TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/25 W124 2191680-2

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Veröffentlicht am 25.08.2021
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Entscheidungsdatum

25.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W124 2191680-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch RA Mag. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl.I.Nr 33/2013 idgF zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben und an das BFA zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. 1 Verfahrensgang

1. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise am XXXX in das Bundesgebiet der Republik Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sein würde und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückehrentscheidung betragen würde.

3. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am XXXX hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 sowie 55 Abs. 1-3 FPG abgewiesen. Hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 28 Abs. 1 iVm 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der BF erwerbsfähig sein würde und einen Deutschkurs A 1 erworben habe. Er würde auf selbständiger Basis als Nahrungsmittelzusteller für XXXX arbeiten und das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht 3.500 kg nicht übersteige“ angemeldet haben. Er habe durch diese Tätigkeit Im Jahre XXXX insgesamt XXXX Euro verdient. Derzeit würde er etwas verdienen und so seine Wohnung finanzieren. Im Bundesgebiet habe der BF seit vier oder fünf Monaten eine Freundin mit dem Vornamen Johanna. Ihren Nachnamen würde der BF nicht kennen und würden diese nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben. Darüber hinaus habe er einen aus Indien stammenden Freund, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und für ihn wie ein Bruder sein würde. Außerdem habe er im Bundesgebiet unter den Arbeitskollegen weitere Freunde gefunden. Früher habe er am Samstag ehrenamtlich im XXXX gearbeitet. Derzeit würde ihm die Zeit als Nahrungsmittelzusteller dafür fehlen.

Rechtlich wurde diesbezüglich ausgeführt, dass sich der BF mittlerweile zwar seit über fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalte, eine Freundin und einen Freundes-, bzw. Bekanntenkreis bzw. ein Deutschzertifikat A1 erworben habe, doch sei dem entgegen zu halten, dass der Aufenthalt bloß auf Grund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig gewesen sei. Zudem habe der BF den überwiegenden Teil seines Lebens in Indien verbracht, sei dort sozialisiert worden und würde seine Kernfamilie dort aufhältig sein, wogegen er im Bundesgebiet über keine Verwandten verfügen würde, weswegen nicht angenommen werden könne, dass der BF im Bundesgebiet derart verwurzelt sein würde, dass ihm eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden könne. Zu seiner Tätigkeit als Nahrungsmittelzusteller sei zudem festzuhalten, dass daraus keine maßgebliche Integration am Arbeitsmarkt abzuleiten sei (vgl. VwGH 11.06.2014, 2013/22/0356). Trotz seines bereits mehrjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet habe der BF bloß die Deutschprüfung auf Niveau A 1 erfolgreich absolviert, sodass eine bloß geringe sprachliche Integration vorliegen würde.

4. Am XXXX stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.

Im Zuge des Antrages wurde u.a. ein Zeugnis zur Integrationsprüfung, welche der BF am XXXX positiv absolviert habe, vorgelegt. Darüber hinaus eine Bestätigung von XXXX Verein für Menschen mit geringen Einkommen vom XXXX , wonach dieser seit Anfang Oktober XXXX einmal in der Woche für sechs Stunden auf ehrenamtlicher Basis dort arbeite. Neben diversen Unterstützungsschreiben noch eine Bestätigung der XXXX , wonach der BF eine Vollzeitbeschäftigung als unselbständiger Erwerbstätiger antreten könne, wenn er den entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten würde.

5. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom XXXX gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass zwischen dem Zeitpunkt der jetzigen Bescheiderlassung und der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung nur ein sehr kurzer Zeitraum liegen würde, sodass sich auch der Inlandsaufenthalt des BF nicht wesentlich verlängert habe. Sowohl seine Sprachkenntnisse, als auch die Umstände seiner Lebensführung würden unverändert sein, auch wenn in der Zwischenzeit der BF die Integrationsprüfung absolviert habe. Die vorgelegte Beschäftigungszusage würde nicht hinreichend konkret sein. Was die Einstellungszusage betreffe, so liege darin zwar eine Sachverhaltsänderung vor. Diese habe aber- auch in Verbindung mit den absolvierten Deutschkursen- noch nicht ein solches Gewicht, dass im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine potentiell andere Beurteilung des Antrages ermöglichen würde (vgl. hinsichtlich des Vorliegens eines Dienstvertrages etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0138 bis 0141).

6. In der dagegen eingebrachten Beschwerde durch den rechtsfreundlichen Rechtsvertreter wurde moniert, dass entgegen der Rechtsansicht der Erstbehörde im angefochtenen Bescheid seit der Entscheidung des BVwG vom XXXX sehr wohl eine Sachverhaltsänderung eingetreten sei.

Begründet wurde dies insbesondere damit, dass der BF über einen sehr großen Freundeskreis in Österreich verfügen und der BF sehr sozial sein würde, als dieser manchmal auf die Kinder von einem Herrn XXXX aufpasse und sich somit für Mitmenschen engagiere. Entgegen der Annahme des BFA würde der BF mit einer Frau, die über eine sogenannte Aufenthaltskarte für Österreich verfügen würde, eine Liebesbeziehung führen. Die sprachliche Integration sei durch das Vorliegen des Zeugnisses zur Integrationsprüfung vom XXXX in der Sprachkompetenz A 2 gegeben. Das BFA gehe darauf ein, dass der BF sehr viel arbeiten würde und ihm die Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten fehlen würde. Aus dem Schreiben der XXXX gehe aber hervor, dass der BF seit XXXX wieder ehrenamtlich arbeite. Auf Grund der Summe der neuen vorgelegten Beweismittel hätte die Erstbehörde erkennen müssen, dass sich der Sachverhalt sei der Entscheidung des BVwG vom XXXX maßgeblich geändert habe.

7. Am XXXX fand vor dem BvwG eine öffentlich mündliche Verhandlung statt. Im Zuge dessen wurde dem BF ausführliche Fragen zur Beurteilung der Integration unter Berücksichtigung des Art 8 EMRK und § 9 BFA-VG gestellt.

II: Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der BF ist ein Staatsangehöriger der Republik Indien, stellte unter den Namen XXXX am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 sowie 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen. Das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkt I. bis III. des angefochtenen Bescheides wurde gemäß § 28 Abs. 1 iVm 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

Der BF ist anschließend unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und verfügte in der Zeit vom XXXX bis dato über eine durchgehende Meldung im Zentralmelderegister.

Am XXXX stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus). Diesem Antrag wurde u.a. ein Zeugnis der Integrationsprüfung vom XXXX vorgelegt, wonach bestätigt wurde, dass der BF die Integrationsprüfung bestehend aus den Inhalten zur Sprachkompetenz und zu den Werte-, und Orientierungswissen bestanden hat. Überdies ein Schreiben des Vereins XXXX , wonach dem BF eine wöchentliche sechsstündige ehrenamtliche Mitarbeit seit XXXX bestätigt wurde und darüber hinaus eine Einstellzusage einer namentlich genannten Firma bei Vorliegen eines entsprechenden Aufenthaltstitels vom XXXX .

Dem BF wurde weder im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, noch im Zuge einer persönlichen Einvernahme vor dem BFA, die Möglichkeit eingeräumt zu den behaupteten Änderungen seines Privat-, und Familienlebens eine schriftliche Stellungnahme abzugeben bzw. diese im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA zu erörtern.

Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom XXXX gemäß §§ 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom XXXX wurde die gegenständliche Beschwerde eingebracht.

Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinem Privat-, und Familienleben befragt wurde.

Der BF hält sich nicht ganz siebeneinhalb Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf. Er ist unbescholten und konnte eine positiv abgeschlossene Integrationsprüfung vor dem ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) vom XXXX nachweisen. Der BF hat in der Zeit von Anfang XXXX als Zeitungszusteller gearbeitet. Seit XXXX verfügt der BF über ein Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg“ nicht übersteigt. Der BF verfügt seit dem XXXX über einen Vertrag mit der Firma XXXX zur Zustellung von Gütern, Waren und Speisen. Der BF ist in der Zeit von XXXX bis Ende Dezember XXXX im Verein XXXX mehrere Stunden in der Woche ehrenamtlich tätig gewesen. Seit Anfang XXXX übt er diese Tätigkeit am Samstag für vier bis fünf Stunden auf ehrenamtlicher Basis im XXXX wieder aus.

Der BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familienangehörigen des BF, mit welchen dieser telefonisch in Kontakt ist, leben in Indien. Der BF konnte sich seit seiner Einreise in Österreich einen Freundes-, bzw. Bekanntenkreis aufbauen.

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem vom Bundesamt vorgelegten Akt, sowie den glaubwürdigen Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung vom XXXX , den vorgelegten Dokumenten sowie dem Bescheid des BFA vom XXXX bzw. dem Erkenntnis des BVwG, Zl. W XXXX

Rechtliche Begründung:

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat-, und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Nach der Judikatur des VwGH, vom XXXX ist bereits in einer Änderung des Sachverhaltes, die einer Neubewertung nach Art. 8 MRK zu unterziehen ist (und nicht erst darin, dass der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste), eine maßgebliche Änderung im Sinn des § 44b Abs. 1 2005 NAG zu sehen. Die nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005 ausgesprochene Antragszurückweisung erweist sich daher - unabhängig davon, ob die vom Fremden geltend gemachten Umstände letztlich auch tatsächlich zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels führen - als rechtlich verfehlt. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt läge nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte (Hinweis E vom 22. Juli 2011, 2011/22/0138 bis 0141). Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005 zulässig.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass sich der BF mittlerweile bereits fast siebeneinhalb im Bundesgebiet aufhält. Zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides des BFA hat sich der BF nicht ganz sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten. Nach der Judikatur des VwGH ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (Vgl. VwGH 04.08.2016, Zl. Ra 2015/21/0249).

Zwar war der BF zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA vom XXXX noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet durchgehend aufhältig, doch wäre der entsprechend lange Zeitraum dieses Aufenthaltes stärker zu berücksichtigen gewesen, als der BF auch keine „Vereitelungshandlungen“ gesetzt hat. Es ist nicht hervorgekommen, dass der BF in dem zu beurteilenden Zeitraum untergetaucht wäre und hat über eine durchgehende Meldung verfügt. Es ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass gegen den BF während seines Aufenthaltes in Österreich jemals eine Verwaltungsübertretung wegen des unrechtmäßigen Aufenthaltes nach § 120 FPG verhängt oder etwaige Maßnahmen zur Durchsetzung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung gesetzt wurden.

Im Übrigen hat das BFA im gegenständlichen Verfahren von vornherein von der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, indem es sowohl von der Möglichkeit der schriftlichen Abgabe einer Stellungnahme zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme abgesehen hat, als auch keine persönliche Einvernahme vorgenommen hat, indem es dem BF die Möglichkeit eingeräumt hätte im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme sein Privat-, und Familienleben umfassend darzulegen bzw. es von Seiten des BFA verabsäumt wurde entsprechende Umstände im Rahmen einer solchen zu hinterfragen. Vielmehr beschränkte sich das BFA darauf, dass im Zeitraum zwischen dem erlassenen Erkenntnis des BVwG vom XXXX und den am XXXX erlassenen gegenständlichen Bescheid ein relativ kurzer Zeitraum liegen würde. Außerdem würde die Einstellzusage noch nicht ein solches Gewicht einer Sachverhaltsänderung ausmachen, die im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine potentiell andere Beurteilung des Antrages ermöglichen würde (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 22.Juli 2011, Zl. 2011/22/0138 bis 0141).

Insofern hat das BFA eine entsprechende Bewertung vorgenommenen ohne zuvor mit dem BF eine entsprechende ausführliche Erörterung im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vorzunehmen. Inwieweit das BFA dies ohne Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens zu beurteilen vermochte, lässt sich im gegenständlichen Fall nicht nachvollziehen.

Das BFA hält in den Feststellungen zum Privat-, und Familienleben zum Zeitpunkt des Vorverfahrens u.a. fest, dass der BF früher am Samstag einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Verein XXXX nachgegangen ist. Derzeit würde dem BF auf Grund seiner Tätigkeit als Zusteller allerdings die entsprechende Zeit fehlen. Dies steht jedoch in Widerspruch zu den im Verfahren vorgelegten Unterlagen des Vereins XXXX vom XXXX bzw. den im Zuge der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Bestätigung des diesbezüglichen Vereins vom XXXX , wonach dieser seit XXXX diese Tätigkeit wiederaufgenommen hat. Darüber hinaus ist im Zuge des Verfahrens hervorgekommen, dass der BF, die im Jahre XXXX als selbständiger Zusteller begonnene Tätigkeit, nach wie vor ausübt, ohne dass dabei aber auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit etwa in Form einer Prüfung entsprechend geforderter vollständiger Unterlagen an Einkommens-, bzw. Umsatzsteuerbescheiden des Zeitraums der Ausübung dieser Tätigkeit eingegangen worden wäre. Der bloßen Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass den Aussagen des BF in der Beschwerdeverhandlung nach dieser bereits eine Firma gefunden hat, welche für den BF um eine arbeitsrechtliche Bewilligung angesucht. Der im Schriftsatz vom XXXX beigefügten Unterlage ist in diesem Zusammenhang ein Antrag auf eine Saisonbewilligung, der allerdings kein Ausstellungsdatum zu entnehmen ist, vorgelegt worden und wird diese Bemühung noch einer Erörterung der zeitlichen Einordnung bedürfen.

In Zusammenschau der zu erörternden Umstände, kann auch die Feststellung des BFA, dass dieser im Vorverfahren über schlechte Deutschkenntnisse verfügt hat und den im gegenständlichen Verfahren nach getroffenen Feststellungen, dass dieser die Integrationsprüfung am XXXX bestanden hat, nicht völlig außer Acht bleiben. Soweit das BFA Zweifel an der Absolvierung des Teiles zur Sprachkompetenz nach A 2 gehegt hat, so hätte es sich einen entsprechenden persönlichen Eindruck verschaffen müssen.

Der BF konnte in der Verhandlung vom XXXX überdies auch in Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen darlegen und glaubhaft machen, dass dieser bereits am XXXX über eine Einstellzusage verfügt hat bzw. nunmehr im Besitz einer neuen solchen vom XXXX ist. Soweit diese vom BFA als nicht hinreichend konkret erachtet worden ist, wäre diese gegebenenfalls entsprechend zu erörtern und nötigenfalls mit dem potentiellen Arbeitgeber abzuklären gewesen. Ebenso ist im Zuge dessen hervorgekommen, dass der BF auch in dem zu beurteilenden Zeitraum bei der Sozialversicherungsanstalt kranken-, bzw. unfallversichert gewesen ist.

Überdies wurden auch die zahlreichen vom BF zum Nachweis privater Bindungen und Engagements vorgelegten Unterlagen nicht näher erörtert.

In einer Gesamtbetrachtung kann im gegenständlichen Fall daher nicht davon ausgegangen werden, dass von einem ungeänderten Sachverhalt ausgegangen werden konnte, der keine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätte.

Das BFA hätte daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht nach § 58 Abs. 10 AsylG zurückweisen dürfen, sondern darüber inhaltlich absprechen müssen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Deutschkenntnisse geänderte Verhältnisse Integration Privat- und Familienleben Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W124.2191680.2.00

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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