Entscheidungsdatum
02.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W129 2224104-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX alias: XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch: BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2019, 741081007-190198511/BMI-BFA_OOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 21.05.2004 einen Antrag auf Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2005 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge strafrechtlich verurteilt (siehe Feststellungen).
3. Am 15.03.2019 erfolge eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers. In dieser führte er zusammengefasst und sinngemäß aus, dass er seit der Asylantragstellung mehrmals in der Russischen Föderation gewesen sei. Er sei in die Russische Föderation freiwillig gereist, um dort seine Familie zu besuchen. Er verfüge auch über ein russisches Reisedokument. Bei der Beantragung oder Ausstellung des Reisepasses habe er keine Probleme gehabt. Er habe die Pässe persönlich beantragt und sie seien ihm auch persönlich ausgefolgt worden. Während der Aufenthalte habe er auch keine Probleme gehabt. Er habe den Pass gebraucht, damit er ohne Problem in den Herkunftsstaat reisen könne. Zudem habe er ihn gebraucht, um Behördengänge zu erledigen. Im Übrigen führte er aus, dass er „ehrlich gesagt“ nicht verfolgt worden sei. Es sei damals „einfach“ Krieg gewesen.
4. Mit angefochtenem Bescheid vom 18.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchpunkt I. der ihm mit Bescheid vom 11.05.2005 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Weiters wurde ihm in Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde in Spruchpunkt IV. gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde in Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII).
Der Begründung ist im Wesentlichen und sinngemäß zu entnehmen, dass die Ausstellung des Reispasses nach der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Österreich erfolgt sei und er sich freiwillig durch die Beantragung und Ausstellung des Dokumentes dem Schutz seines Heimatlandes unterstellt habe. Im Übrigen seien seit der Asylgewährung die damaligen Voraussetzungen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden sei, weggefallen.
5. Dagegen wurde fristgerecht eine Beschwerde eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen sinngemäß ausgeführt, dass die Rückkehrentscheidung für unzulässig erklärt werden hätte müssen. Zudem erweise sich das Einreiseverbot als überschießend.
6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.10.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. In weiterer Folge erfolgten mehrere Eingaben.
8. Am 28.05.2021 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der der Beschwerdeführer sowie zwei Töchter des Beschwerdeführers als Beschwerdeführer einvernommen wurden. Die Verfahren des Beschwerdeführers sowie der Töchter (W129 2236827-1, W129 2236826-1) wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Die Ehegattin des Beschwerdeführers wurde als Zeugin einvernommen.
9. Am 14.06.2021 langte eine Stellungnahme beim Gericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt.
Der Beschwerdeführer reiste im März 2004 ins Bundesgebiet ein und stellte am 21.05.2004 einen Antrag auf Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2005 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
1.2. Der Beschwerdeführer hat sich nach seiner Asylzuerkennung freiwillig russische Reisepässe durch die Behörden seines Herkunftsstaates ausstellen lassen. Der russische Reisepass (Nummer XXXX ) wurde am 27.07.2010 ausgestellt und war bis zum 27.07.2015 gültig (AS 115). Ein weiterer russischer Reisepass (Nummer XXXX ) wurde am 29.11.2016 ausgestellt und ist bis 29.11.2026 gültig (AS 107). Im Übrigen wurde ihm am 10.05.2007 ein russischer Inlandspass (Nummer XXXX ) ausgestellt (AS 75).
Der Beschwerdeführer ist nach der Asylzuerkennung mehrmals freiwillig in den Herkunftsstaat (Tschetschenien) zurückgekehrt, um seine Verwandten zu besuchen. Im Übrigen hat er Behördengänge erledigt.
1.3. Der Beschwerdeführer ist in der Russischen Föderation einer Verfolgung nicht ausgesetzt und droht eine solche nicht aktuell. Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
Der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation weder in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen noch von der Todesstrafe bedroht. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer ist in Tschetschenien in XXXX aufgewachsen und hat dort bis zur Ausreise gelebt. Er hat die Grundschule besucht und im Herkunftsstaat in einem Bauunternehmen und als Schlosser gearbeitet. Er hat seinen Wehrdienst absolviert. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch und Russisch. In der Russischen Föderation (Tschetschenien) halten sich Verwandte (jedenfalls zwei Brüder und drei Schwestern) auf. Diese Verwandten könnten den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr unterstützten. Der Beschwerdeführer bekommt als afghanischer Veteran jeden Monat ca 30 EUR vom Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.
1.4. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 09.12.2014, rechtskräftig verurteilt. Das Urteil lautet auszugsweise, wie folgt:
„ XXXX ist schuldig, er hat in XXXX und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich
Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 11 % THCA und 0,84 % Delta-9-THC
I.) zwischen November 2012 und April 2014 in einer nicht mehr genau feststellbaren, jedenfalls die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar zumindest 1800 g, großteils durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, wobei er an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftat vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und zwar
a.) zwischen April 2013 und April 2014 an XXXX 14 g,
b.) zwischen April 2013 und April 2014 an XXXX 66g,
c.) zwischen November 2012 und April 2014 an XXXX 30 g,
d.) zwischen März 2014 und April 2014 an den am XXXX geborenen, sohin minderjährigen XXXX 4 g,
e.) zwischen November 2013 und April 2014 an XXXX 65 g,
f.) zwischen März 2014 und April 2014 an XXXX 25 g,
g.) im April 2014 an XXXX 9 g,
h.) bis April 2014 an XXXX eine nicht mehr feststellbare Menge,
i.) zwischen Jänner 2014 und Februar 2014 an XXXX 2 g,
j.) zwischen März 2014 und April 2014 an den am XXXX geborenen, sohin minderjährigen XXXX 20 g,
k.) zwischen Jänner 2014 und Februar 2014 an den am XXXX geborenen, sohin minderjährigen XXXX 20 g,
l.) im Herbst 2013 an XXXX 20 g,
m.) zwischen Oktober 2013 und April 2014 an XXXX 72 g,
n.) zwischen September 2013 und April 2014 an XXXX 140 g,
o.) zwischen November 2012 und April 2014 an XXXX 156 g,
p.) zwischen Jänner 2014 und April 2014 an den am XXXX geborenen, sohin minderjährigen XXXX 60 g,
q.) zwischen Jänner 2014 und April 2014 an den am XXXX geborenen, sohin minderjährigen XXXX 20 g,
r.) im April 2014 an XXXX 20 g,
s.) bis April 2014 an XXXX eine nicht mehr feststellbare Menge,
t.) zwischen November 2012 und April 2014 an unbekannte Abnehmer zumindest 1048 g;
II.) zumindest ab März 2004 bis 17.04.2014 über die zu Punkt I.) genannten Mengen hinaus eine nicht mehr feststellbare Menge ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Strafbare Handlung(en):
XXXX hat hiedurch
zu I.) das Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und
zu II.) die Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG begangen.
Anwendung weiterer gesetzlicher Bestimmungen: 28 StGB
Strafe:
XXXX wird hierfür nach § 28a Abs 3 erster Strafsatz SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß
von 21 (einundzwanzig) Monaten verurteilt.
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Teil der Strafe, nämlich 14 (vierzehn) Monate, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
(…)
Strafbemessungsgründe:
mildernd: das Geständnis
die bisherige gerichtliche Unbescholtenheit
erschwerend: das mehrfache Überschreiten der Grenzmenge nach § 28b SMG
das Zusammentreffen von mehreren Vergehen“
Der Beschwerdeführer ist in der Vergangenheit mit dem Fahrrad ohne Licht gefahren, dafür hat er 20 EUR zahlen müssen.
1.5. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehegattin und zwei Töchtern im gemeinsamen Haushalt. In Bezug auf diese beiden Töchter wird mit Entscheidungen des BVwG vom heutigen Tag (zu Zl.en W129 2236827-1, W129 2236826-1), der Asylstatus aberkannt, kein subsidiärer Schutz erteilt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein Einreiseverbot erlassen. Der Ehegattin kommt ein Daueraufenthalt – EU zu. In Österreich leben zudem eine weitere Tochter sowie ein Sohn des Beschwerdeführers samt deren Familien. Dem Sohn und dieser Tochter kommt ebenso ein Daueraufenthalt – EU zu. Zudem leben Nichten und eine weitschichtige Verwandte in Österreich oder in der EU. Der Beschwerdeführer hat in Österreich Deutschkurse besucht, der letzte war auf A2–Niveau. Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung Grundkenntnisse der deutschen Sprache aufgewiesen. Der Beschwerdeführer verfügt über Bekannte in Österreich, er hat aber keine Freunde im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer ist in keinem Verein oder Organisation ein Mitglied. Im Jahr 2010 hat er an einem Bewerbungstraining teilgenommen. Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt von Sozialhilfe. Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise in Österreich für zwei oder drei Monate gearbeitet. Er hat im (vom BFA abgefragten) Zeitraum vom 01.11.2013 bis 16.09.2019 Mindestsicherung bezogen (AS 123). Der Beschwerdeführer war in Österreich in Haft.
1.6. Zur Russischen Föderation wird Folgendes festgestellt:
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021
? BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten, Zugriff 8.4.2021
? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 7.4.2021
? Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https://www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:article_id=484951, Zugriff 8.4.2021
? DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https://www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554, Zugriff 8.4.2021
? EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage, Zugriff 7.4.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 7.4.2021
? SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941, Zugriff 8.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 7.4.2021
Nordkaukasus
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).
Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).
[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).
Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot 20.2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 8.4.2021
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/#Toc489358424, Zugriff 9.4.2021
? Caucasian Knot (2.7.2020a): In January 2020, there were no victims of armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51356/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (2.7.2020b): In February and March 2020, four people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51357/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (27.10.2020): In Quarter 2 of 2020, 11 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/52582/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (24.12.2020): 15 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus in Q3 2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53177/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (20.2.2021): In Quarter 4 of 2020, 26 persons fell victim to armed conflict in North Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53738/, Zugriff 8.4.2021
? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 9.4.2021
? ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf, Zugriff 8.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 9.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 8.4.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
? Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
? Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
? Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
? Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
? Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
? Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
? Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2020).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Menschen für wohltätige Projekte engagieren und Freiwilligenarbeit leisten. Zivile Kammern wurden als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat eingerichtet (ÖB Moskau 6.2020). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in Bezug auf die Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2020) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine führten vorübergehend zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, der in Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog zwischen den EU-Botschaften, mit NGOs, der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern (ÖB Moskau 6.2020).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten, soweit dies angesichts der bestehenden Einschränkungen möglich ist, aufmerksam beobachtet (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 12.3.2021
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 12.3.2021
? AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html, Zugriff 12.3.2021
? FH – Freedom House (3.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html, Zugriff 12.3.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 12.3.2021
? HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html, Zugriff 12.3.2021
? ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf, Zugriff 12.3.2021
Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein
Letzte Änderung: 28.05.2021
Die tschetschenische Führung setzt ihren Angriff auf alle Formen von abweichender Meinung und Kritik fort (HRW 13.1.2021). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020). Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden (ÖB Moskau 6.2020). Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen, und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt. Es kommt vor, dass Personen, welchen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen können ihre Arbeitsstelle verlieren, Kinder können Schwierigkeiten bei der Aufnahme in die Schule haben, jugendliche und erwachsene Söhne können Schwierigkeiten mit den tschetschenischen Sicherheitsorganen bekommen (inkl. unrechtmäßiger Festnahmen, Prügel, etc.) (ÖB Moskau 6.2020). Weiters hat Ramsan Kadyrow im Jänner 2017 die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in 'die Irre geführt wurden' (Caucasian Knot 25.1.2017).
Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für alle Einwohner der Russischen Föderation, auch für jene des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diesen zu finden. Dies gilt nach Einschätzung von Experten auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser im Einzelfall bestehenden Gefährdungslage wird allerdings auch dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte (ÖB Moskau 6.2020).
Salafisten werden als aktive oder potenzielle Extremisten und Terroristen wahrgenommen. Die Verfolgung von Salafisten passiert zu einem großen Teil über außergesetzliche Mechanismen, vor allem in Tschetschenien, wo seit Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Vertretern eines 'nicht traditionellen Islam' stattfanden, der jedoch oft keine Verbindung zum terroristischen Untergrund hatte (Memorial 10.2020). Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Von tschetschenischen Sicherheitskräften werden Entführungen begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).
Nach dem terroristischen Anschlag auf Grosny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des 'Komitees gegen Folter', dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden sind (Standard.at 14.12.2014; vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015; vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramasan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über Behördenkorruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RL 18.5.2016; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grosny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grosny vom Dezember 2014. 2017, 2018, 2019 und 2020 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021).
Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Laut einer Analyse des Journalisten Vadim Dubow aus dem Jahr 2016 emigrierten die meisten Tschetschenen aus rein ökonomischen Gründen: Tschetschenien ist zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstreckt sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Dieser Analyse wird von anderen Experten widersprochen. Wirtschaftliche Gründe spielten demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, Tschetschenien zu verlassen. Andere Kommentatoren verweisen wiederum auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als Fremdkörper kritisierten Salafismus. Menschenrechtsaktivisten wiederum sehen in der Darstellung von Asylwerbern aus Tschetschenien als Wirtschaftsflüchtlinge eine Strategie des regionalen Oberhaupts Kadyrow (ÖB Moskau 6.2020). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020). Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben (Tagesschau.de 28.8.2019). Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen (HRW 13.1.2021).
Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Bloggerwegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch' einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten (AI 16.4.2020). Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der Blogger Tumso Abdurachmanow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen (Deutschlandfunk.de 11.3.2019). Mitte 2019 erklärte der Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments und enger Vertrauter von Ramsan Kadyrow, Magomed Daudov (auch bekannt als 'Lord'), dem Blogger die Blutfehde (BBC 27.2.2020), nachdem Abdurachmanow den verstorbenen Vater von Ramsan Kadyrow, Achmad Kadyrow, als Verräter bezeichnet hatte (RFE/RL 27.2.2020). Im Februar 2020 wurde Abdurachmanow in seiner Wohnung von einem mit einem Hammer bewaffneten Mann angegriffen. Er konnte den Angreifer abwehren und hat überlebt (BBC 27.2.2020; vgl. RFE/RL 27.2.2020). Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille gefunden (SZ 4.2.2020; vgl. Zeit.de 5.7.2020). Der aus Tschetschenien stammende Imran Aliew war als Blogger unter dem Namen 'Mansur Stary' bekannt (Caucasian Knot 28.5.2020). Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Caucasian Knot hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020). Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet. Der Mann, der sich Ansur aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen (Kurier.at 23.7.2020). Im September 2020 wurde Salman Tepsurkaew, Moderator eines Tschetschenien-kritischen Telegram-Kanals aus der Region Krasnodar vermutlich gewaltsam nach Tschetschenien verbracht. Anschließend wurde im Internet ein Video zirkuliert, auf dem er sich – offenbar unter Zwang – selbst sexuell erniedrigt. Er ist seitdem verschwunden, und tschetschenische Behörden verweigern bislang eine Aufklärung des Falls (AA 2.2.2021). Ein weiteres Beispiel ist der prominente Menschenrechtsaktivist und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, Ojub Titiew, der nach Protesten aus dem In- und Ausland inzwischen unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde. Er war wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes im März 2019 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er selbst und Familienangehörige haben nach Angaben von Memorial Tschetschenien verlassen (AA 2.2.2021).
Ein Sicherheitsrisiko für Russland stellt die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen. Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB informierte im Dezember 2019, dass ca. 5.500 russische Bürger sich im Ausland einer terroristischen Organisation angeschlossen und an Kriegshandlungen teilgenommen haben und dass gegenüber 4.000 in Russland eine Strafverfolgung eingeleitet wurde. Von 337 zurückgekehrten Kämpfern sind 224 bereits verurteilt und 32 festgenommen worden. Etwa 3.000 der insgesamt 5.000 Kämpfer stammten aus dem Nordkaukasus. Laut einem Bericht des Conflict Analysis & Prevention Center vom März 2020 wurde von den Tausenden Kämpfern, die aus dem Nordkaukasus nach Syrien oder in den Irak zogen, der Großteil getötet. In den letzten Jahren repatriiert Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen dieser Kämpfer zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder ist geplant. Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen (ÖB Moskau 6.2020).
Laut einem Experten für den Kaukasus kehren nur sehr wenige IS-Anhänger nach Russland zurück. Bei einer Rückkehr aus Gebieten, die unter Kontrolle des sogenannten IS stehen, werden sie strafrechtlich verfolgt. Nachdem der sogenannte IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen wurde, besteht die Möglichkeit, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus kann sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
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? AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html, Zugriff 15.3.2021
? BBC (27.2.2020): Chechen blogger Tumso Abdurakhmanov 'survives hammer attack', https://www.bbc.com/news/world-europe-51656571, Zugriff 15.3.2021
? CACI – Central Asia-Caucasus Analyst (25.2.2020): Kadyrov Continues to Target Enemies Abroad, http://www.cacianalyst.org/publications/analytical-articles/item/13605-kadyrov-continues-to-target-enemies-abroad.html, Zugriff 15.3.2021
? Caucasian Knot (28.5.2020): Ramzan Kadyrov offers forgiveness to Ichkeria supporters amid killings in Europe, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51025/ , Zugriff 15.3.2021
? Caucasian Knot (25.1.2017): ??????? ???????? ????????? ????????? ???????? ??? ?????????????? [Kadyrow hat den tschetschenischen Sicherheitskräften erlaubt, ohne Vorwarnung zu schießen], zitiert nach: ACCORD (7.7.2017): a-10223, https://www.ecoi.net/de/dokument/1406510.html, Zugriff 15.3.2021
? Deutschlandfunk.de (11.3.2019): Youtube-Blogger Abdurachmanov droht Abschiebung, https://www.deutschlandfunk.de/kadyrow-kritiker-in-polen-youtube-blogger-abdurachmanov.795.de.html?dram:article_id=442725, Zugriff 15.3.2021
? DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf, Zugriff 15.3.2021
? FH – Freedom House (1.2018): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2017 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 15.3.2021
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? Kleine Zeitung (3.2.2020): Gewalttat vermutet, Blogger aus Tschetschenien lag tot in Hotelzimmer, https://www.kleinezeitung.at/international/5763272/Gewalttat-vermutet_Blogger-aus-Tschetschenien-lag-tot-in-Hotelzimmer, Zugriff 15.3.2021
Kurier.at (23.7.2020): Mord in Gerasdorf: Verwandte des Opfers übernehmen Verantwortung, https://kurier.at/chronik/wien/mord-in-gerasdorf-verwandte-des-opfers-uebernehmen-verantwortung/400979801, Zugriff 15.3.2021
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