Entscheidungsdatum
02.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2234528-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2020, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.08.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 11.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen einer Erstbefragung am gleichen Tag gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Familie von Myanmar nach Bangladesch geflohen sei. Sie seien Rohingyas und würden in Bangladesch diskriminiert werden. Sie würden keinen legalen Status erhalten. Er sei an einen Ziehvater verkauft worden und habe dort schwer gearbeitet. Er sei misshandelt worden. Er hätte auch Schutzgeld zahlen sollen an den Studentenflügel der regierenden Awami League. In sein Heimatland Myanmar könne er nicht zurück, weil man entführt, getötet und verachtet werde. Die Buddhisten würden die Muslime verachten.
I.2. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 09.04.2018 legte der BF eine Kopie des Familienbuches vor. Weiters führte der BF zu seinen Fluchtgründen befragt näher aus, dass er, als er drei Jahre alt war, mit seiner Familie von Myanmar nach Bangladesch gezogen sei.
Als er klein war hätten ihn seine Eltern verkauft. Er habe fünf Geschwister, er wisse aber nicht, wo sich seine Familienangehörigen befänden.
Der BF ist nicht verheiratet, hat keine Kinder.
Der BF war nie in der Schule. Von 2002 bis 2005 habe der BF in einem Restaurant gearbeitet, danach sei er bis 2009 Rikscha-Fahrer gewesen. Als er in späteren Jahren, von 2009 bis 2016, (illegal) ein kleines Lebensmittelgeschäft führte, wollten Mitglieder der Chattro-League, dem Studentenzweig der regierenden Awami League, immer bei ihm gratis essen und hätten auch Schutzgeld erpresst. Als die Schutzgelderpressungen begonnen haben, habe er sich entschlossen das Land zu verlassen.
Andere Fluchtgründe habe der BF nicht.
In Österreich habe er eine Bekannte, die sich um ihn kümmert, andere Personen kenne er nicht. Er besuche einen Deutschkurs und könne sich ein wenig verständigen. Er lebt von der Grundversorgung.
I.3. Am 17.06.2020 erfolgte eine neuerliche Einvernahme des BF.
Hinsichtlich seiner Fluchtgründe wiederholte der BF sein Vorbringen. Darüber hinaus gab der BF an, dass er auch der Polizei Bestechungsgeld zahlen musste, weil er als Rohingya kein Geschäft führen dürfe. Wenn er nicht zahlte, wurde er geschlagen.
Hinsichtlich seiner Lebensverhältnisse in Österreich haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.
Der BF gab im Zuge der Einvernahme auch einen Patientenbrief des XXXX XXXX ab, mit der Diagnose bei Entlassung auf pulmonale Tuberkulose im rechten Oberlappen, Bronchialsekret, PCR positiv, Vitamin D Mangel. Eine Ansteckungsgefahr sei nicht gegeben.
I.4. Das BFA führte weitere Recherchen im Rahmen der Staatendokumentation im Zusammenhang mit der Abstammung des BF durch, konnte jedoch zu keinen klaren Ergebnissen gelangen. Zwar existierte das ursprünglich genannte Camp zwischen 1993 und 1998, aber Namenslisten der Bewohnerinnen und Bewohner konnten nicht mehr erstellt werden. In weiterer Folge führte das BFA zusätzliche Erhebungen durch, denen Zufolge das UNHCR mitteilte, dass eine Familie mit den im Familienbuch genannten Personen nach Myanmar repatriiert worden sei.
I.5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.06.2020 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass einer Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt werde (Spruchpunkt VI.). Eine Frist gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise wurde nicht festgesetzt (Spruchpunkt VII.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der BF seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingyas nicht ausreichend darlegen konnte. Der BF habe auch eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen habe können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.6. Am 06.08.2020 erhob der BF durch seinen im Spruch genannten Rechtsanwalt Beschwerde und beantragte, ihm den Status des Asylberechtigten zu gewähren, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, und die Rückkehrentscheidung und den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben.
Begründend wurde auf das bisher Vorgebrachte verwiesen. Im Gegensatz zur Ansicht des BFA habe der BF damit ein in sich geschlossenes, immer gleichbleibendes, nachvollziehbares Vorbringen erstattet, aus dem sich eine Verfolgung der Minderheit der Rohingyas, welche auch im Länderbericht einschlägig dokumentiert sei, ergebe.
Neben den Anträgen auf Zuerkennung des Internationalen Schutzes stellte der BF auch den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung des Beschwerde.
I.7. Mit Schreiben vom 26.08.2020 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.09.2020, XXXX wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
I.9 Mit der Ladung zur Verhandlung des BVwG wurde dem BF der aktuelle Länderbericht (Stand Juni 2021) zur Stellungnahme übermittelt.
I.10. Am 17.08.2021 fand im Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung mit dem BF, seinem Rechtsvertreter sowie dem Dolmetscher für die Sprache Bengali (und mit Kenntnissen der burmesischen Sprache) statt.
Zusammengefasst gab der BF an, dass er derzeit gesund sei. Als er nach Österreich kam habe er Tuberkulose gehabt, nunmehr nehme er Medikamente und muss nicht mehr so oft zum Arzt gehen.
Zu seiner Familie, Eltern, Bruder, vier Schwestern, habe er keinen Kontakt. Er wisse nicht, wo sie sich aufhalten, wobei sich der BF bei der Antwort eines Schmunzelns nicht erwehren konnte.
Der BF gab an, dass er mit seiner Familie, als er drei Jahre alt war, von Myanmar nach Bangladesch geflüchtet sei. Noch als kleiner Bub – ca. im Alter von fünf Jahren – sei er an einen Bengalen verkauft worden. Er habe in einer Moschee eine Koranausbildung erhalten und ein wenig Arabisch gelernt. Seine Geschwister seien nicht verkauft worden.
Befragt, warum nicht sein um zwei Jahre älterer Bruder verkauft worden sei, meinte der BF, dass dieser als Riksha-Fahrer und Flaschensammler gearbeitet habe. Nachgefragt, meinte der BF, dass „in Bangladesch ja 3, 4 Jahre alte Kinder Riksha und Fahrrad“ fahren könnten.
Seine Zieheltern hätten ihn mitgenommen und diese hätten jedoch nach einigen Jahren selber noch Kinder bekommen. Die Ziehmutter habe daraufhin den BF mehr von der Familie abgehalten. Er habe „dies und das“ machen müssen und sei immer aufgefordert worden, „Sachen zu erledigen“. Der BF sei bis 2002 bei der Ziehfamilie gewesen. Der Ziehvater habe ihn geliebt, die Ziehmutter hingegen nicht.
Der BF habe keine Schul- oder Berufsausbildung erhalten; er sei dann (2002) vom Ziehvater in ein Restaurant gebracht worden, wo er drei Jahre als Reinigungskraft arbeitete. Danach (von 2005 bis 2009) habe er als Riksha-Fahrer gearbeitet, danach „ein kleines Geschäft auf der Straße“ eröffnet und dieses bis 2016 betrieben.
Zu seinen Sprachkenntnissen befragt gab der BF u.a. an, dass er die Sprache der Rohingya zwar verstehe, aber er könne es nicht flüssig sprechen. Die Rohingyasprache sei der örtliche Dialekt in Chittagong und Bengali sei die Hochsprache. Er habe sich von 1992 bis 2016 mehr in Bengali unterhalten, weil er mit der bengalischen Sprache aufgewachsen sei.
Zum Nachweis seiner Abstammung als Rohingya legte der BF das Original des „Familienbuches“ (im Administrativakt kopiert, AAS 41 bis AAS 69) vor. Als der BF verkauft worden sei habe man ihm das Buch mitgegeben „als ein Beweismittel für den Fall eines rechtlichen Schutzes“. Auf die Feststellung und Frage, dass das Familienbuch ja die Versorgung der gesamten Familie im Camp sichergestellt habe (zB Lebensmittelausgabe, Kleidung, medizinische Versorgung) und mit der Übergabe des Familienbuches an ihn ja die gesamte sonstige Familie (Eltern, Bruder, Schwestern) keinen Schutz und keine Versorgung gehabt hätten, meinte der BF, die anderen seien ja bei der Lagerleitung aufgeschrieben gewesen. Nachgefragt, dass ja auch die Geschwister keinen Nachweis ihrer Herkunft – und damit „rechtlichen Schutz“ gehabt hätten - verwies der BF auf einen eigenen „roten Zettel“, auf den sein Name stünde. Über Befragung des Rechtsanwaltes gab der BF an, die Familie hätte „eine Kopie“ des Familienbuches erhalten, er das Original (eine derartige Aussage machte der BF im Administrativverfahren nicht). Die Kopie hätte für die Familie „genügt“. Selbst eine „Kopie“ sei nicht erforderlich gewesen, oft habe es genügt, eine Nummer zu nennen oder sein Gesicht zu zeigen (was insoferne nicht glaubhaft ist, weil im Buch zahlreiche wöchentliche Eintragungen vorhanden sind).
Konkret zum Ergebnis der Staatendokumentation vom 08.06.2018, Seite 4, 3. Absatz, befragt (AAS 150), der zu Folge von repatriierten Rohingyas die Familienbücher durch Abschneiden eines Eckes gekennzeichnet wurden, und der BF ein derart markiertes Familienbuch vorgelegt habe, hatte der BF keine Erklärung dazu.
Unter Hinweis und Nachfrage des eigenen Rechtsanwaltes des BF darüber, dass in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation das UNHCR am 02.06.2020 angab, dass eine Person mit dem vom BF angegebenen Namen am XXXX nach Myanmar repatriiert worden sei, meinte der BF lapidar, er wisse nichts davon (BVwG VS 11).
Zu seinen Lebensumständen in Österreich gab der BF an, er habe keine Kinder.
Mühsam, und vom BF verschleiernd beantwortet, gestaltete sich die Befragung hinsichtlich einer Beziehung in Österreich, die der BF letztlich verneinte (VP: „Haben Sie eine Beziehung in Österreich?“; BF: „Es gibt eine Dame mit der ich mich treffe, ich gehe zu ihr und sie kommt zu mir“; VP: „Haben Sie mit ihr eine Liebesbeziehung?“; BF: „Sowas“; VP: „Ist diese Dame eine Österreicherin?“; BF: „Ja“; VP: „Wie heißt sie?“; BF: „Helga“; VP: „Wie noch?“; BF: „Helga, Nummer habe ich schon“; VP: „Wie oft sehen Sie Helga?“; BF: „In der Woche zwei bis drei Mal“; VP: „Was arbeitet Helga?“; BF: „Jetzt arbeitet sie nicht, sie ist Pensionistin“; VP: „Wie alt ist denn Helga?“; BF: „63“; VP: „Und Sie haben mit Helga eine Liebesbeziehung?“; BF: Eine Liebesbeziehung heißt nicht gleich sexuell. Es gibt viele Arten der Liebe“; VP: „Haben Sie mit Helga eine Liebesbeziehung im Sinne einer ehevergleichbaren Beziehung?“; BF: „Nein, nein. Solch eine nicht“).
Die Deutschkenntnisse des BF, zertifiziert auf dem Niveau A2, stellten sich in der Verhandlung für eine Basisunterhaltung als ausreichend dar, wobei der Sprachwortschatz begrenzt ist und die Antwort nicht in vollen Sätzen erfolgten.
Der BF habe bengalische Freunde, sonst noch einen Afrikaner. Darauf angesprochen, dass angeblich Bengali mit Rohingyas nichts zu tun haben wollen, meinte der BF, seine derzeitigen bengalischen Freunde, mit denen er auch zusammenwohne, wüssten nicht, dass er ein Rohingya sei.
Die Miete betrage ca € 150. Er mache seit einem Monat die „Zeitungsarbeit“, und erwarte dafür ca 800 bis 850 Euro monatlich. Er besitze ein Fahrrad.
Der BF war bei keiner politischen Partei.
Nach seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er, als er das Geschäft auf der Straße hatte, verschiedene politische Parteien Probleme gemacht hätten. Deshalb habe sein Vater (wohl: Ziehvater) gemeint, er könne hier nicht überleben. Wirtschaftlich gab es für den BF keine Zukunft. Er hätte von den Einnahmen nicht leben können. Er habe den Entschluss gefasst das Land zu verlassen, als „verschiedene Burschen von verschiedenen politischen Parteien“ (BVwG VS 15) Schutzgeld von ihm verlangt hätten, ihn beschimpften und ihm drohten, dass er dort nicht arbeiten dürfte, wenn er nicht zahle. Er sei dann mit Unterstützung des Vaters (wohl Ziehvaters) hierhergekommen. Sein Vater wisse nicht, dass er in Österreich sei, sie hätten nicht „so Kontakt“.
Der BF sei Schutzgelderpressungen ausgesetzt gewesen. Er sei „nur von einer Partei“, von Mitgliedern der XXXX , erpresst worden (BVwG Vs 16). Sie hätten jeden Monat „80.000 Taka“ (entspricht ca 780 Euro) Schutzgeld verlangt. Die Polizei habe wegen seiner Tätigkeiten 300 Taka verlangt. Diese Beträge seien „von zwei, drei Geschäften“ verlangt worden, „alle Geschäfte dort auf der Straße waren illegal“, auch die der „anderen Bengalen“. Nachgefragt gab der BF an, dass „von allen Geschäftsleuten Schutzgeld erpresst worden sei“. Gefragt, ob die 300 Taka, welche die Polizei verlangte, Strafen waren, meinte der BF „Die Polizei nahm immer 300 Taka und wir mussten das bezahlen“. Sie hätten die Geschäftsleute auch mit Polizeistöcken geschlagen, einen Knochenbruch habe der BF nicht gehabt, aber eine Fleischwunde. Gegen die Schutzgelderpressungen habe er sich nicht gewehrt, weder mit einem Anwalt oder mit Anzeigen, weil eine solche gar nicht aufgenommen werden würde.
Falls der BF nach Bangladesch zurückkehren müsste, müsste er in das Lager gehen mit dem Buch und man würde ihn registrieren. Er müsste sich „mit ihnen bekriegen und überleben“. Die Polizei würde ihn misshandeln und belästigen. Der engagierte Rechtsvertreter wies darauf hin, dass zwischen 2017 und 2020 mutmaßlich 100 Rohingyas außergerichtlich hingerichtet worden seien und die Fälle bis dato noch nicht untersucht wurden.
Nochmals zu seinen Geburtsdaten nachgefragt – im Familienbuch ist lediglich „1989“ vermerkt – gab der BF an, er habe den „28.10.“ erfunden, weil sein Ziehvater ihm gesagt habe, dass er im Oktober geboren sei und „es das Geburtsdatum von XXXX “ ist (Anm: XXXX ).
Nicht vergessen aufschiebende Wirkung
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Festgestellt wird, dass die Identität des BF nicht geklärt ist.
Festgestellt wird, dass der volljährige BF behauptet in Myanmar geboren zu sein, vermutlich im Oktober 1989, und dass er mit seiner Familie im Jahr 1993 nach Bangladesch in ein Camp gekommen sei. Festgestellt wird, dass die Angabe des konkreten Geburtsdatums ( XXXX ) vom BF frei erfunden wurde.
Der BF legte zum Beweis seiner Abstammung ein Rohingya-Familienbuch vor, welches jedoch die Kennzeichnung einer repatriierten Familie aufweist (UNHCR; Staatendokumentation).
Festgestellt wird, dass das UNHCR zu der Person, dessen Namen der BF vorgibt zu haben, ausführte, dass diese Person am XXXX nach Myanmar repatriiert wurde.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet als Fünfjähriger von einem Bengalen gekauft worden zu sein.
Der BF arbeitete nach seinen Angaben ab 2002 in Bangladesch als Reinigungskraft in einem Restaurant, von 2005 bis 2009 als Riksha-Fahrer, danach betrieb er bis 2016 ein kleines Geschäft auf der Straße, welches illegal war.
Der BF hat nach seinen Angaben keinen Kontakt zu seiner Familie oder zur Ziehfamilie.
Der BF hat keine Verwandten in Österreich, er hat keine Kinder.
Der BF hat keine Beziehung in Österreich.
Der BF hat Freunde, darunter eine österreichische Pensionistin, einen Afrikaner und seine bengalischen Mitbewohner. Festgestellt wird, dass nach den Angaben des BF seine Mitbewohner bisher nicht bemerkt hätten, das der BF ein Rohingya sei. An Miete zahle er € 150,- .
Der BF, der ein Fahrrad besitzt, arbeitet als Zeitungszusteller und verdient bis zu € 850,- . Die Deutschkenntnisse des BF (zertifiziert A2) sind für eine Basisverständigung ausreichend, aber der Sprachwortschatz ist begrenzt und die Antworten erfolgen nicht in vollen Sätzen.
Der BF hatte Tuberkulose und ist – unter Einnahme von Medikamenten – soweit gesund; er ist arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten.
II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Es wird nicht festgestellt, dass der BF ein Rohingya ist.
Festgestellt wird hingegen, dass der BF unter der Vorlage eines als „repatriiert“ gekennzeichneten Familienbuches (vgl. zur angegebenen Person konkrete Auskunft der UNHCR) eine Abstammung aus Myanmar behauptet.
Festgestellt wird, dass Dokumente jeglicher Art, somit auch (repatriierte) Familienbücher von Rohingyas, in Bangladesch ohne Probleme erworben werden können (Länderinformation).
Festgestellt wird, dass der BF nicht glaubhaft darlegen konnte, weshalb er im Besitz des originalen Familienbuches ist, während seine Familie (Eltern, Geschwister), welche angeblich weiterhin im Camp blieben und das Familienbuch für die Unterstützungen (Essen, Kleidung, medizinische Versorgung etc.) im Camp benötigt hätten, nur eine „Kopie“ des Familienbuches besessen hätten.
Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Angaben nicht politisch tätig war und keiner Partei angehörte.
Festgestellt wird, dass der BF illegal „ein Geschäft auf der Straße“ betrieb. Festgestellt wird, dass der BF widersprüchliche Angaben hinsichtlich behaupteter Schutzgelderpressungen machte („verschiedenste Burschen von verschiedenen politischen Parteien“, „die Partei ist nur eine, die XXXX , soweit ich weiß“).
Festgestellt wird, dass der BF regelmäßig – genauso wie andere Bengalen – der Polizei 300 Taka bezahlen musste, wobei nicht feststellbar war, ob dies eine Strafe für den illegalen Straßenhandel war. Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Aussagen auch mit Schlagstöcken vertrieben wurde und dabei eine Platzwunde erlitt.
Festgestellt wird, dass der BF sich gegen Schutzgelderpressungen (wegen seiner illegalen Geschäftstätigkeiten) nicht mit einem Anwalt oder einer Anzeige gewehrt hat, welche – nach seinen Vorstellungen - nicht aufgenommen worden wäre.
Festgestellt wird, dass der Ziehvater des BF diesem geraten habe, das Land zu verlassen, weil er mit dem illegalen Straßenhandel keinen wirtschaftlichen Erfolg erwarten könne.
Gegen den BF liegen in Bangladesch weder Anzeigen noch ein Gerichtsverfahren vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von bengalischen Behörden gesucht wird oder dass ein aufrechter Haftbefehl gegen ihn besteht.
Ein weiteres konkretes, die Flucht auslösendes Vorbringen wurde nicht erstattet.
Es wird auf Grund der aktuellen Länderberichte festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch der BF einer unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung nicht ausgesetzt ist.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19
Letzte Änderung: 08.06.2021
Der Regierung wird vorgeworfen, dass die Vorbereitung auf die Viruserkrankung im Inland inadäquat gewesen sind. COVID-19-Testungen waren zunächst nur in der Hauptstadt Dhaka möglich gewesen. Anfang April 2020 nahmen Diagnostikeinrichtungen am Rajshahi Medical College und am Cox's Bazar Medical College ihre Tätigkeiten auf und testen seitdem Bewohner ihrer jeweiligen Regionen auf eine Infektion mit COVID-19. Mit Ende März 2020 erließ die Regierung weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Das Transportwesen, Einkaufsmöglichkeiten, behördliche Dienste und anderes wurden auf das nötigste reduziert. Von den erlassenen Kontakt- und Arbeitsbeschränkungen ist ein Großteil der bangladeschischen Bevölkerung betroffen. Viele stehen dadurch vor unmittelbar existenzbedrohenden finanziellen Risiken. Viele Großaufträge beispielsweise im Bereich der Textilindustrie wurden zurückgezogen. Diese Maßnahmen bedeuteten einen Wegfall der Einkommensgrundlage von 4,1 Millionen Textilarbeitern, die zu den Geringverdienern in Bangladesch zählen. Einige Textilfabriken stellten jedoch ihre Produktion teilweise auf die Herstellung von Atemschutzmasken und Schutzanzügen um. Lokale Initiativen von einkommensstärkeren Personen versuchen, die Grundversorgung von einkommensschwächeren Familien durch die Verteilung von Lebensmitteln in den jeweiligen Anwohnergebieten aufrecht zu erhalten. Auch die Regierung hat erste staatliche Entlastungsprogramme in die Wege geleitet. Darunter Programme zur finanziellen Unterstützung der in der Landwirtschaft Tätigen oder für Personen, die in extremer Armut leben (GIZ 11.2020; vgl. ÖB 9.2020). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Millionen Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Millionen rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Der durch die Regierung verhängte umfassende Lockdown war de facto jedoch immer brüchig und wurde einmal mehr und einmal weniger eingehalten. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Angesichts der historisch niedrigen Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung im Land erwiesen sich die Einrichtungen als unzureichend, schlecht vorbereitet und schlecht ausgerüstet, um die Krise zu bewältigen (AI 7.4.2021). Die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen. Landesweit sind etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar. Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020b).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens aufgrund des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs dar. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
COVID-19 erhöht Risiken im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und setzen Frauen und Kinder zusätzlichen Bedrohungen aus (iMMAP 3.2021).
Die Behörden gehen gegen Journalisten und Medien vor, die kritisch über die Reaktion der Regierung auf die COVID-19-Pandemie berichten (HRW 20.5.2021; vgl. AI 19.5.2021). Kritische Journalisten sehen sich systematischen Verleumdungsklagen ausgesetzt (ÖB 9.2020). Eine Überwachung von Personen, die "Gerüchte" über die Covid-19-Pandemie verbreiten könnten, wird verstärkt, die Medienzensur verschärft (HRW 20.5.2021).
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen im April 2021 Tagen stark angestiegen, wurden die Anfang April 2021 eingeführten Abriegelungsmaßnahmen, die auch die Schließung von Geschäften beinhaltet, aufgrund der sich verschlechternden Situation weiter verschärft (BAMF 12.4.2021).
Das Außenministerium des Landes bestätigt Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Massenimpfprogrammes wegen einem Fehlen an den dafür notwendigen Impfstoff-Dosen. Bisher hat Bangladesch erst 7 Millionen Dosen (darüber hinaus schenkte Indien 3,2 Millionen Dosen separat) einer vertraglich mit Indien vereinbarten Menge von 30 Millionen Dosen des vom Serum Institute of India hergestellten Oxford AstraZeneca-Impfstoffs erhalten (AnAg 22.5.2021).
Um eine Übertragung von den als ansteckender eingestuften Varianten des COVID-19-Virus aus Indien zu verhindern, wurden Flüge abgesagt und Grenzen geschlossen (TG 5.5.2021).
Quellen:
? AnAg – Anadolu Agency (22.5.2021): Bangladesh extends border lockdown with India, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-extends-border-lockdown-with-india/2251062, Zugriff 25.5.2021
? AI – Amnesty International (19.5.2021): Bangladesh: Rozina Islam must not be punished for her journalistic work, Zugriff 19.5.2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2051859.html, Zugriff 1.6.2021
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff 18.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 17.5.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 17.5.2021
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest [Deutschland] (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? HRW – Human Rights Watch: Bangladesh (20.5.2021): Arrest of Journalist Investigating Corruption, https://www.ecoi.net/de/dokument/2052025.html, Zugriff 1.6.2021
? iMMAP – Information Management and Mine Action Programs (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (3.2021): COVID-19 Situation Analysis , https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iMMAP_COVID-19_Bangladesh_Analysis%20Report_032021.pdf, Zugriff 17.5.2021ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? TG – The Guardian (5.5.2021): India’s neighbours close borders as Covid wave spreads across region, https://www.theguardian.com/world/2021/may/05/indias-neighbours-close-borders-as-covid-wave-spreads-across-region, Zugriff 25.5.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Unabhängigkeit und der Übergang zur Demokratie brachten ein Einparteiensystem, mehrere Militärputsche (1975 und 1982), zwei Übergangsregierungen, Ausnahmezustände und Machtkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga (AL). Die beiden Parteien regieren Bangladesch seit 1991 abwechselnd (OMCT 7.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch. Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 30.3.2021; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der BNP und der AL als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit um die Führung des Landes konkurriert haben. Unterstützt werden die beiden Parteien von einem kleinen Kreis von Beratern (FH 3.3.2021). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die "Große Allianz" um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019). Diese waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a). Die rivalisierenden Parteien AL und BNP dominieren die Politik und schränken die politischen Handlungsmöglichkeiten für diejenigen ein, die parteiinterne Strukturen oder Hierarchien in Frage stellen oder alternative Parteien oder politische Gruppierungen gründen wollen, Animositäten zwischen den Parteispitzen von AL und BNP die sich bis in die Kader der unteren Ebenen ziehen, haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (FH 3.3.2021).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses (FIDH 29.12.2018). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit diese auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021).
Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 28.5.2021)
? FIDH - International Federation for Human Rights (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? OMCT – World Organisation Against Torture (7.2019): Cycle of Fear - Combating Impunity for Torture and Strengthening the Rule of Law in Bangladesh, https://www.omct.org/files/2019/07/25475/cycleoffear_bangladesh_report_omct.pdf, Zugriff 1.6.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 28.5.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Die Sicherheitslage in Bangladesch ist volatil und kann sich kurzfristig deutlich verschlechtern (EDA 27.5.201; vgl. DFAT 22.8.2019). Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen latente Spannungen, die sich teilweise ohne grosse Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstössen entladen können (EDA 27.5.2021). Terroristische Anschläge islamistischer Extremistengruppen verfügen über ein Gefährdungspotential gegenüber dem Staat (DFAT 22.8.2019). 2017 kam es im Land zu mehreren Selbstmordattentaten (SATP 26.5.2021a). Der "Islamische Staat" ruft zu weiteren Attentaten auf (BMEIA 27.5.2021).
Die Regierungen Bangladeschs stehen vor der Herausforderung, mit extremistischen islamistischen Gruppen umzugehen, die Gewalt gegen eine Vielzahl von staatlichen und zivilen Zielen planen oder ausführen können. Von den Behörden wurde auf solche Angriffe stets robust reagiert. Wichtige militante Gruppen wurden verboten und Hunderte von Kämpfern verhaftet. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Sicherheitsoperationen gegen militante Gruppen zu einer hohen Zahl von außergerichtlichen Tötungen führen (DFAT 22.8.2019).
Es wird davon ausgegangen, dass Operationen gegen terroristische Gruppen, zusammen mit der sich allmählich verbessernden Koordination der Regierung bei der Terrorismusbekämpfung, die Fähigkeiten militanter Gruppen verringert haben. Trotzdem kann das Risiko weiterer Anschläge nicht ausgeschlossen werden (DFAT 22.8.2019). Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 99 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2020 wurden 88 solcher Vorfälle, bis zum 26.5.2021 wurden insgesamt 35 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 28.5.2021b).
Bangladesch hat seine Ansprüche an den Seegrenzen zu Myanmar und Indien an den Internationalen Seegerichtshof herangetragen; der Besuch des indischen Premierministers Singh im September 2011 in Bangladesch führte zur Unterzeichnung eines Protokolls zum Landgrenzenabkommen zwischen Indien und Bangladesch von 1974, das die Beilegung langjähriger Grenzstreitigkeiten über nicht abgegrenzte Gebiete und den Austausch von territorialen Enklaven vorsah, aber nie umgesetzt wurde (CIA 4.5.2021). An der Grenze zu Indien kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden dabei Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren oder sich im Nahbereich der Grenze befinden (DT 22.12.2020).
Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen, insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt (EDA 27.5.2021; vgl. CIA 4.5.2021). Die Rohingya werden von den Behörden Bangladeschs als zusätzlichen Sicherheitsbedrohung in Cox's Bazar mit möglichen Auswirkungen auf kommunale Gewalt, Menschenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel und einhergehenden möglichen Radikalisierungen wahrgenommen (DFAT 22.8.2019). Durch die myanmarischen Grenzbehörden wurde eine 200 km langer Drahtsperranlage, der illegale Grenzübertritte und Spannungen durch die militärische Aufrüstung entlang der Grenze verhindern soll, errichtet (CIA 24.5.2021).
Potential für Bedrohungen mit Bezug auf die Sicherheitslage haben ebeno politisch motivierte Gewalt (insbesondere im Vorfeld von Wahlen) (DFAT 22.8.2019). Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil der Gewalt im Land verantwortlich. Die Animositäten zwischen den beiden Parteien sowie zwischen den Kadern der unteren Ebenen haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (HRW 13.1.2021; vgl. ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 3.3.2021). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018). Im Jahr 2020 wurden 73 Tote und 2.883 Verletzte aufgrund politischer Gewalt sowie 2.339 Verletzte bei innerparteilichen Zusammenstößen registriert. Gewaltsame politische Proteste und wahlbezogene Gewalt hielten auch 2020 an (HRW 13.1.2021; vgl. ODHIKAR 25.1.2021).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene "Studentenorganisationen". Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Es kommt zu Fällen krimineller Gewalt, sowie zu sporadische Zusammenstößen in den Chittagong Hill Tracts (CHT) zwischen indigenen Gruppen und bengalischen Siedlern wegen Landbesitz und -nutzung (DFAT 22.8.2019). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden und sich in gewalttätige Auseinandersetzungen entladen (UKFCO 27.5.2021; vgl. AA 28.7.2020, AI 1.4.2021). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie etwa Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland [Deutschland] (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AI – Amnesty International (1.4.2021): Bangladesh authorities must conduct prompt, thorough, impartial, and independent investigations into the death of protesters and respect people’s right to peaceful assembly, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048271.html, Zugriff 27.4.2021
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (27.5.2021) (Unverändert gültig seit: 26.05.2021): Bangladesch (Volksrepublik Bangladesch) – Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 27.5.2021
? CIA – Central Intelligence Agency [USA] (24.5.2021): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/bangladesh/, Zugriff 28.5.2021
? DT – DhakaTribune (22.12.2020): Bangladesh sees highest border deaths in 10 years, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/2020/12/22/bangladesh-sees-highest-border-deaths-in-10-years, Zugriff 25.5.2021
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (27.05.2021) (publiziert am 14.08.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 27.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 19.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ODHIKAR (25.1.2021): Annual Human Rights Report 2020, Bangladesh, https://www.fidh.org/IMG/pdf/annual-hr-report-2020_eng.pdf, Zugriff 28.5.2021
? SATP – South Asia Terrorism Portal (26.5.2021a): Yearly Suicide Attacks, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/suicide-attacks/bangladesh, Zugriff 28.5.2021
? SATP – South Asia Terrorism Portal (26.5.2021b): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2021, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 28.5.2021
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office [UK] (27.5.2021) (erstellt am: 24.5.2021): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, Political violence, Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 27.5.2021
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 08.06.2021
Das Militär hat sich seit der Unabhängigkeit mehrfach in die Politik eingemischt (DFAT 22.8.2019) und ist für die Landesverteidigung zuständig, jedoch auch für einige Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit verantwortlich (USDOS 30.3.2021). Nach einem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2012 hat die Awami League (AL) Berichten zufolge das Militär von Regierungskritikern, Anhängern der Oppositionsparteien und Offizieren mit engen Kontakten zum pakistanischen Militär gesäubert. Die Regierung hat Berichten zufolge auch die Gehälter erhöht, mehr hochrangige Positionen geschaffen, hochrangigen Offizieren wertvolles Land zugewiesen und dem Militär erlaubt, seine Kontrolle über die Chittagong Hill Tracts (CHT) und die dort lebenden indigene Bevölkerung zu konsolidieren (DFAT 22.8.2019). Die Streitkräfte sind gegenwärtig mit UN-Einsätzen sowie lukrativen Wirtschaftsverflechtungen ruhig gestellt (AA 21.6.2020). Das Militär untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 30.3.2021).
Die Sicherheitskräfte, die die nationale Polizei, den Grenzschutz und Antiterroreinheiten wie das Rapid Action Battalion umfassen, halten die innere und die Grenzsicherheit aufrecht. Zivilen Behörden behielten eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021).
Die Polizei von Bangladesch ist die wichtigste Strafverfolgungsbehörde des Landes und spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung im Land. Der Innenminister ist für das Ressort zuständig (DFAT 22.8.2019; vgl. USDOS 30.3.2021)
Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternimmt Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).
Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über zwei Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten "Bangladesch Police", die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).
Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. außergerichtliche Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete "Gang"-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020).
Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).
Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches "Platoon" [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).
Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).
Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen ab (ODHIKAR 25.1.2021). Die Sicherheitskräfte versuchen, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen "Kreuzfeuern" getötet (ODHIKAR 25.1.2021).
Die Sicherheitskräfte exekutieren nahezu ungestraft außergerichtliche Tötungen. Nach der Tötung eines pensionierten Militäroffiziers, sahen sich die Behörden jedoch gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, und die Zahl der "Opfer von Kreuzfeuern, Schießereien oder Begegnungsgefechten" - Euphemismen für außergerichtliche Tötungen - ging in einem hohen Ausmaß zurück. Dieser Faktor deutet darauf hin, dass die Behörden diesen Tötungen jederzeit ein Ende setzen können (HRW 13.1.2021).
Die Professionalität variiert innerhalb der Polizei. Das nationale System der Polizeiarbeit kann effektiv sein und die Polizei hat oftmals ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt, Verdächtige im ganzen Land aufzuspüren. Politische und bürokratische Einmischung stellen jedoch große Hindernisse für die Effizienz der Polizei dar. Mit der Regentschaft betraut, haben sowohl Awami League (AL) als auch die Bangladesh Nationalist Party (BNP) die Polizei benutzt, um oppositionelle Kräfte zu untergraben. Viele Politiker haben das stark bürokratisch geprägte Polizeiystem für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen missbraucht. Während leitende Beamte relativ gut ausgebildet und gut bezahlt werden und wichtige Positionen innerhalb der Bürokratie einnehmen, sind die unteren Ränge oftmal schlecht bezahlt, nur in einem geringen Maß ausgebildet und mangelhaft ausgestattet. Die niedrigen Gehälter ermutigen einige Polizisten, ihr Einkommen durch die Forderung von Bestechungsgeldern von Bürgern aufzubessern. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Polizei und den Sicherheitsdiensten hält viele Bürger des Landes davon ab, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um Hilfe zu suchen oder kriminelle Vorfälle zu melden. Ermittlungen zu polizeilichem Fehlverhalten sind intern und es mangelt ihnen im Allgemeinen an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Bangladeschis, insbesondere diejenigen mit Verbindungen zu Oppositionsparteien, eine Zusammenarbeit mit der Polizei vermeiden (DFAT 22.8.2019).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff 19.5.2021
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/document/2023864.html, Zugriff 12.11.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (22.8.2019): DFAT Country Information Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016264/country-information-report-bangladesh.pdf, Zugriff 19.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 9.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ODHIKAR (25.1.2021): Annual Human Rights Report 2020, Bangladesh, https://www.fidh.org/IMG/pdf/annual-hr-report-2020_eng.pdf, Zugriff 19.5.2021
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Allgemeine Menschenre