TE OGH 2021/8/11 10ObS51/21d

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Veröffentlicht am 11.08.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 2 Z 1 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, Slowakei, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86 (Landesstelle Steiermark, 8010 Graz, Körblergasse 115), vertreten durch Dr. Kurt Fassl und Mag. Alexander Haase, Rechtsanwälte in Graz, wegen Kinderbetreuungsgeld, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2020, GZ 8 Rs 109/19m-13, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5. Juni 2019, GZ 14 Cgs 177/18y-10, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1]       Das Erstgericht stellte mit Urteil vom 5. 6. 2019 (ON 10) fest, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für ihren Sohn nicht um 1.300 EUR reduziere, und verpflichtete die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (nunmehr Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen) zur Leistung eines ungekürzten Kinderbetreuungsgeldes. Dieses Urteil wurde der Beklagten im ERV am 22. 8. 2019 an der Anschrift ihrer Landesstelle Steiermark in Graz, Körblergasse 115, zugestellt. Diese Adresse findet sich auch im Rubrum der Klagebeantwortung. Im Verfahren erster Instanz war die Beklagte bei den beiden stattgefundenen Verhandlungen jeweils qualifiziert vertreten (ON 4 und 6).

[2]       Am 12. 9. 2019 brachte die Beklagte ohne Angabe eines Vertreters eine Berufung (ON 11) gegen das Urteil des Erstgerichts ein. Mit Beschluss vom 18. 5. 2020 trug das Berufungsgericht der Beklagten die Verbesserung der Berufung durch Angabe eines Vertreters binnen acht Tagen auf. Dieser Beschluss wurde der Beklagten am 20. 5. 2020 per Post zugestellt. Nach der im (zweitinstanzlichen) Akt erliegenden Zustellurkunde wurde die Sendung am 20. 5. 2020 an eine Adresse in Wien nachgesendet und am 22. 5. 2020 an einen dem Zusteller persönlich bekannten Arbeitnehmer der Beklagten unter der Anschrift 1220 Wien, *****, ausgefolgt.

[3]       Am 22. 6. 2020 brachte die Beklagte eine „Mitteilung zum Verbesserungsauftrag“ beim Berufungsgericht ein, in der sie als Vertreter ihren Bediensteten Mag. F***** bekanntgab, der auch im Rubrum des Schriftsatzes als Vertreter unter der Anschrift der Landesstelle Graz aufscheint.

[4]       Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück, weil die für die Verbesserung der Berufung gesetzte acht-tägige Frist nicht eingehalten wurde.

Rechtliche Beurteilung

[5]       Der – nicht beantwortete – Rekurs der Beklagten ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[6]       1. Wenn ein Versicherungsträger Partei des Verfahrens ist, sind unter anderem seine Arbeitnehmer nach § 40 Abs 1 Z 3 ASGG zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz qualifiziert.

[7]       2.1 Die Beklagte zieht die Notwendigkeit des anlässlich ihrer Berufung erteilten, fristgebundenen (§ 85 Abs 2 Satz 1 ZPO) und unanfechtbaren (RIS-Justiz RS0036243) Verbesserungsauftrags zur Bekanntgabe eines in diesem Sinn qualifizierten Vertreters nicht in Zweifel. Sie gesteht zu, dass die am 12. 9. 2019 eingebrachte Berufung einen zu verbessernden (und am 22. 6. 2020 verbesserten) Formmangel aufwies.

[8]       2.2 Nach ihrer Meinung soll die achttägige Verbesserungsfrist jedoch angesichts der pandemiebedingt erschwerten Umstände und der Tatsache, dass die ZPO als kürzeste Rechtsmittelfrist eine 14-tägige Rekursfrist vorsehe, zu kurz sein. Nach der Aktenlage war die Zustellung des Verbesserungsbeschlusses an einen iSd § 40 Abs 1 Z 3 ASGG qualifizierten Vertreter der Beklagten bereits zwei Tage nach dem ursprünglichen Einlangen der Sendung bei der Landesstelle Steiermark der Beklagten erfolgreich. Warum die im Verbesserungsverfahren geforderte Bekanntgabe eines qualifizierten Vertreters grundsätzlich eine besonders schwierige, mehr als acht Tage beanspruchende Verbesserungsmaßnahme sein soll, ist nicht ersichtlich. Den pandemiebedingten Erschwernissen hat der Gesetzgeber durch die in § 1 Abs 1 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, angeordnete Unterbrechung von verfahrensrechtlichen Fristen bis zum Ablauf des 30. April 2020 Rechnung getragen. Hier wurde der Verbesserungsbeschluss erst am 22. 5. 2020 zugestellt.

[9]       2.3 Die Beklagte behauptet, dass die Zustellung des Verbesserungsbeschlusses – entgegen dem Zustellnachweis – erst am 5. 6. 2020 an der Anschrift der Landesstelle der Beklagten in der Steiermark erfolgt sei. Eine – allenfalls erst zu diesem Zeitpunkt wirksam gewordene – Zustellung nützt ihr schon deshalb nichts, weil auch in diesem Fall die acht-tägige Verbesserungsfrist zum Zeitpunkt des Einlangens der Verbesserung durch Bekanntgabe des legitimierten Vertreters der Beklagten am 22. 6. 2020 bereits abgelaufen gewesen wäre.

[10]     2.4 Wird die für eine Verbesserung einer Berufung gesetzte Frist nicht eingehalten, gilt das Rechtsmittel nach § 85 Abs 2 Satz 1 ZPO nicht als am Tag seines ersten Einlangens überreicht. Die Wirksamkeit der Zustellung des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils an die Beklagte am 22. 8. 2019 wird im Rekurs nicht angezweifelt.

[11]     3. Das Berufungsgericht hat die erst am 22. 6. 2020 verbesserte Berufung somit zu Recht als verspätet zurückgewiesen.

[12]     4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.

Textnummer

E132813

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00051.21D.0811.000

Im RIS seit

29.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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