TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/24 W204 2191921-2

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W204 2191921-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des H XXXX XXXX , geb. XXXX .1996 alias XXXX .1995 alias XXXX .1986 alias XXXX 1986, StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2021, Zl. 1098987204/201082270, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsbürger, stellte nach Einreise am 15.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 26.02.2018 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.04.2020, W238 2191921-1/17E, als unbegründet abgewiesen.

I.2. Am 03.11.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.

I.3. Am 27.01.2021 nahm der BF zu zuvor vom BFA gestellten Fragen zu seinem Privat- und Familienleben Stellung und führte aus, seit der letzten Entscheidung habe sich nichts Wesentliches geändert.

I.4. Mit Bescheid vom 04.02.2021, dem BF am 09.02.2021 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückgewiesen.

Begründend führte das BFA aus, dass sich seit der Rechtskraft der letzten Rückkehrentscheidung nichts geändert habe.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 05.02.2021 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am 16.02.2021 erhob der BF gegen den unter I.4. genannten Bescheid Beschwerde und beantragte, den Bescheid zu beheben und dem BF einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen und eine Verhandlung anzuberaumen.

Begründend führte die Beschwerde aus, dass die Stellungnahme des BF nicht ausreichend gewürdigt worden sei.

I.7. Am 22.02.2021 langten die Beschwerde und der Akt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.8. Am 05.07.2021 wurde der Akt aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses der erkennenden Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF;

-        Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen;

-        Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.

II. Feststellungen:

II.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen H XXXX XXXX . Sein Geburtsdatum und seine Identität können nicht festgestellt werden. Er ist jedenfalls volljährig und zwischen 25 und 35 Jahren alt. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Der BF spricht Dari und Farsi.

Der BF wurde in Maschhad im Iran geboren. Etwa 2000/2001 zog er mit seiner Familie nach Teheran, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Im Iran besuchte der BF ungefähr acht bis neun Jahre eine Schule. Er kann lesen und schreiben. Der BF erlernte im Iran den Beruf des Tischlers und war viele Jahre in diesem Beruf tätig.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.2. Zum ersten Verfahren des BF:

Der BF reiste im Dezember 2015 ins Bundesgebiet ein und stellte am 15.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des BFA vom 26.02.2018 sowohl in Bezug auf den Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.04.2020, W238 2191921-1/17E, der damaligen Vertreterin am 02.04.2020 elektronisch zugestellt, als unbegründet abgewiesen.

Zum Privat- und Familienleben des BF traf das Bundesverwaltungsgericht folgende Feststellungen:

„1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er hat weder Familienangehörige noch Freunde im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich Deutschkurse auf Niveau A1, absolvierte bisher aber keine Prüfung. Er wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er war in Österreich nie legal beschäftigt. Er verrichtete lediglich im August 2019 für insgesamt 22 Stunden freiwillige Tätigkeiten für die Gemeinde XXXX .

Zwar hielt sich der Beschwerdeführer nie in seinem Herkunftsstaat auf. Dennoch ist seine Bindung zu Afghanistan – insbesondere auch unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, seiner Muttersprache Dari und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur, der Beibehaltung afghanischer Traditionen während des Aufenthalts mit seiner Familie im Iran bis zum Jahr 2015 und des Aufenthalts von Verwandten in Afghanistan – deutlich intensiver als jene zu Österreich. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 15.12.2015 im Bundesgebiet auf.

Gegen den Beschwerdeführer wurde am 03.09.2018 wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können, eine Anklage bzw. ein Strafantrag durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingebracht. Er verlor dadurch gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 das vorläufige Aufenthaltsrecht. Dies wurde ihm seitens der belangten Behörde mit Verfahrensanordnung vom 11.09.2018 mitgeteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 07.11.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

II.3. Zu (möglichen) Änderungen im Privat- und Familienleben des BF seit dem ersten Verfahren:

Der BF verfügt derzeit über keinen gültigen Aufenthaltstitel. Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im April 2020 hat der BF keine weiteren Integrationsschritte gesetzt, außer dass er gelegentlich eine Kirche besucht. Es leben nach wie vor keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Er hat nach wie vor keine besonders engen Beziehungen in Österreich. Er arbeitete nicht und bezieht nach wie vor Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Er hat keine weiteren Deutschkurse besucht. Seine Eltern und Geschwister leben nach wie vor im Iran, weitere Verwandte in Afghanistan.

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Verfahrensidentität des BF wie auch zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Sprachkenntnissen und den Umständen seines Aufwachsens im Iran wurden bereits im Verfahren auf internationalen Schutz den Entscheidungen zugrunde gelegt. Auch die nunmehrige Entscheidung des BFA geht im Wesentlichen von diesen Annahmen aus und der BF tritt diesen nicht entgegen, sodass kein Grund besteht, von diesen Feststellungen abzugehen. Das BFA stellte aufgrund des im Verfahren auf internationalen Schutz vorgelegten Reisepasses die Identität des BF fest, dieser Feststellung kann allerdings trotz Vorlage des Reisepasses nicht gefolgt werden, zumal der BF selbst ständig wechselnde Geburtsdaten angab und etwa im gegenständlichen Antrag ein Geburtsdatum angab, das im gesamten bisherigen Verfahren nicht verwendet wurde.

Dass der BF gesund ist, gab er im Rahmen seiner Stellungnahme selbst an (AS 24). Die auf dieser Angabe gründende Feststellung des BFA wird in der Beschwerde nicht bestritten, sodass dagegen keine Bedenken bestehen. Aus der Gesundheit des BF folgt auch die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF.

III.3. Zu den Feststellungen zum ersten Verfahren des BF:

Die Feststellungen zum ersten Verfahren des BF beruhen auf dem diesbezüglichen Akteninhalt, der unstrittig ist.

III.4. Zu den Feststellungen zu (möglichen) Änderungen seit dem ersten Verfahren:

Auch diese Feststellungen legte im Wesentlichen bereits das BFA seiner Entscheidung zugrunde. Sie beruhen allesamt auf den Angaben des BF selbst, sodass auch daran keine Zweifel entstanden sind. Die Beschwerde bestreitet die Feststellung, dass der BF keine besonders engen Beziehungen in Österreich hat und hält dem entgegen, dass der BF in seiner Stellungnahme angegeben hatte, dass er Freunde habe und mit diesen vor der Covid-19-Pandemie Fußball und Volleyball gespielt habe. Ebenso habe er angegeben, dass er die Kirche besuche und Kontakt zu Christen habe.

Damit setzt sich die Beschwerde aber (zumindest teilweise) in Widerspruch zu den eigenen Angaben des BF. Das BFA fragte im Parteiengehör nämlich explizit danach, ob der BF besonders enge Beziehungen in Österreich habe, was der BF mit „Nein“ beantwortete (AS 24, Frage 6). Die Ausführungen zur Sportausübung sind zudem unbeachtlich, weil sie nach dem eigenen Vorbringen des BF vor der Covid-19-Pandemie und damit noch im Verfahren auf internationalen Schutz stattgefunden hätten. Diese Sportausübung kann daher von vornherein keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts aufzeigen. Zu Gunsten des BF wird davon ausgegangen, dass er tatsächlich eine Kirche besucht. Er behauptet aber nicht einmal selbst, dass er dort etwa viele Freunde oder einen neuen Glauben gefunden habe, sodass auch dieses Vorbringen keine maßgebliche Änderung aufzeigt, wonach die bisherige Abwägung, dass der BF deutlich intensivere Verbindungen zu Afghanistan als zu Österreich habe, in Frage gestellt wäre.

Weiters führt die Beschwerde zur Feststellung des BFA, dass der BF keiner ehrenamtlichen Tätigkeit und keiner legalen Beschäftigung nachgehe, aus, dass der BF in seiner Stellungnahme angegeben habe, dass er im Iran als Tischler gearbeitet habe. Er wolle diesen Beruf auch in Österreich ausüben und habe diesbezüglich schon Gespräche geführt. Außerdem lasse das BFA außer Acht, dass sich die Arbeitssuche seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie als äußerst schwierig gestalte. Das letzte Argument mag zwar stimmen, ändert aber nichts daran, dass der BF derzeit keine Arbeitstätigkeit ausübt. Ebenso bleiben die Ausführungen zu den angeblichen Gesprächen, wie auch bereits in der Stellungnahme angegeben, völlig unsubstantiiert und ohne Belege. Zudem haben diese angeblich geführten Gespräche offenbar auch zu keinem zählbaren Ergebnis geführt, zumal der BF nichts Diesbezügliches, etwa eine Einstellungszusage oder einen Arbeitsvorvertrag, vorlegte.

Die Beschwerde bestreitet den vom BFA festgestellten Sachverhalt damit nicht annähernd substantiiert. Vielmehr übergeht sie im Wesentlichen die eigenen Angaben des BF, der auf entsprechende Fragen des BFA zu wesentlichen Änderungen im Privat- und Familienleben angab, es hätten sich keine Änderungen ergeben (AS 24, Fragen 5 und 6). Ebenso legte er auch keine weiteren Bestätigungen von Deutschkursen oder sonstigen Integrationsschritten vor. Zu den Ausführungen des BF ist zudem festzuhalten, dass dieser im Wesentlichen den Ausbruch der Covid-19-Pandemie als Grund für die fehlenden weiteren Integrationsschritte verantwortlich macht. Auch wenn nicht verkannt wird, dass die Präventionsmaßnahmen Integrationsschritte erschwert haben, haben sie sie jedenfalls nicht völlig verunmöglicht, wie der BF zu suggerieren sucht. Den Feststellungen des BFA ist daher zu folgen, wonach sich im Privatleben des BF keine wesentliche Änderung zum Vorverfahren ergeben hat.

IV. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zu Spruchpunkt A)

Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und äußerster Rahmen seiner Prüfbefugnis ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des bei ihm angefochtenen Bescheides gebildet hat. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, ist Sache eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134). Insofern sind daher die Beschwerdeanträge verfehlt, weil das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren dem BF keinen Aufenthaltstitel erteilen kann, ohne sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit zu belasten. Es geht jedoch aus der Beschwerde klar genug hervor, dass der BF eine negative Sachentscheidung in Form einer Behebung des Bescheids anstrebt, was ein inhaltliches Verfahren vor dem BFA zur Folge hätte.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Im vorliegenden Fall besteht mit dem Bescheid des BFA vom 26.02.2018 in Verbindung mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.04.2020 zu W238 2191921-1/17E unstrittig eine Rückkehrentscheidung gegen den BF. Sein Antrag nach § 55 AsylG war daher gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre auf Grund einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung seit der Rückkehrentscheidung eine Neubeurteilung im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG jener wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, sodass die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze herangezogen werden können. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie den Schluss zulässt, dass nunmehr – unter Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen – eine andere Beurteilung jener Umstände, die den Grund für die seinerzeitige rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheids muss zumindest möglich sein. Im Hinblick darauf liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der einer Antragszurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG entgegensteht, nicht erst dann vor, wenn der neue Sachverhalt konkret dazu führt, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Eine maßgebliche Sachverhaltsänderung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK ausgeschlossen erscheinen lassen. Wesentlich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (VwGH 29.03.2021, Ra 2017/22/0196).

Entscheidend ist damit, ob seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung im April 2020 bis zur Antragszurückweisung durch das BFA im Februar 2021 eine maßgebliche Änderung im oben dargelegten Sinn eingetreten ist. Eine solche kann der BF aber nicht darlegen. In der Beschwerde wird insoweit vorgebracht, der BF habe sich bereits sehr gut in Österreich integriert und halte sich bereits über fünf Jahre in Österreich auf. Er sei sehr motiviert, Deutsch zu lernen und habe mit seinen Freunden Fußball und Volleyball gespielt. Hinsichtlich einer möglichen Arbeit als Tischler in Österreich habe er auch bereits Gespräche geführt.

Es ist zwar richtig, dass der BF mittlerweile über fünf Jahre im Bundesgebiet aufhältig ist, abgesehen davon, dass der BF durch die Anklage bereits während des laufenden Verfahrens über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG mehr verfügte und auch nach der Abweisung über keinen Aufenthaltstitel verfügt, sind nach dem Verwaltungsgerichtshof der „relativ geringe zeitliche Abstand“ von ungefähr zwei Jahren (VwGH 22.7.2011, 2011/22/0138 bis 0141), aber auch ein etwas mehr als zweieinhalbjähriger Zeitablauf (VwGH 15.12.2011, 2010/21/0228) für sich allein noch keine maßgeblichen Sachverhaltsänderungen. Umso mehr gilt dies im Fall des BF, der seit der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragszurückweisung durch das BFA lediglich zehn weitere Monate im Bundesgebiet aufhältig war.

In dieser bereits rechtlich unerheblichen Zeitspanne hat der BF keine weiteren Integrationsschritte gesetzt, die zu einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung führen könnten. Die Ausführungen in der Beschwerde, der BF sei sehr gut in Österreich integriert, stehen in offensichtlichem Widerspruch zum Akteninhalt und den eigenen Angaben des BF, wonach er weder Mitglied eines Vereins ist, sich seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung auch nicht weiter ehrenamtlich betätigte und auch keinen konkreten Arbeitsplatz in Aussicht hat. In der Beschwerde wird ausgeführt, dass der BF sehr motiviert sei, Deutsch zu lernen. Mit dieser Formulierung gesteht die Beschwerde selbst ein, dass der BF seine Deutschkenntnisse seit dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens nicht weiter intensiviert hat. Auch der Besuch einer Kirche führt zu keiner maßgeblichen Sachverhaltsänderung, hat der BF doch nach seinem eigenen Vorbringen dort keine näheren Kontakte geknüpft oder überhaupt welche gesucht. Die Sportausübung ist ebenfalls unbeachtlich, zumal diese einerseits nach dem eigenen Vorbringen des BF vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie und damit noch vor dem rechtskräftigen Ende des Verfahrens auf internationalen Schutz stattfand, sodass damit jedenfalls keine Änderung aufgezeigt werden kann. Andererseits wird auch in keiner Weise näher spezifiziert, um welche Freunde es sich dabei handelt, ob dieser Sport im Rahmen eines Vereins ausgeübt wird, wie oft der BF den Sport ausgeübt hat oder wie sich der BF dadurch integriert hat.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann (VwGH 07.06.2021, Ra 2021/18/0167). Es kann aber hier offengelassen werden, ob die Machtübernahme durch die Taliban und die sich dadurch verschlechterte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eine maßgebliche Sachverhaltsänderung ist, die zur Zulässigkeit des Antrags des BF führen müsste, weil – wie oben bereits ausgeführt – der maßgebliche Zeitpunkt im konkreten Fall der Zeitpunkt des Zurückweisungsbescheides des BFA ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Sicherheits- und Versorgungslage aber jedenfalls noch nicht derart verschlechtert, dass dem BF möglicherweise die Existenzsicherung entscheidungswesentlich schwerer fallen würde.

Insgesamt zeigt das Vorbringen des BF damit keine maßgebliche Sachverhaltsänderung, sondern stellt sich vielmehr als (untauglicher) Versuch heraus, seinen rechtswidrigen Aufenthalt zu legalisieren. Die geltend gemachten Umstände schließen bereits von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK aus. Die Zurückweisung des Antrags durch das BFA erfolgte damit zu Recht. Die Beschwerde war dementsprechend abzuweisen.

IV.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Bei einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG ist die Frage nach dem zulässigen Entfall einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG und nicht nach § 21 Abs. 7 BFA-VG zu beurteilen (VwGH 29.03.2021, Ra 2017/22/0196).

Demnach kann eine Verhandlung (unter anderem) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenso bereits klargestellt, dass es in den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG im Ermessen des Verwaltungsgerichts liegt, trotz Antrag eine mündliche Verhandlung nicht durchzuführen (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0098).

Da der das Verfahren einleitende Antrag zurückzuweisen war, ist der Entfall der Verhandlung durch § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG gedeckt. Im Rahmen des dem Bundesverwaltungsgericht zukommenden Ermessens sind keine Gründe ersichtlich, dem Antrag des BF auf Durchführung einer Verhandlung zu folgen. In der Beschwerde wird geltend gemacht, das Verfahren sei mangelhaft gewesen, weil das BFA es verabsäumt habe, das Vorbringen des BF einer ordentlichen Beweiswürdigung zu unterziehen. Aufgrund dieses mangelhaften Ermittlungsverfahrens müsse eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden. Abgesehen davon, dass das, wie oben bereits dargelegt, nicht zutrifft, wird damit kein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, sondern allenfalls eine inhaltliche Rechtswidrigkeit aufgezeigt. Damit kann die Beschwerde keine Notwendigkeit einer Verhandlung aufzeigen. Das BFA und auch das Bundesverwaltungsgericht legten alle Angaben des BF zu seinen Integrationsleistungen seit der Entscheidung im April 2020 ihren Entscheidungen zugrunde, sodass kein ungeklärter Sachverhalt vorliegt. Auch unter Zugrundelegung aller dieser vom BF vorgebrachten Umstände ist die Zurückweisung durch das BFA aber zu Recht erfolgt. Die Verhandlung konnte daher trotz Antrags entfallen.

IV.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier maßgeblichen Fragen zur Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG und dem Entfall der Verhandlung sind geklärt (siehe neben der oben zitierten Judikatur etwa auch VwGH 22.01.2021, Ra 2020/21/0520; 15.12.2020, Ra 2020/21/0444; 26.06.2020, Ra 2017/22/0183). Die Entscheidung weicht nicht von dieser einheitlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ab.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK wesentliche Änderung wesentliche Sachverhaltsänderung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2191921.2.00

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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