TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/6 W169 2209223-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2021
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Entscheidungsdatum

06.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68
BFA-VG §17
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W169 2209223-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2021, Zl. 1137834601-200608508 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und §§ 52, 53, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

III. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Erstes Asylverfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.12.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme und die Sprache Punjabi spreche. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der Jat an. Er sei ledig und kinderlos. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer von 2000 bis 2010 die Grundschule und von 2010 bis 2012 eine Allgemeinbildende Höhere Schule besucht. Zuletzt sei er als Landarbeiter tätig gewesen. In Indien würden die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers leben. Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer an, dass er im Zuge eines Grundstücksstreites mit seinem Nachbarn geschlagen und mit dem Umbringen bedroht worden sei. Er habe keine polizeiliche Hilfe erhalten, weil sein Streitgegner viele Freunde in der regierenden Partei habe, die Einfluss auf die Polizei hätten.

1.2. Laut Mitteilung des Magistrates der Stadt Wien vom 03.04.2017 hat der Beschwerdeführer am 01.04.2017 das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ angemeldet.

1.3. Am 21.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme und die Sprache Punjabi sowie etwas Englisch und Hindi beherrsche. Er gehöre der der Religionsgemeinschaft der Sikhs und Volksgruppe der Jat an, sei ledig und kinderlos. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer zwölf Jahre die Grundschule besucht und in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet; der Familie sei es finanziell durchschnittlich gegangen. Die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers würden auch weiterhin im Herkunftsort leben und finanziere sein Vater auch jetzt den Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft, indem er Grundstücke pachte. Der Beschwerdeführer habe Magenbeschwerden, sei aber ansonsten gesund.

Zu seinen Fluchtgründen brachte er insbesondere Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):

„ (…)

LA:      Wann haben Ihre Probleme in Indien begonnen?

VP:      Im 7. Oder 8. Monat 2016.

LA:      Erzählen Sie mir jetzt bitte ausführlich über Ihre Probleme bzw. über Ihren Fluchtgrund.

VP:      Unsere Grundstücke grenzten an den Grundstücken unseres Onkels. Mein Onkel meinte, wir sollten unsere Grundstücke verkaufen. Es gab einen Grundstückstreit mit meinem Onkel. Zu dieser Zeit ging ich oft zu den Feldern und arbeitete dort. Er bedrohte mich mit dem Tod. Ich wurde auch des Öfteren von ihm geschlagen. Wir gingen zur Polizei, aber die Polizei hörte nicht auf uns, weil sie bereits von meinem Onkel Geld bekommen haben. Deshalb unternahm die Polizei nichts dagegen. Ich wurde ein- bis zweimal brutalst geschlagen. Ich habe mich zu Hause nicht mehr sicher gefühlt. Der Onkel mit dem ich den Streit hatte ist ein weitschichtiger Onkel. Ein anderer Onkel wurde wegen dem Grundstückstreit im Jänner 2017 ermordet. Kurz nachdem ich im Dezember 2016 das Land verlassen habe. Sie haben Rache geschworen und gesagt, dass sie mich erledigen werden, da sie einen guten Kontakt mit der Polizei haben, wird die Polizei uns nicht unterstützen. Bis heute sprechen sie über mich und sagen, wenn er zurückkehrt, werden wir ihn vernichten. Nachdem mein Onkel im Jänner 2017 ermordet wurde, lebt meine Familie nicht mehr in Dakha. Sie haben sich eine Mietwohnung genommen und leben woanders.

LA:      Wo leben Sie jetzt.

VP:      Sie leben jetzt in XXXX . Befragt gebe ich an, dass diese Ortschaft ca. 150 km entfernt ist.

LA:      Erzählen Sie bitte weiter.

VP:      Das wars. Mehr gibt es nicht.

LA:      Erzählen Sie mir bitte genau wie die Drohung vom Onkel war.

VP:      Als ich auf der Landwirtschaft mit meinem Onkel arbeiten war, sah er uns immer schräg an. Mein Onkel und ich wurden mit dem Tod bedroht. Zweimal wurde ich sogar geschlagen. Ein Ziel wurde ja schon erreicht, meinen Onkel haben sie ja schon ermordet.

LA:      Wie wurden Sie bedroht, erzählen Sie mir Einzelheiten.

VP:      Mich haben sie mit Eisenstangen erschlagen, meinen Onkel haben sie erschossen.

LA:      Haben Sie schwere Verletzungen davongetragen, wurde diese im Spital behandelt?

VP:      Nein, ich war in keinem Spital. Ich wurde nicht so stark geschlagen, dass ich so schwere Verletzungen davon trug, dass ich ins Spital musste.

LA:      Wem gehörte das Grundstück.

VP:      Es war unser Grundstück.

LA:      Weshalb sind Sie und nicht Ihr Vater bedroht worden?

VP:      Mein Vater ging nicht zur Landwirtschaft. Nur ich und mein Onkel gingen dorthin.

LA:      Wer war das Familienoberhaupt in Ihrer Familie?

VP:      Eigentlich mein Vater.

LA:      Dann ist es absurd, dass Sie bedroht wurden. Kannte Ihr weitschichtiger Onkel Ihre Wohnadresse?

VP:      Ja, er hat mich ja auch persönlich zu Hause mit dem Tod bedroht. Als mein Onkel ermordet wurde, wurde er bei uns zu Hause mit einer Pistole erschossen. Deshalb lebt meine Familie nicht mehr in Dakha.

LA:      Wie Sie bedroht wurden, wo war Ihr Vater und Ihr Bruder?

VP:      Mein Bruder und mein Vater waren zu Hause.

LA:      Diese wurden nicht bedroht?

VP:      Wie gesagt, gingen sie nie auf die Felder, nur mein Onkel und ich gingen aufs Feld.

LA:      Wie lange ging der Streit schon?

VP:      Der Streit hat im Mai oder Juni 2016 begonnen.

LA:      Wie lange haben Sie die Grundstücke schon?

VP:      Schon lange. Befragt gebe ich an, dass wir die rechtmäßigen Besitzer des Grundstückes sind.

LA:      Weshalb kam es erst jetzt zum Streit?

VP:      Den Streit gibt es schon lange und ich bin im Dezember 2016 hierher geflüchtet.

LA:      Vor dem Jahr 2016 gab es den Streit nicht?

VP:      Nein. Befragt gebe ich an, der Grund ist, da unser Grundstück an sein Grundstück grenzt und er verlangt unser Grundstück.

LA:      Die Grundstücke grenzten aber schon vor dem Jahr 2016. Weshalb kam es so spät zum Streit?

VP:      Das kann ich mir auch nicht erklären. Früher war der Wert des Grundstückes nicht so hoch. Befragt gebe ich an, dass jetzt das Grundstück nicht mehr bewirtschaftet wird. Vorher haben wir Weizen und Reis angebaut.

LA:      Es wäre möglich gewesen, dass Sie in eine andere Stadt gehen hätten können.

VP:      Ich habe einen Schlepper gefunden und habe mich nicht mehr sicher gefühlt, daher habe ich diese Entscheidung getroffen.

LA:      Wo haben Sie den Schlepper gefunden?

VP:      Bei der Busstation in Ludhiana.

LA:      Wie war das dann mit dem Schlepper, erzählen Sie bitte. Wie viel Zeit verging, bis Sie tatsächlich ausreisten.

VP:      Nach ca. 20 bis 25 Tagen bin ich ausgereist.

LA:      Wo waren Sie in der Zwischenzeit aufhältig?

VP:      Bei meiner Tante mütterlicherseits in Raipur. Befragt gebe ich an, dass das ca. 70-80 km von Dakha entfernt ist.

LA:      Wie sind Sie da hingekommen?

VP:      Mit dem Bus.

LA:      Waren Sie bei Ihrer Tante sicher?

VP:      Nein. Befragt gebe ich an, dass ich aber 20-25 Tage bei ihr lebte.

LA:      Wie finanzierte sich ihre Familie jetzt den Lebensunterhalt?

VP:      Mein Vater arbeitet in der Landwirtschaft, er pachtete Grundstücke.

LA:      Haben Sie eine Straftat in Indien begangen?

VP:      Nein. Es gibt eine Anzeige.

LA:      Wo hat er diese erstattet.

VP:      In Dakha.

(…)“.

Zu den Lebensumständen in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er im Bundesgebiet keine Angehörigen habe. Der Beschwerdeführer habe sich in St. Pölten einen Führerschein ausstellen lassen, wo er auch als Reklameverteiler tätig sei. Er habe bisher keine Kurse besucht, weil er kein dafür Geld habe. Der Beschwerdeführer habe nur indische Freunde im Bundesgebiet.

Am Ende der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, in die Länderberichte zur aktuellen Situation in Indien Einsicht zu nehmen und hierzu gegebenenfalls eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den von ihm behaupteten Verfolgungsgründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Unabhängig davon würde dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Fall einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der nicht übermäßig langen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte nach Wiederholung der Fluchtgründe aus, dass das Bundesamt einen großen Teil seiner Aussagen nicht zur Kenntnis genommen habe, sondern nur „selektiv, in tendenziöser Weise die Aussagen herausklaubt“ habe, „die der Argumentation des Bundesamtes zuträglich sind“. Der Beschwerdeführer habe genaue Zeit- und Ortsangaben gemacht, die Ereignisse chronologisch geschildert und hätte die Behörde auch den Bildungsgrad des Beschwerdeführers sowie seine Traumatisierung berücksichtigen müssen, zumal er versucht habe, bei der Wahrheit zu bleiben und nichts „dazu zu erfinden“. Aus dem Protokoll der Befragung gehe ferner hervor, dass die indischen Behörden ihm gegenüber schutzunwillig bzw. schutzunfähig gewesen seien. Die pauschale Behauptung, es gebe für jeden in Indien eine innerstaatliche Fluchtalternative, sei nicht zutreffend. Im Falle einer Abschiebung bestehe zudem die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung und wäre dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren, da er sich in eine existenzbedrohende Lage begeben würde. Ferner sei eine unzureichende Behandlung des Vorbringens hinsichtlich des Privat- und Familienlebens erfolgt. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

1.6. Mit Eingabe vom 15.11.2018 wurde als Beweismittel ein aus Indien geschickter, an den Beschwerdeführer adressierter, „First Information Report“ (in Kopie) in englischer Sprache vom 22.06.2016 vorgelegt, wonach es einen handgreiflichen Streit zwischen XXXX und XXXX gegeben habe sowie ein weiterer „First Information Report“ vom 27.01.2017 (ebenfalls in Kopie), wonach XXXX von einer anderen namentlich genannten Person angeschossen und ermordet worden sei.

1.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2020, Zahl: W169 2209223-1/3E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2018 als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubwürdig sei. Unabhängig davon würde dem Beschwerdeführer jedenfalls eine inländische Schutz- bzw. Fluchtalternative offenstehen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr sei nicht gegeben und würden sich auch aus der allgemeinen Situation alleine keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es wahrscheinlich wäre, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr im Sinne des § 8 AsylG bedroht wäre. Im Hinblick auf die Feststellungen zur allgemeinen Situation, wonach die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmittel gewährleistet sei, könne auch nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer, der in Indien aufgewachsen sei, im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geriete. Der Beschwerdeführer sei ein junger Mann, sodass es ihm zumutbar sei, sich in seiner Heimat den notwendigen Unterhalt zu sichern, was sich auch schon aus den Ausführungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative ergäbe. Er verfüge zudem in seiner Heimat über soziale Anknüpfungspunkte, weshalb auch von daher nicht angenommen werden könne, der Beschwerdeführer geriete im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage. Schwierige Lebensumstände genügten für eine Schutzgewährung im Sinne des § 8 AsylG nicht. Weiters wurde im Erkenntnis festgehalten, dass der Rückkehrentscheidung das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären und privaten Bindungen im Inland nicht entgegenstehen würde.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 16.07.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz und wurde er am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, Österreich seit Beendigung seines ersten Asylverfahrens nicht verlassen zu haben. Auf die Frage, warum er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle, gab der Beschwerdeführer an, dass er seine bisher im Verfahren gemachten Angaben aufrechterhalte und Folgendes ergänzen wolle: Er habe am 12.05.2020 seine jetzige Ehefrau nach „Sikh-Recht“ geheiratet. Folglich beantrage er den selben Schutzstatus wie seine Ehegattin. Er werde in Indien von seiner eigenen Familie und von seinen Verwandten mit dem Tode bedroht, da er seine jetzige Frau geheiratet habe, zumal sie Hindu sei und er der Religionszugehörigkeit der Sikhs angehöre. Seine Familie sei gegen die Hochzeit gewesen; er habe sie dennoch geheiratet und werde aufgrund dieser Tatsache mit dem Tod bedroht. Im Falle einer Rückkehr nach Indien fürchte er, umgebracht zu werden.

2.2. Am 03.08.2020 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er gesund sei, nicht in ärztlicher Behandlung stehe und auch keine Medikamente nehme. Er sei im Dezember 2016 in das österreichische Bundesgebiet erstmals eingereist und habe dieses bis dato nicht verlassen. Seine Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren seien nach wie vor aufrecht. Er habe aber auch neue Fluchtgründe. Auf die Frage, warum er einen Folgeantrag auf internationalen Schutz stelle, führte der Beschwerdeführer folgendes aus (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):

„ (…)

LA: Aus welchem Grund stellen Sie nun einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz? Was sind Ihre neuen Fluchtgründe?

VP: Ich habe ein Mädchen gehieratet. Sie ist Hindu und ich bin Sikh. Meine Familie ist sehr streng religiös. Ich habe mit der Familie gesprochen und sie haben der Hochzeit nicht zugestimmt. Der Vater hat gesagt, dass ich mit der Ehre der Familie gespielt habe. Die Dorfbewohner werden das auch nicht akzeptieren. Ich habe einen Anruf von meinem Bruder bekommen, er hat gesagt, dass die Familie sehr verärgert ist und ich nicht zurückkommen brauche. Wenn ich zurückkomme werde ich umgebracht.

LA: Wann haben Sie den Anruf vom Bruder bekommen?

VP: Der Anruf war am 15.05.2020. Das war zeit Tage nach meiner Hochzeit.

LA: Warum stellen Sie dann erst zwei Monate später einen Asylantrag?

VP: Ich habe nicht gewusst, dass mein Asylantrag negativ entschieden wurde. Den zweiten Antrag habe ich gestellt, nachdem mir gesagt wurde, dass der Bescheid negativ ist.

LA: Warum haben Sie die Bedrohung nicht bei der Erstbefragung angegeben. Sie haben dort nur angegeben, dass Sie den selben Titel wie Ihre Ehefrau, die Sie traditionell geheirtatet haben, wollen?

VP: Die Bedrohung kam erst nach der Hochzeit und seit der Hochzeit ist es die erste Einvernahme.

LA: Haben Sie in der EU bzw. in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet) bzw. sonstige Verwandte oder Angehörige?

VP: Nein.

LA: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Lebensgemeinschaft oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft?

VP: Ich wohne mit meiner Frau zusammen.

LA: Wieso sind Sie an einer anderen Meldeadresse gemeldet als Ihre Frau?

VP: Wir haben vor diesen Monat einen neuen Meldezettel zu machen. Meine Frau hat Probleme mit der Terminen. Diesen Monat haben wir vor einen neuen Meldezettel zu machen.

LA: An welcher Adresse werden Sie dann wohnen?

VP: Wir werden auf meiner Meldeadresse wohnen.

LA: Seit wann wohnt Ihre Frau bei Ihnen?

VP: Seit 12.05.2020 wohnen wir beide zusammen.

LA: Ihre Frau ist heute auch mit, warum war es ihr bis jetzt nicht möglich sich umzumelden?

VP: Sie hat beruflich keine Zeit und am Wochenende geht es nicht. Unter der Woche arbeitet sie durch-Nachgefragt- Die Eltern meiner Frau haben für eine Gemeindewohnung angesucht auf den Namen meiner Frau und deshalb hat sie den Termin noch nicht gemacht mit dem Meldezettel. Wir haben vor es diesen Monat zu machen. Die Adresse wo Sie jetzt wohnt läuft auf den Namen meiner Frau und die Eltern werden dort wohnen bleiben und deshalb ging die Ummeldung nicht.

LA: Seit wann kennen Sie Ihre Frau?

VP: Seit Sommer 2018.

LA: Seit wann sind Sie in einer Beziehung mit Ihrer Frau?

VP: Im Sommer 2018 haben wir uns kennengelernt und nach 2 Monaten war die Verlobung.

LA: Das heißt Sie sind seit 2018 mit Ihrer Frau verlobt?

VP: Ja.

Anm.: Nach der Rückübersetzung gibt der AW an, dass die Verlobung im Juli 2019 war.

LA: Haben Sie diese Beziehung in Ihrem Vorverfahren angegeben?

VP: Als ich das zweite Mal um Asyl angesucht habe, habe ich es angegeben-Nachgefragt-Nein beim ersten Antrag habe ich das nicht angegeben, da waren wir noch nicht in einer Beziehung.

LA: Warum haben Sie die Beziehung in Ihrer Beschwerde nicht angegeben. Sie haben diese im November 2018 gemacht, also zu diesem Zeitpunkt hat die Beziehung laut Ihren Angaben schon bestanden?

VP: Ich kann mich nicht erinnern. Da waren wir noch nicht klar, es gab den Konflikt mit der Familie und deswegen habe ich darübe nichts gesagt.

LA: Wann haben Sie die Beziehung offiziell gemacht?

VP: Im Mai 2019 haben wir die Beziehung offiziell gemacht.

LA: Ist eine standesamtliche Hochzeit geplant und wenn ja wann?

VP: Wir haben im Sikh Tempel geheiratet, weil ich keine Dokumente habe.

LA: Wann und wo haben Sie Ihre Frau kennegelernt?

VP: Wir haben uns über TikTok kennegelernt und da haben wir uns unterhalten. Wir haben uns da ausgemacht und uns treffen werden und dann haben wir uns regelmäßig getroffen-Nachgefragt- Seit Juni 2018 treffen wir uns regelmäßig.

LA: Hatten Sie oder Ihre Frau zum Zeitpunkt des Kennelernen eine Beziehung?

VP: Anfang 2019 waren wir in einer Beziehung-Nachgefragt-Nein zu diesem Zeitpunkt war weder ich noch meine Frau in einer Beziehung.

LA: Welche Religion und welche Richtung hat Ihre Frau?

VP: Meine Frau ist von hinduistischer Religion.

LA: Wann wurde Ihre Frau geboren?

VP: Am 01.01.1995.

LA: Gingen oder gehen Sie in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach?

VP: Ich habe einen Gewerbeschein und Trage Zeitungen aus.

LA: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

VP: Mit dem Austragen von Zeitungen.

LA: Sind Sie in Österreich Mitglied in Vereinen oder Organisationen?

VP: Ich bin Mitglied von einem Verein, aber den Verein weiß ich nicht. Es ist der MigrantInnenverein St. Marx.

LA: Sie wurden am 16.07.2020 bei der LPD Wien, Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug, einer Erstbefragung unterzogen. Entsprechen diese Angaben der Wahrheit?

VP: Ja.

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie?

VP: Nein jetzt habe ich keinen Kontakt mehr. Seit ich diese Bedrohung bekommen habe, habe ich den Kontakt abgebrochen.

LA: Wie war diese Bedrohung? Telefonisch oder wurde es geschrieben?

VP: Telefonisch.

LA: Sie haben am 22.07.2020 eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 Z 4 übernommen, in der Ihnen mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, Ihren Antrag auf internationalen Schutz gem. § 68 AVG zurückzuweisen. Sie haben nunmehr Gelegenheit zur geplanten Vorgangsweise des Bundesamtes Stellung zu nehmen. Was spricht gegen die aufenthaltsbeendende Maßnahme, über die bereits rechtkräftig abgesprochen worden ist?

VP: Dazu möchte ich sagen, dass in meinem Heimtland eine Gefahr besteht und ich umgebracht werde, wenn ich zurückkomme. Jetzt habe ich eine Familie gegründet und will ein freidliches Leben führen. Jetzt bin ich verheiratet und habe kein Dokument, wenn ich wo hingehen will kann ich das nicht. Ich bitte um ein Dokument, damit ich heiraten kann und wo hingehen kann.

LA: Wann haben Sie denn Ihrer Familie von der Beziehung zu Ihrer Frau erzählt?

VP: Im Jänner 2020 haben wir entschieden zu heiraten und dann haben wir das der Familie mitgeteilt und die waren gegen diese Hochzeit.

LA: Was sagt die Familie Ihrer Frau zu dieser Ehe?

VP: Die haben kein Problem damit, die haben das akzeptiert.

LA: Sind Sie von Ihrer Frau finanziell abhängig?

VP: Wir beide beteiligen uns am Haushalt-Nachgefragt-Ja ich habe mein Einkommen und meine Frau hat ihr einkommen.

LA: Haben Sie schon mal versucht Dokumente von Indien zu bekommen, um hier heiraten zu können?

VP: Nein. Ich habe es nicht versucht und ich habe keine Dokumente dort.

LA: Waren Sie hier nie bei der Botschaft oder beim Konsulat und haben sich Dokumente hier in Österreich besorgt?

VP: Ich habe es nicht vesrsucht und mit hat das niemand gesagt. Davon weiß ich nichts.

LA: Ihre Familie befindet sich in Indien?

VP: Ja.

LA: Die Länderfeststellungen zu Indien wurden Ihnen ausgefolgt, Sie hatten die Möglichkeit zu einer schriftlichen Stellungnahme, eine solche ist bisher nicht erfolgt. Möchten Sie dazu jetzt eine mündliche Stellungnahme abgeben?

VP: Ich möchte dazu keine Stellungnahme abgeben.

LA: Im Fall einer neuerlich negativen Entscheidung würden Sie freiwillig nach Indien zurückkehren?

VP: Wenn ich keine Gefahr dort hätte, wäre ich gerne zurückgegangen. Da ich jetzt weiß, dass die Gefahr besteht kann ich nicht.

LA: Was meinen Sie konkret mit der Gefahr die besteht?

VP: Ich habe Angst, weil in diesem Gebiet solche Vorfälle öfter passiert sind. Es besteht dann die Gefahr , dass man umgebracht wird, wenn 2 Personen mit unterschiedlichen Religionen geheiratet haben.

LA: Sie könnten aber doch auch wo anders in Indien hingehen, sie müssen nicht zu Ihrer Familie zurück.

VP: Nein in Indien kann ich nicht woanders lebeb, weil dort die Gefahr besteht, wegen der ich Indien verlassen habe. Die Feindschaft zwischen Hindu und Sikh ist überall in Indien und deswegen bin ich nirgendwo in Indien sicher.

LA: Über wieviel Barmittel verfügen Sie aktuell?

VP: 300 bis 400 €

LA: Woher kommt Ihre Frau?

VP: Die ist aus Afghanistan.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?

VP: Ja.

LA: Möchten Sie noch was ergänzen?

VP: Nein.

LA: Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden, konnten Sie der Einvernahme folgen?

VP: Ja.

Anmerkung: Dem Rechtsberater wird die Möglichkeit gegeben, Fragen oder Anträge zu stellen.

RB: Durch die traditionelle Eheschließung hat sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt gegenüber den Erstverfahren verändert. Ich beantrage daher das Verfahren zuzulassen.

LA: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Nein es wurde alles richtig protokolliert.

LA: Möchten Sie noch etwas hinzufügen, richtigstellen oder ergänzen?

VP: Nein.

(…)“

2.3. Am 03.08.2020 wurde die Ehegattin des Beschwerdeführers vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Zeugin einvernommen. Dabei gab diese Folgendes an:

„ (…)

Frage: In welcher Beziehung stehen Sie zu Herrn XXXX ?

Antwort: Ich bin die Frau also er ist mein Mann.

Frage: Seit wann besteht die Beziehung?

Antwort: Ca. 2 Jahre. So seit 2018.

Frage: Leben Sie im gemeinsamen Haushalt?

Antwort: Ja-Nachgefragt-Ja seit 12.05.2020, seit wir geheiratet haben leben wir im gemeinsamen Haushalt.

Frage: Warum haben Sie

Antwort: Meine Eltern bekommen eine Gemeindwohnung und ich habe schon mit der Gemeinde gesprochen. Ich bin auch ab nächster Woche dort gemeldet und ich bin auch die Hauptmieterin von der Wohnung wo mein Mann derzeit wohnt.

Frage: Wann haben Sie sich kennengelernt?

Antwort: Vor 2 Jahren, es hat gleich nach 14 Tagen begonnen.

Frage: Seit wann besteht die Beziehung?

Antwort: Eigentlich seit dem kennenlernen.

Frage: Wo haben Sie sich kennengelernt?

Antwort: Wir haben uns im Internet getroffen und dann haben wir uns in der Shopping City Süd getroffen, weil ich dort gearbeitet habe.

Frage: Wann haben Sie Ihren Familie von Ihrer Beziehung erzählt?

Antwort: Ich habe das meiner Mutter erzählt. Unsere Verlobung war am 05.10.2019 und dann habe ich es ca. 2 Wochen vorher meiner Mutter erzählt. Ich schätze also im September, weil es hat ein paar Wochen gedauert bis die ja gesagt haben.

Frage: Wann hat Ihr Mann es seiner Familie erzählt?

Antwort: Ich glaube auch vor der Verlobung. Die waren aber nicht einverstanden. Ich weiß nicht genau wann er das erzählt hat.

Anm.: Bei der Dursicht der Niederschrift merkt die Zeugin, dass er erzählt, dass ich eine Bekannte bin.

Frage: Hatten Sie schon mal Kontakt zur Familie Ihres Mannes?

Antwort: Nein ich habe Sie persönlich nicht kennengelrnt, ich habe die Familie einmal am Telefon begrüßt.

Frage: Wie hat die Familie auf die Begrüßung reagiert?

Antwort: Eigentlich gar nicht, mein Mann hat weiter geredet. Ich war auch mal in Indien und wollte die Familie treffen, aber die wollen mich nicht akzeptieren. Ich hab eine andere Religion und bin auch aus einem anderen Land-Nachgefragt- Auf mein Begrüßung haben sie gar nicht reagiert und ich habe auch schon Mal gehört, dass die Mutter gesagt hat, dass sie mich nicht akzeptieren will.

Frage: Wie oft hat Ihr Mann Kontakt zu seiner Familie?

Antwort: Ich weiß nicht wie oft er sie angerufen hat, das hat er immer bei der Arbeit gemacht-Nachgefragt-Seit der Bedrohung hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie.

Frage: Wann war die Bedrohung und von wem?

Antwort: Das war paar Tage nach der Hochzeit. Da hat er den Anruf bekommen. Ich glaub es war der Vater-Nachgefragt-Nein seit der Hochzeit rufen die auch nicht mehr bei meinem Mann an.

Frage: Waren Sie oder Ihr Mann in einer Beziehung als Ihre Beziehung begann?

Antwort: Nein ich stand in keiner Beziehung.

Frage: Wie erklären Sie sich, dass ein Ermittlung zur Ehefähigkeit der Behörde vom Jänner 2019 vorliegt. Auf dieser ist Ihr jetziger Mann nicht eingetragen?

Antwort: Das war mein Ex. Das war nicht im Jahr 2019, das müsste aus dem Jahr 2016 oder 2017 sein. Der Ex-Freund ist mittlerweile in Indien.

Frage: Beabsichtigen Sie standesamtliche zu heiraten?

Antwort: Ja. Wir haben aber keine Papiere und deswegen.

Frage: Welche Papiere fehlen ihnen?

Antwort: Er hat bereits eine Asylkarte und ich habe schon mit dem Standeamt gesprochen, aber noch keinen Termin. Aber wenn es einen Termin gibt, werden wir das machen. Uns ist das aber nicht so wichtig ob Standesamt oder Traditionell, wichtig ist, dass wir zusammen bleiben.

Frage: Sie sind finanziell abhängig von Ihrem Mann?

Antwort: Nein ich verdiene selber.

Frage: Welche Religion haben Sie?

Antwort: Hinduismus.

Frage: Was ist das Problem der Familie Ihres Mannes mit Ihrer Beziehung?

Antwort: Weil wir eine andere Religion haben. Die Familie ist sehr streng religiös und das ganze Dorf ist sehr streng religiös. Und ich komme dazu noch aus einem ganz anderen Land. Die möchten ein Mädchen aus dem Sikhismus.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie die Familie in Indien besuchen wollten was haben sie unternommen um diese zu treffen?

Antwort: Ich habe meinem Mann gesagt, dass ich seine Familie treffen möchte und der hat die wahrscheinlich kontaktiert, aber die wollten das wahrscheinlich nicht-Nachgefragt- Ich war im November 2019 in Indien ich habe Urlaub gemacht und wollte für die Hochzeit einkaufen.

Frage: Sie waren alleine in Indien?

Antwort: Ja ich war alleine.

Frage: Sie hatten keine Angst die Familie zu treffen, wenn diese sie ablehnt?

Antwort: Nein, ich habe nicht gewusst, dass die so streng religiös sind. Ich hab das erst später erfahren, dass er Bedrohungen und Anrufe erhalten hat. Ich glaube damals hat er auch nur gesagt, dass ich eine Freundin bin und er hat nicht gesagt, dass wir heiraten wollen.

Frage: Ich beende jetzt die Einvernahme.Möchten Sie noch etwas angeben?

Antwort: Nein eigentlich nicht. Das war es. Ich wollte noch sagen, dass ich Angst habe, dass er Abgeschoben wird nach Indien. Er hat auch davor Angst. Ich möchte, dass er bei mir in Österreich lebt, da sind wir sehr sicher.

(…)“

2.4. Am 18.06.2020 wurde dem bevollmächen Vertreter des Beschwerdeführers das aktuelle Länderinformationsblatt zu Indien mit der Möglichkeit übermittelt, dazu eine Stellungnahme einzubringen.

2.5. Am 19.10.2020 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Heiratsurkunde, ausgestellt am 23.09.2020 vom Standesamt Wien Ottakring, einen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria, wonach der Beschwerdeführer am 01.04.2017 das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500kg nicht übersteigt“ angemeldet hat, sowie eine Bestätigung des Sprachstudios Wien vom 16.10.2020 über die Teilnahme an einem Deutschkurs A1+ vom 05.10.2020 bis 23.10.2020.

2.6. Am 07.01.2021 wurde dem bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Indien übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen einer Frist von 14 Tagen eine Stellnungnahme einzubringen.

2.7. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Schließlich wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen glaubhaften, entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, der nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar weder im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch in jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, sei der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Hinsichtlich des Spruchpunktes III. wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen würden. Weiters wurde festgehalten, dass eine der Rückkehr entgegenstehende Integration des Beschwerdeführers ebenso wenig erkannt werden könne, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation in Indien, wobei auch die aktuelle Situation in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie berücksichtigt wurde. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe aufgrund der zurückweisenden Entscheidung nicht. Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei notwendig, da der Beschwerdeführer seine Ausreiseverpflichtung missachtet habe und der gegenständliche Antrag offensichtlich unbegründet und missbräuchlich gestellt worden sei.

Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Folgendes fest:

„COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund derAusgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von

Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession

(PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19

Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner

Pharmaindustrie, als „Apotheke der Welt“ durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine „praktizierte Sorglosigkeit“. Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, „Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei“, wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren

Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.d e/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw 42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicatio nFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020

•        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

•        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/healt h/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-m odi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengalu ru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

•        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

•        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer

Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-a nzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

•        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutant en-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

•        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

•        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

•        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/inthe-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-change s/, Zugriff 22.3.2021

•        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,

http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm

_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

•        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

(…)

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020).

Neben den vier Religionen indischen Ursprungs - dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem

Jainismus und dem Sikhismus - gibt es in Indien den Islam und das Christentum sowie noch wenige andere Religionen. Die Inder sind laut dem indischen Zensus von 2011 zu 79,8 Prozent Hindus, 14,2 Prozent Muslime, 2,3 Prozent Christen und zu 1,7 Prozent Sikhs. Die restlichen 2 Prozent verteilen sich auf die anderen Religionsgemeinschaften (GIZ 1.2021d). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 4.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder „Verlockung“ erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen, manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh „Nötigung“ der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch „Betrug“, „Gewalt“ und „Anstiftung“ umfassen. Die Definition von

„Verführung“ wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS

10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020).

Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020). Hassverbrechen, gegen religiöse Minderheiten werden zumeist ungestraft begangen (AI 7.4.2021).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 202

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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