TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 L511 2238135-1

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Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1

Spruch


L511 2238135–1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 10.09.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Grad der Behinderung vierzig von Hundert (40 vH) beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin stellte am 09.01.2020, beim SMS eingelangt am 13.01.2020, einen Antrag auf Ausstellung im Behindertenpass, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.6), und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.7-2.11, 1.3).

1.2.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Neurologie und der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 04.07.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.06.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die vorliegenden Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 30 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.16).

1.3.    Mit Bescheid des SMS vom 10.09.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 09.01.2020 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da sie mit einem Grad der Behinderung von 30 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.19).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 04.07.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.4.    Mit Schreiben vom 02.10.2020 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den Bescheid (AZ 1.2).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, sie habe nach wie vor Schmerzen im Alltag und ersuche um Überprüfung des Bescheides. Sie legte dazu einen neuen Befund einer MRT der Lendenwirbelsäule vom 14.08.2020 vor (AZ 1.3).

1.5.    Im weitergeführten Ermittlungsverfahren holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin, Orthopädie und orthopädischen Chirurgie ein. Dieses Gutachten vom 01.12.2020 wurde ebenfalls auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.11.2020 sowie unter Einbeziehung des Vorgutachtens und des mit der Beschwerde neu vorgelegten Befundes erstattet.

Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H., sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.17).

1.6.    Mit Parteiengehör vom 01.12.2020 brachte das SMS der Beschwerdeführerin das Gutachten vom 01.12.2020 zu Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme dazu ein (AZ 2.15).

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 29.12.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.3, 2.1 -2.19]).

2.1.    Eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Gutachten vom 01.12.2020 erfolgte bis dato nicht.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und stellte am 09.01.2020 einen Antrag auf Ausstellung im Behindertenpass (AZ 2.6).

1.2.    Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Wirbelsäulenbeschwerden;

Bandscheibenoperation L5/S1 rechts 04/2009 und Revision 10/2009, radiologisch nachgewiesene degenerative Veränderungen mit Bandscheibenvorfall Th12/L1 und ausgeprägter Bandscheibenabnützung L4/5 und L5/S1 (MR 08/2020), kein neurologisches Defizit, regelmäßige Schmerzmedikation (Neurontin, NSAR), anhaltender Therapiebedarf;

02.01.02

40

2

Hüftgelenksbeschwerden beidseits;

Hüftprothese links 04/2014, belastungsabhängige Leistenschmerzen beidseits, geringgradige eingeschränkte Beweglichkeit, kein aktueller radiologische Befund vorliegend;

02.05.08

20

3

Kniegelenksbeschwerden beidseits;

Radiologisch nachgewiesene degenerative Veränderungen (Röntgen 01/2020), belastungsabhängige Schmerzen und gute Beweglichkeit;

02.05.19

20

4

Bluthochdruck;

Medikamentöse Monotherapie;

05.01.01

10

1.3.    Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 40 vH. Führendes Leiden ist die Position 1. Die übrigen Leiden wirken aufgrund der Geringfügigkeit nicht stufenerhöhend.

1.4.    Keinen Grad der Behinderung erreichen folgende Gesundheitsschädigungen:

Nierenfunktionseinschränkung KDOQI Stadium III 08/2017 (kein aktueller Laborbefund oder Fachbefund vorliegend); allergisches Asthma bronchiale (Medikation bei Bedarf, kein aktueller lungenfachärztlicher Befund vorliegend); geringe Beinlängendifferenz nach Hüftprothesenimplantation (mit Schuheinlagen ausgeglichen).

1.5.    Eine Nachuntersuchung ist für August 2022 vorgesehen.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin, Orthopädie sowie orthopädischen Chirurgie vom 01.12.2020 (AZ 2.17)

?        Beschwerde vom 02.10.2020 (AZ 1.2)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.6, OZ 1).

2.2.2.  Die festgestellten Funktionseinschränkungen deren Ausmaß und medizinische Einschätzung sowie deren Dauer und der Gesamtgrad der Behinderung ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten aus dem Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Allgemeinmedizin, Orthopädie und orthopädischen Chirurgie vom 01.12.2020 (AZ 2.17). Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Das Gutachten basiert auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, berücksichtigt das Vorgutachten, alle von der Beschwerdeführerin vorgelegten aktuellen Befunde – insbesondere jenen mit der Beschwerde vorgelegten Befund (AZ 1.3) – und stehen mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004).


2.2.3.  Zunächst ist festzuhalten, dass weder das SMS noch die Beschwerdeführerin dem jüngsten Gutachten entgegengetreten sind.

2.2.3.1. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde ausführt, sie habe im Alltag nach wie vor Schmerzen, so deckt sich dies mit den im Gutachten getroffenen Feststellungen, wonach sie wegen ihrer Wirbelsäulenbeschwerden regelmäßige Schmerzmedikation bedürfe und anhaltender Therapiebedarf bestehe.

2.2.3.2. Auch der mit der Beschwerde vorgelegte neue MRT-Befund wurde im Gutachten vom 01.12.2020 berücksichtigt, was auch zu einer Steigerung der prozentuellen Einschätzung der Wirbelsäulenbeschwerden von 30 vH im Gutachten vom 04.07.2020 auf 40 vH im Gutachten vom 01.12.2020 führte. Eine weitere Steigerung des Grades der Behinderung wäre nur dann gegeben, wenn die Beschwerdeführerin im Alltag maßgeblich eingeschränkt wäre (EVO-Anlage PosNr. 02.01.03: 50 %: Maßgebliche radiologische und/oder morphologische Veränderungen; maßgebliche Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben), was fallbezogen jedoch nicht hervorgekommen ist. Die vorgenommene Einschätzung mit 40 vH erweist sich daher als korrekt.

2.2.4.  Zusammenfassend sind die Feststellungen im Gutachten schlüssig und die Subsumtion unter die jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung [EVO] nachvollziehbar. Zumal die in der Beschwerde vorgebrachten Bedenken an der Einstufung im Gutachten vom 01.12.2020 berücksichtigt wurden, weder das SMS noch die Beschwerdeführerin den Feststellungen im Gutachten entgegengetreten sind (AZ 1.1, OZ 1), und auch sonst keine Hinweise dahingehend hervorgekommen sind, dass die Beurteilungen im Gutachten nicht richtig wären, legt der erkennende Senat das orthopädische Gutachten vom 01.12.2020 der rechtlichen Beurteilung zu Grunde.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).


3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die dagegen erhobene Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).


(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.


4.2.    Abweisung der Beschwerde

4.2.1.  Die bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).

4.2.2.  Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 01.12.2020 ist (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt somit zum Entscheidungszeitpunkt 40 vH und sie erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH ein Behindertenpass auszustellen ist.

4.2.3.  Da im jüngsten Gutachten der Grad der Behinderung mit 40 vH (und nicht mehr mit 30 vH) festgestellt wurde, die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses aber dennoch nicht vorliegen, ist die Beschwerde mit der Maßgabe spruchgemäß abzuweisen, dass der Grad der Behinderung 40 vH beträgt (vgl. dazu VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109).

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zum rechtlichen Interesse an einer Feststellung des Grads der Behinderung VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2238135.1.00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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