TE Bvwg Beschluss 2021/8/24 W216 2241906-1

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W216 2241906-1/3E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein ChronischKrank, Kirchenplatz 3, 4470 Enns, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 09.03.2021, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 24.09.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und legte zur Begründung dessen, einen Befundbericht einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vor.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ein, in welchem – basierend auf der persönlichen Begutachtung der Beschwerdeführerin am 11.12.2020 – ein Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. festgestellt wurde.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 21.12.2020 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen eines Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 21.02.2021 erstattete die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der sie sich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht einverstanden zeigt und – unter Vorlage eines medizinischen Befundes – unter anderem drauf hinweist, dass – entgegen den Ausführungen des Sachverständigen – bei ihr seit dem Jahr 2009 eine Sozialphobie manifestiert sei.

In der zur Überprüfung der Einwendungen sowie des neu vorgelegten Befundes eingeholten medizinischen Stellungnahme des bereits befassten Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 09.03.2021 wird festgehalten, dass keine Änderung der Einschätzung bestehe, da keine sensomotorischen Ausfälle objektivierbar gewesen seien, die einen zusätzlichen Grad der Behinderung ergeben würden. Der neu beigebrachte Befund könne wegen fehlender Datumsangabe nicht berücksichtigt werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.03.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.09.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG ab. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe, womit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses (Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.) nicht vorliegen würden. Das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens werde als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 20.04.2020 fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen begründend aus, dass in allen vorgelegten Befunden belegt werde, dass sie trotz regelmäßiger Gesprächstherapie und medikamentöser Behandlung zu sozialem Rückzug neige und sei ihr aus diesem Grunde auch die Berufsunfähigkeitspension von der PVA genehmigt worden. Zusätzlich liege eine Sozialphobie und eine Angststörung vor, welche sie daran hindere, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 27.04.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 24.09.2020 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.03.2021 wurde festgestellt, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v.H. betrage und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt seien.

Im erstinstanzlichen Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten sowie eine Stellungnahme eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie eingeholt und in der Folge der Antrag mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin wurde trotz offensichtlichen Erfordernisses keiner weiteren persönlichen Begutachtung durch einen Facharzt / eine Fachärztin für Psychiatrie unterzogen. Das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie geht auf die Leiden der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Maße ein.

Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen.

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht nicht fest.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt.

Dass die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und der entscheidungswesentliche Sachverhalt somit nicht feststeht, ergibt sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt. Das seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Gutachten (und die ergänzende medizinische Stellungnahmen) waren zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpass nicht geeignet.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990, idF BGBl. I. Nr. 57/2015, (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Behebung und Zurückverweisung:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen, sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich hat die belangte Behörde zur Überprüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin zwar ein neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte vor, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens der Fachrichtung Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin zu gewährleisten.

So wird im durch die belangte Behörde eingeholten Gutachten ausgeführt, dass – basierend auf der aktuellen Untersuchung – eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Warum jedoch, wie die Beschwerdeführerin vorgebracht hat und den von ihr vorgelegten Befunden zu entnehmen ist, bei ihr keine Sozialphobie diagnostizierbar ist, wird in diesem Gutachten aber nicht begründet. In der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen wird diesbezüglich lediglich ausgeführt, dass der von der Beschwerdeführerin beigebrachten Befund "wegen fehlender Datumsangabe nicht berücksichtigt werden" habe können.

In dem durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten werden zwar die von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte angeführt, der Sachverständige hat sich aber mit den Inhalten nicht weiter bzw. nicht umfassend auseinandergesetzt. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden.

Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde trotz vorliegender Befunde und dem von der Beschwerdeführerin konkret erstatteten Vorbringen darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Gutachten der Fachrichtung Psychiatrie einzuholen, in welchem konkret auf die Frage des Vorliegens aller psychischer Erkrankungen der Beschwerdeführerin vollständig eingegangen wird.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens, des im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwandes und der vorgelegten Beweismittel unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen, zusätzlich zu dem bereits eingeholten Sachverständigengutachten ein auf die konkrete Fragestellung eingehendes Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, einzuholen, und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen – nicht ersichtlich.

Da Entscheidungen im Bereich des Behindertenrechts in höchstem Maße von ärztlichen Sachverständigengutachten abhängig sind, müsste das Bundesverwaltungsgericht neue Sachverständigengutachten einholen, welche durch die dafür nötige Untersuchung der Beschwerdeführerin zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würden, welche jedenfalls nicht im Sinne einer raschen und kostengünstigen Verfahrensführung liegen würden. Aus diesem Grund erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats gegenständlich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde jedenfalls gerechtfertigt.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht abschließend feststeht und, wie erörtert, vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2241906.1.00

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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