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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Mai 1995, Zl. 4.340.462/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Mai 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Irak, der am 15. September 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 16. September 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 1992 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 16. September 1992 angegeben, er gehöre der kurdischen Minderheit im Irak an und sei Sympathisant der Kurdischen Demokratischen Partei. Er habe im Jahr 1983 zum Militär einrücken müssen und sei im Juli 1984 desertiert. Man habe ihn im November 1984 entdeckt und verhaftet. Er sei drei Monate lang im Militärgefängnis inhaftiert worden und habe unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen. Danach habe er bis 1986 weiterhin bei der Armee gedient. Im Oktober 1986 sei seine Einheit in den Süden des Irak verlegt worden. Er sei im Dezember 1986 wieder desertiert und in den Norden des Irak nach Kirkuk geflüchtet. Nach viermonatigem Aufenthalt sei er im April 1987 von der irakischen Armee wieder entdeckt, verhaftet und zur Geheimpolizei in Kirkuk gebracht worden. Man habe ihn vier Monate lang festgehalten. Ihm sei seine Desertion und seine Sympathie zur Kurdischen Demokratischen Partei vorgeworfen worden. Während dieser Haft sei er geschlagen und in näher bezeichneter Form mißhandelt worden. Anfang September 1987 habe man ihn zu einem Strafbataillon in den Süden des Irak geschickt. 1988 (Ende des Krieges zwischen Iran und Irak) sei er aufgrund einer Generalamnestie begnadigt und aus der Armee entlassen worden. Er habe sich nach Kirkuk begeben, und dort seiner Arbeit nachgehen können. Im Jänner 1990 habe er wieder einen Einberufungsbefehl erhalten. Er habe einrücken müssen und sei in einer Kaserne in Mosul stationiert worden, wo er für den Einsatz in Kuwait trainiert worden sei. Im Juni 1990 sei die Einheit in den Südirak verlegt worden. Am 2. August 1990 habe die Invasion in Kuwait begonnen, ca. eine Woche danach sei er desertiert, weil er nicht im Krieg gegen Kuwait habe kämpfen wollen. Er sei nach Kirkuk geflüchtet. Dort sei es am 6. März 1991 zum Aufstand der Kurden gekommen, die irakische Armee habe den Aufstand nach 20 Tagen niedergeschlagen und den Nordirak wieder eingenommen. Deshalb sei er in den Iran geflüchtet. Während dieses Kurdenaufstandes sei sein Haus in Kirkuk, welches erstmals im Jahr 1974 bombardiert worden sei, wieder bombardiert worden. Falls er in seine Heimat zurückkehren würde, hätte er mit der Todesstrafe aufgrund seiner oftmaligen Desertion zu rechnen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 5. August 1993. Dieser wurde infolge der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0175, wegen der Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94, aufgehoben.
Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz in einer Ergänzung zur Berufung zu relevieren.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1995 rügte der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde aufgrund des verfassungswidrigen § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (Anm.: in der Fassung vor Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof) das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung nicht berücksichtigt habe. Er habe vorgebracht, sich auf das gesamte bisher erstattete Vorbringen zu stützen. Daraus ergebe sich "insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorleben" des Beschwerdeführers ein asylrechtlich relevanter Tatbestand. Ergänzend führte er aus, daß die Minderheit der Kurden im Irak schlechteren Bedingungen ausgesetzt sei als die irakische Bevölkerungsmehrheit der Araber. Kurdische Einheiten seien im irakisch-kuwaitischen Krieg an besonderen Gefahrenstellen eingesetzt worden, sodaß die im Irak eingerückten Kurden ein ungleich höheres Risiko in diesem Konflikt eingegangen seien als Araber. Angehörige der kurdischen Bevölkerungsminderheit seien nach der Einberufung im Kriegsfall mit besonders gefährlichen Aufträgen betraut worden. Daraus sei eine asylrechtlich relevante Diskriminierung abzuleiten. Auch bei der Bestrafung von Wehrdienstverweigerung würden gegenüber Kurden ungleich andere Maßstäbe angesetzt. Als Beweis beantragte der Beschwerdeführer die Einholung einer Stellungnahme des UNHCR.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie begründete ihn im wesentlichen damit, daß die Desertion des Beschwerdeführers und die dafür im Irak in Aussicht gestellte Strafe keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstelle. Es komme aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak nicht zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung habe somit nicht erkennbar den Zweck, die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen (Rasse, Religion, politische Überzeugung, usw.) zu treffen. Staatliche Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht sei ein Ausfluß des Rechtes eines jeden Staates und stellten als solche keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 dar. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei jedenfalls nicht glaubwürdig ableitbar, daß er aufgrund eines in der Genfer Konvention bzw. im § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Grundes im Falle seiner Aufgreifung und Verurteilung eine differenzierte Bestrafung im Vergleich zu anderen irakischen Staatsangehörigen zu erwarten habe.
Das Vorbringen, daß er im Falle einer Rückkehr in den Irak wegen der wiederholten Desertionen mit der Todesstrafe zu rechnen habe, erscheine der belangten Behörde nicht glaubhaft, da der Beschwerdeführer laut seinen eigenen Angaben bereits zweimal wegen dieses Deliktes festgenommen worden sei, man ihn jedoch als Strafe lediglich für kurze Zeit inhaftiert habe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum er im Falle einer eventuellen abermaligen Festnahme wegen der behaupteten Desertion dieses Mal mit der behaupteten Strafe zu rechnen habe.
Bezüglich seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und seinem Vorbringen, daß er Sympathisant der Kurdischen Demokratischen Partei sei, führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer aus diesen Gründen - laut eigenen Angaben - KEINERLEI Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Minderheit allein sei jedoch ebensowenig ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling wie allein die "Mitgliedschaft oder Sympathisierung" mit einer politischen Gruppierung.
Dem in der Ergänzung zum Berufungsvorbringen gestellten Antrag zur Einholung einer Stellungnahme des UNHCR über die Situation von Deserteuren im Irak sei nicht nachzukommen gewesen, da allgemeine Aussagen über die Situation im Irak nicht genügend Aussagekraft aufwiesen, um daraus auch konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen ableiten zu können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt weder die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst noch die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung, einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar, sofern nicht Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge einer im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen für den Beschwerdeführer ungünstiger als für andere Wehrpflichtige erfolgt (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, und das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zl. 94/20/0687, uva.).
Die belangte Behörde übersieht, daß der Beschwerdeführer - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - im Jahr 1987 auch eine Verfolgung aufgrund seiner Sympathie zur Kurdischen Demokratischen Partei (NEBEN dem Vorwurf der Desertion) und eine viermonatige Haft samt konkret geschilderten Mißhandlungen behauptet hat.
In Berücksichtigung dieser Behauptung und den Ausführungen des Beschwerdeführers zum kurdischen Aufstand nach seiner Desertion ist aus dem Gesamtzusammenhang der Angaben des Beschwerdeführers mit noch hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, daß er aufgrund seiner politischen Gesinnung eine strengere Bestrafung nach der neuerlichen Desertion befürchte, als sie anderen Wehrpflichtigen drohe. Aufgrund der auf seiten des Beschwerdeführers gleichartigen Ausgangssituation wie bei der Haft samt Mißhandlungen im Jahre 1987 könnte - bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers - dieser Furcht die asylrelevante Wahrscheinlichkeit nicht von vornherein abgesprochen werden.
Die belangte Behörde hat die letztmalige Desertion des Beschwerdeführers ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflicht behandelt und damit den Zusammenhang zwischen der aufgrund seiner Desertion drohenden Strafe mit seiner politischen Gesinnung verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher aufgrund der im bereits oben erwähnten hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994 - auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - aufzuheben.
Abgesehen von den obigen Gründen ist die belangte Behörde aber auch darauf hinzuweisen, daß ihr weiteres Argument, man habe den Beschwerdeführer wegen vorangegangener Desertionen zweimal "lediglich für kurze Zeit inhaftiert" (nach dem Beschwerdevorbringen waren dies bei der Erstdesertion drei Monate, nach der zweiten Desertion vier Monate samt Mißhandlungen), weshalb auch deshalb die nunmehr behauptete Strafe "nicht glaubhaft" sei, unschlüssig ist. Denn es ist - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - eine Erfahrungstatsache, daß Wiederholungstäter strengeren Strafdrohungen ausgesetzt sind als Ersttäter.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200358.X00Im RIS seit
20.11.2000