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Baurecht - WienNorm
AVGBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Ehrhart und die Räte Dr. Wimmer, Dr. Werner, Dr. Borotha und Dr. Vejborny als Richter, im Beisein des Ministerialsekretärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des A-vereines, vertreten durch den öffentlichen Verwalter Sektionsrat Dr. L, dieser vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Emmerich Hunna in Wien, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, M.Abt. 64 vom 7. Jänner 1949, Zl. M.Abt. 64 - 566/46, betreffend Sprengungskosten, nach der am 8. Mai 1950 durchgeführten öffentlichen Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters, sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwaltes Dr. Walter Ender, und für die belangte Behörde, Obermagistratsrates Dr. FK, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Gesetzwidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Begründung
Der beschwerdeführende Verein ist Eigentümer der Häuser E-Straße 1 und 3 im Wiener Gemeindebezirk Landstrasse. Diese Häuser wurden am 8. April 1945 durch Artilleriegeschosse schwer getroffen und brannten zum grössten Teile aus. Am 6. August 1945 wurde an die Magistratsabteilung 4 eine Anzeige über Baugebrechen an dem Hause Nr. 3 erstattet und das Gebrechen wie folgt bezeichnet: „freistehende und einsturzgefährliche Feuermauer“. Die genannte Magistratsabteilung erliess dann am 28. August 1945 einen Bescheid, mit welchem dem Eigentümer des Hauses Nr. 3 in Anwendung des § 57 AVG gemäss § 129 Abs. 4 der BauO f. Wien der Auftrag erteilt wurde, unverzüglich die absturzgefährlichen Mauerteile abtragen zu lassen. Die Rechtsmittelbelehrung erklärte eine Vorstellung gemäss § 57 Abs. 2 AVG für zulässig. Über die Zustellung und die weiteren Auswirkungen dieses Bescheides und über die allfällige Einbringung eines Rechtsmittels ist aus den Verwaltungsakten nichts ersichtlich. Am 6. Dezember 1945 erging dann eine Mahnung der Behörde an den Eigentümer, er möge dem Auftrag vom 28. August 1945 unverzüglich nachkommen, widrigenfalls im Sinne der Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes strafend vorgegangen oder die Leistung auf Kosten und Gefahr des Säumigen bewerkstelligt werden würde. Auch in diesem Fall ist über die Zustellung nichts ersichtlich. Am 21. Dezember 1945 fand dann eine Verhandlung statt, deren Gegenstand ein im Auftrag des Magistrates gestellter Antrag der Sprengunternehmung K, W, auf Genehmigung von Auflockerungssprenungen an den Häusern E-Straße 1 und 3 war. Bei der Verhandlung wurde festgestellt, dass das Haus Nr. 1 an der Ecke E-Straße L-Straße eine durch die ganze Gebäudehöhe gehende Sprenglücke, an der Ecke R-Gasse einen durch die Fensterachse von unten bis oben reichenden Riss erlitten habe. Alle drei Fronten wurden als einsturzgefährlich erkannt. Daraus wurde die Notwendigkeit abgeleitet, das Haus E-Straße 1 einen Meter über dem Strassenniveau zu sprengen. Bezüglich des Hauses E-Straße 3 wurde festgestellt, dass das Gesims gegen das Haus Nr. 5 äusserst absturzgefährlich sei und auch Teilreste des 4. Stockwerks abzustürzen drohen. Eine Totalsprengung des Hauses sollte jedoch nach den getroffenen Feststellungen Schwierigkeiten begegnen, da durch eine solche der Zugang zu dem bewohnten Hintertrakt verschüttet würde. Nur der linksseitige Hausteil sollte demnach 1 m über dem Strassenniveau gesprengt werden, während das Haus vom Anschlusas an das Haus Nr. 5 bis einschliesslich der Einfahrt von Hand aus abgetragen werden sollte. Die Hausinhabung erhielt den Auftrag, die Räumung der zwei Wohnungen und der zwei Geschäftslokale im Vordertrakt zu veranlassen und die Abtragungs- und nötigen Sicherungsmassnahmen sofort in die Wege zu leiten. Nach dem ganzen Zusammenhang kann der Abtragungsauftrag also nur auf die von Hand aus abzutragenden und nicht auch die zu sprengenden Teile bezogen werden. Auch kehrt dieser Auftrag in dem Bescheid, der als Ergebnis der Verhandlung zustande kam, nicht wieder. Dieser Bescheid enthält die Bewilligung der Sprengung nach § 123 Abs. 7 der BauO und trifft über die Kosten der Massnahme keine Anordnung. Als nun dem öffentlichen Verwalter des Vereines die Rechnung über die Sprengung übermittelt wurde, erbat er beim Wiener Magistrat am 1. Februar 1946 die Überprüfung der Rechnung, die Bestätigung der Angemessenheit des Preises und eine Feststellung darüber, ob die in Rechnung gestellten Arbeiten nicht auch andere Bauwerke als die im Eigentum des Vereines stehenden betroffen hätten, schliesslich aber die Erlassung eines Bescheides über die Pflicht zur Kostentragung. Der öffentliche Verwalter erhielt darauf eine Bestätigung über die Angemessenheit des Preises und zunächst eine formlose Mitteilung, dass die Kosten gemäss § 129 der BauO vom Hauseigentümer zu tragen seien. Der öffentliche Verwalter erbat nun neuerlich die Erlassung eines Bescheides. In einer Mitteilung der Magistratsabteilung 36 vom 12. März 1946 wurde neuerlich die Rechnung als überprüft bezeichnet und die Mitteilung, der Eigentümer habe die Kosten zu tragen, wiederholt. Am 16. März 1946 wurde dann ein Bescheid erlassen, in dem der A-verein unter Berufung auf den § 129 Abs. 6 der BauO f. Wien zur Zahlung der Kosten in der Höhe von 18.929 S 12 g aufgefordert wurde. Gegen diesen Bescheid brachte der Verein Berufung ein und führte in dieser im wesentlichen aus, dass die durch Kriegsereignisse entstandenen Schäden zu Lasten der öffentlichen Hand gehen und dass die von der Behörde herangezogene Gesetzesstelle keine Anwendung finden könne. Schliesslich wurde unter Hinweis auf die sozialen Aufgaben des Berufungswerbers Billigkeitsgründe gegen die behördliche Entscheidung geltend gemacht. Die Wiener Landesregierung hat mit dem im Bescheid der Magistratsabteilung 64 vom 7. Jänner mitgeteilten Beschluss vom 4. Jänner 1949 den angefochtenen Bescheid gemäss § 66 Abs. 3 AVG dahin ergänzt, dass der Auftrag zum Kostenersatz auf § 76 AVG, § 129 Abs. 6 der BauO und § 3 des VVG gestützt, die Berufung im übrigen aber als unbegründet abgewiesen wird. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde bestreitet zunächst für den Bereich der Kriegsschäden grundsätzlich die Anwendbarkeit der Bauordnung oder nach den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zumindest die Anwendbarkeit des § 129 Abs. 6 dieses Gesetzes, soweit dort der Eigentümer zur Kostentragung verpflichtet wird. Die Beschwerde geht hiebei davon aus, dass die Anwendbarkeit der zitierten Gesetzesstelle hänge davon ab, dass der zu behebende Schaden durch die Benützung oder durch die Unterlassung der für die ordnungsgemässe Erhaltung notwendige Obsorge entstanden ist. Dies soll schon aus der Überschrift der grundlegenden Gesetzesstelle abgeleitet werden, wobei aber übersehen wird, dass diese in ihrem vollen Wortlaut in der nunmehr gültigen Fassung nicht „Benützung und Erhaltung der Gebäude“, sondern „Benützung und Erhaltung der Gebäude, vorschriftswidrige Bauten“ lautet. Dass auch der das öffentliche Interesse berührende Zustand von Ruinen, die durch Kriegseinwirkung entstanden sind, unter den Begriff des Baugebrechens nach der Wiener Bauordnung fällt, hat der Gerichtshof in dem Erkenntnis vom 26. Juni 1950, Zl. 335/49, auf dessen Begründung im Sinne des Art. 19 Z 4, der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 77/1946, verwiesen wird, ausführlich begründet.
Die Beschwerde beruft sich aber auch die Einführungsbestimmungen der Bauordnung, und zwar auf deren Artikel 1, in dem angeordnet wird, dass die Bauordnung insoweit keine Geltung habe, als eine Angelegenheit in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Nach Art. 10 Z 15 B-VG seien aber - so führt die Beschwerde aus - Gesetzgebung und Vollziehung in Kriegsschädenangelegenheiten ausschließlich dem Bunde vorbehalten. Nun ist aber nach Auffassung des Gerichtshofes der Begriff „Kriegsschädenangelegenheiten“ im Zusammenhang des Art. 10 Z 15 B-VG dahin zu verstehen, dass nur die finanzielle Seite des Kriegsschädenproblems, also die Fragen der Entschädigung, nicht aber die der tatsächlichen Bauschädenbehebung und der baupolizeilichen Gefahrenabwehr mitinbegriffen sind. Für diese Auffassung spricht auch der Inhalt des Wohnhauswiederaufbaugesetzes vom 16. Juni 1948, BGBl. Nr. 130/1948, dessen Gegenstand der Wiederaufbau der durch die Kriegseinwirkungen beschädigten oder zerstörten Wohnhäuser und der Ersatz des durch Kriegseinwirkungen zerstörten Hausrates ist, das aber nicht erkennen lässt, dass der Bund für den Bereich der Kriegsschäden baupolizeiliche Aufgaben aus der Kompetenzbestimmung des Art. 10 Z 15 ableiten will. Im wesentlichen betrachtet, war auch das Recht der Entschädigung, nicht das der baubehördlichen Behandlung der Bauschäden der Gegenstand der das Kriegssachschädenrecht des Deutschen Reiches behandelnden Normen (Verordnung vom 30. November 1940, DRGBl. I S. 1547), wenn auch in gewissen Fällen eine Ersatzleistung in Natur vorgesehen war. Die reichsdeutsche Regelung des Kriegssachschädenrechtes, die freilich zur Zeit der Durchführung der Sprengung noch als österreichisches Recht in Geltung stand, ist inzwischen rückwirkend, und zwar mit Wirkung vom 27. April 1945 durch das obenzitierte Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz aufgehoben worden, so dass daraus keine Ansprüche mehr abgeleitet werden können. Aber selbst im Falle der Weitergeltung dieser Normen hätte der beschwerdeführende Verein keinen Anspruch in der Richtung besessen, dass die Baubehörde die Kosten der zur baupolizeilichen Gefahrenabwehr erforderlichen Massnahmen selbst zu tragen hätte. Die Vergütung der Kriegsschäden wäre dann allenfalls durch den Bund, niemals aber durch die in Bausachen im allgemeinen, von bestimmten hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, zur Gesetzgebung und Vollziehung berufenen Ländern zu leisten gewesen. Übrigens hat der Gerichtshof bei Behandlung des Problems, ob die Einbringlichkeit der Kosten bei den Mietern nach den Bestimmungen des Mietengesetzes im baurechtlichen Bereich für die Verpflichtung des Eigentümers zur Behebung der Baugebrechen bedeutsam sein kann, die Unabhängigkeit der baurechtlichen Verpflichtung des Eigentümers von den in anderen Gesetzen festgelegten Kostentragungspflichten klar ausgesprochen (vgl. die Erkenntnisse Slg. Nr. 13389 A vom 3. September 1923 und insbesondere Slg. Nr. 13450 A vom 5. Februar 1924). Ähnlich wie dort ausgesprochen wurde, dass Erwägungen über die Aufbringung der Mittel für die Beseitigung der Baugebrechen nicht in den Wirkungsbereich der Baubehörde fallen und die bezüglichen Bestimmungen des Mietengesetzes von der Baubehörde unbeachtet bleiben können, muss auch in dem im vorliegenden Erkenntnis behandelten Fragenbereich vom baurechtlichen Standpunkt aus das Problem der Entschädigung unter dem Gesichtspunkt des Kriegssachschädenrechtes ausser Betracht bleiben.
Wenn die Beschwerde aus dem Art. 5 der Einführungsbestimmungen der Bauordnung ableiten will, dass dieses Gesetz für den Bereich der Kriegsschäden nicht anwendbar sei, so kann der Gerichtshof ihr auch hierhin nicht folgen. Der Umstand, dass die Landesregierung nach der zitierten Bestimmung das Recht hat, zur Linderung eines Notstandes, der durch Elementarereignisse hervorgerufen ist, auf eine bestimmte Zeit insofern Ausnahmebestimmungen zu erlassen als dies nach der Lage des Falles geboten ist und hiedurch subjektive Rechte nicht beeinträchtigt werden, spricht nicht für die Unanwendbarkeit der Bauordnung im Katastrophenfall, soweit eben derartige Ausnahmebestimmungen nicht erlassen worden sind. Aus dem Wiener Landesgesetz vom 21. Juli 1947, LGBl. für Wien Nr. 20/1947, das erst am 6. Oktober 1947, also nach Durchführung der Sprengung im vorliegenden Falle in Kraft trat, ergibt sich, dass der Eigentümer einer Baulichkeit, die durch Kriegseinwirkungen beschädigt wurde, nunmehr verpflichtet ist, den Bauzustand durch einen befugten Baugewerbetreibenden ständig überwachen zu lassen und erforderlichenfalls geeignete Vorkehrungen zur Hintanhaltung einer Gefährdung allenfalls durch Abtragung zu treffen hat. Diese Bestimmung ist aber nicht etwa so zu verstehen, als ob der Sachverhalt, der sich aus dem gefährlichen Bauzustand von Ruinen ergibt, hier erstmalig geregelt worden wäre. Der massgebliche § 4a des zitierten Landesgesetzes stellt vielmehr, wie die früheren Ausführungen erweisen, nur die später getroffene Regelung eines Sachverhaltes dar, der schon vorher durch die allgemeinere Norm des § 129 der Bauordnung erfasst war.
Der Gerichtshof verkennt keineswegs, dass das auf diese Weise ermittelte Ergebnis in vielen Fällen eine ausgesprochene Härte bedeuten wird. Das mehrfach zitierte Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz (BGBl. Nr. 130/1948) hat die früher getroffene Regelung der Kriegsschädenfrage beseitigt und die Fondshilfe durch Kreditgewährung an ihrer Stelle eingerichtet. Das im vorliegenden Fall gestellt Problem, wer jene Lasten zu tragen hat, die durch den gefährlichen Zustand zerstörter Häuser noch weiterhin erwachsen sind, hat das genannte Gesetz nicht gelöst. Dass der Eigentümer, der durch Kriegseinwirkungen um sein Haus gekommen ist, nunmehr auch allein die Kosten jener Massnahmen zu tragen hat, die zur Abwehr der aus dem Zustand seines zerstörten Eigentums erwachsenden Gefahren nötig sind, mag vielfach als unbillig empfunden werden. Diese Härte kann jedoch durch richterliche Tätigkeit nicht beseitigt werden.
Doch kann der Beschwerde aus anderen Gründen der Erfolg nicht versagt bleiben. Aus der Erkentnnis, dass der gefährliche ruinenhafte Zustand der beiden Häuser E-Straße 1 und 3 ein Baugebrechen im Sinne der Bauordnung darstellt, folgt die Anwendbarkeit des § 129 Abs. 4 dieses Gesetzes. So war die Baubehörde berechtigt, unter Einhaltung einer angemessenen Frist dem Hauseigentümer den Auftrag zur Durchführung der notwendigen Sicherungsmassnahmen und zur Abtragung von Gebäuden und Gebäudeteilen zu geben. Ein solcher Auftrag, der sich auf alle dann tatsächlich durchgeführten Massnahmen bezogen hätte, wurde aber nicht erteilt. Nach § 129 Abs. 6 der Bauordnung ist die Behörde berechtigt, bei Gefahr im Verzuge, auch ohne Anhörung der Partei, die erforderlichen Verfügung und Sicherungsmassnahmen auf Gefahr und Kosten des Eigentümers anzuordnen und vollstrecken zu lassen. Während nach § 129 Abs. 4 die Normen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes einzuhalten sind, sind die Massnahmen nach § 129 Abs. 6 Akte der Notstandspolizei. Hier ist die Behörde berechtigt, ohne Einhaltung verfahrensrechtlicher Normen, ohne Erlassung eines Bescheides auf Gefahr und Kosten des Eigentümers jenen Zustand herzustellen, die sie sonst nur nach Erlassung eines Bescheides in Vollstreckung desselben, allenfalls im Wege der Ersatzvornahme hätte herstellen können. Die belangte Behörde hat nun ihren angefochtenen Bescheid auf den § 129 Abs. 6 der Bauordnung, den § 76 AVG und den § 3 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes gestützt. Der Gerichtshof hat in dem Erkenntnis vom 26. Juni 1950 bereits ausführlich dargelegt, in welchem Verhältnis diese zitierten Normen zu einander stehen und dass die gleichzeitige Bezugnahme auf den § 76 AVG und den § 129 Abs. 6 unzulässig ist. Die Bestimmung des § 76 - gemeint ist offenbar der Absatz 2 Satz 2 dieses Paragraphen - ist weder anwendbar, wenn es sich um Vollstreckungsmassnahmen handelt noch auch, wenn die Kosten notstandspolizeilicher Akte hereingebracht werden sollen. In beiden Fällen ist nicht die allgemeine verfahrensrechtliche Norm, sondern die Sonderbestimmung, nämlich im ersten Fall die des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (§ 3 und 11 VVG), im zweiten Fall eben die des § 129 Abs. 6 der Bauordnung selbständig anwendbar. Die Bezugnahme auf § 76 Abs. 2 AVG ist daher gesetzwidrig. Es ist nunmehr zu prüfen, ob etwa der § 3 VVG eine entsprechende Grundlage für den angefochtenen Bescheid bildet, indem ein Verfahren nach der Verwaltungsvollstreckungsgesetz, nämlich eine Ersatzvornahme (§ 4 VVG) vorliegt. Weder der Bescheid vom 28. August 1945, der sich nur auf eines der beiden Häuser bezog und nur die Abtragung bestimmter absturzgefährlicher Mauerwerkteile anordnete noch die zu diesem Bescheid ergangene Mahnung oder die bei der Sprengungsverhandlung ergangenen Anordnungen können aber als Bescheide betrachtet werden, die als Vollstreckungstitel in Betracht kommen. Es handelt sich daher nicht um eine Ersatzvornahme im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes.
Der angefochtene Bescheid könnte seine inhaltliche Rechtfertigung demnach nur im § 129 Abs. (6) der Wiener Bauordnung finden. Nach Ansicht des Gerichtshofes ist dies nicht der Fall. Die zitierte gesetzliche Bestimmung regelt Belange der Notstandspolizei. Zum Wesen der Notstandspolizei gehört es, dass das behördliche Handeln durch eine unmittelbar drohende Gefahr nötig wird. Die Abwendung dieser Gefahr muss derart dringend sein, dass keine Zeit mehr bleibt, den Eigentümer zu hören, ihm einen Auftrag zu erteilen und den Bescheid zu vollstrecken. Das Vorliegen von Baugebrechen an den beiden Häusern des beschwerdeführenden Vereines war der Baubehörde seit dem August 1945 bekannt. Sie kannte auch den Eigentümer, dessen Vertreter und seine Anschrift. So war die Behörde durchaus in der Lage, einen Auftrag nach § 129 Abs. 4 in Bezug auf alle notwendigen Massnahmen zu erteilen. Sie konnte diesen Auftrag nach Aberkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nach vorangegangener Androhung durch Ersatzvornahme vollstrecken und hätte dann die Kosten nach §§ 11 und 3 VVG eintreiben können. Sie hat dies jedoch unterlassen und ihr Vorgehen, das verfahrensrechtlich verfehlt war, nachträglich durch die Heranziehung des § 129 Abs. 6 der Bauordnung zu rechtfertigen versucht.
Wie eben ausgeführt, könnte dieser Versuch nicht als gelungen angesehen werden. Der Gerichtshof war jedoch nicht in der Lage, die vorstehende Erwägungen, die sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides beziehen, seinem Spruch unmittelbar zugrunde zu legen. Aus der Erkenntnis, dass bei dem gegebenen Sachverhalt der meritorische entscheidende Rechtsfrage in der Anwendbarkeit des § 129 Abs. 6 der Wiener Bauordnung gelegen ist, folgt nämlich die Unzuständigkeit der belangten Behörde und damit eine Rechtslage, welche die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, ohne Rücksicht auf dessen inhaltliche Gesetzmässigkeit gemäss § 42 Abs. (2) lit. b VwGG herbeiführt. Da nämlich der Rechtszug in der Kostenfrage immer an die Rechtsmittelbehörde geht, die in der Sache selbst zuständig ist, war zur instanzmässigen Entscheidung über nach § 129 Abs. 6 der Bauordnung vorzuschreibende Kosten nicht die Landesregierung (als Berufungsbehörde in Vollstreckungssachen für den Bereich der Landesverwaltung), sondern die Baubehörde zuständig.
Die Frage einer allfälligen Verpflichtung zum Ersatz der von der Gemeinde Wien aufgewendeten Kosten der Sprengung durch den Hauseigentümer könnte daher nur unter dem Gesichtspunkt der §§ 1042 ff ABGB beurteilt werden. Die Geltendmachung eines solchen Anspruches kann aber nicht im Verwaltungsverfahren, sondern nur vor den ordentlichen Gerichten erfolgen.
Wien, am 19. Juni 1950
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1950:1949000385.X00Im RIS seit
02.11.2021Zuletzt aktualisiert am
02.11.2021