TE OGH 2021/9/14 8Ob55/21b

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. L*****, geboren ***** 2007, und 2. C*****, geboren ***** 2010, beide vertreten durch die Mutter Mag. S*****, diese vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters W*****, vertreten durch Mag. Thomas Lechner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. Februar 2021, GZ 48 R 34/21m-63, mit dem
der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 25. November 2020, GZ 10 Pu 8/15y-55, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Pflegschaftssache wird dem Rekursgericht zur Entscheidung über den Rekurs des Vaters gegen Punkt 1a und 2a des Beschlusses des Erstgerichts zurückverwiesen.

Text

Begründung:

[1]       Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit Beschluss vom 25. 11. 2020 für den Zeitraum 1. 9. 2018 bis 30. 11. 2020 zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands von 4.232 EUR für den älteren (Punkt 1a) und 2.394 EUR für den jüngeren Sohn (Punkt 2a) sowie ab 1. 12. 2020 zu einem laufenden monatlichen Unterhalt von jeweils 490 EUR pro Kind (Punkt 1b und 2b), wies ein darüber hinausgehendes Unterhaltsbegehren der Söhne ab (Punkt 3 und 4) und behielt sich die Entscheidung über einen Sonderbedarf vor (Punkt 5).

[2]       Die Söhne ließen diesen Beschluss unangefochten.

[3]       Über Rekurs des Vaters setzte das Rekursgericht den laufenden Unterhaltsanspruch der beiden Minderjährigen gegenüber dem Vater ab 1. 12. 2020 bis auf weiteres monatlich mit je 361 EUR fest und wies das monatliche Mehrbegehren der Kinder ab. Dem legte es eine
– vom Vater im Rechtsmittel zugestandene – Unterhaltsbemessungsgrundlage von nur 2.008 EUR (statt 2.727 EUR) zugrunde, weil das Erstgericht unrichtigerweise eine freiwillige Zuwendung von dritter Seite an den Vater in Höhe von 30.000 EUR als Privatentnahme aus dem Unternehmen beurteilt habe. Im Übrigen ging es davon aus, dass der Vater den Beschluss des Erstgerichts in Ansehung des festgesetzten Unterhaltsrückstands unbekämpft gelassen habe.

[4]       Gegen diese Entscheidung, soweit das Rekursgericht damit über den Unterhaltsrückstand (Punkt 1a und 2a des erstgerichtlichen Beschlusses) nicht abgesprochen hat, richtet sich der – vom Rekursgericht aus Anlass der darin implizit enthaltenen Zulassungsvorstellung nachträglich für zulässig erklärte (§ 63 Abs 3 AußStrG) – Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er im Ergebnis eine nicht vollständige Erledigung seiner Sachanträge rügt.

[5]       Die Minderjährigen beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[6]       Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[7]       1. Gemäß § 47 Abs 3 AußStrG muss der Rekurs kein bestimmtes Begehren enthalten, aber hinreichend erkennen lassen, aus welchen Gründen sich die Partei beschwert erachtet und welche andere Entscheidung sie anstrebt (Rekursbegehren); im Zweifel gilt der Beschluss, gegen den Rekurs erhoben worden ist, als zur Gänze angefochten. § 9 AußStrG ist nicht anzuwenden.

[8]            Die in § 47 Abs 2 und 3 AußStrG formulierten Anforderungen an eine Rekursschrift sind – in bewusster Fortschreibung der schon vor dem AußStrG 2005 bestehenden Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0006994) – weniger streng als im streitigen Verfahren (Motal/Krist in Schneider/Verweijen, AußStrG § 47 Rz 5 mwN).

[9]            Generell gilt, dass es für die Beurteilung des Umfangs der Anfechtung nicht allein auf die Textierung des Rechtsmittelantrags ankommt, sondern auf den gesamten Inhalt des Rechtsmittels (RS0006674 [T37]; siehe auch RS0036653). Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass bei Unterhaltsbemessung die Ausführung „der Beschluss werde zur Gänze angefochten“ genügt (RS0006674 [T25]).

[10]     2. Eingangs seines Rekurses erklärte der Vater, dass der [erstgerichtliche] Beschluss „seinem gesamten Inhalte nach angefochten“ werde. Sowohl mit Verfahrens- als auch Beweisrüge wandte er sich in der Folge gegen die Feststellung des Erstgerichts, dass er seit August 2018 monatlich (nur) 700 EUR für beide Kinder gezahlt hatte. Resümierend führte er aus, dass das Erstgericht richtigerweise zu der Erkenntnis hätte gelangen müssen, „dass ein Unterhaltsrückstand nicht besteht und der laufende Unterhalt der Minderjährigen […] 18 % der Bemessungsgrundlage von 2.008 EUR, sohin 361,44 EUR, beträgt“. Abschließend beantragte er in erster Linie, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass er ab dem 1. 12. 2020 einen monatlichen Unterhalt für die Minderjährigen von 361 EUR zu leisten habe. In eventu stellte er einen Antrag auf Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Pflegschaftssache an das Erstgericht.

[11]           3. Angesichts dieses Rechtsmittelinhalts kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Vater auch den vom Erstgericht für den Zeitraum vom 1. 9. 2018 bis 30. 11. 2020 ermittelten Unterhaltsrückstand von 4.232 EUR hinsichtlich des älteren bzw 2.394 EUR hinsichtlich des jüngeren Sohnes bekämpft hat, und zwar mit dem Ziel, dass die Verpflichtung zur Zahlung eines Rückstands zur Gänze entfällt. Damit lässt sich auch sein Rechtsmittelantrag in Einklang bringen, dem offenbar eine ersatzlose Behebung des erstgerichtlichen Beschlusses im Anfechtungsumfang vor Augen steht, soweit er über einen monatlichen Unterhaltszuspruch von 361 EUR pro Kind ab 1. 12. 2020 hinausgeht (arg: „und“). Dementsprechend kann von einer – wie die Revisionsrekursgegner meinen – Divergenz zwischen Anfechtungserklärung und Anfechtungsantrag, bei der grundsätzlich der Rechtsmittelantrag maßgeblich wäre (RS0043624 [T1]), keine Rede sein, auch wenn der Vater im Rekurs nicht ausdrücklich die Abweisung des Mehrbegehrens seiner Söhne in Bezug auf den vergangenen und laufenden Unterhalt beantragt hat.

[12]           4. Zu Unrecht hat sich das Rekursgericht daher nicht mit den Ausführungen des Vaters zum Nichtvorliegen eines Unterhaltsrückstands auseinandergesetzt und die (allein) für den Unterhaltsrückstand relevante Verfahrens- und Beweisrüge unerledigt gelassen.

[13]           5. Die unvollständige Erledigung eines Sachantrags stellt einen Verfahrensmangel im Sinne des § 57 Z 3 AußStrG dar (vgl zu § 496 Abs 1 Z 1 ZPO: RS0041471, RS0041472), der hier zur Zurückverweisung der Sache an das Rekursgericht führen muss (vgl 6 Ob 141/04k).

Textnummer

E132967

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00055.21B.0914.000

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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