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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M A J, vertreten durch Mag. Gerhard Brandstätter, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Fallmerayerstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021, W216 2112106-2/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 2. September 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III.).
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 22. September 2015 hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) als unbegründet ab, behob jedoch dessen Spruchpunkte II. und III. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.
4 Mit Bescheid vom 9. November 2015 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine bis zum 9. November 2016 befristete Aufenthaltsberechtigung, die mit Bescheid vom 4. November 2016 bis zum 9. November 2018 verlängert wurde.
5 Mit Bescheid vom 9. August 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab, entzog ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und wies den Antrag des Revisionswerbers vom 20. September 2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Mai 2021 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf einer wesentlichen und nachhaltigen Änderung der Umstände gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 beruhe. Der Revisionswerber habe seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an Lebens- und Berufserfahrung gewonnen und könne ein selbstbestimmtes Leben führen. Im Herkunftsstaat drohe ihm keine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte, zumal eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif bestehe. Obwohl der Revisionswerber sich bereits siebeneinhalb Jahre im Bundesgebiet aufhalte, könne er nur wenig Integrationsbemühungen aufweisen.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe übersehen, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung schon auf Grund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan vorliege. Eine Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat hätte eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte zur Folge. Auch der EGMR habe zuletzt eine Abschiebung nach Afghanistan nicht für zulässig erachtet.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0245, mwN).
11 Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG ist gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. zuletzt etwa VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0245, mwN).
12 Ausgehend davon vermag die Revision nicht darzutun, dass die Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber zumindest in der Stadt Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, fallbezogen unvertretbar wäre.
Das BVwG traf im angefochtenen Erkenntnis vom 27. Mai 2021 - auf Grundlage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 1. April 2021 - Feststellungen zur Lage in Afghanistan, insbesondere zur Sicherheits- und Versorgungslage und zur Situation von Rückkehrern sowie zur Covid-19-Pandemie und ihren Auswirkungen auf den dortigen Arbeitsmarkt und die Versorgungslage. Es legte seiner Beurteilung zu Grunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann ohne spezifische Vulnerabilitäten handle, der zusätzliche Qualifikationen in Österreich erworben habe, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, Farsi sowie Dari spreche und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne.
13 Die Revision wendet sich zu ihrer Zulässigkeitsbegründung zudem gegen die Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das BVwG habe bei seiner Interessenabwägung insbesondere die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet nicht hinreichend berücksichtigt.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. neuerlich VwGH Ra 2021/19/0245, mwN).
15 Im vorliegenden Fall hat das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Rahmen der Interessenabwägung die entscheidungswesentlichen Umstände berücksichtigt und ist im Ergebnis von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich ausgegangen. Dabei hat es unter anderem die Teilnahme des Revisionswerbers an einem Deutschkurs, die Aufnahme von kurzen Beschäftigungen sowie den Umstand, dass der Revisionswerber straffällig geworden sei, berücksichtigt. Ebenso wurde - entgegen dem Revisionsvorbringen - die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich in die Beurteilung einbezogen.
Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 7. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190255.L00Im RIS seit
01.11.2021Zuletzt aktualisiert am
11.11.2021