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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der S N, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Mai 2021, Zl. VGW-151/004/6993/2021-2, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 23. März 2021 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag der Revisionswerberin, einer iranischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung „Student“ wegen Nichterbringung des erforderlichen Studienerfolgsnachweises ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen gerichtete Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin sei erstmals ab 23. August 2018 als außerordentliche Studierende zugelassen worden. Ihr erster Aufenthaltstitel, den sie am 30. August 2018 übernommen habe, sei von 2. März 2018 bis 2. März 2019 gültig gewesen. Die zweijährige Frist des § 64 Abs. 2 erster Satz Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) habe daher im Sommersemester 2018 begonnen. Da dieses Semester aber zum Zeitpunkt der Zulassung der Revisionswerberin am 23. August 2018 nahezu abgelaufen gewesen sei, könne der Beginn der Zweijahresfrist mit dem Wintersemester 2018/2019 angenommen werden. Demnach hätte die Revisionswerberin den Vorstudienlehrgang spätestens mit Ablauf des Sommersemesters 2020 abschließen müssen; dies habe sie bis dato nicht getan.
4 Es sei der Revisionswerberin auch nicht gelungen, relevante Gründe im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG ins Treffen zu führen. Psychische Erkrankungen oder psychische Belastungen seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als solche Gründe zu qualifizieren. Darunter falle auch der von der Revisionswerberin geltend gemachte Stress aufgrund der Trennung von ihren Kindern, zumal sie diese Situation offenbar bewusst herbeigeführt habe. Es lägen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Situation bald ändern werde. Dass die Revisionswerberin über keinen Laptop zur Teilnahme am Online-Unterricht verfügt habe, sei ebenso wenig als Grund im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG zu betrachten, weil es an der Revisionswerberin gelegen gewesen wäre, sich um die erforderliche Ausstattung für ihr Studium zu kümmern. Darüber hinaus wäre die Teilnahme am Online-Unterricht auch mittels eines Mobiltelefons möglich gewesen, das die Revisionswerberin nach ihren Angaben besitze. Auch der ins Treffen geführte Unfall im August 2020 könne ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Revisionswerberin keine Nachweise darüber erbracht habe, wie lange sie deshalb in ärztlicher Behandlung gewesen sei bzw. welche Verletzungen sie erlitten habe. Aufgrund der von der Revisionswerberin übermittelten Seite des Entlassungsbefundes, der kein Datum aufweise, sei lediglich ersichtlich, dass sie adäquate Restbeschwerden in den Extremitäten beschreibe und neurologisch unauffällig sei. Schließlich sei in diesem Zusammenhang auch nicht beachtlich, dass für die Revisionswerberin am 31. August 2020 ein fünftes und am 8. Februar 2021 ein sechstes Semester des Vorstudienlehrganges der Wiener Universitäten genehmigt worden sei. Folglich seien im Ergebnis keine Gründe im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG dargetan worden.
5 Im Hinblick auf das Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung sei keine Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK durchzuführen. Auch eine einzelfallbezogene Prüfung ergebe nicht, dass die Nichterteilung des gegenständlichen Aufenthaltstitels als unverhältnismäßig zu beurteilen wäre.
6 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe auch im Hinblick auf § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen können. Eine Verhandlung sei von keiner Partei beantragt worden. Die Akten ließen nicht erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lasse. Zudem habe das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung das sachverhaltsbezogene Vorbringen der Revisionswerberin zugrunde gelegt.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend macht, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs sei eine vorübergehende Erkrankung geeignet, den Tatbestand des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG zu erfüllen. „Hinzu“ sei offenkundig die Studienbehinderung durch die Covid-19-Pandemie getreten. Dieser Faktor sei durch das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt worden. Es sei zudem unvorhersehbar, wenn die engsten Angehörigen (Kinder) zumindest auch aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht nachreisen könnten und im Heimatland bleiben müssten. Das Zusammenwirken von mehreren Umständen („Corona, Getrenntsein von den Kindern, Unfall“) habe unvorhersehbare Hindernisse mit sich gebracht, die der Erbringung des Studienerfolgs entgegengestanden seien.
8 Weiters sei keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, obwohl die damals nicht anwaltlich vertretene Revisionswerberin auch Unterlagen zu einem Unfall vorgelegt habe, die nach Auffassung des Gerichts zumindest unklar gewesen seien. Die persönlichen Verhältnisse der Revisionswerberin seien weitgehend unerforscht geblieben. Die Revisionswerberin wäre in einer Verhandlung dazu zu befragen gewesen, ob und inwieweit unabwendbare oder unvorhergesehene Gründe für den fehlenden Studienerfolg vorlägen. Trotz Nichtabhaltung einer mündlichen Verhandlung habe sich das Verwaltungsgericht zur Prognose hinreißen lassen, dass es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gebe, dass sich die Situation bald ändern werde. Dem sei entschieden entgegenzutreten: Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätte die Revisionswerberin nachweisen können, dass sie die Ergänzungsprüfung aus Deutsch trotz der Covid-19-Pandemie bestehe (mittlerweile habe sie die Prüfung erfolgreich abgelegt).
9 Im Übrigen seien zur Frage der Integration keine Ermittlungsschritte durchgeführt worden und es sei daher zu Unrecht keine Integration festgestellt worden. Ferner handle es sich um eine Ermessensentscheidung. Dafür sei es erforderlich, die notwendigen Tatsachen festzustellen. Die bloß vorübergehende Natur des eingetretenen Hindernisses sei falsch beurteilt worden. Die Revisionswerberin sei nunmehr willig und fähig, das Studium entsprechend den Vorgaben zu beenden.
Mit diesem Vorbringen wird das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargetan:
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art.133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Nach der auch in der Zulässigkeitsbegründung zitierten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Studierende das Bestehen von Hinderungsgründen im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG konkret zu behaupten und ausreichend darzulegen (siehe etwa VwGH 21.1.2019, Ra 2019/22/0005, Rn. 7). Es lag daher primär an der Revisionswerberin, relevante Gründe im Sinn der zuletzt genannten Bestimmung konkret und nachvollziehbar anzuführen.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat - was den ersten in der Revision ins Treffen geführten Hinderungsgrund, nämlich die Covid-19-Pandemie, anbelangt - auch bereits festgehalten, dass Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dieser Pandemie gesetzt werden, grundsätzlich geeignet sein können, einen Grund im Sinn des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG darzustellen. Es ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Hinderungsgründe tatsächlich der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind und auch entsprechend nachgewiesen werden (VwGH 19.3.2021, Ra 2021/22/0033, Rn. 6). Vorliegend fehlt es an einer stichhaltigen Begründung, weshalb es der Revisionswerberin aus ihrer Einflusssphäre entzogenen Gründen nicht möglich gewesen wäre, unter Nutzung von während der pandemiebedingten Maßnahmen verfügbaren Studienangeboten einen entsprechenden Studienerfolgsnachweis zu erbringen. Mit den Ausführungen, dass sie über keinen Laptop verfügt habe, um am Online-Unterricht teilzunehmen, wird ein Hinderungsgrund im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG jedenfalls nicht aufgezeigt.
15 Wenn sich die Revisionswerberin in der Zulässigkeitsbegründung darauf beruft, dass sie von ihren (im Iran lebenden) Kindern zumindest auch aufgrund der Covid-19-Pandemie getrennt gewesen und sie dadurch psychisch sehr belastet gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, dass die seit Sommer 2018 in Österreich aufhältige Revisionswerberin vor der Behörde und in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht ausführte, dass sie von ihren Kindern deshalb schon lange getrennt sei, weil diese über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügten bzw. darauf gerichtete Anträge nicht erfolgreich gewesen seien, wobei sie eine diesbezügliche abschlägige Information Ende 2019 erhalten habe. Angesichts des bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im Mai 2021 nach wie vor ausgebliebenen Nachweises der Zulassung zu einem ordentlichen Studium (der spätestens bis Ende des Sommersemesters 2020 zu erbringen gewesen wäre) legt die Revision nicht substantiiert dar, dass mit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang keinen nicht länger andauernden, unabwendbaren oder unvorhersehbaren, ihrer Einflusssphäre entzogenen Hinderungsgrund dargetan habe, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verbunden wäre.
16 Der Beachtlichkeit des Vorbringens, die Revisionswerberin habe die Ergänzungsprüfung aus Deutsch „inzwischen“ abgelegt, steht im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen (VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, Rn. 15). Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.
17 Betreffend den in der Revision angeführten Verkehrsunfall, der sich nach den von der Revisionswerberin vorgelegten Unterlagen am 18. September 2020 ereignete und den sie in ihrer ersten Stellungnahme vom 24. Dezember 2020 an den Landeshauptmann von Wien in keiner Weise erwähnte, verabsäumt es die Revisionswerberin, konkret und plausibel anzuführen, weshalb im Hinblick auf diesen Unfall ein Hinderungsgrund im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG vorliege. Es ist weder dem von der Revisionswerberin im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Vorbringen noch den von ihr vorgelegten Unterlagen und nicht einmal der Revision zu entnehmen, dass sich aufgrund dieses Unfalls relevante Einschränkungen für das Studium der Revisionswerberin ergeben hätten; anzumerken ist, dass in weiteren Eingaben der Revisionswerberin aus dem Jahr 2021, in denen der in Rede stehende Unfall angesprochen wird, - allgemein und ohne nähere Präzisierung - Schmerzen in der rechten Hand genannt und in dem in Vorlage gebrachten undatierten ärztlichen Entlassungsbrief adäquate Restbeschwerden in den Extremitäten angeführt wurden.
18 Im Hinblick auf das Fehlen besonderer Erteilungsvoraussetzungen (mangelnder Nachweis des erforderlichen Studienerfolgs) war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, Feststellungen zur Integration der Revisionswerberin im Bundesgebiet zu treffen; eine Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK hatte gegenständlich nicht zu erfolgen (VwGH 20.5.2021, Ra 2021/22/0088, Rn. 9).
19 Ausgehend davon wird auch eine Abweichung des Verwaltungsgerichts von der hg. Rechtsprechung zu § 24 VwGVG nicht aufgezeigt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt. Es wird auch nicht dargestellt, dass eine mündliche Erörterung basierend auf den Ausführungen der Revisionswerberin, auf denen die Beurteilung der von ihr geltend gemachten Hinderungsgründe im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG zu beruhen hatte (zur diesbezüglichen Behauptungs- und Darlegungsverpflichtung siehe Rn. 13), eine weitere Klärung der Rechtssache hätte erwarten lassen. Darüber hinaus wird in der Revision nicht dargelegt, welcher entscheidungswesentliche Sachverhalt in der Beschwerde erstmalig behauptet worden wäre bzw. inwiefern das Verwaltungsgericht den durch § 24 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe (vgl. dazu VwGH 19.5.2021, Ra 2020/22/0159, Rn. 18). Insbesondere war das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet, die Revisionswerberin anzuleiten, ein erfolgversprechendes Vorbringen zu den von ihr gemäß § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG darzulegenden Hinderungsgründen zu erstatten. Zu diesem Zweck war auch keine mündliche Verhandlung durchzuführen.
20 Demnach erweist sich die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als unzulässig. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 30. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220176.L00Im RIS seit
29.10.2021Zuletzt aktualisiert am
04.11.2021