriftlichen Angaben im erstinstanzlichen Verfahren lassen auch nicht den von der Behörde gezogenen Schluß zu, er habe sich den Behörden seines Heimatlandes "deklariert", sich also aus der Illegalität herausbegeben. Hätte die belangte Behörde dies in Zweifel gezogen, hätte sie den Beschwerdeführer aber jedenfalls dazu ergänzend zu befragen gehabt. Es entspricht ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und Flucht im Sinne einer "aktuellen Verfolgungsgefahr" dort anzunehmen, wo die inkriminierte Zeitspanne in einem Versteck überstanden wird. Fällt aber das einzige von der belangten Behörde zur Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 herangezogene Argument des mangelnden zeitlichen Konnexes fort, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Schilderungen des Beschwerdeführers ungeeignet wären, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Konvention zu rechtfertigen. Unter diesem Blickwinkel erscheint auch wesentlich, daß die belangte Behörde trotz der in der Berufung bzw. Berufungsergänzung aufgelisteten Korrekturen (nicht "Steigerungen") der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens lediglich mit einer Scheinbegründung keinen der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 für die Anordnung einer Wiederholung oder Ergänzung des Ermittlungsverfahrens als gegeben erachtete. Insoweit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Da aber Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200609.X00Im RIS seit
20.11.2000