Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
GewO 1994 §111 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des R W in S, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Fleischmarkt 1, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Oktober 2017, Zl. VGW-021/035/6030/2017-15, betreffend Übertretung des Öffnungszeitengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1.1. Die S AG mit Sitz in S übt in ihrer (weiteren) Betriebsstätte in W seit 2011 - unstrittig - sowohl das Handelsgewerbe als auch das reglementierte Gastgewerbe in der Betriebsart eines Buffets aus. Der Revisionswerber ist für diese Betriebsstätte als Filialgeschäftsführer für das Handelsgewerbe bestellt. Gewerberechtlicher Geschäftsführer für den Gastgewerbebetrieb ist Herr P.
2 1.2. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 9. März 2017 wurde dem Revisionswerber angelastet, er habe es als Filialgeschäftsführer der S AG zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Inhaberin der für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtung die oben bezeichnete Verkaufsstelle am Sonntag, dem 12. Juni 2016, nicht geschlossen gehalten und somit die erlaubten Öffnungszeiten überschritten habe. Zum Verkauf angeboten worden sei „- abgesehen von Tiefkühlprodukten, Reinigungsmitteln, Hygieneartikel und Tiernahrung - das gesamte Warensortiment, wie zB.: Sirupe für Sodastreamflaschen in verschiedenen Geschmacksrichtungen, Gutscheinkarten für H&M, Humanic, Zalando, Hervis, Ikea, Thalia und Palmers, Topfpflanzen, Kartoffeln, Lös- und Bohnenkaffee, diverse Kaffeetabs, Kaffeefilter und Tee“. Der Revisionswerber habe dadurch § 11 Öffnungszeitengesetz 2003 verletzt, weswegen über ihn gemäß § 368 GewO 1994 eine Geldstrafe in Höhe von 175 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Stunden) verhängt werde.
3 1.3. In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber insbesondere aus, zu dem betreffenden Zeitpunkt sei in der Betriebsstätte das Gastgewerbe konsensgemäß betrieben worden. Im Rahmen der rechtmäßigen Sonntagsöffnung dieses Gewerbes seien Waren angeboten worden, die unter § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 zu subsumieren seien. Es sei daher die Ausnahmebestimmung des § 2 Z 2 Öffnungszeitengesetz 2003 anzuwenden. Der Revisionswerber sei zudem ausschließlich als Filialgeschäftsführer für das Handelsgewerbe bestellt. Zum Tatzeitpunkt sei jedoch in der Betriebsstätte nur das Gastgewerbe ausgeübt worden.
4 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Revisionswerbers - mit einer für das Revisionsverfahren irrelevanten Maßgabe - nicht Folge. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
5 In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht die Feststellung, bei der Betriebsanlage handle es sich um einen Selbstbedienungsladen für Waren des täglichen Bedarfs (Supermarkt) mit einem räumlich nicht abgetrennten Gastgewerbebereich mit 23 Verabreichungsplätzen. Ein „Hauptverkehrsweg“ führe durch das 321 m² große Geschäftslokal am offenen Gastronomiebereich vorbei, wo sich eine „kalte“ und eine „heiße“ Theke befänden und vom Personal des Gastgewerbes sowohl Jausenweckerln/Sandwiches als auch warme Speisen an die Kunden ausgegeben würden.Im Gastronomiebereich seien eine Kaffeeausschank und zwei Kassen situiert, die vorwiegend von den Kunden des Buffets frequentiert würden. Entlang des Hauptverkehrsweges befänden sich ein Regal mit halbfertigen Speisen (etwa Fertigspeisen in Dosen, Nudeln und Reis, Soßen, Suppen, Packerlsuppen), Regale mit Feinbackwaren, Knabbergebäck, Getränken (alkoholische und antialkoholische) sowie ein Kühlregal mit Wurstwaren, Eiern, Käse und sonstigen Milchprodukten. Neben den Milchprodukten würden in einem Regal Süßwaren und Obst angeboten. Ein angrenzender 15 bis 20 m² großer Raum, in dem Tiefkühlprodukte, Reinigungsmittel, Hygieneartikel und andere Haushaltswaren angeboten würden, sei jeweils an Sonn- und Feiertagen - so auch zum Tatzeitpunkt - mittels einer Absperrung vom übrigen Verkaufsraum abgetrennt. Die dortigen Waren seien damit vom Verkauf ausgeschlossen. Ebenfalls werde an Sonn- und Feiertagen die Tiefkühltruhe abgedeckt. Zum Tatzeitpunkt sei die Filiale geöffnet, für jedermann zugänglich und auch tatsächlich von Kunden frequentiert gewesen.
6 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, dass wegen des seit 1. August 2011 ununterbrochenen Bestehens der verfahrensgegenständlichen Betriebsstätte § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 in der Fassung vor der Novelle 2013 anzuwenden sei und daher die sog. „Wahrungsklausel“, wonach beim Warenverkauf der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben müsse, fallbezogen nicht zur Anwendung gelange. Es stehe im vorliegenden Fall fest, dass in der Betriebsstätte zum Tatzeitpunkt - mit den im Spruch genannten Ausnahmen - das gesamte Warensortiment zum Verkauf angeboten worden sei, weshalb der objektive Tatbestand der angelasteten Übertretung des § 3 Öffnungszeitengesetz 2003 als verwirklicht anzusehen sei. Da es sich im vorliegenden Fall um einen Warenverkauf in Ausübung des Handelsgewerbes gehandelt habe, sei die für die fachlich einwandfreie Ausübung dieses Gewerbes verantwortliche Person auch verwaltungsstrafrechtlich heranzuziehen. Die Tatanlastung entspreche dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z 1 VStG. Vom Revisionswerber sei kein Vorbringen erstattet worden, welches der gemäß § 5 Abs. 1 VStG gebotenen Annahme fahrlässigen Verhaltens entgegenstehe. Das Vorbringen, er habe lediglich den Vorgaben der S AG folgend gehandelt, sei nicht geeignet, den Schuldvorwurf zu beseitigen.
7 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die - nach Ablehnung und Abtretung der zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde mit Beschlüssen vom 26. Februar 2018, E 4142/2017-5, und vom 15. März 2018, E 4142/2017-7, erhobene - außerordentliche Revision.
8 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
9 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 4.1. Zur Begründung der Zulässigkeit bringt die Revision unter anderem vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Abgrenzung der gewerberechtlichen Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 und dem Öffnungszeitengesetz sowie zu der Frage, welche Warengruppen unter das gastgewerbliche Nebenrecht zu subsumieren seien.
11 Die Revision ist zur Klarstellung der aufgeworfenen Rechtsfragen zulässig, im Ergebnis aber nicht begründet.
12 4.2. Die maßgebenden Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes 2003, BGBl. I Nr. 48/2003 idF BGBl. I Nr. 62/2007, lauten:
„Geltungsbereich
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten, sofern sich nicht nach § 2 anderes ergibt, für alle ständigen und nichtständigen für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtungen (Läden und sonstige Verkaufsstellen) von Unternehmungen, die der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) unterliegen.
...
§ 2. Von den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind ausgenommen
...
2. der Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem im § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang und eines Konditorgewerbes in dem im § 150 Abs. 11 GewO 1994 bezeichneten Umfang;
...
§ 3. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes regeln das Offenhalten der Verkaufsstellen (§ 1). An Samstagen nach 18 Uhr, an Sonntagen, an Feiertagen (§ 7 Abs. 2 des Arbeitsruhegesetzes) und an Montagen bis 6 Uhr sind die Verkaufsstellen, soweit sich nicht nach den folgenden Bestimmungen anderes ergibt, geschlossen zu halten.
...
Strafbestimmung
§ 11. Wer entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen seine Verkaufsstelle nicht geschlossen hält, Waren verkauft, Bestellungen entgegennimmt oder die für seine Verkaufsstelle geltenden Ladenöffnungszeiten nicht kundmacht, ist nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 zu bestrafen. Übertretungen von Verordnungen nach § 5 Abs. 3 sind nach den Bestimmungen des § 27 des Arbeitsruhegesetzes zu bestrafen.“
13 Im Revisionsfall sind weiters folgende Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994 idF BGBl. I Nr. 155/2015 (GewO 1994), von Bedeutung:
„§ 47. (1) Der Gewerbetreibende kann für die Ausübung des Gewerbes in einer weiteren Betriebsstätte eine Person bestellen, die der Behörde gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften in der weiteren Betriebsstätte verantwortlich ist (Filialgeschäftsführer).
...
Gastgewerbe
§ 111. (1) ...
...
(4) Unbeschadet der den Gastgewerbetreibenden gemäß § 32 zustehenden Rechte stehen ihnen noch folgende Rechte zu:
...
4. während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebes der Verkauf folgender Waren:
a) die von ihnen verabreichten Speisen und ausgeschenkten Getränke, halbfertige Speisen, die von ihnen verwendeten Lebensmittel sowie Reiseproviant;
b) Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Treib- und Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel, Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, Lektüre, übliche Reiseandenken);
c) Geschenkartikel.
Beim Verkauf von Waren gemäß lit. a bis c muss der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben. Liegt auch eine Berechtigung nach § 94 Z 3 oder Z 19 vor, genügt es, dass der Charakter des Betriebes als Bäcker oder Fleischer gewahrt bleibt, hiebei müssen Verabreichungsplätze bereit gestellt werden.
...
§ 366. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 3 600 € zu bestrafen ist, begeht, wer
1. ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben;
...
§ 368. Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 1 090 Euro zu bestrafen ist, begeht, wer andere als in den §§ 366, 367 und 367a genannte Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder der Bescheide, die auf Grund der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnungen ergangen sind, nicht einhält.
...
§ 376. ...
...
14b. (Gastgewerbe:)
...
(2) Gastgewerbetreibenden, die in den letzten sechs Monaten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2013 die Rechte des § 111 Abs. 4 Z 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2012 ununterbrochen zulässigerweise an einem bestimmten Standort ausgeübt haben, stehen diese Rechte an diesem Standort weiterhin zu.
...“
14 4.3. Vorauszuschicken ist Folgendes: Bei der verfahrensgegenständlichen Betriebsstätte handelt es sich unbestritten um eine Verkaufsstelle im Sinne des § 1 Abs. 1 Öffnungszeitengesetz 2003.
15 Ferner ist im gegenständlichen Revisionsverfahren unstrittig, dass der gastgewerbliche Betrieb in derselben Betriebsstätte vor dem für die Übergangsbestimmung des § 376 Z 14b Abs. 2 GewO 1994 maßgeblichen Stichtag aufgenommen wurde, weshalb § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 in der Fassung der Novelle 2013, BGBl. I Nr. 85/2013, noch nicht anzuwenden ist, sodass fallbezogen beim Warenverkauf der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb nicht gewahrt bleiben musste (vgl. zur anzuwendenden Rechtslage VwGH 7.6.2017, Ra 2016/11/0063). Dies hält auch das Verwaltungsgericht ausdrücklich in seiner rechtlichen Begründung fest.
16 Insofern die Revision vermeint, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass der Charakter des Gastronomiebetriebes erhalten bleiben müsse, geht dieses Vorbringen daher ins Leere.
17 4.4.1. Die Revision bringt vor, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass das gastgewerbliche Nebenrecht des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 durch den (festgestellten) Verkauf von „Sirupe[n] für Soda-Stream-Flaschen, Topfpflanzen, Lös- und Bohnenkaffee, diversen Kaffeetabs, Kaffeefilter und Tee (...), aber etwa auch Fertigspeisen in Dosen der Firma I., Packerlsuppen, Spirituosen, Weine, abgepackte Mehlspeisen und Süßwaren“ überschritten worden sei, weil es sich bei sämtlichen festgestellten Produkten um solche handle, die „ihrer Art nach“ im Rahmen eines Gastgewerbes „verabreicht“, „ausgeschenkt“ oder für die Herstellung von verabreichten Speisen „verwendet“ werden bzw. als Geschenkartikel unter § 111 Abs. 4 Z 4 lit. c GewO 1994 zu subsumieren seien. So seien Topfpflanzen, Spirituosen und Weine unstrittig Gegenstände geringen Werts, die gerne verschenkt würden. Auch Lebensmittel und Süßigkeiten wie etwa Kaffee und Tee fänden sich in „Statistiken zu beliebten Geschenken an prominenter Stelle“. Einer Internetrecherche sei zu entnehmen, dass Soda-Stream-Flaschen und deren Zubehör wie Sirupe beliebte Geschenkartikel seien. Kaffee und Tee samt Zubehör würden im Gastgewerbe regelmäßig verwendet. Auch sämtliche anderen Produkte würden - jedenfalls „ihrer Art nach“ - regelmäßig im Gastgewerbebetrieb genutzt. Abgepackte Mehlspeisen und Süßwaren seien zweifelsfrei Reiseproviant.
18 Die fehlerhafte Auslegung des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 begründe eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses.
19 Die Revision bekämpft mit den eben wiedergegebenen Ausführungen nicht die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis betreffend die in dem Betriebslokal zum Verkauf angebotenen Waren, sondern wendet sich vielmehr gegen die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts, das festgestellte Warenangebot könne nicht unter die taxative Aufzählung der Waren des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 subsumiert werden.
20 4.4.2. Die in § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 geregelte spezielle Nebenberechtigung (Verkaufsberechtigung) für das Gastgewerbe ist nicht unbeschränkt. Sie steht nur den Gastgewerbetreibenden während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebes und nur hinsichtlich der taxativ aufgezählten Warengruppen zu (vgl. wiederum VwGH 7.6.2017, Ra 2016/11/0063).
21 Es ist daher in rechtlicher Hinsicht zu prüfen, ob die - laut den unbestrittenen Feststellungen - angebotenen Waren unter die taxative Aufzählung des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 subsumiert werden können oder nicht, wobei hier festzuhalten ist, dass die Revision in ihren Ausführungen nicht sämtliche Waren berücksichtigt, die laut den insofern unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Tatzeitpunkt angeboten wurden. So umfasste das im angefochtenen Erkenntnis festgestellte Warenangebot etwa nicht nur Fertigspeisen in Dosen und „Packerlsuppen“, sondern auch Nudeln und Reis, Soßen und Suppen.
22 4.4.3. Dass die laut den Feststellungen angebotenen Waren im Rahmen des fallbezogen betriebenen Gastgewerbes - und damit „von ihnen“ - verabreichte Speisen im Sinne des § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a erster Fall GewO 1994 darstellten, wird auch von der Revision nicht ins Treffen geführt.
23 Ebenso wenig handelt es sich etwa bei den in Regalen gelagerten - und so zum Verkauf angebotenen - Nudeln und Reis um „halbfertige Speisen“ im Sinne dieser Bestimmung, weil unter solchen schon begrifflich zum Verzehr als Mahlzeit zumindest teilweise vorbereitete Lebensmittel zu verstehen sind. Rohe Grundnahrungsmittel in ihrer handelsüblichen Form können unter den Begriff „halbfertige Speisen“ nicht subsumiert werden.
24 4.4.4. Die Revision bringt weiter vor, Kaffee und Tee samt Zubehör würden regelmäßig im Gastgewerbebetrieb verwendet. Dies gelte auch für sämtliche anderen angeführten Produkte, die jedenfalls „ihrer Art nach“ im rechtmäßigen Gastgewerbebetrieb genutzt würden.
25 Auch damit zeigt die Revision keine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Verwaltungsgericht auf: § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a GewO 1994 nennt unter anderem als die im Rahmen des gastgewerblichen Nebenrechts erlaubterweise vertriebenen Waren „die von ihnen verwendeten Lebensmittel“. Diesem Wortlaut zufolge sind darunter diejenigen Lebensmittel zu verstehen, die der jeweils konkrete Gastgewerbebetrieb zur Zubereitung des von ihm angebotenen Speisenangebots verwendet. Diese Auslegung berücksichtigt zudem den Charakter des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 als Nebenrecht, weil so ein betrieblicher Zusammenhang zwischen den in einem bestimmten gastgewerblichen Betrieb tatsächlich angebotenen Speisen und den dort erlaubterweise angebotenen Waren Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmebestimmung ist.
26 Die Sichtweise der Revision, dass § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a GewO 1994 mit der Umschreibung „der von ihnen verwendeten Lebensmittel“ Waren bezeichnet, die „ihrer Art nach“ - und damit schlechthin grundsätzlich - geeignet sind, in der Gastronomie verwendet zu werden, würde dagegen jegliche Unterscheidung zwischen allgemeinem Lebensmittelhandel und gastgewerblichem Nebenrecht aufheben. Letztlich ist nämlich jedes Lebensmittel „seiner Art nach“ dazu geeignet, in irgendeinem gastgewerblichen Betrieb verwendet zu werden. Es kann dem Gesetzgeber aber nicht unterstellt werden, dass § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a GewO 1994 den Gastgewerbetreibenden den Lebensmittelhandel insgesamt freistellen sollte, zumal dies wohl zu einer unsachlichen Differenzierung zwischen Verkaufsstellen im Sinne des Öffnungszeitengesetzes 2003 und Gastgewerbebetrieben mit Verkaufsstellen führen würde.
27 Dass sämtliche laut den Feststellungen in dem verfahrensgegenständlichen Betriebslokal von der S AG angebotenen Lebensmittel auch im Rahmen des gastgewerblichen Buffetbetriebes tatsächlich verwendet würden, bringt die Revision indes gar nicht vor.
28 4.4.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichts, es handle sich beim festgestellten Warenangebot nicht um ein solches, das unter § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a GewO 1994 subsumiert werden könne, nicht erfolgreich entgegengetreten werden kann.
29 4.4.6. Dass die festgestellten Artikel Waren des üblichen Reisebedarfs im Sinne des § 111 Abs. 4 Z 4 lit. b GewO 1994 darstellen, führt die Revision nicht ins Treffen und ist auch nicht ersichtlich.
30 4.4.7. Letztlich ist der Revision zu entgegnen, dass unter den Begriff „Geschenkartikel“ gemäß § 111 Abs. 4 Z 4 lit. c GewO 1994 Warenartikel zu subsumieren sind, die - dem allgemeinen Verständnis dieses Wortes zufolge - sich entweder besonders zum Schenken eignen oder zum Verschenken hergestellt bzw. angeboten werden. Dem Gesetzgeber - wie es die Revision insinuiert - den Willen zu unterstellen, dass unter Geschenkartikel schlicht alles zu verstehen sei, „was verschenkt werden könne“, ist von der Hand zu weisen, weil ein solches Verständnis zu keinerlei Abgrenzung von Warenangeboten führen würde.
31 Fallbezogen sind die im Spruch als zum Verkauf angebotenen aufgezählten Waren - und zwar „Kartoffeln, Lös- und Bohnenkaffee, Kaffeetabs, Kaffeefilter und Tee“ - nicht als Artikel anzusehen, die sich im Besonderen zum Verschenken eignen oder zu diesem Zweck hergestellt werden. Vielmehr handelt es sich fraglos um Lebensmittel, die primär zur Versorgung des täglichen Bedarfs der Konsumenten in den Handel gebracht werden und als solche nicht unter § 111 Abs. 4 Z 4 lit. c GewO 1994 fallen.
32 4.5. Die Revision releviert weiter, das Verwaltungsgericht wende § 47 GewO 1994 unrichtig an. Der Revisionswerber sei lediglich als Geschäftsführer für das Handelsgewerbe bestellt. Die Überschreitung von gastgewerblichen Nebenrechten könne jedoch nur dem Gastgewerbetreibenden und nicht dem Handelsgewerbetreibenden angelastet werden. Der Revisionswerber habe einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Vorkommnisse an Sonntagen niemals zugestimmt.
33 4.5.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Revisionswerber zum Tatzeitpunkt unstrittig als Filialgeschäftsführer des handelsgewerblichen Betriebes im Sinne des § 47 Abs. 1 GewO 1994 bestellt war. Als solcher verantwortete der Revisionswerber gemäß dieser Bestimmung die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften in der fallgegenständlichen Betriebsstätte, wobei es in sachlicher Hinsicht nicht möglich ist, lediglich Teilbereiche auf einen Filialgeschäftsführer zu übertragen; vielmehr hat dieser die Einhaltung aller gewerberechtlichen Vorschriften zu verantworten, zu denen auch die hier einschlägigen Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes 2003 zählen (vgl. Schlögl in Ennöckl/Raschauer/Wessely, Kommentar zur Gewerbeordnung 1994, § 47 Rz 25, mwN, und Stöger in Rebhahn [Hrsg.], Der gewerberechtliche Geschäftsführer, 318, Rn 5/68, mwN).
34 Insofern die Revision vermeint, verfahrensgegenständlich handle es sich um eine Bestrafung der Übertretung der Gewerbeordnung 1994 wegen des Vorwurfs der Überschreitung des gastgewerblichen Nebenrechts, so ist dem Folgendes zu erwidern: Hat jemand durch mehrere selbstständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen nebeneinander zu verhängen (§ 22 Abs. 2 erster Satz VStG).
35 Der Verkauf von Waren im Rahmen eines gastgewerblichen Betriebes in einem über den in § 111 Abs. 4 Z 4 lit a bis c GewO 1994 hinausgehenden Umfang kann gegebenenfalls in Bezug auf das in der Betriebsstätte ausgeübte Gastgewerbe den Tatbestand der Überschreitung des Umfangs der gewerberechtlichen Genehmigung im Sinne des § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 erfüllen (vgl. zur verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Überschreiten des gewerberechtlichen Genehmigungsumfangs etwa VwGH 22.5.2012, 2010/04/0033). Eine allfällige Überschreitung der gastgewerblichen Genehmigung bildet jedoch nicht den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens. Sie hindert zudem nicht die mögliche - gemäß § 22 Abs. 2 VStG kumulativ bestehende - verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung für die hier gegenständliche Übertretung des Öffnungszeitengesetzes 2003 im Rahmen des Betriebs des Handelsgewerbes.
36 Der festgestellte Sachverhalt erfüllt fallbezogen in Hinblick auf das von der S AG in derselben Betriebsstätte parallel ausgeübte Handelsgewerbe den Tatbestand der Überschreitung des Öffnungszeitengesetzes 2003, die den dem Strafverfahren zugrundeliegenden Tatvorwurf darstellt. Eine Übertretung des Öffnungszeitengesetzes 2003 durch Offenhalten der Verkaufsstelle des handelsgewerblichen Betriebes über die erlaubten Öffnungszeiten hinaus fällt jedenfalls in den verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortungsbereich des diesbezüglichen Filialgeschäftsführers.
37 Die Argumentation des Revisionswerbers, er habe einer Haftung für „Vorkommnisse an Sonntagen“ nicht zugestimmt, geht insofern ins Leere, als dieser als Filialgeschäftsführer die Verantwortung für die Einhaltung sämtlicher Vorschriften das Handelsgewerbe betreffend trägt. Es liegt damit im Verantwortungsbereich des Revisionswerbers, entsprechende organisatorische Maßnahmen dafür zu treffen, dass die in der Betriebsstätte bereitgehaltenen Waren außerhalb der dem Warenhandel erlaubten Öffnungszeiten nicht verkauft werden können. Dass er solche Maßnahmen getroffen hätte, wurde vom Revisionswerber nicht behauptet.
38 4.6. Die Revision bringt letztlich vor, das angefochtene Straferkenntnis verletze mangels ausreichender Konkretisierung der angelasteten Tat die Bestimmung des § 44a VStG, zumal nicht schlechthin das gesamte Warensortiment angeboten worden sei.
39 Nach § 44a Z 1 VStG hat der Spruch die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten; dazu ist zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dieser Bestimmung genügt oder nicht genügt, wobei eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides hat, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird (ständige Rechtsprechung.; vgl. etwa VwGH 1.4.2021, Ra 2021/05/0040, mit Verweis auf Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2, 757).
40 Angesichts des Vorwurfs des Angebots des gesamten Warensortiments mit Ausnahme bestimmter Produktgruppen und der beispielhaften Aufzählung der zum Verkauf angebotenen Waren, der genauen Bezeichnung des Tatorts und der Tatzeit ist nicht ersichtlich, inwiefern der Revisionswerber im Sinne der obigen Rechtsprechung in seinen Rechten verletzt sein sollte. Es ist mit der beispielhaften Aufzählung der angebotenen Waren hinreichend klargestellt, auf welches Warenangebot sich der Tatvorwurf bezieht. Die Revision zeigt in diesem Zusammenhang auch nicht auf, inwiefern die von ihr kritisierte Aufzählung der Waren unzutreffend sein sollte.
41 4.7. Insofern die Revision vorbringt, das Verwaltungsgericht habe die Einvernahme des Zeugen L unterlassen, und damit einen Verfahrensmangel geltend macht, bringt sie nicht vor, welche konkreten Feststellungen das Verwaltungsgericht aufgrund der Einvernahme dieses Zeugen hätte treffen können, die bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu einem für den Revisionswerber günstigeren Verfahrensergebnis geführt hätten. Damit mangelt es hier an der für eine erfolgreiche Geltendmachung eines Verfahrensmangels notwendigen Relevanzdarstellung (vgl. VwGH 28.7.2020, Ra 2019/04/0022).
42 4.8. Die Revision war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. Oktober 2021
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Mängel bei Beschreibung ungenaue AngabeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110077.L00Im RIS seit
01.11.2021Zuletzt aktualisiert am
09.11.2021