Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der Gemeinde P, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 14. Dezember 2018, Zl. LVwG 43.19-1434/2018-18, betreffend eine Angelegenheit nach dem MinroG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag; mitbeteiligte Partei: T GmbH in P, vertreten durch Onz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Die mitbeteiligte Partei brachte mit bei der belangten Behörde am 20. Dezember 2013 eingelangten Eingaben das Ansuchen um Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes für die Gewinnung von grundeigenen mineralischen Rohstoffen auf im Ortsgebiet der Revisionswerberin befindlichen Grundstücken sowie um Erteilung der Bewilligung von Bergbauanlagen - Förderstraße einschließlich Behelfsbrücke über die Mur, Abstellfläche (teilweise überdacht), Büro-, Sanitär- und Sozialtrakt ein.
2 Im Zuge einer Vorbegutachtung holte die belangte Behörde eine schalltechnische und eine luftreinhaltetechnische Stellungnahme ein, die sie der mitbeteiligten Partei im Sinne der Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis brachte. Mit Eingabe vom 18. Juli 2014 gab die mitbeteiligte Partei eine Antragsmodifikation bekannt, der zufolge mehrere Maßnahmen zur Optimierung in schall- und luftreinhaltetechnischer Hinsicht ergriffen werden würden.
3 Sodann holte die belangte Behörde eine immissionstechnische Stellungnahme vom 29. Jänner 2015 sowie eine lärmtechnische Stellungnahme vom 6. Februar 2015 ein. Der immissionstechnische Amtssachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die von der mitbeteiligten Partei übermittelten Unterlagen ausreichen würden, um das Vorhaben im Zuge einer Verhandlung aus Sicht der Luftreinhaltung beurteilen zu können. Der lärmtechnische Sachverständige führte unter anderem aus, dass die abbauspezifischen Immissionen in gewissen Situationen wahrnehmbar sein würden.
4 Am 9. April 2015 erhielt die belangte Behörde von einem Sachbearbeiter der Wildbach- und Lawinenverbauung die Mitteilung, dass der gegenständliche Gewinnungsbetriebsplan Flächen betreffe, die entsprechend dem rechtsgültigen Gefahrenzonenplan Pernegg/Mur im Abflussbereich des Ganglbaches liegen würden, sodass aus wildbachtechnischer Sicht näher genannte Maßnahmen erforderlich seien.
5 Am 13. April 2015 führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durch, bei der die mitbeteiligte Partei ergänzende Unterlagen zum Gewinnungsbetriebsplan und zu den Einreichunterlagen für die Bewilligung zur Errichtung von Bergbauanlagen vorlegte und von zahlreichen Nachbarn Einwendungen vorgebracht wurden. Ferner wurde in schalltechnischer Hinsicht ein zusätzlicher Mess-Immissionspunkt festgelegt und eine Überarbeitung der schalltechnischen Beurteilung des Projekts beauftragt. Der montangeologische Amtssachverständige führte aus, dass die von der Wildbach- und Lawinenverbauung ausgewiesene Vorbehaltszone im Bereich des Ganglbaches in das Bergbaukartenwerk zu übernehmen sei.
6 Am 31. März 2016 brachte die mitbeteiligte Partei bei der belangten Behörde eine Projektmodifikation und Stellungnahme betreffend Abänderung des Gewinnungsbetriebsplanes sowie Ergänzungen der Einreichunterlagen ein.
7 Am 25. Juni 2016 wurde eine maschinentechnische Stellungnahme, am 29. August 2016 ein immissionstechnisches und am 9. November 2016 ein montangeologisches Gutachten erstattet. Der schalltechnische Amtssachverständige erstattete am 9. Jänner 2017 Befund und Gutachten. Vom humanmedizinischen Amtssachverständigen wurde am 8. Juli 2017 eine Stellungnahme abgegeben. Die Gutachten und Stellungnahmen wurden der mitbeteiligten Partei zur Kenntnis gebracht, worauf diese am 16. August 2017 eine ergänzende Stellungnahme erstattete.
8 2. Mit Bescheid vom 16. April 2018 wies die belangte Behörde die Anträge ab.
9 3. Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) diesen Bescheid auf und verwies nach § 28 Abs. 1 VwGVG die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
10 Nach Feststellung des Verfahrensverlaufs führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung zusammengefasst aus, die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichts beschränke sich auf den bekämpften Bescheid im Rahmen des Beschwerdevorbringens. Der vorliegend bekämpfte Bescheid enthalte überhaupt keine Sachverhaltsfeststellungen, sondern beschränke sich auf eine Darlegung und eine Auflistung des Antrages und dessen Modifikationen. Mangels Sachverhaltsfeststellungen und Nichtdurchführung einer Interessenabwägung als Ermessensentscheidung wäre es dem Verwaltungsgericht daher verwehrt gewesen, eine Entscheidung in der Sache selbst vorzunehmen.
11 4. Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision.
12 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.
13 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 gebildeten Senat erwogen:
14 5.1. Die Revisionswerberin bringt vor, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dem in § 28 VwGVG verankerten System ab, weil es seine Kognitionsbefugnis auf den durch Beschwerde bekämpften Bescheid und die dort getroffenen Feststellungen beschränke. Das Verwaltungsgericht habe vielmehr jene Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden gewesen sei. Es seien im vorliegenden Fall brauchbare Ermittlungsergebnisse vorgelegen, weshalb das Verwaltungsgericht jedenfalls meritorisch zu entscheiden gehabt hätte.
15 5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen, dass sich die Anwendbarkeit der Zurückverweisungsbestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht auf die von § 28 Abs. 2 VwGVG erfassten Fälle erstreckt. Eine Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur „Entscheidung in der Sache selbst“ nach sich ziehen, nicht vorliegen. Ebenso sieht § 28 Abs. 4 VwGVG für den Fall der Ermessensübung durch die Verwaltungsbehörde lediglich dann eine bloße Aufhebung des angefochtenen Bescheides samt Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde zur Erlassung eines neuen Bescheides vor, wenn die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vorliegen. § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2018/04/0133, mwN).
16 5.3. Das Verwaltungsgericht stützte die Aufhebung und Zurückverweisung im Spruch des Beschlusses auf § 28 Abs. 4 VwGVG, ohne näher darzulegen, warum von einem zu übenden Ermessen auszugehen wäre. Dass eine Ermessensentscheidung vorzunehmen wäre, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich. Es kann aber ohnehin dahingestellt bleiben, ob es sich gegenständlich um eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 4 VwGVG oder um eine solche nach § 28 Abs. 3 VwGVG handelt, weil sich der angefochtene Beschluss in beiden Fällen als rechtswidrig erweist. Nach dem Vorgesagten ist nämlich in beiden Bestimmungen vorgesehen, dass eine Aufhebung und Zurückverweisung erst dann in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichts zur Entscheidung in der Sache selbst vorsehen, nicht vorliegen (siehe diesbezüglich etwa VwGH 24.9.2020, Ra 2019/03/0048).
17 Es kann im gegenständlichen Fall nicht gesagt werden, dass die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hätte. Soweit das Verwaltungsgericht insoweit den Mangel an Sachverhaltsfeststellungen durch die belangte Behörde ins Treffen führt, ist festzuhalten, dass die Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren anhand der im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren erzielten Ermittlungsergebnisse und nicht lediglich anhand der von der belangten Behörde getroffenen Sachverhaltsfeststellungen vorzunehmen ist. Dass ferner nach Abführung des verwaltungsbehördlichen Verfahrens krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken vorgelegen hätten oder die belangte Behörde bestimmte Ermittlungen (gezielt) unterlassen hätte, hat das Verwaltungsgericht in seiner Begründung nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich.
18 Indem das Verwaltungsgericht dem oben Gesagten zuwider den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zurückverwiesen hat, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 6. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019040026.L00Im RIS seit
01.11.2021Zuletzt aktualisiert am
30.11.2021