TE OGH 2021/9/14 6Ob26/21y

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S*****, Rechtsanwalt, *****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der W***** P***** GmbH (AZ ***** des Landesgerichts *****), vertreten durch GRAF & PITKOWITZ Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. B***** Mag. S***** Rechtsanwälte OG, *****, vertreten durch Mag. Ulrich Berger und Mag. Christof Pusswald, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, 2. Mag. W*****, Rechtsanwalt, *****, 3. Mag. M*****, Rechtsanwalt, *****, und deren Nebenintervenientin U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 458.819,81 EUR sA (Revisionsinteresse 78.819,81 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2020, GZ 4 R 124/20t-44, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 20. April 2020, GZ 41 Cg 27/19p-35 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Urteil des Erstgerichts, soweit es nicht im Umfang der Klageabweisung von 380.000 EUR sA unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, und das Urteil des Berufungsgerichts werden aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]            Die W***** P***** GmbH (künftig: Schuldnerin) ist seit 2. 9. 2008 zu FN ***** im Firmenbuch eingetragen. Sie gehört zur Firmengruppe W*****, die ab dem Jahr 2008 von Ing. ***** K***** aufgebaut wurde und die auf dem Gebiet der Arbeitskräfteüberlassung tätig war.

[2]            Im hier interessierenden Zeitraum ab dem Jahr 2016 war Ing. K***** Alleingesellschafter und -geschäftsführer der Schuldnerin und seit 12. 3. 2016 (Firmenbucheintragung) der W***** A***** GmbH (FN *****). Er war weiters Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von 96 % und Alleingeschäftsführer der H***** GmbH (FN *****). Die H***** GmbH war Alleingesellschafterin der W***** W***** GmbH (seit 12. 10. 2017: W***** W***** GmbH in Liquidation, FN *****), deren selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführer waren Ing. K***** und O*****.

[3]            Am 16. 1. 2017 wurden zu AZ ***** des Landesgerichts ***** über das Vermögen der W***** W***** GmbH, am 28. 9. 2017 zu AZ ***** des *****gerichts ***** über das Vermögen der W***** A***** GmbH, am 19. 1. 2018 zu AZ ***** des Landesgerichts ***** über die Schuldnerin und am 23. 11. 2018 zu AZ ***** des Landesgerichts ***** über die H***** GmbH jeweils Konkursverfahren eröffnet. Über das Vermögen des Ing. K***** wurde mit Beschluss des Landesgerichts ***** vom 20. 11. 2018 zu AZ ***** ebenfalls das Konkursverfahren eröffnet.

[4]       Der Kläger wurde im Konkursverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zum Masseverwalter bestellt.

[5]            Der Zweit- und der Drittbeklagte sind die unbeschränkt haftenden Gesellschafter der erstbeklagten Rechtsanwalts-OG; die Nebenintervenientin ist der Berufshaftpflichtversicherer der Erstbeklagten.

[6]            Seit Mitte 2016 beauftragte Ing. K***** die Erstbeklagte immer wieder mit Mandaten der Schuldnerin, der W***** A***** GmbH und der W***** W***** GmbH, wobei jeweils der Drittbeklagte für die Unternehmen tätig wurde.

[7]            Mit der am 22. 5. 2019 eingebrachten Klage begehrte der Kläger von den Beklagten 458.819,81 EUR samt Zinsen von 4 % seit 21. 11. 2018. Die Beklagten hafteten schadenersatzrechtlich wegen ihres Beitrags zu gravierenden Kapitalerhaltungsverstößen innerhalb der Schuldnerin sowie wegen der Verletzung ihrer anwaltlichen Treue- und Interessenwahrungspflichten. Die Passivlegitimation des Zweit- und des Drittbeklagten folge aus ihrer Stellung als unbeschränkt haftende Gesellschafter der Erstbeklagten, der Drittbeklagte hafte zudem als unmittelbarer Mittäter der Kapitalerhaltungsverstöße.

[8]            Die Erstbeklagte sei in einer Mandatsbeziehung zur Schuldnerin gestanden. Sie habe die gegenüber ihrer Mandantin bestehenden anwaltlichen Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten verletzt. Konkret habe die Erstbeklagte – vertreten durch den Drittbeklagten – aus Geldern der Schuldnerin, die diese treuhändig auf einem Anderkonto der Erstbeklagten erlegt habe, Zahlungen an deren geschäftsführenden Gesellschafter Ing. K***** vorgenommen. Die Zahlungen seien unreflektiert über dessen bloßen „Zuruf“ erfolgt, obwohl die Beklagten wussten, dass ihnen kein tauglicher Rechtsgrund zugrunde liege.

[9]            Konkret seien von dem Fremdgeldkonto folgende – noch revisionsgegenständlichen – Zahlungen an bzw für Ing. K***** geleistet worden: am 30. 11. 2017 eine Zahlung von 42.723,06 EUR an das Finanzamt auf das Steuerkonto von Ing. K*****, am 30. 11. 2017 eine Zahlung von 17.539,33 EUR auf das Beitragskonto von Ing. K***** bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (künftig: SVA) sowie am 4. 12. 2017 eine Zahlung von 8.000 EUR und am 13. 12. 2017 eine Zahlung von 10.557,42 EUR auf Privatkonten von Ing. K*****, insgesamt sohin Zahlungen in Höhe von 78.819,81 EUR.

[10]           Die Erstbeklagte wäre aus dem Mandatsvertrag verpflichtet gewesen, das Vermögen der Schuldnerin zu schützen. Sie hätte die treuhändig anvertrauten Gelder nach § 82 Abs 1 GmbHG nicht ohne Gewinnverwendungsbeschluss an den Gesellschafter auszahlen dürfen. Es sei auch keine betriebliche Rechtfertigung vorgelegen. Die Auszahlungen seien auch deshalb rechtswidrig, weil sie mit dem Erlagszweck, nämlich Gläubiger zu befriedigen und Exekutions- und Insolvenzanträge gegen die Schuldnerin oder deren Schwestergesellschaften abzuwehren, nichts zu tun gehabt hätten. Die Weisungen des geschäftsführenden Gesellschafters auf Auszahlung auf sein Privatkonto seien offenkundig in Missbrauch seiner Vertretungsmacht erteilt worden. Ein pflichtgemäß handelnder Rechtsanwalt hätte derartigen Weisungen nicht Folge leisten dürfen. Die Beklagten hätten den Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften erkennen, Ing. K***** auf die Unzulässigkeit der Auszahlungen hinweisen und der Auszahlung widersprechen müssen. Weisungen des Geschäftsführers der Schuldnerin exkulpierten die Beklagten nicht, weil ein Geschäftsbesorger vertrags-, gesetz- oder sittenwidrige Weisungen nicht befolgen dürfe. Die Beklagten hafteten daher der Schuldnerin für den durch ihre Pflichtverletzung entstandenen Schaden.

[11]           Darüber hinaus hätte die Erstbeklagte die Schuldnerin auch über die Unzulässigkeit der Auszahlungen im Hinblick auf §§ 159, 156, 157 StGB belehren müssen. Die Erstbeklagte habe von dem seit 13. 10. 2017 gegen die Schuldnerin anhängigen Insolvenzeröffnungsverfahren (zunächst AZ ***** des *****gerichts *****, nach Überweisung AZ *****, ***** des Landesgerichts *****) Kenntnis gehabt, weil sie die Schuldnerin zumindest seit 20. 11. 2017 in diesem Verfahren vertreten habe.

[12]           Der Kläger habe die Erstbeklagte am 21. 11. 2018 von den Schadenersatzansprüchen in Kenntnis gesetzt.

[13]           Die Beklagten und die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite bestritten das Klagebegehren und beantragten die Klageabweisung.

[14]           Die Beklagten brachten im Wesentlichen übereinstimmend vor, die Erstbeklagte sei beauftragt gewesen, mit dem von der Schuldnerin zur Verfügung gestellten Geld Klagen, Exekutionsanträge oder Insolvenzanträge gegen den jeweiligen Mandanten abzuwehren. Die Beklagten haben keine Erkundigungs- oder Belehrungspflicht betreffend Einlagenrückgewähr getroffen, weil sie nicht mit der Abklärung gesellschaftsrechtlicher und kapitalerhaltungsrechtlicher Fragen beauftragt gewesen sei. Der Geschäftsführer der Schuldnerin Ing. K***** sei ein erfahrener Geschäftsmann gewesen, dem § 82 GmbHG bekannt gewesen sei. Die Aufklärung über § 82 GmbHG wäre auch nicht geeignet gewesen, ihn von den Überweisungen abzubringen. Er hätte die Gelder auch im Fall einer Rücküberweisung vom Fremdgeldkonto an die Erstbeklagte (im Fall der Weigerung der Beklagten, die angeordneten Überweisungen durchzuführen) gleich verwendet.

[15]           Der Geschäftsführer habe zudem vor jeder Überweisung mitgeteilt, dass er vorab oder folgend Zahlungen für die Schuldnerin geleistet oder durchzuführen habe. Der Drittbeklagte habe keinen Anlass gehabt, daran zu zweifeln. Der Geschäftsführer habe sich auch keine Geschäftsführerbezüge ausgezahlt. Seinen Anweisungen sei bereits wegen seiner Funktion als Geschäftsführer der Schuldnerin zu folgen gewesen. Die Zahlungen hätten zudem im Gewinn der Schuldnerin Deckung gefunden. Den Beklagten fehle die Passivlegitimation, weil sie keinem Rückgabeanspruch nach § 83 Abs 1 GmbHG ausgesetzt sein könnten, seien sie doch nicht Gesellschafter der Schuldnerin. Dritte seien vom Verbot der Einlagenrückgewähr nur im Fall von Kollusion oder grober Fahrlässigkeit erfasst, welche nicht vorlägen.

[16]           Darüber hinaus sei der Schaden nicht im Vermögen der Schuldnerin eingetreten, weil die von der Schuldnerin auf das Fremdgeldkonto eingezahlten Beträge jeweils in die Verfügungsbefugnis derjenigen Gesellschaft übergegangen seien, deren Schuldenfreiheit herzustellen gewesen sei. Der Kläger sei daher nicht aktiv legitimiert.

[17]           Der Drittbeklagte brachte ergänzend vor, die Ansprüche wegen des Verstoßes gegen Kapitalerhaltungsvorschriften könnten der Höhe nach nicht über das eingezahlte Stammkapital der Schuldnerin von 35.000 EUR hinausgehen.

[18]           Die Nebenintervenientin ergänzte noch, die Erstbeklagte habe keine Kenntnis über den Rechtsgrund der Zahlungen gehabt. Es wäre ihr auch nicht zumutbar gewesen, einen Nachweis der Rechtmäßigkeit der beauftragten Zahlungen zu verlangen und widrigenfalls die Durchführung zu verweigern.

[19]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte – über die eingangs wiedergegebenen Feststellungen hinaus – folgenden weiteren Sachverhalt fest:

[20]           Die W*****-Unternehmensgruppe war auf dem Gebiet der Arbeitskräfteüberlassung tätig. Sie hatte zeitweise bis zu 900 Mitarbeiter. Die Schuldnerin fungierte als eine Art Holdinggesellschaft, die im Wesentlichen Aufträge lukrierte, die dann von den anderen Gesellschaften bearbeitet wurden. Die W***** A***** GmbH stellte der Schuldnerin die zu überlassenden Arbeitskräfte zur Verfügung und legte ihr dafür monatlich Rechnungen, die sich auf rund 900.000 EUR bis 1,2 Millionen EUR monatlich beliefen. Die Schuldnerin fakturierte die erbrachten Leistungen an die Kunden und beglich die von der W***** A***** GmbH gelegten Rechnungen nach Einlangen der Kundenzahlungen.

[21]           Im Jahr 2016 gerieten die W***** A***** GmbH und die W***** W***** GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, die Ing. K***** auf das starke Wachstum und auf Unzulänglichkeiten in der Administration zurückführte. Sein oberstes Ziel war, die Eröffnung von Insolvenzverfahren über die beiden Gesellschaften zu verhindern, zumal in diesem Fall auch die Schuldnerin sofort in eine finanzielle Schieflage geraten wäre, weil sie eingehende Aufträge nicht hätte bearbeiten können. Um einen Konkurs abzuwenden, wurde „der Drittbeklagte beauftragt“, alle Forderungen gegen die W***** A***** GmbH geordnet zu begleichen und die Zahlungsziele zu überwachen. Dazu vereinbarten Ing. K***** und der Drittbeklagte, dass die Schuldnerin die dafür erforderlichen Beträge auf ein von der Erstbeklagten zu eröffnendes Fremdgeldkonto überweisen würde, von dem aus der Drittbeklagte über Auftrag von Ing. K***** Zahlungen an die Gläubiger der W***** A***** GmbH leisten sollte. Diese Vorgangsweise wurde für die Abwicklung der weiteren Insolvenzanträge beibehalten.

[22]           Die Erstbeklagte eröffnete ein Fremdgeldkonto für die Schuldnerin, sie führte die Auflistung der Einnahmen und Ausgaben aber „aktenbezogen“. Die Höhe der Einzahlungen auf das Fremdgeldkonto richtete sich jeweils nach der Höhe der vom Drittbeklagten abgeschätzten Verbindlichkeiten einer Gesellschaft. Sämtliche Einzahlungen auf das Fremdgeldkonto stammten aus dem Vermögen der Schuldnerin; die Auszahlungen von diesem Konto wurden vom Drittbeklagten in Absprache und über Anweisung von Ing. K***** in seiner Funktion als Geschäftsführer der Schuldnerin getroffen. Ing. K***** sicherte dem Drittbeklagten stets zu, dass es sich um eine „geschäftliche Verwendung“ der Beträge handle.

[23]           Das am 16. 1. 2017 eröffnete Konkursverfahren über das Vermögen der W***** W***** GmbH wurde mit Beschluss vom 10. 7. 2017, mit dem ein Sanierungsplan bestätigt wurde, aufgehoben.

[24]           Gegen die W***** A***** GmbH wurden im März und im April 2017 weitere Insolvenzanträge gestellt, die in der Folge abgewiesen wurden; ein im Juni 2017 gestellter Insolvenzantrag führte zur Eröffnung des Konkurses am 28. 9. 2017.

[25]           Im Oktober 2017 wurden sowohl gegen die Schuldnerin als auch gegen Ing. K***** persönlich Insolvenzanträge gestellt. Zwecks Abwehr dieser Insolvenzanträge überwies Ing. K***** als Geschäftsführer der Schuldnerin zwischen 20. 11. 2017 und 24. 11. 2017 insgesamt 450.000 EUR auf das Fremdgeldkonto der Erstbeklagten.

[26]           Im gegen Ing. K***** persönlich geführten Konkursverfahren (in dem laut Einsicht in das vj-Register zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** die Erstbeklagte als Schuldnervertreterin ausgewiesen ist) wurde dieser in der ersten Konkurstagsatzung vom Zweitbeklagten vertreten. Ing. K***** erklärte dem Zweitbeklagten vorab, dass die Schuldnerin seine persönlichen Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt und der SVA begleichen könne. Aufgrund der Information, dass das Geld für die Deckung dieser Verbindlichkeiten vorhanden sei, wies das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gegen Ing. K***** ab. Gleichzeitig erteilte dieser dem Drittbeklagten den Auftrag, die ihn persönlich betreffenden Forderungen des Finanzamts von 42.723,06 EUR und der SVA von 17.539,33 EUR vom Fremdgeldkonto aus zu tilgen und die Zahlungen bei dem die Schuldnerin betreffenden Akt zu buchen. Er wies den Drittbeklagten darauf hin, dass er sich aufgrund der Schwierigkeiten kein Geschäftsführergehalt ausgezahlt und der Schuldnerin einen Teil der Miete für ein Büro, das er an sie vermietet hätte, erlassen habe. Der Drittbeklagte kam dem Auftrag nach, weil Ing. K***** alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Schuldnerin war und weil ihm die Zahlungen „aufgrund der zu erwartenden Einnahmen des Unternehmens in Verbindung mit den offenen Verrechnungsverhältnissen“ nachvollziehbar und vertretbar erschienen.

[27]           Am 4. 12. 2017 und am 13. 12. 2017 forderte Ing. K***** den Drittbeklagten auf, „insgesamt rund 18.000 EUR“ (gemeint sind offenbar die unstrittigen Zahlungen von 8.000 EUR am 4. 12. 2017 und 10.557,42 EUR am 13. 12. 2017, insgesamt sohin 18.557,42 EUR) auf ein von ihm bekannt gegebenes Konto zu überweisen, weil er diese Beträge bereits für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin „aufgewendet hatte“.

[28]           Hätte der Drittbeklagte den Geschäftsführer der Schuldnerin darauf hingewiesen, dass die Zahlungen allenfalls GmbH-rechtlichen Bestimmungen zuwider laufen könnten, hätte dieser dennoch den Auftrag zur Auszahlung in der stattgehabten Form erteilt, weil er der Ansicht war, kaufmännisch alles ordnungsgemäß abzuwickeln und die Gelder rechtsrichtig zu verwenden.

[29]           Rechtlich schloss sich das Erstgericht dem Standpunkt der Beklagten an, sie hätten den Aufträgen des Geschäftsführers der Schuldnerin Folge leisten müssen, weil keine Anhaltspunkte für unrechtmäßige Privatentnahmen oder Kapitalerhaltungsverstöße vorgelegen seien. Der Drittbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass sämtliche Beträge zur Abdeckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaften verwendet würden.

[30]           Das Berufungsgericht gab der Berufung, die sich lediglich gegen die Abweisung eines Teilbegehrens in Höhe von 78.819,81 EUR richtete, nicht Folge und ließ die Revision mangels Vorliegens von Rechtsfragen erheblicher Bedeutung nicht zu.

[31]           Es vertrat die Auffassung, dass die Beklagten weder aus der Verletzung vertraglicher Aufklärungs- oder Warnpflichten über Kapitalerhaltungsverstöße oder mögliche Verstöße gegen §§ 156, 157, 159 StGB, noch aus der Teilnahme im Sinn der §§ 1301 f ABGB an Kapitalerhaltungsverstößen haften.

[32]     Schadenersatzansprüche aus einer allfälligen Beteiligung der Beklagten an Kridadelikten könnten aufgrund deren Schutzzwecks nicht zugunsten der insolventen Gesellschaft, sondern nur von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden.

[33]           Zudem seien die Beklagten vom Adressatenkreis der Kapitalerhaltungsvorschriften nicht erfasst; erfasst seien nur die Gesellschafter, die Gesellschaft und deren Organe. Dritte Personen wie die Beklagten könnten – unter bestimmten Voraussetzungen – nur dann rückersatzpflichtig werden, wenn sie Leistungen empfingen, was hier nicht der Fall sei.

[34]           Die Beklagten hafteten auch nicht aus einem Verstoß gegen vertragliche Pflichten. Der Anwalt habe zwar eine von ihm vertretene Partei vom Abschluss nichtiger Rechtsgeschäfte (etwa wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr) abzuhalten. Hier hätten die Beklagten aber keinen Vertrag errichten oder prüfen, sondern nach Anweisung des Geschäftsführers der Schuldnerin, Ing. K*****, Auszahlungen aus deren Fremdgeldkonto vornehmen müssen. Außerdem decke sich das Handeln eines geschäftsführenden Alleingesellschafters mit dem Willen der Gesellschaft. Für die Beklagten hätten im November und Dezember 2017 keine Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bestanden. Im Übrigen habe sich Ing. K***** im GmbH-Recht ausgekannt, er habe dem Drittbeklagten die geschäftliche Verwendung der Beträge zugesichert, es hätten keine Anhaltspunkte für eine unredliche Geschäftsgebarung bestanden, der Drittbeklagte habe die Deckung der Beträge durch entsprechende Einnahmen der Schuldnerin (Auftragslage und Saldenlisten) geprüft, die vier noch relevanten Zahlungen seien zudem vor Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin und nach Abweisung des Konkurseröffnungsantrags gegen Ing. K***** erfolgt; schließlich habe Ing. K***** die im Dezember überwiesenen Beträge tatsächlich für die Tilgung offener Verbindlichkeiten der Schuldnerin verwendet. Es habe daher keine Verletzung einer Aufklärungs- oder Warnpflicht stattgefunden.

[35]           Der Schaden wäre zudem auch bei Aufklärung über die allfällige Widerrechtlichkeit der Zahlungsanweisungen entstanden. Eine Verweigerung der Auszahlung wäre den Beklagten nicht zumutbar gewesen, weil sie keine sittenwidrigen oder strafgesetzwidrigen Vorgänge hätten vermuten müssen. Dieser Alternativverlauf müsse daher nicht geprüft werden. Es erübrige sich auch die Beurteilung, ob mit den noch gegenständlichen Zahlungen überhaupt eine verbotene Einlagenrückgewähr verwirklicht sei.

[36]           Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinn des Zuspruchs von 78.819,81 EUR sA beantragt. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[37]           Die Beklagten und die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten beantragen in den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen, die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[38]           Der Revisionswerber macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, es fehle Rechtsprechung zu den Aufklärungs- und Verhütungspflichten eines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit möglichen Verstößen gegen Kapitalerhaltungsvorschriften bei der Fremdgeldgebarung; das Berufungsgericht verkenne die im vorliegenden Fall einzuhaltenden Sorgfaltspflichten.

[39]           Die außerordentliche Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts über den Inhalt der anwaltlichen Interessenwahrungspflicht im vorliegenden Fall korrekturbedürftig ist.

Rechtliche Beurteilung

[40]           1. Zum Vertragsverhältnis und der Passivlegitimation der Beklagten

[41]           1.1. Der Kläger und die Beklagten brachten übereinstimmend vor, dass die Mandatsbeziehung der Schuldnerin, die auf die Abwendung des Konkurses über die Schuldnerin abzielte, mit der Erstbeklagten (also nicht mit dem Drittbeklagten persönlich) bestanden habe. Aus dem insofern übereinstimmenden Parteienvorbringen ergibt sich außerdem, dass in aller Regel der Drittbeklagte für die Gesellschaften der W*****-Unternehmensgruppe tätig wurde. Vor dem Hintergrund dieses übereinstimmenden Parteienvorbringens (vgl §§ 266 f ZPO) können die Feststellungen zur Beauftragung der Beklagten, die im Einzelnen divergiern (demnach habe Ing. K***** im Jahr 2016 den Drittbeklagten beauftragt, den Konkurs über die W***** A***** GmbH abzuwenden, aber die Erstbeklagte, den Konkursantrag gegen die W***** W***** GmbH abzuwickeln; hinsichtlich der Beauftragung, die Konkursanträge gegen die Schuldnerin und gegen Ing. K***** persönlich abzuwenden, findet sich insofern keine gesonderte Feststellung), nach ihrem eindeutigen Sinngehalt nur dahin verstanden werden, dass das Mandatsverhältnis, aus dem der Kläger vertragliche Schadenersatzansprüche ableitet, zwischen der Schuldnerin und der erstbeklagten Anwalts-OG zustande gekommen ist. Anderes wurde von der Erstbeklagten, aber auch vom Zweit- und vom Drittbeklagten, nicht behauptet.

[42]           1.2. Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Schadenersatz aus der Verletzung vertraglicher Pflichten besteht daher kein Zweifel an der Passivlegitimation der Erstbeklagten. Die Passivlegitimation des Zweit- und des Drittbeklagten für einen solchen Schadenersatzanspruch ergibt sich aus ihrer Stellung als unbeschränkt haftende Gesellschafter der erstbeklagten Rechtsanwalts-OG (§ 128 UGB). Hinsichtlich der Passivlegitimation liegt daher ein abschließend erledigter Streitpunkt vor.

[43]           Ansprüche gegen die Beklagten nach § 83 Abs 1 GmbHG, wofür die Beklagten ihre Passivlegitimation bestreiten, sind nach der ausdrücklichen Klarstellung in der außerordentlichen Revision nicht Gegenstand des Verfahrens.

[44]           2. Zur Aktivlegitimation der Klägerin

[45]           Die Beklagten stehen auf dem Standpunkt, mit der Überweisung von Geldern der Schuldnerin auf das Fremdgeldkonto sei das Eigentum an den Geldbeträgen jeweils auf die „Dritten“ – nach dem Vorbringen des Drittbeklagten konkret auf die W***** A***** GmbH – übergegangen, zu deren Gunsten die Beträge gewidmet gewesen seien. Daher seien die Auszahlungen vom Fremdgeldkonto nicht aus dem Vermögen der Schuldnerin erfolgt.

[46]           Diese Rechtsansicht findet keine Deckung im festgestellten Sachverhalt. Nach den Feststellungen ordnete Ing. K***** vielmehr ausdrücklich an, dass seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt und der SVA von der Schuldnerin beglichen werden sollten und die Zahlungen auch bei dem die Schuldnerin (und nicht eine andere Gesellschaft) betreffenden Akt („W*****P*****/Wiener GKK“) zu buchen seien. Auch hinsichtlich der beiden weiteren revisionsgegenständlichen Zahlungen vom 4. 12. 2017 und vom 13. 12. 2017 steht fest, dass der Geschäftsführer sie damit begründete, Aufwendungen für die Schuldnerin (und nicht für eine andere Gesellschaft) getragen zu haben. Dafür, dass die Auszahlungen nicht aus dem Vermögen der Schuldnerin, die die Beträge auf dem Fremdgeldkonto erlegte, erfolgt wären, fehlt es somit an jeglicher Grundlage. Es besteht daher kein Zweifel an der Aktivlegitimation des klagenden Masseverwalters. Auch insofern liegt ein abschließend erledigter Streitpunkt vor.

[47]           3. Zu § 82 GmbHG

[48]           3.1. Zweck des § 82 Abs 1 GmbHG ist es, das Stammkapital als „dauernden Grundstock der Gesellschaft“ und als einziges „dem Zugriff der Gläubiger freigegebenes Befriedigungsobjekt“ gegen Schmälerung durch Leistung an die Gesellschafter abzusichern (RS0105518). § 82 GmbHG verbietet im Prinzip jede Zuwendung der Gesellschaft an die Gesellschafter, die nicht Gewinnverwendung ist, und schützt damit das gesamte Gesellschaftsvermögen und nicht nur den dem Stammkapital entsprechenden Teil (RS0105518). Damit bewirkt § 82 GmbHG eine umfassende Bindung des gesamten Vermögens der GmbH (vgl Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [96. Lfg 2017] § 82 Rz 2, 15 mwN). Die Kapitalerhaltungsvorschriften sollen nach ihrem Sinn und Zweck jede (unmittelbare oder mittelbare) Leistung an einen Gesellschafter erfassen, der keine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht und die wirtschaftlich das Vermögen verringert (RS0105532).

[49]           3.2. Unzulässig ist jeder Vermögenstransfer von der Gesellschaft zum Gesellschafter in Vertragsform oder auf andere Weise, die den Gesellschafter aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zu Lasten des gemeinsamen Sondervermögens bevorteilt (RS0105540 [T6]), ausgenommen solche in Erfüllung des Dividendenanspruchs (Gewinnverwendung), sonstiger gesetzlich zugelassener Ausnahmefälle und Leistungen auf der Grundlage fremdüblicher Austauschgeschäfte (6 Ob 161/17w = GesRZ 2018, 112 [Foglar-Deinhardstein] = ÖBA 2019, 519 [Edelmann] = RWZ 2018, 241 [Wenger]; 6 Ob 128/17t GesRZ 2018, 242 [Nowotny] = GES 2018, 237 [Fantur]). Für die Beurteilung der Fremdüblichkeit kommt es darauf an, ob das Geschäft einem Fremdvergleich standhält, das heißt, ob es auch dann so geschlossen worden wäre, wenn kein Gesellschafter (oder eine dem Gesellschafter nahe stehende Person) daraus einen Vorteil zöge (RS0105540 [T1]; RS0120438). Selbst wenn die Leistung aus dem Bilanzgewinn oder den freien Rücklagen vorgenommen werden könnte, ist sie verboten, wenn sie nicht ausdrücklich als Gewinnausschüttung deklariert wird (Artmann in Artmann/Karollus, AktG6 [2018] § 52 AktG Rz 1 mwN).

[50]           3.3. § 82 GmbHG verbietet wegen seines gläubigerschützenden Normzwecks auch Vermögensverschiebungen zugunsten des einzigen Gesellschafters (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 82 Rz 15; Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 82 Rz 60; Auer in Gruber/Harrer, GmbHG² [2018] § 82 Rz 3; vgl auch Artmann in Artmann/Karollus, AktG6 § 52 AktG Rz 2).

[51]           3.4. Ein Geschäft, das gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt, ist nach § 879 Abs 1 ABGB absolut nichtig (RS0105535 [T1]; RS0117033; aus jüngerer Zeit 6 Ob 195/18x).

[52]           3.5. Wenngleich sich das Verbot der Einlagenrückgewähr in erster Linie an die Gesellschaft und den Gesellschafter richtet (RS0105536), kann es auch einem Dritten entgegen gehalten werden, wenn dieser entweder kollusiv gehandelt hat oder sich ein Missbrauch, also der Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, geradezu aufdrängen musste, er sohin grob fahrlässig gehandelt hat oder sogar positive Kenntnis hatte (6 Ob 232/16k; RS0105536 [T2]; vgl RS0105537).

[53]           4. Zu den Pflichten des Rechtsanwalts

[54]           4.1. Der Rechtsanwalt hat gemäß § 9 RAO und § 1009 ABGB die Interessen seines Auftraggebers zu wahren (RS0038731 [T1]). Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwalts sind, nämlich der Pflicht zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203).

[55]           Die Belehrungspflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber solchen Mandanten, die bereits von anderer berufener Seite Rechtsberatung eingeholt haben oder selbst über Rechtskenntnisse und Rechtserfahrung verfügen, wenn sich für den Rechtsanwalt die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des für die professionelle Erledigung des Geschäftsfalls erforderlichen Wissensstands des Auftraggebers herausstellt (RS0038682 [T5, T9]).

[56]     Für Fehler bei der Betreuung ihrer Klienten haben Rechtsanwälte nach dem Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB einzustehen (RS0038682 [T8]).

[57]           4.2. In der Rechtsprechung wurde bereits die Haftung des Rechtsanwalts wegen der unterbliebenen Warnung seines Mandanten vor einem drohenden Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften im Zusammenhang mit der Vertragserrichtung und -prüfung thematisiert. Ein mit der Vertragserrichtung für eine GmbH beauftragter Rechtsanwalt muss demnach dann, wenn die Möglichkeit im Raum steht, dass die Durchführung des Vertrags gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt, die dafür vorliegenden Verdachtsmomente prüfen. Dies folgt aus seiner Verpflichtung zur Interessenwahrung gemäß § 9 Abs 1 RAO, die es auch erfordert, die von ihm vertretene Partei vom Abschluss möglicherweise nichtiger Rechtsgeschäfte abzuhalten (6 Ob 89/20m).

[58]           Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Prüfung von Verdachtsmomenten und zur Verhütung der negativen Folgen von Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften ist aber – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – nicht auf die Vertragserrichtung und -prüfung beschränkt. Sie gilt vielmehr als Ausfluss der allgemeinen Interessenwahrungspflicht des Rechtsanwalts bei allen zwischen dem Mandanten und dem Anwalt geschlossenen Auftragsverhältnissen.

[59]           5. Zur Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall

[60]           5.1. Die Schuldnerin verfolgte das Ziel, den im Oktober 2017 gegen sie gestellten Insolvenzeröffnungsantrag abzuwehren, wozu sie im November 2017 Überweisungen auf das Fremdgeldkonto der Erstbeklagten vornahm.

[61]           5.2. Der Ende November 2017 vom Geschäftsführer der Schuldnerin, Ing. K*****, erteilte Auftrag, aus dem am Fremdgeldkonto erliegenden Guthaben der Schuldnerin die gegen ihn persönlich bestehenden Forderungen des Finanzamts ***** und der SVA zu tilgen, zielt auf eine Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen an den (Allein-)Gesellschafter ab; es handelt sich um eine offene Vermögensverschiebung von der Gesellschaft an diesen. Das trifft auch auf die Aufträge vom 4. 12. 2017 und vom 13. 12. 2017 auf Überweisung von insgesamt 18.557,42 EUR auf ein vom Geschäftsführer bekannt gegebenes Konto zu. Das Vorbringen der Beklagten, der Drittbeklagte hätte nicht gewusst, dass es sich bei dem Konto um ein Privatkonto von Ing. K***** gehandelt habe, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Sie übersehen, dass sich die von ihnen zitierte Feststellung (S 12 des Ersturteils) auf Zahlungen bezog, die im März 2017 erfolgten und die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens sind. Zu den hier interessierenden Zahlungen steht vielmehr fest, dass Ing. K***** die Leistungen damit begründete, Aufwendungen für die Schuldnerin getätigt zu haben. Schon daraus war für den Drittbeklagten erkennbar, dass Ing. K***** auch der Leistungsempfänger sein sollte.

[62]           5.3. Die beauftragten Auszahlungen widersprechen ihrem äußeren Anschein nach diametral dem Verbot der Einlagenrückgewähr des § 82 Abs 1 GmbHG. Darauf, ob die Beträge in den Einnahmen oder in „der Auftragslage und den Saldenlisten“ der Schuldnerin Deckung fanden, kommt es für die Anwendung des § 82 GmbHG – wie ausgeführt – nicht an, sodass sich der Drittbeklagte nicht mit seiner diesbezüglichen Einschätzung zufrieden geben konnte.

[63]           Die Auszahlungen an den Gesellschafter könnten vielmehr nur dann zulässig sein, wenn es sich um Leistungen auf der Grundlage fremdüblicher Austauschgeschäfte (vgl 6 Ob 161/17w [ErwGr 5.4.]) handelte, worauf das Beklagtenvorbringen (Geschäftsführerentgelte und Mietzinsforderungen sowie von Ing. K***** getätigte Aufwendungen) offenbar abzielt.

[64]           5.4. Die Erstbeklagte (konkret der für die Erstbeklagte tätig werdende Drittbeklagte) wäre aufgrund der Verpflichtung zur Interessenwahrung gemäß § 9 RAO aus dem Mandatsvertrag verpflichtet gewesen, die Schuldnerin darauf hinzuweisen, dass sie im Begriff stehe, nach § 82 Abs 1 GmbHG offenkundig unzulässige Auszahlungen vorzunehmen. Es hätte eines konkreten Hinweises darauf und auf die für die Schuldnerin damit verbundenen Gefahren bedurft; ebenso wären die Gründe, aus denen der Gesellschafter-Geschäftsführer die Auszahlungen für „kaufmännisch ordnungsgemäß“ hielt, aufgrund des sich prima facie (6 Ob 199/17h; 6 Ob 195/18x) aufdrängenden Verstoßes gegen § 82 GmbHG konkret zu erörtern gewesen. Dabei sind im hier zu beurteilenden Einzelfall folgende Erwägungen zu beachten:

[65]           5.5. Nach § 83 Abs 1 GmbHG begründet eine nach § 82 GmbHG unzulässige Leistung an den Gesellschafter einen Rückersatzanspruch der Gesellschaft. Im vorliegenden Fall war den Beklagten sowohl die drohende Insolvenzeröffnung über die Schuldnerin als auch das Insolvenzeröffnungsverfahren gegen Ing. K***** bekannt. Der Zweitbeklagte wusste auch, dass der gegen Ing. K***** gestellte Insolvenzantrag nur deshalb abgewiesen wurde, weil seine Gläubiger durch Zahlungen aus dem Vermögen der Schuldnerin befriedigt wurden, die zudem über das Fremdgeldkonto der Erstbeklagten abgewickelt und dem Mandatsverhältnis mit der Schuldnerin zugeordnet wurden. Es war für die Beklagten daher offensichtlich, dass ein allfälliger Rückzahlungsanspruch der Schuldnerin gemäß § 83 Abs 1 GmbHG gegen ihren Gesellschafter (Ing. K*****) für die Schuldnerin mit der konkreten Gefahr verbunden war, nicht oder zumindest nicht zur Gänze einbringlich zu sein. Wenn die Beklagten – auch im Revisionsverfahren – auf dem Standpunkt stehen, dass keine Anhaltspunkte für eine irreguläre Geschäftsgebarung erkennbar gewesen seien, so ist dies nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer der Schuldnerin seine Gläubiger nicht aus dem eigenen Vermögen befriedigen konnte oder wollte, sondern zur Abwendung eines offenen Insolvenzantrags gegen ihn auf das Gesellschaftsvermögen zurückgriff, ist nicht als gewöhnlicher geschäftlicher Vorgang anzusehen. Eine solche Vorgangsweise lässt vielmehr auf einen massiven Interessenkonflikt zwischen der Gesellschaft und ihrem organschaftlichen Vertreter schließen.

[66]           Es wäre daher an den Beklagten gelegen, ihre Mandantin, deren Vermögensinteressen sie schützen sollten, konkret darauf hinzuweisen, dass eine allem Anschein nach gegen § 82 GmbHG verstoßende Zahlung an ihren Gesellschafter zu einem Rückersatzanspruch führen würde, dessen Einbringlichkeit höchst unsicher war. Sie hätten unter den hier vorliegenden Umständen auch danach trachten müssen, einen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften verstoßenden Abfluss liquider Mittel der Schuldnerin im Stadium ihrer eigenen drohenden Insolvenz zu verhindern. Dazu hätten sie als ersten Schritt die vom Geschäftsführer angegebenen Gründe für seine Auszahlungsanweisungen hinterfragen müssen.

[67]           5.6. Da Ing. K***** den Beklagten gegenüber offenkundig auf (zulässige) Leistungen der Gesellschaft an den Gesellschafter aufgrund fremdüblicher Austauschgeschäfte (vgl 6 Ob 161/17w) Bezug nahm, hätten sich die Beklagten in einer Situation wie der vorliegenden konkret vergewissern müssen, ob den vom geschäftsführenden Gesellschafter angeordneten Leistungen der Gesellschaft an ihn selbst plausible Forderungen aus fremdüblichen Geschäften zugrunde lagen. Da im vorliegenden Fall zusätzlich zu den prima facie gegen Kapitalerhaltungsvorschriften verstoßenden Zahlungsaufträgen ein Interessenkonflikt zwischen dem geschäftsführenden Alleingesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft nahe lag, hätten sich die Beklagten – auch wenn sich ein Anwalt im Regelfall auf die tatsächliche Richtigkeit der von seinem Mandanten gegebenen Informationen verlassen darf (vgl RS0038682 [T13]) – nicht mit gänzlich unkonkreten oder unplausiblen Erklärungen begnügen dürfen (vgl RS0105536 [T5] zu den Erkundigungspflichten einer Bank).

[68]           Die nach den Feststellungen von Ing. K***** für die Leistungen an ihn gegebenen Erklärungen, er habe sich aufgrund der Schwierigkeiten kein Geschäftsführerentgelt ausgezahlt, Mietzinsforderungen gegen die Gesellschaft teilweise erlassen und im Übrigen nicht näher konkretisierte Verbindlichkeiten der Schuldnerin abgedeckt, konnten dabei
– aus den im Folgenden dargelegten Gründen – nicht ausreichen, um die nach den Umständen vorliegenden Bedenken gegen die Auszahlungen zu zerstreuen:

[69]           Der bloße Hinweis auf stehen gelassene Geschäftsführerentgelte hätte einer Konkretisierung bedurft, um die zahlenmäßige Entsprechung mit den gewünschten Auszahlungen zumindest annähernd einschätzen zu können; das Gleiche gilt für die behaupteten Mietzinse, soweit diese der Gesellschaft nicht ohnehin erlassen wurden, sodass kein Mietzinszahlungsanspruch mehr bestand.Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme der Schuldnerin und dem Bestreben ihres Gesellschafters, die Gesellschaften zu retten, hätten sich die Beklagten auch vergewissern müssen, ob Ing. K***** der Schuldnerin durch die Tilgung ihrer Schulden sowie die behauptete unterbliebene Auszahlung von Geschäftsführerentgelten und das Erlassen von Mietzinsen nicht in Wahrheit Eigenkapital zuführen bzw auf seine Forderungen gegen die Gesellschaft verzichten wollte. Diesfalls könnte daraus kein Rückzahlungsanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft abgeleitet werden. Selbst wenn nur eine Kreditgewährung an die Gesellschaft intendiert war, hätten die Beklagten im vorliegenden Fall, in dem bereits ein Insolvenzeröffnungsverfahren gegen die Gesellschaft anhängig war, hinterfragen müssen, ob nicht bereits im Kreditgewährungszeitpunkt eine Krise iSd § 2 EKEG vorlag, sodass allfällige vom Gesellschafter gewährte Kredite Eigenkapital ersetzend waren und der Rückzahlungssperre des § 14 EKEG unterlagen.

[70]           5.7. Zusammengefasst hätten die Beklagten die Schuldnerin somit aufgrund ihrer Verpflichtung zur Interessenwahrung vor Auszahlungen, die wegen eines Verstoßes gegen § 82 GmbHG nichtig sein würden, konkret zu warnen und tunlichst zu bewahren. Dies hätte eine Aufklärung der Schuldnerin erforderlich gemacht, die über einen allgemein gehaltenen Hinweis auf einen „allfälligen“ Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften hinausginge.

[71]           6. Zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen

[72]           6.1. Ob der Geschäftsführer der Schuldnerin, Ing. K*****, auch bei entsprechend konkreter Erörterung und Aufklärung darüber, dass nach dem äußeren Anschein ein klarer Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften vorlag, der nur dadurch entkräftet werden hätte können, dass ihm fällige (also nicht der Rückzahlungssperre des § 14 EKEG unterliegende) und rechtsbeständige Forderungen aus fremdüblichen Geschäften gegen die Gesellschaft zustanden, die hier gegenständlichen Auszahlungen dennoch angeordnet hätte, wurde bisher nicht erörtert. Aufgrund der Feststellung, Ing. K***** hätte die Überweisungen auch bei einem Hinweis auf einen „allfälligen Verstoß gegen GmbH-rechtliche Bestimmungen beauftragt“, kann die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten für den behaupteten Schaden noch nicht beurteilt werden.

[73]           6.2. Auch die Frage, ob die Beklagten über die Warnung der Schuldnerin hinaus die Durchführung der von Ing. K***** angeordneten Zahlungen hätten ablehnen müssen, kann nicht beurteilt werden, solange keine Feststellungen dazu vorliegen, welche Informationen der Drittbeklagte bei pflichtgemäßer konkreter Erörterung der Problemlage mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin erhalten hätte und welche Einschätzung sich daraus für ihn ergeben hätte müssen.

[74]           6.3. Stellten die Zahlungen einen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 82 GmbHG dar, und musste sich ein solcher Verstoß für den Drittbeklagten nach pflichtgemäßer Erkundigung geradezu aufdrängen (vgl RS0105536 [T2, T4]; 6 Ob 232/16k), so könnte auch ihm als Dritten der Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften entgegen gehalten werden. Dies hätte zur Folge, dass die von Ing. K***** dem Drittbeklagten erteilten Aufträge zu Ausschüttungen aus dem Vermögen der Schuldnerin an ihn als unwirksam zu qualifizieren wären; die Beklagten hätten die Durchführung der angeordneten Auszahlungen diesfalls ablehnen müssen.

[75]           6.4. Der Drittbeklagte sieht einen Verstoß gegen § 82 GmbHG als nicht gegeben an, weil die Schuldnerin mit den Zahlungen an den Gesellschafter bestehende Ansprüche des Gesellschafters erfüllt habe.

[76]           Die Vorinstanzen haben dazu keine konkreten Feststellungen getroffen. Die Feststellung des Erstgerichts, nach der Ing. K***** den Drittbeklagten im Dezember 2017 zur Überweisung eines Betrags an ihn aufgefordert habe, weil er diese Beträge „für Verbindlichkeiten der Schuldnerin aufgewendet hatte“ lässt nicht klar erkennen, ob Ing. K***** lediglich behauptete, Aufwendungen getätigt zu haben, oder ob dies tatsächlich der Fall war. Dass es für die Beurteilung, ob mit den Zahlungen tatsächlich bestehende Forderungen von Ing. K***** gegen die Schuldnerin erfüllt werden sollten, zusätzlich darauf ankommt, ob seine allfälligen Zuwendungen an die Schuldnerin als Zufuhr von Eigenkapital oder als Eigenkapital ersetzende Leistungen iSd EKEG zu qualifizieren waren, wurde bereits ausgeführt.

[77]           6.5. Auch zum Beklagtenvorbringen, im Fall der Ablehnung der Durchführung der Überweisungen und der Rücküberweisung der auf dem Fremdgeldkonto erlegten Beträge an die Schuldnerin hätte Ing. K***** in seiner Eigenschaft als deren Geschäftsführer die gleichen Auszahlungen an sich bzw zu seinen Gunsten aus dem Vermögen der Schuldnerin vorgenommen, liegen keine Feststellungen vor. Die Kausalität eines allfälligen Pflichtverstoßes der Beklagten, der darin besteht, die Durchführung der Überweisungen nicht abgelehnt zu haben, kann daher ebenfalls nicht beurteilt werden.

[78]     7. Keine Bindung an freisprechendes Strafurteil

[79]           Die Erstbeklagte brachte in ihrer Revisionsbeantwortung vor, Ing. K***** sei mit Urteil des Landesgerichts ***** vom 16. 3. 2021 zu AZ ***** rechtskräftig von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB zu Lasten der Gläubiger der Schuldnerin freigesprochen worden. Da die im vorliegenden Zivilprozess zu beurteilenden Auszahlungen Gegenstand des Strafverfahrens gewesen seien, folge aus dem Freispruch, dass die Auszahlungen rechtmäßig gewesen seien.

[80]     Dazu ist für das fortzusetzende Verfahren klarzustellen, dass keine Bindung des Zivilgerichts an ein freisprechendes Strafurteil besteht (RS0106015). Schon aus diesem Grund ist aus dem vorgelegten Straferkenntnis für die Beklagten im Hinblick auf den gegen sie erhobenen Schadenersatzanspruch nichts zu gewinnen.

[81]     8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E132955

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00026.21Y.0914.000

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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