TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/28 W159 2241719-1

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Veröffentlicht am 28.04.2021
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Entscheidungsdatum

28.04.2021

Norm

BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W159 2241719-1/4E

TEILERKENNTIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. BOSNIEN UND HERZEGOWINA, gegen Spruchpunkt V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg vom 17.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und Spruchpunkt V. ersatzlos behoben

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B/VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein in Österreich geborener Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina, wurde wegen zahlreicher Delikte straffällig.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg räumte dem Beschwerdeführer zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im schriftlichen Wege das Parteiengehör ein, wobei er dazu mit Schreiben vom 26.11.2019 antwortete. Er gab an, er sei in Österreich geboren und habe sich nie für längere Zeit in Bosnien und Herzegowina aufgehalten, nur ca. 2 Wochen für Urlaub. Er sei komplett gesund. Er habe in Österreich 4 Jahre die Volksschule, 4 Jahre die Hauptschule, 1 Jahr die Handelsschule und 1 Jahr die HTL besucht und dann eine Lehre als Koch und Kellner angefangen, aber nicht abgeschlossen. Er sei mit XXXX , geb. XXXX , welche österreichische Staatsbürgerin sei, verheiratet und habe mit ihr eine gemeinsame Tochter namens XXXX , geb. XXXX . Er komme zu seiner Pflicht zur Unterhaltszahlung nach und sei für seine Tochter obsorgeberechtigt. Seine Eltern, sein Bruder und seine beiden Schwestern würden alle in Österreich im Bundesland Salzburg leben, in Deutschland habe er noch Onkeln, Tanten und Cousins bzw. Cousinen. Er habe wohl keinen Besitz in Österreich, aber er habe immer gearbeitet und habe für seinen Unterhalt sorgen können und sei er Mitglied beim Verein „ XXXX , Bindungen zu seinem Heimatland habe er keine mehr, er habe auch dort kein Eigentum und keine Wohnanschrift. Er habe ca. 35.000 Euro Schulden, weil er versucht habe sich selbständig zu machen. Sein Vater führe das Gewerbe weiter. Er habe monatlich ein Nettoeinkommen von ca. 1.200 Euro. Er möchte keineswegs freiwillig in sein Herkunftsland zurückkehren, sondern strebe einen weiteren Aufenthalt in Österreich an. Er werde allerdings in seinem Heimatland weder strafrechtlich noch politisch verfolgt.

Im Zuge eines schriftlichen Parteiengehörs mit der Ehefrau des Beschwerdeführers XXXX gab diese mit E-Mail vom 17.02.2021 bekannt, dass sie sich mit dem Beschwerdeführer gerade in Scheidung befinden würde und er zu dem Scheidungstermin am 16.02.2021 nicht erschienen sei. Er melde sich auch nicht und sei bei den Alimentenzahlungen nicht zuverlässig. Er habe sie im September 2020 bedroht, seither hätten sie keinen Kontakt mehr. Es würde für sie keinesfalls ein Problem darstellen, wenn der Beschwerdeführer nach Bosnien abgeschoben werden würde. Sie würde ihn weder dort besuchen noch den Kontakt aufrecht erhalten.

Mit Schreiben vom 14.02.2021 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er wegen seiner (Noch) Ehefrau seine Wohnung verloren habe und jetzt bei seinen Eltern wohne, er beziehe derzeit Arbeitslosenunterstützung, ansonsten sei er immer tätig gewesen, zuletzt als Kellner im XXXX . Im Übrigen wiederholte er die bereits im letzten schriftlichen Parteiengehör getätigten Ausführungen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg vom 17.03.2021, Zl. XXXX wurde unter Spruchpunkt I. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt II. die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina für zulässig erklärt, unter Spruchpunkt III. ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, unter Spruchpunkt IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und unter Spruchpunkt V. einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang insbesondere unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers dargestellt und zur Person des Beschwerdeführers festgestellt, dass dieser als bosnischer Staatsbürger Fremder im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes sei. Er sei wohl in Österreich geboren und mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, würde jedoch in Scheidung leben und sei kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Er spreche Deutsch und Bosnisch und habe einen gültigen bosnischen Reisepass und sei im Besitz eines befristeten, aber abgelaufenen österreichischen Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“. Weiters wurde festgehalten, dass es 25 nicht getilgte verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen gäbe und der Beschwerdeführer im Zeitraum von 2008 bis 2020 zwölf Mal von inländischen Gerichten rechtskräftig verurteilt wurde. Er lebe mit seiner Frau, einer österreichischen Staatsbürgerin, in Scheidung, und lebe die gemeinsame mj. Tochter, welche ebenfalls österreichische Staatsbürgerin sei, bei der Kindesmutter. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu seinen in Österreich lebenden Familienmitgliedern habe nicht festgestellt werden können. Nach auszugsweiser Zitierung aus den Urteilen wurden Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffen und beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nur wenige Monate sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit nachweisen könne. Er sei vier Mal in Justizanstalten aufhältig gewesen und sei auch ein Verfahren nach § 28a SMG offen. Er habe auch keine abgeschlossene Schulausbildung.

Rechtlich begründend zu Spruchpunkt I. wurde insbesondere ausgeführt, dass im vorliegenden Fall eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit von dem Beschwerdeführer ausgehe, da er bereits zwölf Mal wegen Vermögens-, Urkunden- und Gewaltdelikten rechtskräftig verurteilt worden sei. In der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. wurde festgehalten, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 Z 1 und 4 FPG vorlägen und beim Beschwerdeführer von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen sei. Der Beschwerdeführer sei wohl in Österreich geboren und sei im Besitze eines unbefristeten Aufenthaltstitels gewesen, welcher jedoch wegen massiver Straffälligkeit herabgestuft worden sei. Seine Eltern und Geschwister würden rechtmäßig im Bundesgebiet leben. Mit seiner Ehefrau lebe er in Scheidung, die mj. Tochter sei bei der Kindesmutter. Angesichts der gravierenden Straffälligkeit sei im vorliegenden Fall eine aufenthaltsbeendete Maßnahme gerechtfertigt und eine allfällige Trennung von Familienmitgliedern in Kauf zu nehmen, er könne auch den Kontakt zu seiner Familie mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten. Es bestehe wohl ein Privatleben in Österreich, aber es könne aufgrund der zahlreichen Verurteilungen, aber auch der verhältnismäßig kurzen Beschäftigungsdauer und des Umstandes, dass er die meiste Zeit soziale Unterstützung durch die öffentliche Hand bezogen habe, nicht von einer gelungenen Integration ausgegangen werden. Bosnien sei ein sicherer Herkunftsstaat und sei der Beschwerdeführer ein gesunder und arbeitsfähiger Mann, der dort nicht einer lebensbedrohenden Notlage ausgesetzt wäre. Nach der Judikatur bestehe seit Geburt des Kindes ein Familienleben. Er habe jedoch auch schon das Leben seiner Tochter bedroht. Es bestehe derzeit kein Kontakt. Es entspreche auch nicht dem Kindeswohl, wenn die Mutter psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sei. Aufgrund der massiven wiederholten Straffälligkeit und der Anhängigkeit eines weiteren Strafverfahrens nach § 28a SMG könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Wenn auch der Beschwerdeführer nur mehr geringe Bindungen zu Bosnien habe, habe er sich dort zu Urlaubszwecken aufgehalten und sei sein Herkunftsstaat ihm daher nicht völlig fremd. Im vorliegenden Fall müsse aufgrund der zwölf Verurteilungen vorwiegen zu Gewaltdelikten und auch Gewaltausübung gegenüber seiner Ehefrau und Mutter der Tochter und der schnellen Rückfälle sowie der negativen Zukunftsprognose ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich festgestellt werden. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zulässig, zumal kein Aufenthaltstitel erteilen gewesen sei.

Zu Spruchpunkt II. wurde insbesondere ausgeführt, dass es sich bei Bosnien um einen sicheren Drittstaat handle und aufgrund der grundsätzlichen Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, sowie aufgrund der Feststellungen zu Bosnien gäbe es keine Gründe, die eine Abschiebung unzulässig machen würden. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe auch nicht aufgrund der COVID-19 Pandemie. Die Abschiebung nach Bosnien sei daher zulässig.

Zu Spruchpunkt III. wurde auf die Gesetzesbestimmung des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG verwiesen, weiters dass der Beschwerdeführer ein Wiederholungstäter sei, bereits in seiner Jugend Verbrechen wie schweren Raub begangen habe und sowohl gegen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gegen dritte Personen und auch gegen seine Ehefrau Gewalt ausgeübt habe. Das Bundesamt sehe sich in Zusammenarbeit mit den Strafgerichten dafür verantwortlich die Gesundheit rechtsschaffender Bürger vor Gewalttätern zu schützen. Dies sei jedoch nur gegeben, wenn der Beschwerdeführer Österreich verlassen würde, zumal auch das bereits verspürte „Haftübel“ ihn nicht an der Begehung weiterer massiver Straftaten habe hindern können. In Anbetracht eines maximalen Rahmens von zehn Jahren erscheine dem Bundesamt drei Jahre Einreiseverbot angemessen, wobei insbesondere die familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich bereits berücksichtigt worden seien. Ein gänzlicher Entfall des Einreiseverbotes erscheine jedoch aufgrund der massiven Straffälligkeit und der negativen Zukunftsprognose nicht begründbar und auch für Dritte nicht nachvollziehbar.

Zu Spruchpunkt IV. wird darauf verwiesen, dass der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG (Spruchpunkt V.) die aufschieben Wirkung abzuerkennen gewesen sei und daher keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen sei. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde damit begründet, dass die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bescheidadressat, vertreten durch XXXX fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde. In dieser wurde zunächst darauf hingewiesen, dass sich sämtliche Familienmitglieder in Österreich befinden würden und dass die Sprache seiner Eltern für ihn eine Fremdsprache sei. Er habe eine schwierige Kindheit gehabt. Er sei sich des Unrechts seiner Taten in der Vergangenheit durchaus bewusst und ausdrücklich gewillt, einen allumfassend geänderten Lebensstil in Zukunft zu führen und auch ein Antigewalttraining zu absolvieren. Er sei Vater eines Kindes, für das er regelmäßig Unterhalt leiste. Der Scheidungstermin sei von seiner Ehefrau nicht wahrgenommen worden, scheinbar aus dem Grund einen weiteren Versuch zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft schon aus Verantwortung für das mj. Kind zu starten und die Familie nicht zu zerstören. Der Beschwerdeführer habe mit finanzieller Unterstützung beider Elternteile das XXXX gegründet, dass zunächst in XXXX vielversprechend begonnen habe und dann in die XXXX umgesiedelt sei. Er arbeite in dem nunmehr elterlichen geführten Betrieb mit, der derzeit wohl pandemiebedingt nur Lieferservice anbieten könne, aber er werde nach Wiedereröffnung sofort wieder eingestellt. Es sei auch unrichtig, dass kein spezielles Abhängigkeitsverhältnis zu den Familienmitgliedern in Österreich bestehe. Sei Mutter habe sich vor einigen Monaten in medikamentöse Behandlung aufgrund schwerer Depressionen begeben müssen und betreue der Beschwerdeführer seine Mutter mit Fürsorge und Verantwortung. Der Gesundheitszustand seiner Mutter verschlechtere sich stetig und obliegten dem Beschwerdeführer finanzielle und pflegetechnische Aufgaben, sodass ein Abhängigkeitsverhältnis krankheitsbedingter Natur zu seiner Mutter bereits bestehe und sich voraussichtlich in Zukunft noch verstärken werde. Aufgrund der veränderten Lebensweise des Beschwerdeführers und der nunmehrigen Lebensentscheidungen und Taten sei sehr wohl eine positive Zukunftsprognose zu erstellen. Außerdem könne er bei einer Rückkehr nach Bosnien aufgrund des dortigen geringen Lohnniveaus seine Mutter und seine Tochter nicht finanziell unterstützen, umso weniger sei eine emotionale und pflegetechnische Unterstützung seiner Mutter möglich. Es wurde ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zur Einvernahme des Beschwerdeführers, sowie der Zeugen XXXX beantragt. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass zwingende öffentliche Interessen der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegenstehen würden und der Vollzug des Bescheides einen unverhältnismäßigen Nachteil für den Beschwerdeführer bedeuten würde.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wie folgt strafrechtlich verurteilt:

1. Mit Urteil des LG Salzburg vom 09.07.2008, Zahl XXXX wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 129 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren.

2. Mit Urteil des BG Salzburg vom 11.12.2008, Zahl XXXX wegen § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren.

3. Mit Urteil des LG Salzburg vom 10.03.2009, Zahl XXXX wegen § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren.

4. Mit Urteil des BG Salzburg vom 23.03.2010, Zahl XXXX wegen § 91 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen.

5. Mit Urteil des LG Salzburg vom 02.02.2010, Zahl XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten.

6. Mit Urteil des LG Salzburg vom 19.07.2010, Zahl XXXX wegen §§ 142 und 143 iVm § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren.

7. Mit Urteil des LG Salzburg vom 05.07.2011, Zahl XXXX wegen §§ 142 Abs. 1 und 229 Abs. 1 sowie 241e StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten.

8. Mit Urteil des LG Salzburg vom 14.03.2013, Zahl XXXX wegen §§ 83 Abs. 1, 127, 128 Abs. 1, 15 iVm 87 und 88 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren.

9. Mit Urteil des BG Salzburg vom 06.07.2015, Zahl XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

10. Mit Urteil des LG Salzburg vom 03.02.2016, Zahl XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten.

11. Mit Urteil des LG Salzburg vom 24.09.2019, Zahl XXXX wegen §§ 223 Abs. 2, 224 StGB sowie 12 iVm § 127 und 128 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten.

12. Mit Urteil des LG Salzburg vom 18.11.2020, Zahl XXXX wegen §§ 83 Abs. 1, 229 Abs. 1, 146 Abs. 1, 84 Abs. 2, 223 Abs. 2 und 224 StGB sowie 15 iVm 269 StGB, 107 StGB und 15 iVm mit 83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die obrigen Darlegungen im Verfahrensgang werden zu Feststellungen erhoben.

Der Verfahrensgang und damit die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der belangten Behörde.

Die gesetzlichen Bestimmungen im BFA-VG zu Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde lauten wie folgt:

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde

§ 18. (1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1.         der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2.         schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3.         der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,
4.         der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5.         das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6.         gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7.         der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.

(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn
1.         die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,
2.         der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder
3.         Fluchtgefahr besteht.

(3) Bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß § 66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.

(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

(7) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 1 bis 6 nicht anwendbar.“

Der VwGH hat zu § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung vor dem FrÄG 2017 in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass dieser das BVwG dazu verpflichtet, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides des BFA binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit (Teil-)Erkenntnis zu entscheiden und zwar sowohl über die Zuerkennung als auch die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung (VwGH 13.09.2016, Fr 2016/01/0014; 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 30.06.2917, Fr 2017/18/0026; 20.09.2017, Ra 2017/19/0284; 19.10.2017, Ra 2017/18/0278; 29.11.2017, Ro 2017/18/0002; 13.12.2017, Ro 2017/19/0003).

Das Bundesverwaltungsgericht deutet § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung des FrÄG 2017 so, dass es bei Vorliegen einer Beschwerde in der Hauptsache auch von einer Beschwerde gegen den Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auszugehen hat und dass es (im Sinne der vorzitierten Judikatur des VwGH) diese – sowohl im Fall der Bestätigung dieser Aberkennung als auch im Fall einer Abänderung iSd. Zuerkennung aufschiebender Wirkung – innerhalb der einwöchigen Entscheidungsfrist mit Erkenntnis zu erledigen hat (vgl. dazu näher BVwG 10.04.2018, W230 2190973-1, mwN).

Die Entscheidung über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben der beschwerdeführenden Parteien als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Der Beschwerdeführer macht ein reales Risiko einer Verletzung der zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen, insbesondere des Art. 8 EMRK geltend, bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um „vertretbare Behauptungen“ handelt, wenn auch nicht übersehen wird, dass sich auf Grund der gehäuften und massiven Straffälligkeit des Beschwerdeführers das öffentliche Interesse an der Außerlandesbringung verstärkt hat.

Der VwGH führt hinsichtlich der Verhandlungspflicht nach § 21 Abs. 7 BVA-VG in ständiger Judikatur dazu wie folgt aus:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes eben außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 08. September 2015, Ra 2014/01/022, mwN und viele andere mehr).

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde den Sachverhalt (und die Beweiswürdigung) nicht bloß unsubstantiiert bestritten, sondern diesbezüglich ein umfangreiches konkretes und substantiiertes Vorbringen erstattet, das teilweise in evidentem Wiederspruch zu den bisherigen Ermittlungen der belangten Behörde steht und wurde diesbezüglich die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung unter persönlichen mündlicher Befragung des Beschwerdeführers und der Einvernahme von Zeugen beantragt und erscheinen im vorliegenden Fall auch von Amtswegen weitere Ermittlungsschritte im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen erforderlich. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur und des Beschwerdevorbringens ist im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (sowie weitere Ermittlungsschritte) erforderlich. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Erhebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Im vorliegenden Verfahren besteht auch kein Verbot einer „reformatio in peius“ (jüngst VwGH vom 19.11.2020, Ra 2020/21/0371).

Der Beschwerde war daher Folge zu geben und Spruchpunkt V. ersatzlos zu beheben.

Durch die Behebung des angefochtenen Spruchteils V. kommt der Beschwerde somit aufschiebende Wirkung zu. Somit war es nicht mehr erforderlich ausdrücklich der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Im Übrigen ist ein derartiger Antrag gar nicht zulässig (VwGH vom 13.12.2017, Ra 2017/19/003).

Eine mündliche Verhandlung entfiel, weil über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres Verfahren und unverzüglich zu entscheiden ist (VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Privat- und Familienleben Straffälligkeit Teilerkenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2241719.1.00

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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