TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/19 W208 2232517-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2021
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Entscheidungsdatum

19.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W208 2232517-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörigkeit IRAN, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion TIROL, vom 25.05.2020, Zl 14-1031467900/181103678, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet Ende 2013 und zwischenzeitlichem Aufenthalt bei seiner Schwester in Dänemark nach einer Überstellung nach Österreich hier am 15.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 23) gestellt.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) vom 28.07.2016, Zl 14-1031467900, (AS 159) wurde dem Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Darin führte das BFA begründend aus, dass der BF damals – insbesondere aufgrund seiner in Dänemark am 18.05.2014 stattgefundenen Taufe (AS 405) – glaubhaft gemacht habe, dass er zum Christentum konvertiert sei und deshalb bei einer Rückkehr einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt wäre. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

3. Am 11.11.2018 erstellte die Landespolizeidirektion TIROL einen Abschlussbericht wegen des Verdachts auf eine vom BF begangene Körperverletzung (AS 3).

4. Am 19.05.2019 stellte die Staatsanwaltschaft XXXX einen Strafantrag gegen den BF, wonach er am 02.09.2018 in XXXX im Lokal „ XXXX “ das Opfer durch Faustschläge in dessen Gesicht, die einen unverschobenen Nasenbeinbruch, Blutergüsse an beiden Augen und eine Rissquetschwunde an der Oberlippe zur Folge gehabt hätten, am Körper verletzt habe und dadurch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 Strafgesetzbuch (StGB) begangen habe (AS 39). Dafür wurde eine Hauptverhandlung beim Bezirksgericht (BG) XXXX für den 19.09.2019 angesetzt (AS 37).

5. Am 27.11.2019 wurde die belangte Behörde vom Landesgericht XXXX (in der Folge: LG) von der Verhängung der Untersuchungshaft gegen den BF wegen §§ 28a Abs 1 Suchtmittelgesetz (SMG) ab 27.11.2019 verständigt (AS 53).

6. Mit Schreiben vom 22.12.2019 wurde an die Staatsanwaltschaft (StA) XXXX ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion (LPD) TIROL übermittelt, wonach der BF des Verbrechens der schweren Körperverletzung verdächtigt werde (AS 147).

7. Mit weiterem Schreiben vom 15.01.2020 wurde an die StA XXXX ein erneuter Abschlussbericht der LPD TIROL übermittelt, wonach der BF wegen § 28a Abs 1 SMG, § 50 Waffengesetz, § 22 a Abs 5 Antidopinggesetz, Fundunterschlagung, sowie falscher Beweisaussage vor der Kriminalpolizei und Vortäuschen einer mit Strafe bedrohten Handlung verdächtigt werde (AS 159).

8. Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX vom 19.02.2020 zu XXXX (AS 191- 203) wurde der BF, des Verbrechens der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 4 StGB), des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 2. Satz SMG), des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 5. Fall SMG), des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs 2 SMG), des Vergehens des unerlaubten Waffenbesitzes (§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG), sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs 1 StGB) schuldig erkannt und rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

Der BF habe

I. in XXXX am 09.11.2019 das namentlich näher genannte Opfer am Körper verletzt, indem er ihm mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine mehrfragmentare, gering dislozierte Nasenbeinfraktur, somit eine schwere Körperverletzung, erlitt.

II. zwischen Sommer 2019 und seiner Festnahme am 25.11.2019

1. vorschriftswidrig

a) 113 Gramm Kokain mit Reinsubstanzen zwischen 41% und 60% reinem Cocain, somit 57, 36 Gramm reines Cocain (3,8 Grenzmengen) und damit Suchtgift in einer die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigenden Menge erworben und mit dem Vorsatz besessen, dass davon zumindest eine Grenzmenge (16 Gramm reines Cocain) übersteigende Menge in Verkehr gesetzt werde;

b) zumindest 200 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 41 % reinem Cocain (82 Gramm reines Cocain – 5,4 Grenzmengen), damit Suchtgift in einer die Grenzmenge nach § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge, anderen überlassen, und zwar namentlich näher genannten Personen sowie Unbekannten;

c) unbekannte Mengen Kokain zum Eigenkonsum erworben und besessen;

2. verbotene Waffen (§17 WaffG), und zwar eine Stahlrute (§17 Abs 1 Z 6 WaffG unbefugt besessen.

3. eine Urkunde, und zwar den Führerschein einer namentlich genannten Person, über die er nicht verfügen durfte, unterdrückt, dies mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr gebraucht werde, indem er diese in seiner Wohnung verwahrte und nicht dem Berechtigten oder dem Fundbüro übergab.

Der BF hat hierdurch das Verbrechen der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 4 StGB), das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 2. Satz SMG), das Verbrechen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 5. Fall SMG), das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs 2 SMG), das Vergehen des unerlaubten Waffenbesitzes (§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG), sowie das Vergehen der Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs 1 StGB) in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen.

Den Feststellungen des Gerichtes ist zu entnehmen, dass mildernd die Unbescholtenheit, erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen, die Begehung einer strafbaren Handlung (Körperverletzung) trotz eines anhängigen Strafverfahrens, bei der Strafbemessung zu berücksichtigen waren.

9. Mit Aktenvermerk der belangten Behörde vom 24.02.2020 (AS 251) wurde im gegenständlichen Fall ein Verfahren zur Aberkennung des Flüchtlingsstatus eingeleitet.

10. Mit Parteiengehör vom 24.02.2020 (AS 253) wurde dem BF von der belangten Behörde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihm aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens den Status des Asylberechtigten abzuerkennen und der BF über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die zulässige Rückkehrentscheidung und Verhängung eines Einreisverbotes in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde ihm ein Fragebogen über seine persönlichen Lebensumstände, sein Privat- und Familienleben sowie Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat übermittelt. Dazu wurde dem BF eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eingeräumt.

11. Daraufhin brachte der damals bevollmächtigte Rechtsvertreter des BF – nach gewährter Fristerstreckung – fristgerecht am 06.04.2020 eine Stellungnahme ein, in welcher er im Wesentlichen Folgendes ausführte:

Es würden sich keine Verwandten des BF mehr im Herkunftsstaat aufhalten, insbesondere die Schwester des BF lebe in Dänemark. Der BF spreche sehr gut Deutsch und sei bereits seit dem Jahr 2014 in Österreich regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er sei bis zu seiner Inhaftierung Mitglied eines Kraftsportvereins gewesen und habe in diesem Rahmen bei den Tiroler Meisterschaften mitgewirkt, wo er XXXX aufgestellt habe. Bei seiner Verurteilung des LG XXXX zu XXXX handle es sich um seine erste Verurteilung und er sei noch nie mit einem Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung belegt worden. Aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse, aber auch wegen seines Engagements im Kraftsport habe sich der BF in Österreich nicht nur beruflich, sondern auch sozial integriert. Er sei vom Islam zum Christentum konvertiert und am 18.05.20214 in Dänemark getauft worden. Er habe seinen christlichen Glauben vor der Inhaftierung durch die Teilnahme an Gottesdiensten ausgelebt, aber auch in der Justizanstalt XXXX nehme der BF regelmäßig an den dort stattfindenden Gottesdiensten teil. Der BF würde seinen Glauben auch in seinem Herkunftsstaat weiterhin ausleben und nicht zum Islam zurückkehren. Es sei ihm nicht zuzumuten, dass er seine Konversion zum Christentum zur Todestrafe, jedenfalls aber zu einer langen Haftstrafe führen würde, wobei in den iranischen Haftanstalten Folter und unmenschliche Behandlung an der Tagesordnung stehen würden und solche Praktiken insbesondere gegenüber Konvertiten an den Tag gelegt würden. Die Aberkennung des Asylstatus samt Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot stehe sohin einerseits die soziale und berufliche Integration des BF in Österreich, andererseits vor allem die reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK entgegen, weil dem BF aufgrund seiner Konversion zum Christentum im Iran die Todesstrafe zumindest aber jahrelange Haft und damit einhergehende Folter und unmenschliche Behandlung drohen würden. Aus eben diesem Grunde sei dem BF auch nicht der Status des Asylberechtigten abzuerkennen bzw ihm zumindest des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Dazu wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

-        Konvolut an Lohnzetteln von August 2016 bis November 2019 (AS 343 – 397),

-        Teilnahmebestätigungen Tiroler Meisterschaften (AS 399 – 403),

-        Taufurkunde vom 18.05.2014 samt Presseartikel (AS 405 – 409).

12. Die belangte Behörde hat mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 25.05.2020 dem BF den mit Bescheid vom 28.07.2016 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt und gemäß § 7 Abs 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Absatz 1 Z 2 AsylG dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den IRAN zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Tragende Begründung war, dass der BF wegen mehren Vergehen und zwei Verbrechen rechtskräftig verurteilt sei, wobei das vom BF begangene Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG ein besonders schweres Verbrechen darstelle. Die Straftat des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Allgemeinheit oder das friedliche Zusammengeben der Bevölkerung und im Sinne der von der belangten Behörde zitierten Rechtsprechung typischerweise ein besonders schweres Verbrechen iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG dar, zumal sich in der Suchtmittelkriminalität eine besondere Gefährlichkeit manifestiere. Mit ihr würden üblicherweise eine hohe Begleitkriminalität und eine große Wiederholungsgefahr einhergehen. Der BF sei daher in höchstem Maße sozialschädlich, da durch seine Handlungen eine Gesundheitsgefährdung im großem Ausmaß entstehen könne, wobei zu bemerken sei, dass besonders schutzwürdige Jugendliche gefährdet seien. Durch die gewerbsmäßige Mitwirkung des BF am Suchtmittelhandel habe er dazu beigetragen, diese Gefahren zu verwirklichen. Sein Fehlverhalten sei daher außerordentlich gravierend und gefährde massiv öffentliche Interessen wie die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass bei einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den IRAN für den BF eine reale Gefahr von einer Verletzung nach Art 2, Art 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Ebenso wenig habe festgestellt werden können, dass der BF im Fall einer Rückkehr in seinem Recht auf Leben gefährdet wäre, der realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder der Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Dass der BF im Falle einer Rückkehr einer staatlichen oder privaten Verfolgung aus Konventionsgründen ausgesetzt wäre, sei nicht festzustellen gewesen.

Es stehe zwar fest, dass dem BF zum damaligen Entscheidungszeitpunkt der Status des Asylberechtigten aufgrund seiner Konversion zum evangelischen Glauben zuerkannt worden sei. Es habe jedoch weder festgestellt werden können, dass der BF den christlichen Glauben verinnerlicht habe, noch, dass er tatsächlich noch den christlichen Glauben leben würde. Er habe keine exponierte Stellung in der christlichen Kirche und sei auch nicht bezüglich einer missionarischen Tätigkeit aufgefallen. Die behauptete Teilnahme an christlichen Messen sei dafür in keiner Weise ausreichend. Ebensowenig sei sein Verhalten in Österreich – insbesondere seine strafrechtlichen Verurteilungen und die damit verbundene kriminelle Energie, mit einem Leben nach christlichem Glauben und Werten zu vereinbaren. Daher stehe fest, dass eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsland aktuell nicht mehr bestehe und dem BF die Rückkehr aktuell zuzumuten sei.

Hinsichtlich des auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbots stellte die belangte Behörde fest, dass der BF die Voraussetzungen des § 53 Abs 3 Z 1 FPG durch die Verurteilung zu einer unbedingten 18-monatigen Freiheitsstrafe erfüllt habe. Aufgrund des Zusammentreffens von mehreren Vergehen und zwei Verbrechen sowie die Begehung einer strafbaren Handlung trotz eines anhängigen Strafverfahrens, bestehe eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der BF durch sein Verhalten eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der BF in Zukunft keine weiteren derartigen strafbaren Handlungen bzw. Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung begehen werde.

13. Gegen diesen Bescheid brachte der BF durch seine zum damaligen Zeitpunkt bevollmächtigten Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde (eingelangt am 24.06.2020) ein. Darin wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde übersehen habe, dass der BF im Tatzeitraum selbst Suchtgift konsumiert habe, suchtgiftgewöhnt gewesen sei und sich seinen Konsum durch die entgeltliche Weitergabe von Suchtgift finanziert habe. Des Weiteren wurde auf die bereits in der Stellungnahme vom 01.04.2020 getroffenen Ausführungen verwiesen.

In rechtlicher Hinsicht wurde vorgebracht, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Asylstatus nicht vorliegen würden, zumal kein besonders schweres Verbrechen iSd § 7 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 6 Abs 1 Z 1 AslyG vorliege bzw selbst für den Fall, die belangte Behörde eine Güterabwägung hätte treffen müssen. Die Behörde habe es überdies unterlassen, zu ermitteln, ob der BF aufgrund seiner Konversion zum Christentum die reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK drohe. Weder der BF noch dessen Schwester seien dazu einvernommen worden, was auch für die Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wesentlich gewesen wäre. Ebensowenig habe sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang mit der Frage, ob dem BF im Iran aufgrund der Verurteilung in Österreich ein „real risk“ einer unmenschlichen Behandlung drohe, auseinandergesetzt. Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde nicht darauf eingegangen sei, dass die Schwester des BF in Dänemark lebe und keine Verwandten des BF mehr im IRAN leben würden und daher den Bescheid mangels Würdigung dieser Informationen bei der Gesamtabwägung mit Rechtswidrigkeit durch Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet habe.

Schließlich wandte sich der BF gegen die Abschiebung in den IRAN nach § 46 FPG mangels Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit notwendig sei, und monierte die Frist für die freiwillige Ausreise insbesondere aufgrund der Auflösung seines Haushaltes seiner Mietwohnung und sprach sich gegen die Verhängung des Einreiseverbots in der Dauer von 5 Jahren aus, zumal ein Ausschöpfen der Höchstfrist ohne Bezugnahme der Umstände des Einzelfalls unzulässig sei.

14. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 24.06.2020 (beim BVwG eingelangt am 29.06.2020) von der belangten Behörde vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Aufgrund COVID bedingter Einschränkungen und der Haftdauer des BF wurde der Akt erst in Jänner 2021 in Bearbeitung genommen und der Rechtsvertreter des BF am 22.01.2021 aufgefordert, fünf Zeugen für die christliche Lebensweise des BF zur Einvernahme in einer anzuberaumenden Verhandlung namhaft zu machen (ON 2). Der Rechtsvertreter teilte daraufhin mit, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst worden sei.

15. Ebenfalls am 22.01.2021 ersuchte das BVwG die zuständige Justizvollzugsanstalt (in der Folge: JA) um Übermittlung eines Auszuges aus der Haft- bzw Vollzugs-Information und eines Führungszeugnisses, sowie um Übermittlung eines aktuellen Vollzugsberichtes zum Verhalten des BF, insbesondere im Hinblick auf religiöse/christliche Aktivitäten. Daraufhin teilte die JA per E-Mail am selben Tag mit, dass der BF bereits am 25.11.2020 bedingt entlassen worden sei und übermittelte einen Auszug aus der Vollzugs-Information, ging jedoch nicht auf das Verhalten des BF während der Haft und auf dessen religiöse Aktivitäten ein (ON 3).

16. Mit Auskunftsersuchen des BVwG vom 02.02.2021 (ON 6) wurde die JA sodann ersucht mitzuteilen, 1.) ob es während der Haft disziplinäre Probleme gegeben habe, 2.) ob der BF während der Haft Kontakt zu einem Seelsorger gesucht habe und wenn ja, wie oft und welcher Religion dieser angehöre, 3.) ob der BF in der Haft gearbeitet habe und wenn ja was, sowie 4.) von wem der BF in der Haft Besuch bekommen habe?

17. Mit daraufhin am 10.02.2021 übermitteltem E-Mail teilte die JA Folgendes mit (ON 8):

Der BF sei insgesamt drei Mal negativ in Erscheinung getreten, dazu wurden vorgelegt:

-        Meldung von Ordnungswidrigkeiten vom 27.01.2020 nach § 107 Abs 1 Z 5 (Besitz von nicht ordnungsgemäß überlassenen Gegenständen) und Z 10 (Pflichtverletzung) Strafvollzugsgesetz (StGV), wonach beim ihm gehortete Tabletten und ein USB-Stick in Socken gefunden wurden.

-        Meldung von Ordnungswidrigkeiten vom 22.07.2020, wonach der BF und andere Insassen von der Arbeit in der Anstaltsküche aufgrund mehrerer Meldungen bezüglich Mobiltelefone und Tabletten und ihrer mangelnden Arbeitsleistung abgelöst wurden.

-        Meldung von Ordnungswidrigkeiten vom 22.07.2020 nach § 107 Abs 1 Z 2 (unerlaubter Verkehr), § 107 Abs 1 Z 5 (nicht ordnungsgemäß überlassene Gegenstände), § 107 Abs 1 Z 10 (Pflichtverletzung), wonach bei dem BF ein Mobiltelefon samt Netzwerkstecker und USB-Ladekabel gefunden wurde.

Des Weiteren wurde ein Dokument vorgelegt, wonach der BF während seiner Inhaftierung von 10.03.2020 bis 08.07.2020 und vom 09.07.2020 bis 22.07.2020 in der Anstaltsküche und von 01.09.2020 bis 25.11.2020 als Hausarbeiter beschäftigt war.

Aus der ebenfalls vorgelegten Besucherliste, waren insgesamt 27 Besuche vermerkt, die der BF während seiner Haft bekommen hat, darunter u.a. neben seinem Rechtsvertreter die vom BF als Zeugin bekannt gegebene XXXX (in der Folge: BK).

Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass die Kontakte mit dem Seelsorger nicht aufgezeichnet würden.

18. Mit direkt an den BF adressiertem Schreiben vom 02.02.2021 forderte das BVwG den BF auf innerhalb einer Frist von 3 Wochen ab Zustellung dieses Schreibens 5 Zeugen namhaft zu machen, die über seine christlichen Aktivitäten in den letzten zwei Jahren Auskunft geben können (ON 7). Aufgrund des erfolglos gebliebenen Zustellversuches ersuchte das BVwG die PI XXXX um persönliche und eigenhändige Zustellung an den BF an seiner gemeldeten Wohnadresse sowie die Unterfertigung einer entsprechenden Übernahmebestätigung. Diese Zustellung erfolgte sodann nachweislich am 06.03.2021 (ON 9).

19. Daraufhin gab der BF fristgerecht am 20.03.2021 – von der E-Mail Adresse des XXXX (in der Folge: MF) – fünf namentlich genannte Zeugen inkl. Ladungsadresse bekannt (ON 10): MF, BK, Lara B XXXX , Hannes N XXXX , Robert N XXXX .

20. Mit Schreiben vom 12.05.2021 wurde der BF, das BFA sowie der Zeuge MF und die Zeugin BK für eine Verhandlung vor dem BVwG am 02.07.2021 an der Außenstelle XXXX geladen (ON 12) und wurden der BF und das BFA in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das BVwG beabsichtigt das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, in der neuesten Version (COI-CMS https://staatendokumentation.at bzw. https://ecoi.net) als Feststellungen zur Situation im Iran seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Des Weiteren wurde der BF darüber informiert, dass die Möglichkeit bestehe, sich durch einen Rechtsberater der Bundesagentur- für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU) vertreten zu lassen und dazu ein entsprechendes Beiblatt übermittelt.

Die Zustellung an den BF musste neuerlich durch die Polizei erfolgen (da die davor hinterlegte Ladung nicht behoben wurde) und erfolgte laut übermittelter Übernahmebestätigung nachweislich am 18.06.2021 (ON 15).

21. Das BVwG führte am 02.07.2021 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der unvertretene BF eine Stunde zu spät erschien (Er gab an keine Vertretung zu brauchen [VHS 4] und zuerst irrtümlich beim falschen Gericht gewesen zu sein [VHS 6]). Die geladene Zeugin BK erschien und wurde einvernommen. Der weitere ordnungsgemäß geladene Zeuge MF erschien mit der Begründung, dass er Nachttaxifahrer sei und verschlafen habe, nicht, obwohl der BF angab diesen noch am Vortag getroffen und über die Verhandlung gesprochen zu haben (VHS 12).

Der BF wurde ausführlich zu seiner Person, seiner Strafhaft, seinem Glauben, sowie Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alles umfassend darzulegen und zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten, dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI) – Iran, vom 02.07.2021, Version 3, Stellung zu nehmen.

Dabei legte der BF folgende Unterlagen vor:

-        zwei Ausdrucke über Reservierungsbestätigungen zur Teilnahme an Gottesdiensten am 20.06.2021 und am 27.06.2021 um 10 Uhr in der freien evangelischen Gemeinde XXXX (Beilage A./ und B./).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

1.1. Zur Person und ihrem Netzwerk

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in TEHERAN geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran und Angehöriger der Volksgruppe der Perser. Er ist mit dem muslimischen Glauben aufgewachsen und hat sich nach seiner Flucht nach Europa Ende 2013 in Dänemark am 18.05.2014 einer christlichen (evangelischen) Taufe unterzogen (AS 405). Er ist ledig und kinderlos.

Seine Muttersprache ist Farsi, außerdem spricht er noch Englisch, und verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2.

Der BF reiste Ende 2013 legal mit einem Touristenvisum in das österreichische Bundesgebiet ein. Danach flog er weiter nach Dänemark zu seiner Schwester, wo er zuerst einen Asylantrag stellte. Aufgrund des österreichischen Visums wurde er am 15.09.2014 von Dänemark nach Österreich überstellt und stellte am 15.09.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 29, 152). Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.07.2016, Zl 14-1031467900, (AS 159) wurde dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Der BF hat bis zu seiner Ausreise in TEHERAN gelebt und hat dort zwölf Jahre lang die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen (AS 150). Anschließend hat er von ca 2006 bis 2014 im Iran sowohl selbstständig auf dem Bazar als auch angestellt in einem Fitnessstudio als Verkäufer für Ernährungsmittel für Sportler und Bodybuilder-Trainer gearbeitet (AS 151).

Der BF hat folgende Angehörige im Iran (seine diesbezüglichen Angaben in der Beschwerde und schriftlichen Stellungnahme seines damaligen Rechtsvertreters, wonach er keine Verwandten im Iran mehr habe, waren falsch):

Seine Mutter lebt noch in TEHERAN (dzt rund 8,5 Mio Einwohner). Mit seiner Mutter steht der BF in regelmäßigem Kontakt. Er telefoniert jeden Tag mit ihr und sie kommt ihn zweimal im Jahr in Österreich besuchen (VHS 8).

Sein Vater lebt in XXXX (dzt rund 300.000 Einwohner) und besitzt dort Grundstücke. Zusätzlich besitzt die Familie des BF nördlich von TEHERAN 12 ha Obstgarten. Sein Bruder lebt ebenfalls in XXXX . Mit seinem Bruder und seinem Vater steht er ebenfalls in regelmäßigem telefonischen in Kontakt (AS 150, VHS 8).

Zudem hat er eine Schwester in Dänemark, zu welcher er ein gutes Verhältnis pflegt und die ihn immer wieder finanziell unterstützt hat. Er telefoniert jeden Tag mit ihr und er fährt sie öfters in Dänemark besuchen (VHS 8, 14).

1.2. Zum Leben in Österreich:

Der BF hat anfangs von Oktober 2014 bis Juli 2016 in Österreich gemeinnützig in einem Asylheim als Koch gearbeitet und stand zunächst in der Grundversorgung (AS 154, AS 340). Danach bestritt er seinen Lebensunterhalt von August 2016 bis Juli 2018 als Koch in einer Berufsschule (AS 340). Vor seiner Strafhaft war der BF für einen Zeitraum von ca. 2 Jahren als Security-Mitarbeiter – darunter in XXXX in dem Nachtlokal („ XXXX “) als Türsteher und als Security bei XXXX – beschäftigt (AS 340, VHS 5) (vgl Lohnzettel AS 343 – 397).

Der BF arbeitet seit ca. drei Monaten bei einer Leasingfirma und ist darüber bei einer anderen Firma ( XXXX ) angestellt. Er arbeitet dort als Schichtarbeiter. Laut Lohnzettel von Mai 2021 hat er 1.297,15 € verdient (VHS 4).

Der BF ist arbeits- und selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat Deutschkurse besucht und sich Deutschkenntnisse – nachweislich bis zu A2 – angeeignet, spricht aber deutlich über diesem Niveau Deutsch.

Der BF ist gesund, nicht immungeschwächt und leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er trainiert regelmäßig Kraftsport und hat in der Vergangenheit damit auch an Wettbewerben teilgenommen (VHS 5).

Der BF war bis zu seiner Inhaftierung Mitglied in einem Kraftsportverein und hat immer wieder bei Wettbewerben mitgewirkt und dabei auch vordere Platzierungen erreicht. Er hat den XXXX aufgestellt (AS 340, AS 399 – 403). Der BF betreibt immer noch regelmäßig Sport (VHS 5).

Abgesehen davon ist der BF kein Mitglied eines Vereines oder einer anderen Organisation in Österreich. Insbesondere ist er kein aktives Mitglied einer Kirchengemeinde.

Am 19.05.2019 wurde ein Strafantrag gegen den BF gestellt, wonach er am 02.09.2018 in XXXX im Lokal „ XXXX “ jemanden durch Faustschläge in dessen Gesicht, am Körper verletzt habe (AS 39).

Am 09.11.2019 hat der BF vor demselben Lokal einem Gast mit einem Faustschlag ins Gesicht verletzt.

Am 27.11.2019 wurde über den BF die Untersuchungshaft wegen §§ 28a Abs 1 SMG verhängt (AS 47, 53).

Es wird festgestellt, dass vom BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Der BF hat sich vom 25.11.2019 bis zu seiner vorzeitigen bedingten Entlassung am 25.11.2020 in Haft befunden. Während der Haft war der BF der JA XXXX zugeteilt und ist dort insgesamt drei Mal negativ in Erscheinung getreten:

-        Ordnungswidrigkeiten nach § 107 Abs 1 Z 5 Strafvollzugsgesetz (StGV) (Besitz von nicht ordnungsgemäß überlassenen Gegenständen) und Z 10 leg. cit. (Pflichtverletzung), wonach am 27.01.2020 beim im BF gehortete Tabletten und ein USB-Stick in Socken gefunden wurden.

-        Ordnungswidrigkeit, wonach der BF und andere Insassen am 22.07.2020 von der Arbeit in der Anstaltsküche aufgrund mehrerer Meldungen bezüglich Mobiltelefone und Tabletten und ihrer mangelnden Arbeitsleistung abgelöst wurden.

-        Ordnungswidrigkeiten nach § 107 Abs 1 Z 2 (unerlaubter Verkehr), § 107 Abs 1 Z 5 (nicht ordnungsgemäß überlassene Gegenstände), § 107 Abs 1 Z 10 (Pflichtverletzung), wonach am 22.07.2020 bei dem BF ein Mobiltelefon samt Netzwerkstecker und USB-Ladekabel gefunden wurde.

Das o.a. Verhalten des BF wurde in der Justizanstalt gemeldet und wurde der BF in allen Fällen abgemahnt.

Von 10.03.2020 bis 08.07.2020 und vom 09.07.2020 bis 22.07.2020 war der BF zur Arbeit in der Anstaltsküche zugeteilt. Aufgrund seiner mangelnden Arbeitsleistung war er danach von 01.09.2020 bis 25.11.2020 als Hausarbeiter beschäftigt.

Der BF wurde laut Besucherliste (ON 8) 27-mal im Gefängnis besucht. Darunter befanden sich – neben seinem Rechtsvertreter, der Staatsanwaltschaft, Polizei etc. – bei den persönlichen Kontakten einmal am 05.03.2020 seine Schwester, im Februar 2020 zweimal ein Bekannter, und 8 Mal BK, die Ex-Freundin des BF, die ihn zwischen 18.05.2020 und 05.10.2020 regelmäßig besucht hat.

In Österreich leben keine Verwandten des BF. Der BF lebt hier in keiner Lebensgemeinschaft.

Der BF hat in Österreich vereinzelte Bekannte und freundschaftliche Beziehungen, insbesondere zu den vom ihm namhaft gemachten Zeugen, darunter einen Nachbarn, einen Ex-Arbeitskollegen, MF und BK. MF hat den BF jedoch nie im Gefängnis besucht. BK ist eine Ex-Freundin des BF, zu der dieser noch eine freundschaftliche Beziehung pflegt (VHS 9), und die ihn regelmäßig im Gefängnis besucht hat. Es liegt jedoch kein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis von bzw. zu diesen oder anderen Personen in Österreich vor.

Der BF gehört im Hinblick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe hinsichtlich COVID 19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Iran eine COVID 19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.3. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX vom 19.02.2020 zu XXXX wurde der BF, des Verbrechens der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 4 StGB), des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 2. Satz SMG), des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 5. Fall SMG), des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs 2 SMG), des Vergehens des unerlaubten Waffenbesitzes (§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG), sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs 1 StGB) schuldig erkannt und rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

Der BF habe

I. in XXXX am 09.11.2019 das namentlich näher genannte Oper am Körper verletzt, indem er ihm mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine mehrfragmentare, gering dislozierte Nasenbeinfraktur, somit eine schwere Körperverletzung, erlitt.

II. zwischen Sommer 2019 und seiner Festnahme am 25.11.2019

1. vorschriftswidrig

a) 113 Gramm Kokain mit Reinsubstanzen zwischen 41% und 60% reinem Cocain, somit 57, 36 Gramm reines Cocain (3,8 Grenzmengen) und damit Suchtgift in einer die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigenden Menge erworben und mit dem Vorsatz besessen, dass davon zumindest eine Grenzmenge (16 Gramm reines Cocain) übersteigende Menge in Verkehr gesetzt werde;

b) zumindest 200 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 41 % reinem Cocain (82 Gramm reines Cocain – 5,4 Grenzmengen), damit Suchtgift in einer die Grenzmenge nach § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge, anderen überlassen, und zwar namentlich näher genannten Personen sowie Unbekannten;

c) unbekannte Mengen Kokain zum Eigenkonsum erworben und besessen

2. verbotene Waffen (§17 WaffG), und zwar eine Stahlrute (§17 Abs 1 Z 6 WaffG unbefugt besessen.

3. eine Urkunde, und zwar den Führerschein einer namentlich genannten Person, über die er nicht verfügen durfte, unterdrückt, dies mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr gebracht werde, indem er diese in seiner Wohnung verwahrte und nicht dem Berechtigten oder dem Fundbüro übergab.

Der BF hat hierdurch das Verbrechen der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 4 StGB), das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 2. Satz SMG), das Verbrechen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 5. Fall SMG), das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs 2 SMG), das Vergehen des unerlaubten Waffenbesitzes (§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG), sowie das Vergehen der Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs 1 StGB) in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen.

Das LG XXXX stellte als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen und die Begehung einer strafbaren Handlung (Körperverletzung) trotz eines anhängigen Strafverfahrens, fest. Als mildernd wurde seine bisherige Unbescholtenheit, gewertet.

Das vom BF begangene Verbrechen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 5. Fall SMG), stellt ein besonders schweres Verbrechen dar.

Das schwerwiegende Fehlverhalten des BF und des sich daraus ableitbaren Persönlichkeitsbildes lässt auf eine sozialschädliche Neigung zur Missachtung der österreichischen Rechtsvorschriften schließen.

Der BF ist aufgrund der Schwere seiner Straftat und seines Persönlichkeitsbildes als Gefahr für die Gemeinschaft einzuschätzen.

Ein weiterer Aufenthalt seiner Person würde eine erhebliche Gefährdung öffentlicher Interessen an der Verhinderung von Straftaten darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. Zur behaupteten Konversion des BF

Im Bescheid des BFA vom 28.07.2016 wurde dem BF der Staus des Asylberechtigten aufgrund der damals glaubhaft gemachten Konversion zum Christentum zuerkannt und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der BF sich am 18.05.2014 in Dänemark einer christlichen (evangelischen) Taufe unterzogen hat (AS 405).

Der BF hat seit dem Zeitpunkt der Asylzuerkennung seinen christlichen Glauben jedoch weder nach außen getragen und offen gelebt noch sich entsprechend einer inneren Überzeugung und eines christlichen Wertverständnisses verhalten, wie in Folge näher dargestellt:

Der BF hat nur mehr bis zur Zuerkennung seine Asylstatus im Jahr 2016 regelmäßig Gottesdienste besucht (VHS 5). Er hat sich nunmehr lediglich für zwei Gottesdienste kurz vor der mündlichen Verhandlung (am 20.06.2021 und am 27.06.2021) in der freien evangelischen Gemeinde XXXX angemeldet (Beilage A./ und B./). Davor gab er an, keine Zeit dafür gehabt zu haben, weil er gearbeitet habe (VHS 5).

Während der Haft hat der BF zwar zweimal von einem dortigen evangelischen Pfarrer Besuch bekommen, und hat nach seinen eigenen (mangels Aufzeichnungen unüberprüfbaren Angaben) an den montäglichen Gottesdiensten teilgenommen, jedoch hat er sich während dieser Zeit nicht aktiv darum bemüht Unterstützung von einem geistlichen Seelsorger zu bekommen, was angesichts seiner Situation aber zu erwarten gewesen wäre (VHS 7). Er wurde auch (mit Ausnahme seiner Schwester aus Dänemark) von keinem Mitglied der evangelischen Kirche besucht oder hat ein solches als Zeugen oder Zeugin für das Verfahren beim BVwG namhaft gemacht (VHS 9).

Der BF verfügt über nur rudimentäre Grundkenntnisse zum Christentum und zum evangelischen Glauben. So konnte er nur einen Bruchteil der zehn Gebote und kirchlichen Feiertage nennen (VHS 12).

Die christliche Glaubensüberzeugung ist aktuell nicht derart ernsthaft, dass sie Bestandteil der Identität und inneren Überzeugung des BF ist. Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass sich der BF im Falle einer Rückkehr nach Iran privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen oder darunter leiden wird, weil er nicht als Christ leben kann. Der BF tritt nicht spezifisch gegen den Islam oder die Politik im Iran generell auf. Er hat diesbezüglich keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die in der Anonymität der iranischen Großstädte bei einer Rückkehr nach Iran als Glaubensabfall gewertet werden würden.

Der BF ist in Österreich nicht missionarisch tätig und beabsichtigt nicht, dies in Zukunft zu tun. Aufgrund seine geringen Kenntnisse vom Christentum wäre ihm das auch nicht möglich. Die Verwandten / Freunde des BF im Iran wissen von den oben festgestellten christlichen Aktivitäten des BF in Österreich Bescheid (VHS 8). Von ihnen geht jedoch keine Bedrohung aus. Seine Facebook-Aktivitäten sind sehr eingeschränkt und zeigen Familienfotos. Der BF hat auch selbst angegeben, dass er kein politischer Mensch ist (VHS 9). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der iranische Staat von den Verurteilungen des BF in Österreich erfahren würde.

Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung des BF, in der die Anerkennung oder die Ausübung der christlichen Glaubensprinzipien zum Ausdruck kommt, und dass diese zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden sind, liegt zusammengefasst nicht vor.

Der BF brachte keine weiteren Gründe, warum er eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchtet, vor.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat

Das BVwG trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.5.1. Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI) zu Iran, Stand 01.07.2021, Version 3, ergibt sich:

COVID-19

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) eingestuft, da das Land von einer erneuten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen ist. Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 16.6.2021). Nach dem persischen Neujahrsfest Norouz Ende März hatten viele Iraner trotz Warnungen von Präsident Hassan Rohani Verwandte besucht. Danach stiegen die Infektionszahlen stark an. Die Regierung reagierte darauf mit einem Teil-Lockdown (SZ 1.5.2021). Mittlerweile scheint sich die Zahl der Infektionen einigermaßen stabilisiert zu haben, deshalb wurden einige der bisherigen Beschränkungen aufgehoben bzw. gelockert. Neben den Geschäften und Institutionen der Kategorie 1, also essentiell notwendigen, dürfen auch solche der Kategorie 2, also ein Großteil des Einzelhandels, auch in Einkaufszentren und Basaren, öffnen. Obwohl die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile leicht im Abnehmen begriffen ist, ist sie allerdings immer noch hoch (WKO 10.5.2021). Auch die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist weiterhin sehr hoch (WKO 10.5.2021; vgl. DW 23.4.2021), verschiedentlich gibt es noch Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten. Der Großraum Teheran und zahlreiche andere Städte wurden von der höchsten, 'roten' Gefahrenstufe auf 'orange' zurückgestuft (WKO 10.5.2021).

Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 16.6.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden befragt und bei COVID-19-Symptomen ärztlich untersucht werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird Selbstisolation angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen, und es ergehen weitere verpflichtende Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 16.6.2021).

In Teheran gilt von 21 Uhr bis 3 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge. Es kommt, abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen, abhängig vom örtlichen Infektionsgeschehen, ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 16.6.2021). Private Personenkraftwagen dürfen den auf den Kennzeichen angeführten Zulassungsbezirk nicht verlassen. Eine Ausnahme besteht für die Bezirke Teheran und Karaj, da täglich mehrere Millionen Berufspendler zwischen den beiden Orten verkehren. Die Beschränkungen gelten nicht für den öffentlichen Verkehr, Taxis und Internettaxis. In Behörden ist die Anwesenheit der Beschäftigten reduziert. In Orten der Warnstufe 'rot' müssen Handelsunternehmen, die nicht wie Apotheken oder Lebensmittelhändler dringende Bedürfnisse abdecken, schließen (WKO 10.5.2021). Auch Touristen- und Ausflugsziele bleiben teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 16.6.2021). In allen Schulen und Universitäten wird auf teilweise Fernunterricht umgestellt. Religiöse und kulturelle Veranstaltungen dürfen nur in reduzierter Form stattfinden. Die Maßnahmen gelten auf unbestimmte Zeit (WKO 10.5.2021).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte und Reisen zu vermeiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und den Öffentlichen Personennahverkehr zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr. Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 16.6.2021).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 10.5.2021).

Nach wiederholten Ankündigungen über die baldige Produktion iranischer Corona-Impfstoffe gab Präsident Hassan Rohani im April 2021 zu, dass im Land produzierte Impfdosen im besten Fall ab Ende des Sommers 2021 zur Verfügung gestellt werden könnten. Rohani lud Firmen und Geschäftsleute ein, im Auftrag der Regierung Corona-Impfstoffe aus dem Ausland zu importieren. Die Regierung selbst könne keine Corona-Impfdosen importieren, weil die US-Sanktionen deren Einfuhr behindere. Die Tatsache, dass die Regierung sich erst sehr spät für den Kauf ausländischer Impfstoffe entschieden hat, erwähnte der Präsident nicht. Laut iranischen Medien gibt es schon jetzt einen florierenden Schwarzmarkt für illegal importierte Corona-Impfdosen in Teheran. Viele verzweifelte und schwerkranke Menschen suchen auf dem Schwarzmarkt nach preiswerten Impfdosen. Je nach Hersteller werde die Einzeldosis Impfstoff für bis zu 2.000 Euro verkauft (DW 23.4.2021). Laut iranischen Behörden, wurde am 13.6.2021 eine Notfallgenehmigung für einen im Inland entwickelten Impfstoff (COVIran Barekat) gegen COVID-19 erteilt. Der Schritt kommt aufgrund der erwähnten Probleme mit dem Import von genügend Impfstoffen (RFE/RL 14.6.2021).

[…]

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 3.3.2021).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 30.3.2021). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2021; vgl. AA 26.2.2020, HRC 11.1.2021). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2021). In einigen Fällen wurde in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert hatte (AI 7.4.2021).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen 'göttlichen Wissens' [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 30.3.2021).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die 'Sondergerichte für die Geistlichkeit' sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere 'Feindschaft zu Gott' und 'Korruption auf Erden';

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen. Erzwungene 'Geständnisse', die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann der ursprünglich Verletzte auch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom 'Geschädigten' gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarde und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung. Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Trotzdem können Angehörige der Sicherheitskräfte Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden (USDOS 30.3.2021). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut macht. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 3.3.2021). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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