TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 W128 2116223-2

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Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W128 2116223-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12.09.2018, Zl. 1049473107/180862651 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und die Spruchpunkte I. sowie III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 30.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG) stattgegeben und XXXX für die Dauer von zwei Jahren ab Rechtskraft dieser Entscheidung eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 05.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid vom 07.10.2015 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), sprach ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.10.2016 (Spruchpunkt III.).

Zur Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten führte das BFA im Wesentlichen aus, dass den Länderfeststellungen zu entnehmen sei, dass die Lage in Afghanistan nach wie vor weder sicher noch stabil, sondern vielmehr angespannt sei. Beim Beschwerdeführer handle es sich zwar um einen jungen Mann, bei dem grundsätzlich vom Vorliegen einer Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben ausgegangen werden könne. Er habe jedoch zu seinen Verwandten in Afghanistan seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr, sodass es an einem sozialen Netzwerk fehle.

3. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit (rechtskräftigem) Erkenntnis vom 21.07.2016 als unbegründet ab.

4. Am 09.08.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

5. Mit Bescheid vom 31.08.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.10.2018 erteilt.

Begründend führte das BFA aus, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit dem Antrag des Beschwerdeführers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden hätten können.

6. Am 30.07.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG.

7. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 11.09.2018 gab der Beschwerdeführer im zusammengefasst an, dass er zwar gesund sei, jedoch aufgrund seiner Diabeteserkrankung Insulin spritzen müsste. Arbeiten sei ihm möglich. Er sei im Dorf XXXX , in der Provinz Balkh, geboren und aufgewachsen, habe in Afghanistan sechs Jahre lang die Schule besucht, wäre jedoch dann zu seinen Großeltern gezogen und hätte die Schule nicht fortsetzen können. In Afghanistan verfüge er über seine Großeltern einen Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits, welche nach wie vor in seinem Heimatdorf leben würden. Zudem würden drei Onkel mütterlicherseits in, bzw. in der Umgebung von Mazar-e Sharif leben. Zu seinen Großeltern habe er vor einem Monat das letzte Mal Kontakt gehabt, da die Taliban die dortigen Handymasten gesprengt hätten.

8. Mit dem (hier) angefochtenen Bescheid erkannte das BFA dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 07.10.2015 zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), wies seinen Antrag vom 30.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes geändert habe, da er nunmehr Kontakt zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten habe. Nunmehr würden mit Kabul und Mazar-e Sharif auch taugliche innerstaatliche Fluchtalternativen offenstehen. Der Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr auf ein – mittlerweile jedoch nicht einmal mehr erforderliches – soziales Netzwerk zurückgreifen. Darüber hinaus sei aufgrund seiner sechsjährigen Schulbildung sowie der gesammelten Berufserfahrung davon auszugehen, dass er in der Lage sein werde, eine Beschäftigung zu finden und sich auch alleine versorgen zu können. Zudem könne der Beschwerdeführer auf Unterstützungsleistungen durch internationale Einrichtungen zurückgreifen. Auch habe der Beschwerdeführer keine aktuelle Gefährdung seiner Person glaubhaft vorgebracht. In Bezug auf seine Heimatprovinz, Kabul und Mazar-e Sharif sei zudem von keiner allgemeinen Gefährdungslage auszugehen, da diese grundsätzlich als stabil einzustufen seien.

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbrachte, er verfüge in Afghanistan über kein soziales Netzwerk, da er derzeit keinen Kontakt zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten habe. Auch habe sich die Sicherheitslage in Kabul nicht verbessert. Durch die gewährten Unterstützungsleistungen internationaler Einrichtungen könnten die grundlegenden Bedürfnisse nur kurzfristig gedeckt werden. Auch befinde sich der Beschwerdeführer in einem Arbeitsverhältnis und spreche Deutsch auf A2-Niveau.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zum Beschwerdeführer

1.1.1. Der am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt Mazar-e Sharif, in der Provinz Balkh, geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er spricht Dari, Farsi, Türkisch und etwas Deutsch. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan sechs Jahre lang die Schule, verfügt jedoch über keine Berufserfahrung in Afghanistan.

Die Großeltern sowie Onkel und Tanten des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Afghanistan.

Mit etwa 18 Jahren verließ der Beschwerdeführer Afghanistan über den Iran in die Türkei, wo er ca. fünf Jahre lebte. Im Dezember 2014 reiste er nach Österreich ein, wo er am 05.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.1.2. Der Beschwerdeführer leidet an Diabetes mellitus, ist jedoch arbeitsfähig und strafgerichtlich unbescholten (siehe Strafregisterauskunft).

1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 11. Juni 2021

-        UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, August 2021

1.2.1. Ethnische Gruppen

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen.

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11. Juni 2021, S. 295 f)

Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land. Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit.

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Heute werden unter dem Terminus t?jik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst.

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11. Juni 2021, S. 298)

1.2.2. Aktuelle Situation in Afghanistan

Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern. UNHCR ist besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, sowie an Afghan*innen, bei denen die Taliban davon ausgehen, dass sie mit der afghanischen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan oder mit internationalen Organisationen im Land in Verbindung stehen oder standen.

Aufgrund der Unbeständigkeit der Situation in Afghanistan hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsperspektive zu verwehren.

(UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, August 2021, S. 1 f)

1.2.3. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität.

Taliban

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt. Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten.

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als „Islamisches Emirat Afghanistan“, der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11. Juni 2021, S. 239 f)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammern angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:

2.1. Die wesentlichen biografischen Feststellungen zum Beschwerdeführer beruhen auf der unbedenklichen Aktenlage.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den oben genannten Quellen. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zu Spruchpunkt A) Stattgabe der Beschwerde

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus
(§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 77; 14.08.2019, Ra 2016/20/0038, Rn. 32; 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, Rn. 17). Die Heranziehung des zweiten Tatbestandes des
§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, m.w.N.).

Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend gerändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381).

In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend gerändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. dazu etwa VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449; VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden (unter anderem) bei Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigter der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt eine Einzelfall-prüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (siehe etwa VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361, m.w.N.). Dabei ist auf den tatsächlichen Zielort eines Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. etwa EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, wenn für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative liegt dann vor, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates sowohl die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegen. Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

3.1.2. Für den Beschwerdeführer bedeutet dies Folgendes:

Die vom BFA festgestellte nachhaltige Verbesserung hinsichtlich der maßgeblichen Umstände in Afghanistan ist nicht eingetreten. So mag der Beschwerdeführer zwar mittlerweile über ein soziales bzw. familiären Netzwerk in Afghanistan verfügen. Eine (nachhaltige) Verbesserung der Sicherheitslage im Herkunftsstaat ist hingegen nicht eingetreten.

Vielmehr kann in Anbetracht des jüngst erfolgten Regierungsumsturzes durch die Taliban und der derzeit vorherrschenden unsicheren Sicherheitslage zum Entscheidungszeitpunkt nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson mit der Abschiebung eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts verbunden ist.

Mit nur (noch) wenigen Ausnahmen befindet sich ganz Afghanistan – so auch die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers – unter der Kontrolle der Taliban. Zwar ergibt sich aus den vorhandenen Berichten, dass die Taliban das Land künftig regieren wollen, eine etablierte Nachfolgeregierung nach dem Umsturz der bisherigen ist jedoch noch nicht erfolgt. Im Hinblick darauf gibt es momentan kein Gebiet in Afghanistan, das nicht unter der Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte steht bzw. ohne Kontakt mit solchen erreichbar wäre – und somit als Fluchtalternative in Betracht käme.

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass IOM aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration für Afghanistan mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen musste.

Demnach ist sogar von einer wesentlichen Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen. Da für den Beschwerdeführer – entgegen der Ansicht des BFA – derzeit keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, ist der Beschwerde vollumfänglich stattzugeben.

3.1.3. Da dem Beschwerdeführer somit (nach wie vor) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 30.07.2018 auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung stattzugeben und diese ab Rechtskraft der Entscheidung um zwei Jahre zu verlängern ist.

3.1.4. Aufgrund Stattgabe der Beschwerde gegen die Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter und der damit verbundenen Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung liegen die Voraussetzungen für die Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie Anordnung einer Ausreiseverpflichtung nicht mehr vor, weshalb die Spruchpunkte I. sowie III. bis VI. des angefochtenen Bescheides zu beheben sind (vgl. dazu auch VfGH 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

3.1.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. dazu etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2019/19/0116, m.w.N.).

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer (unverändert) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung familiäre Situation Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage soziales Netzwerk Verlängerung wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W128.2116223.2.00

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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