TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/18 95/20/0460

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Veröffentlicht am 18.12.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des K in P, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1995, Zl. 4.338.657/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 16. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 19. Mai 1992 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Juli 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewährt.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 15. Juli 1992 angegeben, daß seine Eltern seit 1989 als Gastarbeiter in Österreich aufhältig seien. Er selbst sei in der Türkei nie Mitglied einer politischen Organisation gewesen und habe sich auch nicht politisch betätigt. Er sei Kurde und alevitischen Glaubens. Es sei im Jahre 1989 in einem Kaffeehaus seines Heimatortes zu Handgreiflichkeiten wegen einer Religionsdiskussion zwischen Kurden und Sunniten gekommen, anschließend seien aber nur die Kurden von der Polizeidienststelle festgehalten, geohrfeigt und mit Fußtritten bedacht worden. Zwischen 1989 bis zur Ausreise habe er sich in E aufgehalten. Dort habe sich in diesen Jahren die Situation der Kurden sehr verschlechtert. Anfang 1992 habe sich in seinem Landkreis ein heftiges Erdbeben ereignet, durch welches sein Haus völlig zerstört worden sei. Er sei obdachlos und ohne Nahrungsmittel gewesen. Er habe als Alevite nie eine ständige Arbeit gehabt, sondern immer nur für eine Woche arbeiten dürfen und sei dann drei Wochen arbeitslos gewesen. Nach dem Erdbeben habe er von der Regierung keine Hilfe bekommen, sondern es seien vorzugsweise die sunnitischen Opfer des Erdbebens verpflegt worden. Nur an letztere seien Zelte und Nahrungsmittel ausgegeben worden. Die Aleviten hätten im Freien schlafen müssen. Es habe auch - seit er sich zurückerinnern könne - eine Ausgangssperre ab 19.00 Uhr gegeben und es sei Kurden aus den Dörfern unmöglich gewesen, in die Stadt zu fahren, weil man immer gleich kontrolliert und nach dem Zweck der Fahrt in die Stadt befragt worden sei. Dies deshalb, weil es in der Stadt immer wieder zu Zwischenfällen gekommen sei, welche den Kurden zugeschrieben worden seien. Aufgrund der verschlechterten Situation und mangels Zukunftsaussichten habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen.

In der Berufung (welche sich inhaltlich nur gegen die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, nicht aber gegen den im erstinstanzlichen Bescheid auch ausgesprochenen Barauslagenersatz richtete) brachte der Beschwerdeführer keinen über das erstinstanzliche Vorbringen hinausgehenden Sachverhalt vor.

Die belangte Behörde begründete den daraufhin erlassenen, nunmehr angefochtenen Bescheid im wesentlichen folgendermaßen:

Die Vorfälle im Jahre 1989 infolge einer Handgreiflichkeit lägen in keinem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise. Die Ausgangssperre und die Kontrollen der türkischen Behörden stellten keine konkreten, individuell gegen die Person des Beschwerdeführers gerichteten Verfolgungshandlungen dar, sondern stellten ein Mittel "zur gesteigerten hoheitlichen Durchdringung einer Region" dar, welche jedermann beträfen. Zur wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, daß das Recht auf Arbeit bzw. eine dauernde Anstellung kein geschütztes Rechtsgut im Sinne des Asylgesetzes darstelle, wenn durch die Verweigerung dieses Rechtes die Lebensgrundlage nicht entzogen werde. Auch der Benachteiligung bei der Verteilung von Hilfsgütern nach einem Erdbeben komme keine asylrechtliche Relevanz zu. Der Beschwerdeführer habe somit keine Umstände glaubhaft machen können, welche objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei. Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches des näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat, ist gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991, wenn das Verfahren in erster Instanz am 1. Juni 1992 anhängig war, im gesamten Asylverfahren das Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968, anzuwenden. Im vorliegenden Fall wurde - nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - der erstinstanzliche Bescheid am 31. Juli 1992 erlassen, sodaß die belangte Behörde auf das beschwerdegegenständliche Verfahren, weil dieses am 1. Juni 1992 noch in erster Instanz anhängig war, die Bestimmungen des Asylgesetzes (1968) anzuwenden gehabt hätte.

Die Heranziehung einer unzutreffenden Rechtslage bewirkt nicht jedenfalls eine notwendigerweise zur Aufhebung des Bescheides führende Rechtswidrigkeit. Vielmehr ist dafür entscheidend, inwieweit dieser Fehler geeignet ist, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers zu beeinflussen und gegebenenfalls nachteilig zu verändern.

Zunächst ist festzustellen, daß sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - trotz der Zitierung weiterer Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 (§§ 3, 2 Abs. 2 und Abs. 3) - in rechtlicher Würdigung der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben über seine Fluchtgründe ausschließlich mit dem Flüchtlingsbegriff des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinandergesetzt hat; dieser stimmt jedoch mit jenem vom Asylgesetz (1968) übernommenen - vgl. Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, soweit es sich um dessen Z. 2 (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 18/1974) handelt - vollinhaltlich überein.

Des weiteren ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer keine von seinem erstinstanzlichen Vorbringen abweichenden Umstände im Berufungsverfahren geltend gemacht hat.

Der Beschwerdeführer wäre - selbst bei irrtümlicher Annahme der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 - spätestens nach Kundmachung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, im BGBl. Nr. 610/1994 rechtlich in der Lage gewesen, im Wege einer Berufungsergänzung - eine solche ist im Fall des Vorliegens einer den Erfordernissen des § 63 Abs. 3 und 5 AVG entsprechenden Berufung zulässig, wobei die Berufungsbehörde auf das neue Vorbringen der Partei Bedacht zu nehmen und sich mit diesem auseinanderzusetzen hat - jeden Verfahrensmangel (d.h. auch andere als "offenkundige" Mängel) des erstinstanzlichen Verfahrens vorzubringen.

Damit ist davon auszugehen, daß weder der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens einer Einschränkung unterlag noch die Behörde einschränkende Verfahrensbestimmungen anzuwenden hatte bzw. anwendete. Die unrichtige Anwendung des Asylgesetzes 1991 war im konkreten Fall somit nicht geeignet, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig zu beeinflussen.

Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, daß die Behörde zum zeitlichen Naheverhältnis der Ereignisse 1989 bis zur Ausreise eine Ergänzung des Berufungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz hätte durchführen müssen. Der Beschwerdeführer gibt hiezu an, daß er bereits seit 1989 versucht habe zu flüchten, jedoch sei aus Geldmangel und wegen Polizeikontrollen bei Verlassen des Gebietes eine Flucht unmöglich gewesen, wobei er hiezu neue Sachverhalte vorbringt.

Dieses Vorbringen verstößt gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG. Denn der Beschwerdeführer hat keine Umstände behauptet, aus welchen es ihm unmöglich gewesen wäre, dieses Tatsachenvorbringen bereits im Verwaltungsverfahren zu erstatten.

Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist zunächst festzuhalten, daß der vom Beschwerdeführer angezogene § 16 Asylgesetz 1991 im konkreten Fall nicht zur Anwendung gelangt, weil der Fall nach dem Asylgesetz (1968) zu beurteilen ist. Zwar sind Verwaltungsbehörden gemäß § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG verpflichtet, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen; jedoch beinhalten diese gesetzlichen Aufträge nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, die Verpflichtung der Behörde, in geeigneter Weise nähere Ermittlungen anzustellen und/oder auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Es besteht hingegen keine Verpflichtung der Behörde, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln. Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführers nicht enthalten waren, war die belangte Behörde nicht verpflichtet, nähere Ermittlungen anzustellen.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren kann - wie die Behörde zu Recht erkannt hat - keine individuell gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete konkrete Verfolgung entnommen werden. Eine Festhaltung durch die Polizei im Jahre 1989 aus Anlaß von Handgreiflichkeiten, ist selbst in Verbindung mit Ohrfeigen und Fußtritten nicht als in zeitlich relevantem Zusammenhang mit der Ausreise des Beschwerdeführers im Jahre 1992 stehende Verfolgungshandlung zu werten. Auch stand diese Festnahme im Zusammenhang mit den genannten Handgreiflichkeiten und zog keine weiteren Folgen nach sich. Alleine aus der Zugehörigkeit zu einer ethnischen bzw. religiösen Minderheit und aus dem Hinweis auf deren schlechte allgemeine Situation kann das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeleitet werden. Die individuell behauptete Arbeitslosigkeit bzw. Entlassung aus Arbeitsstellen könnte jedoch nur dann von Asylrelevanz sein, wenn diese eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage des Beschwerdeführers bedeutete, sodaß für ihn ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland unzumutbar gewesen wäre. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, daß durch die Ausgangssperre und die Kontrollen jegliches Recht auf Arbeit verwehrt worden sei, gesteht er sogar selbst zu, daß er Gelegenheitsarbeiten durchführen konnte.

Die wirtschaftliche Schlechterstellung der Aleviten aus Anlaß des Erdbebens Anfang 1992 ist jedenfalls nicht geeignet, eine asylrechtlich relevante Verfolgung zu begründen, da sich die Nichtgewährung der Hilfe nicht als konkret individuell gegen den Beschwerdeführer gesetzte Maßnahme von solcher Intensität darstellt, daß dem Beschwerdeführer ein Weiterverbleib unzumutbar gewesen wäre.

Damit hat der Beschwerdeführer keine hinreichend deutlichen Hinweise auf einen Sachverhalt vorgebracht, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, weshalb die belangte Behörde zu weiteren Ermittlungen nicht verpflichtet war.

Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes vor, daß die Verhängung einer Ausgangssperre von autoritären diktatorischen Staaten zur Unterdrückung von politisch Verfolgten verwendet würde und diese Ausgangssperre verhindert habe, daß der Beschwerdeführer Fahrten in die Stadt unternehmen hätte können, um sich Essen oder Arbeit zu besorgen. Im Zusammenhalt mit dem Ausschluß von Hilfsgütern könne man die Maßnahme nur so interpretieren, daß man die kurdischen Aleviten im Katastrophengebiet habe verhungern lassen wollen.

Warum eine nächtliche Ausgangssperre ab 19.00 Uhr generell Fahrten (tagsüber) verhindern sollte, ist nicht nachvollziehbar, somit ist auch der Einwand, daß die Ausgangssperre verhindert habe, daß sich der Beschwerdeführer Essen oder Arbeit hätte besorgen können, unverständlich. Auch der Zusammenhalt der Ausgangssperre mit dem Ausschluß von Hilfsgütern ist nicht zu sehen, weil der Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 15. Juli 1992 angegeben hat, die Verordnung der Ausgangssperre habe es schon gegeben, "soweit ich mich zurückerinnern kann". Daraus ist zu ersehen, daß die Ausgangssperre schon lange vor dem Erdbeben existierte. In diesem Zusammenhang sei wiederholt, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren selbst angegeben hat, daß er imstande war, (Gelegenheits-)Arbeiten zu finden, diese jedoch immer wieder verloren hätte. Bei einem solchen Vorbringen kann jedoch nicht vom Vorliegen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung gesprochen werden. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200460.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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