TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 W153 2238377-1

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Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs9 Z1
B-VG Art133 Abs4
NAG §49

Spruch


W153 2238377-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. VR China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2020, Zl 415701300-200164375, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

„Ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird gemäß § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsagenhörige der VR China, stellte bereits im Jahr 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG“, da sie am 27.09.2004 einen österreichischen Staatsbürger geheiratet habe. Mit Bescheid der MA 35 vom 19.04.2007 wurde der Antrag der BF abgewiesen. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (BPD Wien) vom 26.05.2007 wurde gegen die BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Begründend wurde ausgeführt, dass es sich bei der Ehe der BF und dem österreichischen Staatsbürger um eine Scheinehe handle.

Gegenständliches Verfahren:

Die BF stellte am 12.02.2020 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK. In ihrer Stellungnahme, datiert mit 29.01.2020, führte die BF aus, dass sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für Slowenien sei. Sie sei die Mutter zweier österreichischer Staatsbürger, welche im Jahr 2010 und 2014 geboren worden seien. Die Kinder seien bei Verwandten der BF in Österreich aufgewachsen. Die Verwandten seien nunmehr nicht mehr in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern. Die Väter der Kinder, zwei österreichische Staatsbürger, würden ihren Obsorgepflichten nicht nachkommen. Es bedürfe daher des Aufenthaltes der BF als Kindesmutter in Österreich, um das Recht auf Familienleben gemäß Art. 8 EMRK zu wahren.

Die BF legte unter anderem einen slowenischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, eine Wohnrechtsvereinbarung für eine Wohnung in Wien, einen Arbeitsvorvertrag als Küchenhilfe in Wien, eine Deutschkursprüfungsbestätigung auf Niveau A2, Kopien der Reisepässe und Geburtsurkunden der Kinder der BF und Auszüge aus dem ZMR betreffend die Kinder der BF vor.

Mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 17.04.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der BF mit, dass beabsichtigt sei, den Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen. Die BF sei im Besitz eines slowenischen Aufenthaltstitels. Für die Erteilung eines Aufenthaltstitels sei daher die MA 35 zuständig. Der BF wurde eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme und zur Beantwortung näher angeführter Fragen eingeräumt.

Mit Schreiben vom 06.05.2020 brachte die BF eine Stellungnahme ein. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das BFA für den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zuständig sei. Die BF verfüge über einen Daueraufenthaltstitel für Slowenien. Die BF habe sich stets im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Aufenthaltszeiten in Österreich aufgehalten, bis es die Obsorge über die Kinder der BF, welche beide österreichische Staatsbürger seien, notwendig gemacht habe, dass sie sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalte. Die BF sei vor der notwendigen dauerhaften Einreise nach Österreich in Maribor, Slowenien, wohnhaft gewesen.

Mit Schreiben des BFA vom 11.09.2020 wurde der BF ein Verbesserungsauftrag erteilt. Die BF wurde aufgefordert, den Obsorgebeschluss für ihre Kinder und den Nachweis der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung vorzulegen.

Mit Schreiben vom 21.09.2020 legte die BF einen Beschluss betreffend die gemeinsame Obsorge der BF und des Vaters hinsichtlich ihres älteren Kindes und eine Deutschprüfungsbestätigung auf Niveau A2 vor.

Mit Schreiben vom 18.11.2020 legte die BF eine Bescheinigung eines Bezirksgerichtes vor, wonach ihr die alleinige Obsorge hinsichtlich ihres zweiten Kindes zukomme.

Mit nunmehr bekämpften Bescheid des BFA vom 23.11.2020 wurde der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte das BFA aus, dass sich die BF bisher in Slowenien aufgehalten habe und bis Ende 2019 nur zu Besuch nach Österreich gekommen sei. Dabei habe sie die sichtvermerksfreien Tage nicht überschritten. Sie halte sich erst seit Dezember dauernd in Österreich auf. Trotz der Stellung des gegenständlichen Antrages sei der Aufenthalt der BF mit März 2020 unrechtmäßig geworden. Die BF sei im Besitz eines aufrechten slowenischen Schengentitels und wäre dadurch berechtigt, vom Inland aus einen entsprechenden Aufenthaltstitel für Österreich zu beantragen.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde. Sie brachte im Wesentlichen vor, dass sich aus dem AsylG eine Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des NAG im Bereich der §§ 55 bis 57 AsylG nur bei Vorliegen der Fälle des § 58 Abs. 9 AsylG ergebe. Somit sei nicht ein genereller Ausschluss gegeben, sondern nur dann, wenn einer der Fälle des § 1 Abs. 2 Z 1 NAG vorliege oder einer des § 58 Abs. 9 AsylG. Ein Aufenthaltstitel aus einem anderen Unionsland sei kein Erteilungshindernis eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG. Es liege kein Fall des § 58 Abs. 9 AsylG vor. Die BF befinde sich weder in einem Verfahren nach dem NAG noch verfüge sie bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG oder dem NAG. Es gäbe keine Regelung zu welchen Anträgen eine Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Unionslandes verpflichtet sei. Es gäbe keinen Zwang zu einer bestimmten Antragstellung. Aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 9 AsylG gehe eindeutig hervor, dass der Besitz eines Aufenthaltstitels eines anderen Unionslandes keinen Zurückweisungsgrund darstelle. Dass im NAG mit § 49 NAG die Möglichkeit für Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates gegeben sei, stehe nicht im Widerspruch zu den vorherigen Ausführungen. In § 49 NAG finde sich nicht die Verpflichtung zu dieser Antragstellung. Das BFA hätte daher über das Vorbringen der BF zu entscheiden und abzusprechen gehabt. Es hätte eine Abwägung gemäß Art. 8 EMRK iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG vorgenommen werden müssen. Eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG falle zu Gunsten der BF aus. Es liege ein schützenswertes Familienleben gemäß Art. 8 EMRK vor. Überdies sei das BFA seiner Begründungspflicht gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht nachgekommen. Die BF sei daher in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Das BFA sei für Anträge gemäß § 55 AsylG zuständig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF führt die im Spruch genannte Identität und ist chinesische Staatsangehörige.

Sie verfügt in Slowenien über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“, welcher bis 16.09.2024 gültig ist.

Eine Antragstellung für einen Aufenthaltstitel nach § 49 NAG bei der hierfür örtlich zuständigen Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien (MA 35) ist bis dato nicht erfolgt.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des BFA und in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts sowie durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen.

Die Feststellung wonach die BF im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ in Slowenien ist, ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie der Aufenthaltskarte (AS 477f) sowie aus den diesbezüglichen Angaben der BF.

Die Feststellung, dass die BF bisher keinen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach § 49 NAG gestellt hat, ergibt sich aus einer Nachschau im IZR.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Die BF beantragte die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Dabei handelt es sich um einen der im 7. Hauptstück des AsylG 2005 geregelten „Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen“. Für jenen nach § 55 AsylG 2005 ist jedenfalls Voraussetzung, dass dessen Erteilung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG ist ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn sich der Fremde in einem Verfahren nach dem NAG befindet. Damit soll klargestellt werden, dass das Stellen weiterer Anträge auch während eines anhängigen Verfahrens im NAG – somit sowohl in 1. als auch in 2. Instanz – unzulässig ist und der Antrag ohne weitere Prüfung zurückgewiesen werden kann (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 58 AsylG 2005; Stand 01.06.2016).

In § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG wird aufgrund der organisatorischen Trennung und der neuen Systematik ein Ausschlussgrund für den Fall normiert, dass der Fremde bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt. Dies orientiert sich an dem bisher in § 1 Abs. 2 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 normierten Grundsatz. Demnach sind diese Bestimmungen weiterhin nicht auf Personen anwendbar, die nach dem AsylG 2005 zum Aufenthalt berechtigt sind; das sind insbesondere Asylwerber, deren Antrag auf internationalen Schutz zugelassen ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung und Fremde, denen der Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist. Auch Personen, die bereits einen Aufenthaltsrecht nach dem NAG genießen, sollen nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen und um ausschließlich die Zielgruppe für Aufenthaltsrechte aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erfassen. Ohnehin aufenthaltsberechtigte Personen sollten auch schon bisher nicht auf solche Aufenthaltstitel umsteigen können, um entsprechende Umgehungshandlungen zu vermeiden. Somit wird in sachgerechter Weise und zur Vermeidung von Umgehungshandlungen klargestellt, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nur im Rahmen eines Erstantragsverfahrens – also an Personen, die zum Antragszeitpunkt über keinen Aufenthaltstitel verfügen – erteilt werden kann. Die Anwendung des Aufenthaltsrechtes aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Personen, die ohnehin bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen, scheidet nach wie vor naturgemäß aus. [...] Der Student beispielsweise, der grundsätzlich weiterhin die Voraussetzungen für die Aufenthaltsbewilligung als Studierender gemäß § 64 NAG erfüllt, soll nicht mit einem Antrag beim BFA in das Regime der Aufenthaltsrechte aus berücksichtigungswürdigen Gründen umsteigen können, damit er auf diesem Wege eine Verbesserung seiner aufenthaltsrechtlichen Position, zum Beispiel einen Zugang zum Arbeitsmarkt, erhält. [...] (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 58 AsylG 2005; Stand 01.06.2016).

Es ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.03.2021, Ra 2020/21/0389, zu verweisen. Darin wird unter anderem Folgendes ausgeführt (Anm.: Hervorhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

„ […]

Ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 ist gemäß § 58 Abs. 9 AsylG 2005 unter anderem dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn sich der Drittstaatsangehörige in einem Verfahren nach dem NAG befindet (Z 1) oder wenn er bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt (Z 2). Nach den diesbezüglichen ErläutRV zum FNG (1803 BlgNR 24. GP 49) soll mit der Anordnung in der Z 1 klargestellt werden, dass das Stellen weiterer Anträge (u.a.) nach § 55 AsylG 2005 während eines anhängigen Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG unzulässig und ein solcher Antrag „ohne weitere Prüfung“ zurückzuweisen ist. Mit der Regelung in der Z 2 werde ein „Ausschlussgrund“ für den Fall normiert, dass der Fremde bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt. Zur letztgenannten Alternative halten die ErläutRV dann weiter fest, Personen, die bereits ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG genießen, sollen nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen. Ohnehin aufenthaltsberechtigte Personen sollten auch schon bisher nicht auf solche Aufenthaltstitel umsteigen können, um entsprechende Umgehungshandlungen zu vermeiden. Die Anwendung des Aufenthaltsrechtes aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Personen, die ohnehin bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen, scheide nach wie vor „naturgemäß“ aus. Es dürften nur diejenigen Personen einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 stellen, die über kein Aufenthaltsrecht verfügen bzw. nicht die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach dem NAG erfüllen. Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück sollen daher - so die ErläutRV zusammenfassend - nur jenen zugutekommen, die es auch benötigen.

Für die Zurückweisungsfälle des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 wird im letzten Satz des § 10 Abs. 3 AsylG 2005 normiert, dass die den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen zurückweisende Entscheidung nicht mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist. Diese Einschränkung fehlt zwar in der korrespondierenden Bestimmung des § 52 Abs. 3 FPG, wonach das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen hat, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Dabei handelt es sich aber offenbar um ein Redaktionsversehen. Hintergrund für die diesbezügliche Änderung im § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in der Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes im Vergleich zu jener (nicht in Kraft getretenen) des FNG, die inhaltlich dem geltenden § 52 Abs. 3 FPG entsprach, war nach den diesbezüglichen ErläutRV (2144 BlgNR 24. GP 17) nämlich, dass die Differenzierung zwischen den Rechtsfolgen bei abweisenden und zurückweisenden Entscheidungen „aus systematischen Gründen notwendig“ sei. Damit war erkennbar gemeint, dass sich der Drittstaatsangehörige in den Zurückweisungsfällen des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 entweder in einem Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG befindet oder bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt und dass in diesen Konstellationen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die zur Ausreise in den Herkunftsstaat verpflichtet, nicht in Betracht kommt. Das hätte auch in § 52 Abs. 3 FPG seinen Niederschlag finden müssen.

Aus den referierten Gesetzesmaterialien zu § 58 Abs. 9 AsylG 2005 ergibt sich eindeutig die Subsidiarität des hier von der Revisionswerberin beantragten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gegenüber Aufenthaltstiteln nach dem NAG (vgl. dazu auch VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 16, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 und damit insbesondere nach § 55 AsylG 2005 als subsidiäre Maßnahme konzipiert ist). Demnach besteht dann kein Anspruch auf Erteilung eines auf Art. 8 EMRK gegründeten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, wenn der Drittstaatsangehörige ein Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Erfüllung eines besonderen Tatbestandes nach dem NAG hat. Aus teleologischen Erwägungen muss das aber auch für den - vom Wortlaut des § 58 Abs. 9 Z 1 NAG nicht erfassten - Fall gelten, dass diesbezüglich noch kein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gestellt wurde und noch kein Verfahren über einen solchen Antrag geführt wird. Das kommt auch in den wiedergegebenen ErläutRV zum Ausdruck, wonach nur diejenigen Personen einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 stellen dürfen, die nicht die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach dem NAG erfüllen und deshalb einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen benötigen.

[...]

Somit hat die (auch aktuell noch minderjährige) Revisionswerberin einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG, der ihr von der Niederlassungsbehörde von Amts wegen oder auf entsprechenden Antrag zu erteilen ist. Demzufolge wäre der gegenständliche Antrag auf Erteilung des nur subsidiären Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 in analoger Anwendung des § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 zurückzuweisen gewesen. Das BFA nahm zwar demgegenüber eine vom BVwG bestätigte Abweisung dieses Antrags vor, fallbezogen ist aber vor dem besonderen Hintergrund der vorliegenden Konstellation nicht zu sehen, dass die Revisionswerberin dadurch in Rechten verletzt wurde. Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die mit dem angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 19. September 2019 richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

[…]“

Anwendung auf den gegenständlichen Beschwerdefall:

Das BFA stützte die Zurückweisung des gegenständlichen Antrages auf die Feststellung, dass die BF im Besitz eines aufrechten slowenischen Schengentitels sei und dadurch berechtigt sei, vom Inland aus einen entsprechenden Aufenthaltstitel für Österreich zu beantragen. Im Schreiben betreffend das Ergebnis der Beweisaufnahme führte das BFA aus, dass die BF im Besitz eines slowenischen Aufenthaltstitels sei und daher die MA 35 für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zuständig sei. Das BFA stützt die Zurückweisung auf § 58 Abs. 9 Z 2 NAG.

Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ aus Slowenien der BF stellt jedoch kein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG oder dem NAG dar, sondern stützt sich auf die diesbezüglichen slowenischen Rechtsvorschriften und berechtigt zu einem dauerhaften Aufenthalt im slowenischen Staatsgebiet.

Die vom BFA herangezogene Zurückweisungsvoraussetzung des § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG liegt im vorliegenden Fall daher nicht vor.

Wie jedoch aus Rn. 9f des oben angeführten Erkenntnissses des Verwaltungsgerichtshofes hervorgeht, ist in jenem Fall, dass einem Antragsteller auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 ein Recht auf einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zukommt, auch wenn dieses vom Antragsteller noch nicht mit einem entsprechenden Antrag bei Niederlassungsbehörde geltend gemacht wurde, der Antrag nach § 55 AsylG 2005 vom BFA zurückzuweisen ist. § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 ist dementsprechend teleologisch auf Fälle zu erweitern, in denen noch kein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gestellt wurde und noch kein Verfahren über einen solchen Antrag geführt wird. Voraussetzung bleibt aber natürlich, dass ein solches Recht auf einen Aufenthaltstitel nach dem NAG tatsächlich besteht.

§ 49 NAG lautet:

„Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates

§ 49. (1) Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates besitzen, kann eine „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“ erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. ein Quotenplatz vorhanden ist.

(2) Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates besitzen, kann für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und

3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 AuslBG vorliegt.

(3) In den Fällen des Abs. 2 ist von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag

1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§ 19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist oder

2. wegen des Mangels an einem Quotenplatz zurückzuweisen ist oder

3. wegen zwingender Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs. 1 abzuweisen ist.

Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung im Fall des § 20d AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen.

(4) Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates besitzen, kann für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit eine „Niederlassungsbewilligung“ erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. ein Quotenplatz vorhanden ist.

(5) Ein Antrag gemäß Abs. 1, 2 und 4 ist binnen einer Frist von drei Monaten ab der Einreise zu stellen. Dieser Antrag berechtigt nicht zu einem länger als drei Monate dauernden Aufenthalt ab der Einreise in das Bundesgebiet. In den Fällen der Abs. 1 und 4 hat die Behörde binnen einer Frist von vier Monaten zu entscheiden.“

Wie oben bereits festgestellt ist die BF im Besitz eines slowenischen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“. Dass die Voraussetzungen des § 49 NAG im gegenständlichen Fall nicht erfüllt seien, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Fall, dass der (analoge) Zurückweisungsgrund des § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 vorliegt, da die BF Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach § 49 NAG hat – Gegenteiliges ist im Verfahren nicht hervorgekommen –, auch wenn sie bis dato nach den Daten des zentralen Fremdenregisters einen solchen Antrag bei der NAG-Behörde noch nicht gestellt hat.

Der BF ist nachdrücklich anzuraten, sich um eine Antragstellung bei der zuständigen Niederlassungsbehörde (in Wien: die MA 35) auf einen Aufenthaltstitel nach § 49 NAG zu bemühen, wobei es hilfreich sein wird, nachdrücklich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen.

Die Beschwerde der BF war daher mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe, dass sich die Zurückweisung des Antrages der BF auf § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG stützt, als unbegründet abzuweisen.

Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gegenständlich abgesehen werden, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Sinne der obigen Judikatur aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Antragstellung Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Daueraufenthalt EU (int. Schutzberechtigte) Voraussetzungen Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W153.2238377.1.00

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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