TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/16 W207 2245449-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2021
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Entscheidungsdatum

16.09.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W207 2245449-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 30.07.2021, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 42 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) und § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen idgF abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist laut Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes seit 19.06.2013 im Besitz eines unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) und der Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“. Die Ausstellung des Behindertenpasses erfolgte unter Zugrundelegung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 04.06.2013, in welchem auf Grundlage der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung die Funktionseinschränkungen 1. „Insulinpflichtiger Diabetes mellitus“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 40 v.H. nach der Positionsnummer 09.02.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 2. „Diabetische Netzhautveränderungen und degenerative Entartung der Netzhautmitte beidseits mit Sehverminderung“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H. nach der Positionsnummer 11.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 3. „Diabetische Polyneuropathie“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 04.06.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 4. „Degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 02.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 5. „Arterieller Bluthochdruck“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 05.01.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 6. „Degenerative Wirbelsäulenveränderungen“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 02.01.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, und 7. „Depressio“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 03.06.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, sowie ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt wurden. Diesbezüglich wurde ausgeführt, dass die funktionelle Einschränkung 1 aufgrund der zusätzlichen Beeinträchtigung durch das Leiden 2 um eine Stufe erhöht werde, die übrigen Leiden 3-7 hingegen aufgrund fehlender ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung zu keiner weiteren Erhöhung führen würden. Darüber hinaus benötige die Beschwerdeführerin keine Begleitperson, es bestehe keine Sehbehinderung und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr zumutbar.

Unter Zugrundelegung dieses Gutachtens wurden die von der Beschwerdeführerin weiters gestellten Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragungen „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“, „Sehbehinderung“ und „Begleitperson“ mit Bescheid des (vormaligen) Bundessozialamtes, Landesstelle Wien (nunmehr: Sozialministeriumservice, in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) vom 13.08.2013 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2014 ebenfalls als unbegründet abgewiesen.

Mit E-Mail vom 28.04.2021 wurde die belangte Behörde um die neuerliche Bewertung des abschlägigen Bescheides vom 13.08.2013 ersucht.

Mit Schreiben vom 30.04.2021 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde um Vorlage aktueller Befunde, eines ausgefüllten und unterzeichneten Antragsformblattes sowie eines Lichtbildes ersucht.

Am 12.05.2021 wurde schließlich das von der Beschwerdeführerin unterzeichnete Antragsformblatt auf Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ gemäß § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen in den Behindertenpass an die belangte Behörde übermittelt. Hingegen wurden keine Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragungen nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. a („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“) oder lit. b oder d („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist blind oder hochgradig sehbehindert“ bzw. „taubblind“) der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen gestellt.

Mit Schreiben vom 12.05.2021 ersuchte die belangte Behörde die Pensionsversicherungsanstalt, das die Beschwerdeführerin betreffende Pflegegeldgutachten zu übermitteln.

Ebenfalls mit Schreiben vom 12.05.2021 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde um Übermittlung eines aktuellen Visusbefundes ersucht.

Mit Begleitschreiben vom 01.06.2021 übermittelte die Pensionsversicherungsanstalt das angeforderte Pflegegeldgutachten vom 30.04.2013 an die belangte Behörde.

Die belangte Behörde holte daraufhin Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin vom 05.07.2021, Augenheilkunde vom 09.07.2021 und eine diese beiden Gutachten zusammenfassende Gesamtbeurteilung der beigezogenen Ärztin für Allgemeinmedizin vom 09.07.2021 ein.

Im eingeholten Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 05.07.2021 wurde – unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung – auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 02.07.2021 sowie der von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt:

„…

Anamnese:

Siehe auch VGA vom 27.05.2013

Insulinpflichtiger Diabetes Mellitus 40%

Diabetische Netzhautveränderungen und degenerative Entartung der Netzhautmitte beidseits mit Sehverminderung auf 0,45 bds 30%

Diabeteische Polyneuropathie 20%

Degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen 20%

Hypertonie 10%

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen 10%

Depressio 10%

GdB 50%

Derzeitige Beschwerden:

„Ich bin hier, weil ich um eine Begleitperson angesucht habe, es könnte sein, dass mir schwindelig wird, beziehungsweise habe ich große Angst, weil ich schon einmal vor zwei Jahren gestürzt bin und mir den rechten Oberarm gebrochen habe. Auch könnte es passieren, dass der Zucker nach unten abrauscht und ich es nicht merke.“

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Insulin NovoRapid (Omnipod), Tritaze, Thyrex, Ovestin, Cal-D-Vita, Osteoviva, Cerebrokan

Sozialanamnese:

in Pension

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Mitgebrachter Befund: Krankenhaus XXX vom 11.02.2021:

Diagnose: Manifeste Osteoporose, laufende Forsteo Therapie seit 03/2019, Deckplattenimpression L4, Grundplattenimpression L2, Zustand nach Nierenversagen mit metabolischer Azidose, Hyperparathyreoidismus, Diabetes mellitus Typ I, rezidivierende Diarrhoe, letzte Coloskopie von 10/2018 unauffällig, Gastritis, rezidivierende Zystitis, Hashimoto-Thyreoiditis (substituiert), chronisches Zervikalsyndrom, Vitiligo, Gefäßsklerose mit hochgradiger AMI-Abgangsstenose und mäßiggradiger Nierenarterienstenose links, Adenomyomatose der Gallenblase, axiale Hiatushernie

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

gut

Größe: 145,00 cm Gewicht: 42,00 kg Blutdruck: -/-

Klinischer Status – Fachstatus:

89 Jahre

Caput: Visus: unauffällig, Hörvermögen nicht eingeschränkt

Thorax. Symmetrisch, elastisch,

Cor: Rhythmisch, rein, normfrequent

Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe

Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar,

Obere Extremität: Symmetrische Muskelverhältnisse. Nacken und Schürzengriff bds möglich, Faustschluss, Spitzgriff bds möglich, geringe Feingergelmlspolyarthrosen, Schultergelenke endlagig eingeschränkt, Die übrigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich.

Untere Extremität: Zehenspitzen und Fersenstand, sowie Einbeinstand bds mit Abstützen gut durchführbar, beide Beine von der Unterlage abhebbar, grobe Kraft nicht vermindert, Beweglichkeit in Hüftgelenken und Kniegelenken endlagig eingeschränkt, keine Ödeme, keine Varikositas

Wirbelsäule: FB in Sitzen 0cm, deutlich vermehrte Brustkyphose

Rotation und Seitwärtsneigung in allen Ebenen zu 2/3 eingeschränkt

Gesamtmobilität – Gangbild:

normales flottes Gangbild, insgesamt flottes Bewegungsmuster

Status Psychicus:

klar, orientiert

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1

Insulinpflichtiger Diabetes Mellitus

2

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

3

Diabetische Polyneuropathie

4

Hypertonie

5

Degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Verschlimmerung von Leiden 6. Wegfall von Leiden 7.

[X] Dauerzustand

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Die/Der Untersuchte

[X] Nein Bedarf einer Begleitperson

Gutachterliche Stellungnahme:

Der behinderungsbedingte Bedarf einer Begleitperson ist bei erhaltener Fähigkeit zur selbständigen Orientierung und Fortbewegung nicht gegeben“

Im eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Augenheilkunde vom 09.07.2021 wurde – unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung – auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 02.07.2021 Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt:

„…

Anamnese:

seit vielen J chron Augenentzündung bds, Tränen, Jucken, Rötung bes bei Wind, Augen oft eitrig verklebt

vor 5J Cat Op bds im KH XXX

hatte Glaucom? nur für 14T Augentr

sieht seit der Op besser, hat nur eine Lesebrille

hat Hashimoto

Augenarzt Dr B.

Augen Vorgutachten vom 27.5.13

Dg diabet NH Veränd und deg Entart der NH Mitte bds, Sehvermind auf 0,45 bds GdB 30%

Derzeitige Beschwerden:

siehe oben

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Blephagel, Lutamax Kps

Sozialanamnese:

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

kein Befund

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Ernährungszustand:

Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:

Klinischer Status – Fachstatus:

Augenbefund:

Visus rechts +0,5cyl0° 0,9 add +2,75sph Jg 1 bin

links +0,5cyl0° 0,8

Beide Augen: leichter Exophthalmus, Lidränder gerötet, BH leicht gerötet, HH klar, Fl neg

HKL in situ

Fundi Papille oB, Macula etw unregelmäßig

Gesamtmobilität – Gangbild:

Status Psychicus:

nicht beurteilt

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1

Zust. nach Grauer Star Op mit Hinterkammerlinsenimplantation beidseits, Sehverminderung rechts auf 0,9 und links auf 0,8 GdB 20% g z Tabelle Kolonne 2 Zeile 2 Pos. berücksichtigt

chronische Lidrandentzündung beidseits, Kunstlinsenimplantation beidseits +10% inkl

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Zust. nach Grauer Star Op beidseits, chronische Lidrandentzündung beidseits, besseres Sehvermögen beidseits

[X] Dauerzustand

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Die/Der Untersuchte

[X] Nein Bedarf einer Begleitperson

Gutachterliche Stellungnahme:

es liegt keine hochgradige Sehbehinderung nach dem BPPG vor, daher ist die Notwendigkeit einer Begleitperson nicht gegeben“

In der Gesamtbeurteilung der Ärztin für Allgemeinmedizin vom 09.07.2021 wurde auf Grundlage der Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin vom 05.07.2021 und Augenheilkunde vom 09.07.2021 Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben, ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1

Insulinpflichtiger Diabetes Mellitus

2

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

3

Zust. nach Grauer Star Op mit Hinterkammerlinsenimplantation beidseits, Sehverminderung rechts auf 0,9 und links auf 0,8 GdB 20% g z Tabelle Kolonne 2 Zeile 2 Pos. berücksichtigt

chronische Lidrandentzündung beidseits, Kunstlinsenimplantation beidseits +10% inkl

4

Diabetische Polyneuropathie

5

Hypertonie

6

Degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Verschlimmerung von Leiden 6. Verbesserung von Leiden 2 des VGA. Wegfall von Leiden 7.

[X] Dauerzustand

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Die/Der Untersuchte

[X] Nein Bedarf einer Begleitperson

Gutachterliche Stellungnahme:

Der behinderungsbedingte Bedarf einer Begleitperson ist bei erhaltener Fähigkeit zur selbst ndigen Orientierung und Fortbewegung nicht gegeben.

Es liegt keine hochgradige Sehbehinderung nach dem BPPG vor, daher ist die Notwendigkeit einer Begleitperson nicht gegeben“

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 12.07.2021 wurde die Beschwerdeführerin über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt. Der Beschwerdeführerin wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 05.07.2021 (Allgemeinmedizin), 09.07.2021 (Augenheilkunde) und 09.07.2021 (Gesamtbeurteilung) wurden der Beschwerdeführerin zusammen mit diesem Schreiben übermittelt.

Mit Schreiben vom 26.07.2021 brachte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme folgenden Inhalts, hier in anonymisierter Form wiedergegeben, ein:

„…

Betrifft:  Stellungnahme

2021-07-05 Gutachten XXX - vidiert

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Das betreffende Gutachten zitiert mich ungeschickt, ich suche nicht um eine Begleitperson an,

richtigerweise ist mein Lebenspartner und nunmehriger Betreuer die ständig notwendige Begleitung.

Es wird mir auch nicht nur schwindlig, vielmehr stellt Angst (Umwelteinflüsse), Stress und das (neuropatiebedingte) Nichterkennen von Bodenunebenheiten ein Sturzrisiko dar, welches nach drei (für Osteoporose-Patienten symptomatischen) Knochenbrüchen das Schlimmste befürchten lässt.

Der "abrauschende Zucker" der nicht hinterfragt wurde, stellt die eigentliche Begleitnotwendigkeit dar.

Das Nichtbemerken von Unterzuckerungen (siehe beiliegendes Gutachten Med. Univ. Dr. P.)

hätte beachtet und die Frage wer in solchen Fällen reagiert (zB wer spritzt Glucagon bei Ohnmacht, beachtet besondere Umstände, führt mich bei Desorientierung nach Hause) hätte gestellt werden müssen.

Meine Antwort wäre gewesen „Meine Begleitperson".

Warum die Sachverständige "Wegfall von Leiden 7" (Depression) aufgenommen hat ist für mich nicht nachvollziehbar, da dieses Thema bzw. mein psychischer Druck (Blutzuckerentgleisungen, Pandemie, Tod meiner Tochter) nicht zur Sprache kam.

Meine Begleitperson, ihre Hilfen und Gespräche sind für meine ohnehin eingeschränkte Lebensqualität - entgegen dem Gutachten - jedenfalls sehr nötig.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift der Beschwerdeführerin“

Dem Schreiben wurde ein Auszug aus dem von der Pensionsversicherungsanstalt bereits übermittelten Gutachten vom 30.04.2013 beigelegt.

Aufgrund des Inhalts der eingebrachten Stellungnahme holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme jener Ärztin für Allgemeinmedizin, welche das Sachverständigengutachten vom 05.07.2021 und die Gesamtbeurteilung vom 09.07.2021 erstellt hatte, ein. In dieser ergänzenden Stellungnahme vom 29.07.2021 wird Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt:

„…

Die Antragstellerin urgiert eine Begleitperson.

Als Begründung wird das Auftreten von Schwindel, Angst (Umwelteinflu?sse), Stress und das (neuropatiebedingte) Nichterkennen von Bodenunebenheiten, als auch der "abrauschende Zucker" angegeben.

Weiters ist der Wegfall von Leiden 7 des VGA (Depression) nicht nachvollziehbar.

Nachgereicht wird der Auszug einen Gutachten (Unvollständig und ohne Datum), in welchen vermerkt wird, das anzunehmen sei, dass jeder 2 Hypo nicht verspürt wird, der Zucker jedoch noch labil eingestellt sei.

Eine ausgeprägte und oftmalige Neigung zu Unterzuckerungen ist durch entsprechende aktuelle Befunde und Verlaufskontrollen nicht belegt, abgesehen davon sind dafür spezielle Insulinsensoren am Markt, welche eine beginnende Unterzuckerung zeitgenau anzeigen und so eine Unterzuckerung verhindert werden kann.

Weiters ist eine maßgebliche Schwindelsymptomatik befundmäßig nicht belegt.

Eine maßgebliche Polyneuropathie liegt nicht vor.

Im Rahmen der ho Untersuchung konnte ein normales flottes Gangbild objektiviert werden.

Somit ist der behinderungsbedinte Bedarf einer Begleitperson nicht begründbar.

Weiter ist das Vorliegen einer Depression nicht mehr befundbelegt, somit erfolgte ein Wegfall des Leidens.“

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30.07.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.04.2021 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren Sachverständigengutachten eingeholt worden seien. Nach diesen Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die nachgereichten Einwendungen würden keine Änderung bewirken. Die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten sowie die ergänzende Stellungnahme vom 29.07.2021 wurden der Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem Bescheid übermittelt.

Mit E-Mail vom 10.08.2021 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.07.2021 folgenden Inhalts – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben – ein:

„…

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Meine Beschwerde betrifft die fehlende Anerkennung der Mobilitätshilfe.

(Anbei das Gutachten zur Ermittlung meiner Pflegestufe)

Wie im Bescheid auch ersichtlich ist die "Mobilitätshilfe im engeren/weiteren Sinn" BPGG ein Antragsgrund.

Dieser wurde -obwohl ich ihm immer wieder anführte- nicht berücksichtigt.

Mit freundlichen Grüßen

Name der Beschwerdeführerin“

Der Beschwerde wurde erneut das von der Pensionsversicherungsanstalt eingeholte Gutachten vom 30.04.2013 beigelegt.

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 16.08.2021 die gegenständliche Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von aktuell 50 v.H.

Dieser Behindertenpass beinhaltet die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“. Er beinhaltet hingegen nicht die Zusatzeintragungen nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. a („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“) oder lit. b oder d („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist blind oder hochgradig sehbehindert“ bzw. „taubblind“) der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen.

Die Beschwerdeführerin stellte am 28.04.2021 beim Sozialministeriumservice den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass. Sie stellte im Rahmen dieser Antragstellung keine Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragungen nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. a („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“) oder lit. b oder d („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist blind oder hochgradig sehbehindert“ bzw. „taubblind“) der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden aktuell objektivierten Funktionseinschränkungen:

1.       Insulinpflichtiger Diabetes Mellitus;

2.       Degenerative Wirbelsäulenveränderungen;

3.       Zustand nach Grauer-Star-Operation mit Hinterkammerlinsenimplantation beidseits, Sehverminderung rechts auf 0,9 und links auf 0,8 bei chronischer Lidrandentzündung beidseits und Kunstlinsenimplantation beidseits;

4.       Diabetische Polyneuropathie;

5.       Hypertonie;

6.       Degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen.

Die Beschwerdeführerin bedarf trotz der bei ihr vorliegenden Funktionseinschränkungen zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Fortbewegung im öffentlichen Raum werden die diesbezüglichen Befundungen und Beurteilungen in den von der belangten Behörde eingeholten, oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Allgemeinmedizin und Augenheilkunde, zusammengefasst in der Gesamtbeurteilung vom 09.07.2021, sowie die ergänzende ärztliche Stellungnahme der beigezogenen Ärztin für Allgemeinmedizin vom 29.07.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Vorliegen eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H., zu den Zusatzeintragungen bzw. zu den nicht vorliegenden Zusatzeintragungen in diesem Behindertenpass sowie zur gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Fortbewegung im öffentlichen Raum gründen sich auf die von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Allgemeinmedizin und Augenheilkunde, zusammengefasst in der Gesamtbeurteilung vom 09.07.2021, sowie auf die ergänzende ärztliche Stellungnahme der beigezogenen Ärztin für Allgemeinmedizin vom 29.07.2021.

Unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin ins Verfahren eingebrachten medizinischen Unterlagen und nach persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin wurde von den medizinischen Sachverständigen auf Grundlage der zu berücksichtigenden und unbestritten vorliegenden Funktionseinschränkungen festgestellt, dass die objektivierbare Sehminderung nicht die Ausprägung einer hochgradigen Sehbehinderung erreicht sowie dass auch unter Berücksichtigung der bestehenden Funktionseinschränkungen dennoch eine weiterhin erhaltene selbständige Fortbewegungs- und Orientierungsfähigkeit objektivierbar ist und dass daher das behinderungsbedingte ständige Erfordernis einer Begleitperson medizinisch nicht ausreichend begründbar ist. Im Hinblick auf die vorgelegten Befunde sind auch keine Funktionseinschränkungen dokumentiert, welche die (ständige) Hilfestellung einer Begleitperson zur selbständigen Fortbewegung (im öffentlichen Raum), auch unter Berücksichtigung der im Alltag ausreichenden persönlichen, zeitlichen und örtlichen sowie psychischen Orientiertheit begründen würden.

Die von der Beschwerdeführerin subjektiv empfundenen Leidenszustände konnten daher in dem von ihr in ihrer Stellungnahme vom 27.07.2021 geschilderten Ausmaß durch die medizinischen Sachverständigen nicht objektiviert werden. Die beigezogene Ärztin für Allgemeinmedizin führte diesbezüglich in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 29.07.2021 nachvollziehbar und schlüssig aus, dass weder eine maßgebliche Schwindelsymptomatik befundmäßig belegt ist, noch eine maßgebliche Polyneuropathie vorliegt, die die Fortbewegungs- und/oder die Orientierungsfähigkeit im öffentlichen Raum derart einschränken würden, dass das ständige Erfordernis einer zweiten Person bestünde.

Die Beurteilungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen sind auch insofern nicht zu beanstanden, als auch im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 02.07.2021 keine Funktionseinschränkungen objektiviert werden konnten, die auf eine allfällig vorliegende maßgebliche Schwindelsymptomatik oder Polyneuropathie hindeuten würden, es zeigte sich vielmehr ein normales flottes Gangbild und insgesamt ein flottes Bewegungsmuster. Die beigezogene Gutachterin wies in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 29.07.2021 weiters darauf hin, dass eine ausgeprägte und oftmalige Neigung der Beschwerdeführerin zur Unterzuckerung durch entsprechende aktuelle Befunde und Verlaufskontrollen ebenfalls nicht belegt ist, eine allfällige Unterzuckerung allerdings durch die auf dem Markt befindlichen Insulinsensoren, welche eine beginnende Unterzuckerung zeitgenau anzeigen, verhindert werden kann.

Insoweit die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 27.07.2021 und in der Beschwerde noch auf das vorgelegte Pflegegeldgutachten der Pensionsversicherungsanstalt verweist, in welchem angemerkt wird, dass die Beschwerdeführerin jeden zweiten Hypo nicht merke, ist darauf hinzuweisen, dass das mit 30.04.2013 datierte Gutachten nicht den Anforderungen der Aktualität entspricht und die Beschwerdeführerin diesbezüglich die Vorlage weiterer Befunde verabsäumte. Eine ausgeprägte und oftmalige Neigung der Beschwerdeführerin zur Unterzuckerung ist aus diesem Grund – im Einklang mit den Ausführungen der beigezogenen Allgemeinmedizinerin – nicht durch aktuelle Befunde bzw. Verlaufskontrollen belegt und konnte somit auch nicht objektiviert werden. Insoweit die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 27.07.2021 noch den Wegfall des Leidens 7 des Vorgutachtens aus dem Jahr 2013 („Depressio“) moniert, ist anzumerken, dass die beigezogene Ärztin für Allgemeinmedizin in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 29.07.2021 hierzu nachvollziehbar ausführte, dass das Vorliegen einer Depression nicht mehr befundbelegt ist. Das Vorliegen einer Depression wurde von der Beschwerdeführerin im Übrigen auch nicht im Rahmen der persönlichen Untersuchung – unter dem Punkt „Derzeitige Beschwerden“ – behauptet.

In Gesamtbetrachtung ergibt sich, dass die bei der Beschwerdeführerin festgestellten und unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen die Fortbewegung und Orientierung im öffentlichen Raum zwar in nachvollziehbarer Weise erschweren, dass diese aber die Fortbewegung und Orientierung im öffentlichen Raum nicht entscheidungserheblich in dem Sinne des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen so sehr einschränken, dass die Beschwerdeführerin im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfte.

Bezüglich des weiters erhobenen Einwandes der Beschwerdeführerin, dass ihre Mobilitätshilfe nicht anerkannt worden sei, wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

Hinsichtlich der bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Fortbewegung und Orientierung im öffentlichen Raum tätigte die Beschwerdeführerin in der Beschwerde kein konkretes Vorbringen, das die Beurteilungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen entkräften hätte können; die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde auch keine weiteren Befunde bei, die geeignet wären, die durch die medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden im Sinne nachhaltiger, zumindest sechs Monate dauernder Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates zu belegen bzw. eine wesentliche Verschlimmerung bestehender Leiden zu dokumentieren und damit das Vorliegen dermaßen erheblicher Bewegungs- und Orientierungseinschränkungen im öffentlichen Raum, die zur ständigen – und nicht bloß gelegentlichen oder auch häufigen – Hilfsbedürftigkeit durch eine zweite Person führen würden, darzutun.

Die Beschwerdeführerin ist den von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen sohin keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Allgemeinmedizin und Augenheilkunde, zusammengefasst in der Gesamtbeurteilung vom 09.07.2021, ergänzt durch die ärztliche Stellungnahme vom 29.07.2021. Diese Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant – auszugsweise:

„§ 1 …

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist;
diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, vorliegen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten jedoch dieselben Voraussetzungen ab dem vollendeten 36. Lebensmonat.

b) blind oder hochgradig sehbehindert ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine  diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 4 oder 5 BPGG vorliegen.

[…]

d) taubblind ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 6 BPGG vorliegen.

[…]

2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) einer Begleitperson bedarf;

diese Eintragung ist vorzunehmen bei

–        Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. a verfügen;

–        Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d verfügen;

–        bewegungseingeschränkten Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr, die zur Fortbewegung im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfen;

–        Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensjahr und Jugendlichen mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und/oder ausgeprägten Verhaltensveränderungen;

–        Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr mit kognitiven Einschränkungen, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen, und

–        schwerst behinderten Kindern ab Geburt bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die dauernd überwacht werden müssen (z. B. Aspirationsgefahr).

[…]“

Der Vollständigkeit halber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.07.2021 der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist somit auch nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung oder die Frage des Vorliegens anderer Zusatzeintragungen, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der von der Beschwerdeführerin beantragten Zusatzeintragung.

Wie oben im Rahmen der getroffenen Feststellungen sowie im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen ausgeführt wurde, ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, dass der Behindertenpass der Beschwerdeführerin nicht die Zusatzeintragungen nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. a („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“) oder lit. b oder d („Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist blind oder hochgradig sehbehindert“ bzw. „taubblind“) der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen beinhaltet. Auch stellte die Beschwerdeführerin im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung keine diesbezüglichen Anträge auf Vornahme solcher Zusatzeintragungen.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a erster bzw. zweiter Teilstrich der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist die Eintragung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes einer Begleitperson bedarf, vorzunehmen bei Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. a, b oder d dieser Verordnung verfügen. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind im Fall der Beschwerdeführerin jedoch nicht erfüllt, weil die Beschwerdeführerin nicht über solche Eintragungen in ihren Behindertenpass verfügt.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde in den im gegenständlichen Verfahren von der belangten Behörde eingeholten, auf persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin beruhenden medizinischen Sachverständigengutachten nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihr unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung dieser – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass vorliegen.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkungen nicht in einem derartigen Maße bewegungseingeschränkt, dass sie zur Fortbewegung im öffentlichen Raum der ständigen – und nicht bloß gelegentlichen oder häufigen – Hilfe einer zweiten Person im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a dritter Teilstrich der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bedürfte. Auch konnte nicht das Vorliegen von kognitiven Einschränkungen festgestellt werden, die dermaßen ausgeprägt wären, dass die Beschwerdeführerin im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a fünfter Teilstrich der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bedürfte. Die Anwendung der weiteren Tatbestände des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen kommt nicht in Betracht, weil es sich bei der Beschwerdeführerin um kein Kind bzw. keine Jugendliche handelt.

Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, in der Beschwerde nicht substantiiert und insbesondere nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, sie hat kein aktuelles Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher ausreichend substantiiert die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien.

Es ist daher im Beschwerdefall zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass nicht vorliegen. Die Abweisung des diesbezüglichen Antrages der Beschwerdeführerin mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.07.2021 erfolgte daher zu Recht.

Schließlich sei im Hinblick auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde, dass ihre Mobilitätshilfe nicht anerkannt worden sei, der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der „Mobilitätshilfe im engeren/weiteren Sinn entsprechend der Bestimmungen des BPGG“ an sich – entgegen der Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen des angefochtenen Bescheides vom 30.07.2021 – kein Tatbestandsmerkmal im Sinne des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darstellt. Im gegenständlichen Fall ist – wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt – das behinderungsbedingte ständige Erfordernis einer Begleitperson medizinisch nicht ausreichend begründbar, da unter Berücksichtigung der bestehenden Funktionseinschränkungen bei der Beschwerdeführerin dennoch eine weitgehend erhaltene selbständige Fortbewegungs- und Orientierungsfähigkeit besteht und sie aus diesem Grund aktuell auch nicht die Schwelle des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zu überschreiten vermag.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Die Fragen der Art und des Ausmaßes der Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Fortbewegung und Orientierung im öffentlichen Raum wurden unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachten geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Begleitperson Behindertenpass Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W207.2245449.1.00

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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