Entscheidungsdatum
13.08.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W147 2204931-1/47E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Juli 2018, Zl. 1095891709-151816966, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2021 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste zusammen mit seiner Ehegattin XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) am 19. Oktober 2015 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 20. Oktober 2015 verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20. November 2015 gab der Beschwerdeführer eingangs an, dass er seit dem XXXX standesamtlich verheiratet sei, die russische, tschetschenische und ukrainische Sprache beherrsche, elf Jahre die Grund- und Mittelschule besucht habe und fünf Jahre an der Universität in Kiew in der Ukraine studiert habe. Im Herkunftsstaat würden die Eltern und sieben Geschwister des Beschwerdeführers leben. Zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er seine Heimat verlassen habe, nachdem er im Februar 2015 aus der Ukraine dorthin zurückgekehrt sei, weil Personen, die in der Ukraine studiert hätten, nach der Rückkehr in ihre Heimat Tschetschenien massiven politischen Probleme ausgesetzt wären. Aus seinem Freundeskreis seien sechs Personen – welche ebenfalls zuvor ihr Studium in der Ukraine absolviert hätten – bereits festgenommen worden und über ihren Verbleib sei nichts bekannt. Am 5. Oktober 2015 sei der Beschwerdeführer zuhause von ihm unbekannten, maskierten Personen aufgesucht worden. Diese hätten ihn mitgenommen und ihn mit dem Tod gedroht, weil es für Menschen, die in der Ukraine studiert hätten, keinen Platz in Tschetschenien gäbe. Weiters hätten sie ihm mit dem Tod gedroht, sollte er das Land nicht umgehend verlassen. Aus Angst um sein Leben habe er sich zur Flucht aus Tschetschenien entschlossen. Bei einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben.
Ein Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer würde im Heimatstaat zwar nicht bestehen, er würde aber behördlich verfolgt werden und sei schon einmal auf eine Polizeistation mitgenommen worden.
Der Beschwerdeführer legte seine Heiratsurkunde und einen Aufenthaltstitel in der Ukraine (je in Kopie) vor.
3. Nach Zulassung des Verfahrens gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 3. Mai 2018 im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache eingangs an, dass er der Einvernahme ohne Probleme folgen könne. Er spreche Tschetschenisch, Ukrainisch, Arabisch und ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer legte der Behörde vor: seinen ukrainischen Sportausweis, ukrainischen Journalistenausweis, eine polizeiliche Ladung vom 3. Oktober 2016 aus Tschetschenien samt beglaubigter Übersetzung, sein Diplomzeugnis samt beglaubigter Übersetzung, ein ÖSD-Zertifikat für das Sprachniveau A1 samt drei Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben samt Schreiben über die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers und diverse Arztbefunde (je in Kopie).
Zu seinem Gesundheitszustand befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich wegen seiner Atmung in medizinischer Behandlung befinde, jedoch keine Medikamente nehme. Sonst sei der Beschwerdeführer gesund.
Der Beschwerdeführer gab weiters an, seine Mutter und seine Geschwister würden in Tschetschenien leben, sein Vater sei bereits verstorben. Er habe oft mit seinen Angehörigen per „WhatsApp“ Kontakt und gehe es ihnen unterschiedlich, da sie immer wieder wegen seiner Person befragt werden würden.
Er sei seit dem XXXX mit seiner Ehegattin standesamtlich und nach islamischen Ritus seit dem 2. August 2014 verheiratet. Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er arbeite ehrenamtlich in einem Kulturverein und in einem Flüchtlingsheim, besuche zusammen mit seiner Ehegattin Deutschkurse und lebe von der Grundversorgung sowie von der Caritas.
Er habe an der islamischen Universität sein Studium absolviert, welches in der Russischen Föderation nicht anerkannt werde. Außerdem sei er bei einer Veranstaltung aufgetreten, wo er sich gegen die Geschehnisse in Syrien und gegen Terrorismus ausgesprochen habe. Er habe gesagt, dass es in Tschetschenien Menschen gebe, die ganz offiziell den „IS“ unterstützen würden. Er führte weiters aus, dass Absolventen besagter ukrainischer Universität in der Russischen Föderation als Sekte betrachtet werden würden und sechs seiner Universitätskollegen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien abgeholt worden wären. Seither seien sie nicht aufzufinden. Er habe Drohanrufe erhalten, in denen ihm gesagt worden sei, dass er Tschetschenien verlassen solle, da hier für Leute, die in der Ukraine studiert hätten kein Platz wäre und man ihn ansonsten umbringen würde. Der Beschwerdeführer habe den Verdacht, dass diese Drohungen von den Machthabern oder der Polizei in Tschetschenien ausgegangen seien.
Auf Nachfrage weshalb der Beschwerdeführer nicht wieder in die Ukraine zurückgekehrt sei, führte er aus, er habe vier Jahre lang in der Stadt XXXX (Ukraine) gelebt und sei nach dem Krieg im März 2014 nach Kiew gezogen. Dort wäre er seitens der Behörden verfolgt worden, weil bei den kriegerischen Auseinandersetzungen die Tschetschenen auf Seiten der Russischen Föderation gegen die Ukraine gekämpft hätten. Am 13. Februar 2015 habe ihn die Polizei in Kiew dann abgeholt, ihm insgesamt 3.000,- US-Dollar abgenommen und ihn geschlagen. Die Behörden hätten gedroht, dass er entweder auf Seiten der Ukraine kämpfen solle, er aus dem Weg geräumt werden würde oder das Land verlassen solle. Er sei 24 Stunden festgehalten worden und nur unter der Bedingung, dass er das Land sofort verlasse, freigelassen worden. Sohin sei er nach Tschetschenien zurückgekehrt, wo er am 5. Oktober 2015 im Morgengrauen von vier bis sechs maskierten Männern aus dem Bett gerissen worden sei. Diese hätten ihm die Augen verbunden und ihn – wie er annehme – in eine Polizeistation gebracht. Dort wäre er bis Mittag festgehalten worden und habe man ihm gesagt, es gebe einen Befehl von Präsident Kadyrow, dass Menschen wie er, die in Kiew studiert hätten, keinen Platz in Tschetschenien hätten.
Auf Nachfrage, wie er sich aus dieser Lage befreit habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass es Polizisten gewesen wären, er zwar nicht geschlagen worden wäre, aber ihm mehrfach eindringlich gesagt worden wäre, dass sie ihn umbringen würden, wenn er das Land nicht verlasse. Sie hätten ihn bei einem Wald, in der Nähe des Wohnortes seiner Familie, freigelassen. Auf die Frage, warum er sich nicht in einem anderen Teil der Russischen Föderation angesiedelt habe, antwortete der Beschwerdeführer, der Befehl von Kadyrow laute, nach Menschen wie ihm in ganz „Russland“ zu suchen und diese zu verfolgen. Kadyrow habe seine eigenen Gesetze und Leute, die diese ausführen. Er könne jeden beseitigen, der ihm im Wege stehe. Der Beschwerdeführer wisse zwar nicht, ob nach ihm gefahndet würde, er habe aber eine Vorladung von der Polizei erhalten. Es gebe keine offizielle und auch keine ausdrückliche Bedrohung mit Tod oder Verfolgung durch die Regierung, Polizei oder Behörden seitens Tschetschenien oder der Russischen Föderation. Nach der Rückkehr in seine Heimat wäre der Beschwerdeführer religiöser Verfolgung ausgesetzt, da die Absolventen der besagten islamischen Universität als Mitglieder einer Sekte angesehen werden würden. Außerdem sei er nicht der radikalen islamischen Überzeugung und habe sich gegen den IS und Terrorismus offen ausgesprochen. Seine Überzeugungen entsprächen nicht „deren“ Überzeugungen im religiösen Sinne.
Nach weiterem Vorbringen gefragt, gab der Beschwerdeführer ergänzend an, seine Ehegattin und ihre Familie seien der Gefahr der Blutrache ausgesetzt. Ihr Vater würde sich derzeit in Haft befinden, ihm Menschenhandel vorgeworfen werde und befänden sich unter den Menschen, denen er angeblich Schaden zugefügt habe, Menschen, für die das Gesetz der Blutrache gelte. Aus diesem Grunde habe sich die noch in Tschetschenien befindliche Familie Leibwächter besorgt.
4. Die Ehegattin des Beschwerdeführers (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) ergänzte in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Mai 2018 ihr Fluchtvorbringen, sie sei wegen Aktivitäten ihres Vaters in Gefahr, Opfer von Blutrache zu werden.
5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation/Tschetschenien abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation/Tschetschenien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können.
Die belangte Behörde begründete, dass der Beschwerdeführer ein für ihn vorliegendes Verfolgungsszenario im Herkunftsstaat konstruiert habe, ohne tatsächlich persönlich betroffen zu sein.
Der belangten Behörde sei der Handlungsablauf nicht nachvollziehbar, da die „Fluchtgeschichte“ zu wenig detailreich, zu wenig emotional und zu oberflächlich dargestellt worden wäre. Nach Recherche der belangten Behörde sei auch nicht aufgekommen, dass Präsident Kadyrow – wie vom Beschwerdeführer behauptet – öffentlich verlautbaren ließ, dass Personen, die in der Ukraine studiert hätten, keinen Platz in Tschetschenien haben würden und das Land verlassen sollen. Weiters sei nicht schlüssig, warum die Polizei, die den Beschwerdeführer nach eigenen Angaben verfolge, ihm ein Jahr nach dem geschilderten Übergriff der maskierten Polizisten am 5. Oktober 2015, nämlich erst am 3. Oktober 2016, eine offizielle Vorladung ausstellen würden. Die belangte Behörde vertrat die Meinung, wäre der Beschwerdeführer im Visier der Behörden oder des Staates, hätten diese schon viel früher versucht, ihn auf welche Weise auch immer loszuwerden. Daher, so das Argument der belangten Behörde, würde es sich bei dem Schriftstück, welches eine polizeiliche Ladung darstelle, um eine Fälschung handeln. Zudem gehe die belangte Behörde auch bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers von einer innerstaatlichen Fluchtalternative innerhalb der Russischen Föderation aus, weil sich der Beschwerdeführer in anderen Teilen der Russischen Föderation hätte ansiedeln können und so dem Willen des Präsidenten Kadyrow, unter der Annahme dieser hätte tatsächlich gefordert, dass Menschen, die in der Ukraine studiert haben, Tschetschenien verlassen sollen, entsprechen hätte können.
Ein Bescheid gleichen Inhalts erging an die Ehegattin des Beschwerdeführers.
6. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 2 BFA-VG vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die „ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien“ als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
7. Mit Schriftsatz vom 28. August 2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid und focht diesen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.
Der Beschwerdeführer monierte im Wesentlichen, dass die Richtung des Islam, der er angehöre und die an der von ihm absolvierten islamischen Universität in der Ukraine gelehrt werde, als „Habaschiten“ bezeichnet werde. Es handle sich um eine tolerante Strömung des sunnitischen Islam, die von „orthodoxen islamischen Richtungen“ angefeindet werde. Von den tschetschenischen Machthabern - insbesondere dem tschetschenischen Präsidenten - sei öffentlich geäußert worden, dass sie die Habaschiten bekämpfen und ihre Präsenz im Land nicht dulden würden. Zum Nachweis dieses Vorbringens verwies der Beschwerdeführer auf diverse Berichte über die Habaschiten, die vom Beschwerdeführer besuchte Universität sowie Aussagen des tschetschenischen Präsidenten und legte eine DVD vor, auf der sich Aufzeichnungen der genannten im staatlichen tschetschenischen Fernsehen gemachten Aussagen des tschetschenischen Präsidenten befinden sollen.
8. Die Beschwerdevorlage der belangten Behörde vom 30. August 2018 langte am 4. September 2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die belangte Behörde beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerde als unbegründet abweisen.
9. Am XXXX wurde der Sohn des Beschwerdeführers XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2210310-1) in Österreich geboren.
10. Mit Eingabe vom 18. Oktober 2019, beim Bundesverwaltungsgericht am gleichen Tag eingelangt, nahm der Beschwerdeführer zu seinem Asylverfahren Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit, seiner religiösen und politischen Ansichten seitens der Machthaber in der Russischen Föderation extremer Verfolgung ausgesetzt sei.
Obwohl er bei der Einvernahme vor der belangten Behörde die Wahrheit gesagt habe und als Nachweis für die Richtigkeit seiner Aussagen als Nachweis eine polizeiliche Ladung und seinen Universitätsabschluss vorgelegt habe, sei sein Antrag abgewiesen worden. Dabei drohe ihm wegen seiner religiösen Überzeugung, wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Regimekritiker und wegen seiner politischen Gesinnung Verfolgung von staatlichen Stellen. Nach dem Abschluss seines Studiums in der Ukraine habe sich der Beschwerdeführer bemüht, die Machthaber und Menschen in seinem Heimatland zu überzeugen, wie der Terrorismus im Namen des Islams dem Ruf der Religion schaden würde.
Daraufhin hätten die Machthaber in Tschetschenien die islamische Universität als verbotene Sekte abgestempelt und seien die Mitglieder als Regimegegner angesehen sowie verfolgt worden. Aufgrund der Verfolgung leide der Beschwerdeführer an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren Depression. Der Stellungnahme schloss der Beschwerdeführer folgende Unterlagen bei:
Arztbrief vom 7. Oktober 2019 mit der Diagnose einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung samt Therapievorschreibung von Medikamenten; polizeiliche Ladung vom 3. Oktober 2016; Abschlusszeugnis des Beschwerdeführers der Universität in der Ukraine vom XXXX ; Vollzeitarbeitsvorvertrag des Beschwerdeführers vom 23. September 2019 mit Arbeitsbeginn 1. Oktober 2019; Einstellungszusage vom 27. August 2018; Anmeldung bei der zuständigen Gebietskrankenkasse für eine Beschäftigung des Beschwerdeführers ab 12. Dezember 2018 sowie seiner Ehegattin vom 11. Dezember 2018; Schreiben eines Vereines für Integration vom 16. Oktober 2019 über die freiwillige Hilfe des Beschwerdeführers; Anmeldung des Beschwerdeführers zu einem Deutschkurs B1+/B2 mit dem Beginn 17. Juni 2019, Mathematik-Kurs-Anmeldung des Beschwerdeführers mit dem Beginn 23. September 2019; Englisch-Kurs-Anmeldung des Beschwerdeführers; IT-Kurs-Anmeldung des Beschwerdeführers mit Beginn 12. September 2019; Zeugnis zur Integrationsprüfung (Sprachkompetenz / Werte- und Orientierungswissen) des Beschwerdeführers auf dem Sprachniveau A2 vom 4. März 2019; Empfehlungsschreiben des Obmanns eines Kultur- und Integrationsvereins vom 27. April 2018; Bestätigung der ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Verein vom 26. April 2018; ÖSD-Zertifikat Deutsch Österreich auf dem Niveau B1 seiner Ehegattin vom 20. Juli 2017 sowie ihr Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 11. Mai 2019 auf dem Sprachniveau B1 sowie die Anmeldung der Ehegattin bei der zuständigen Gebietskrankenkasse für eine Beschäftigung ab 11. Dezember 2018.
11. Am 24. Oktober 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin und eines Vertreters der belangten Behörde zu seinem Gesundheitszustand, seinem Fluchtgrund, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung zog der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter das Beweismittel der polizeilichen Ladung zurück. Seine Ehegattin wurde ebenfalls einvernommen und legte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben vor.
12. Mit am 8. November 2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangtem Schreiben nahm der Beschwerdeführer zu dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausgehändigten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage in der Russische Föderation Stellung und legte eine Videoaufzeichnung samt Übersetzungen vor.
13. Mit Eingabe vom 11. November 2019 nahm die belangte Behörde zu den vorgelegten Beweismitteln Stellung.
14. Mit am 9. Jänner 2020 eingelangtem Schreiben legt der Beschwerdeführer eine Bestätigung über seine ehrenamtliche Tätigkeit und den Besuch eines Deutschkurses vor.
15. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Januar 2020, GZ W147 2204931-1/17E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Juli 2018, Zl. 1095891709-151816966, gemäß §§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, 8 Abs. 1 AsylG 2005 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und §§ 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, 52 Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, 55 Abs. 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.
Gleichlautende Erkenntnisse ergingen an die Familienangehörigen des Beschwerdeführers.
16. Infolge der Erhebung einer außerordentlichen Revision durch den gewährten Verfahrenshilfeverteidiger und Stattgabe des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf (Erkenntnis vom 5. Oktober 2020, Ra 2020/19/0092 bis 0094-12.).
17. Am 18. Januar 2021 langte die Vollmachtsbekanntgabe der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen ab dem 1. Januar 2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
18. Mit am 8. Februar 2021 langte aufgrund des Ersuchens des Bundesverwaltungsgerichtes eine Anfragebeantwortung von ACCORD betreffend die „Lage von Absolventen der islamischen Universität in Kiew bzw. Angehöriger der dort vertretenen Glaubensrichtung des Islam („Habaschiten“): Behandlung durch Behörden der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien; mögliche Ansiedlung /Update von a-10633) [a-11480]“ beim Bundesverwaltungsgericht ein.
19. Am 16. Februar 2021 langte eine weitere Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: „1) Lage von Personen, die an einer Universität in der Ukraine studiert haben, bei einer Rückkehr in Tschetschenien Befehl Kadyrows, gegen solche Personen vorzugehen, Betrachtung von derartigen Personen als Sekte in Russland, Verschwinden solcher Personen in Tschetschenien); 2) Anerkennung des islamischen Instituts in Kiew bzw. seiner Studienabschlüsse in Russland [a-10633]“ beim Bundesverwaltungsgericht ein.
20. Mit Eingabe vom 4. Mai 2021 teilte der Beschwerdeführer die Vollmachtsbekanntgabe des im Spruch angeführten Rechtsvertreters mit.
21. In Vorbereitung auf die mündliche Beschwerdeverhandlung nahm der Beschwerdeführer aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit als Mitglied der Tschetschenischen Republik Itschkerien und des Kulturvereins Ichkeria und auch seiner nach außen hin getragenen Einstellung Stellung und beantragte bei Zweifeln seiner Tätigkeit die zeugenschaftliche Einvernahme einer näher bestimmten Person sowie einer weiteren Person zur Bezeugung der Integration des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer legte in einem vor: Abbildungen des Beschwerdeführers bei Demonstrationen der Tschetschenischen Republik Itschkerien, übersetzte Bestätigung über die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers und dessen politisches Engagement, Schreiben des Obmanns eines Vereins über die exilpolitische Tätigkeit des Beschwerdeführers, ÖSD Zertifikat auf dem Niveau B2 der Ehegattin des Beschwerdeführers sowie ihr Zeugnis zur Integrationsprüfung; vier Deutschkursbestätigungen der Ehegattin; diverse Empfehlungsschreiben für die Ehegattin und den Beschwerdeführer samt Fotos; Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 des Beschwerdeführers samt vier Zertifikaten über Absolvierung eines Deutschkurses auf dem Sprachniveau B1; Bestätigung über den Kindergartenbesuch des Sohnes des Beschwerdeführers; Arbeitsvorvertrag seiner Ehegattin sowie eine Einstellungszusage des Beschwerdeführers vom 12. April 2021 samt einem Vollzeitarbeitsvorvertrag.
21. Am 19. Juli 2021 langte die Vollmachtszurücklegung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen beim Bundesverwaltungsgericht ein.
22. Am 20. Juli 2021 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin sowie einer Vertrauensperson zu seinem Gesundheitszustand, seinem Fluchtgrund, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Die belangte Behörde teilte im Vorfeld mit, dass sie an der Beschwerdeverhandlung nicht teilnehmen werde.
Auch die Ehegattin des Beschwerdeführers wurde im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu ihren Fluchtgründen befragt und führte sie aus, dass sie wegen den Problemen ihres Mannes geflohen sei und keine eigenen Fluchtgründe habe.
23. Mit Schreiben vom 23. Juli 2021 nahm die belangte Behörde, nach Übermittlung der Verhandlungsniederschrift, fristgerecht Stellung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig, muslimischen Glaubens und stellte am 20. Oktober 2015 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist mit XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) nach islamischem Ritus und standesamtlich verheiratet und hat mit ihr den in Österreich geborenen, gemeinsamen Sohn XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2210310-1).
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 20. Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet. Er hat sich Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer hat mit Ausnahme seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Der Beschwerdeführer gehört der Glaubensrichtung der Habaschiten an, die den Sunniten zuzurechnen sind.
Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsland elf Jahre die Schule und besuchte im Anschluss die islamische Universität in Kiew. Danach unterrichetete er fünf Jahre an der islamischen Universität die Fächer Kultur, Ethik und islamische Kultur. Ab dem Jahr 2010 übersiedelte der Beschwerdeführer nach XXXX (Ukraine) und unterrichtete dort Religion- und Sportsunterricht.
Beim Beschwerdeführer wurden im Zuge des Asylverfahrens eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere Depression diagnostiziert. Zudem wurde bei dem Beschwerdeführer in der Urologischen Ambulanz des XXXX St. P. hoher inguinaler Spermaticaligatur li. 03/2017; St. P. symptomatische Varikoele li.; Hepatitis B; Insomnie; Potenzverlust diagnostiziert. Der Beschwerdeführer leidet jedoch an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird gegenständlichem Verfahren zu Grunde gelegt. Die Ehegattin und das gemeinsame minderjährige Kind machen keine eigenen Fluchtgründe geltend.
Der Beschwerdeführer studierte an der islamischen Universität in der Ukraine und unterrichtete nach seinem Abschluss im Jahr 2005 die Fächer Kultur, Ethik und islamische Kultur als Mitarbeiter des geistlichen Amtes an der islamischen Universität.
Nach seiner Rückkehr aus der Ukraine in die Russische Föderation im Jahr 2015 wurde der Beschwerdeführer am 5. Oktober 2015 nachts zu Hause von maskierten Männern entführt und mit dem Leben bedroht, sollte er das Land nicht verlassen. Der Beschwerdeführer ist im Heimatland aktiv gegen die Geschehnisse in Syrien und gegen Terrorismus aufgetreten und hat deswegen Drohanrufe erhalten.
Auch nach der Ausreise aus dem Heimatland erkundigten sich Polizisten bei den Verwandten nach dem Verbleib des Beschwerdeführers.
Als Absolvent der islamischen Universität in Kiew bzw. als Anhänger der dort vertretenen Glaubensrichtung des Islam - die „Habaschiten“ – droht dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat individuell konkret Verfolgung aufgrund der ihm (unterstellten) politischen Gesinnung, welcher Asylrelevanz zukommt.
Es ist ernstlich damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tschetschenien bzw. in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der zumindest (unterstellten) politischen Gesinnung zielgerichtet gegen ihn gerichtete Übergriffe der tschetschenischen Behörden bzw des tschetschenischen Regimes zu erwarten hätte.
Eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative steht dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung, da dieser landesweit aufgefunden werden könnte und die staatlichen Einrichtungen seines Herkunftsstaates nicht hinreichend imstande bzw. willens wären, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen.
1.3. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und dem Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen (Länderinformation der Staatendokumentation Russische Föderation Stand 17. Juni 2021, Version 3).
Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:
Covid-19-Situation
Letzte Änderung: 18.05.2021
Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO ( https://covid19.who.int/region/euro/country/ru ). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).
Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferonalpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofaciti- nib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a). Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac (’Sputnik V’), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021). Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr - mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).
Moskau:
In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).
St. Petersburg:
Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb
5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).
Tschetschenien:
An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chech- nya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK
23.1.2021) . Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov
10.2.2021, KMS 10.2.2021).
Dagestan:
An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru
12.3.2021) .
Quellen:
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• CK - Caucasian Knot (23.1.2021): Budget-funded Chechen employees complain about enforce- mentto vaccination, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53468 , Zugriff 12.3.2021
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• WKO - Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (12.2020): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 24.3.2021
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Politische Lage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischus- tin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer’ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer ’smartenAbstimmung’ aufgerufen. DieBürgersollten Jeden wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).
Quellen:
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• CIA - Central Intelligence Agency [USA] (5.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/, Zugriff 16.2.2021
• Cicero (22.2.2021): EU bringt wegen Nawalny neue Russland-Sanktionen auf den Weg, https: //www.cicero.de/aussenpolitik/vermoegenssperren-einreiseverbote-eu-alexej-nawalny-russland-s anktionen , Zugriff 24.2.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-acto rs-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 16.2.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
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