TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/25 W261 2179579-1

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Veröffentlicht am 25.08.2021
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Entscheidungsdatum

25.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W261 2179579-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 08.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

IV.      In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am selben Tag fand seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass im Iran das Leben schwer gewesen sei. Er habe sich nicht weiterbilden dürfen, weil er afghanischer Staatsbürger sei. Es würde sehr viel Geld kosten, den Ausweis, den er von der iranischen Behörde bekommen habe, jedes Jahr zu verlängern. Er habe viele Schwierigkeiten von den iranischen Behörden bekommen, weil er afghanischer Staatsbürger sei. Nach Afghanistan wolle er nicht zurück, weil dort Krieg herrsche und seine Familie im Iran lebe.

2. Die Ersteinvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) fand am 18.10.2017 statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen im Wesentlichen an, im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Parwan geboren sowie Tadschike und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei ca. acht Jahre alt gewesen, als er mit seinen Eltern und Brüdern in den Iran übersiedelt sei. In den ersten zehn Jahren hätten sie in der Stadt XXXX gelebt, danach seien sie nach XXXX gezogen. Sie hätten immer in Mietwohnungen gelebt. Er sei in XXXX acht Jahre in die Grundschule gegangen und habe danach als Hilfsarbeiter (Schweißer, Lagerarbeiter und Bauarbeiter) bis zu seiner Ausreise gearbeitet. Sein Vater sei Tagelöhner und seine Mutter Hausfrau. Sie hätten keine großen Probleme dort gehabt, er sei im Iran nur aufgrund seiner Religion diskriminiert worden. Seine Eltern und Brüder würden noch im Iran leben.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sein Vater Mitglied der Partei „ XXXX “ gewesen sei. Sie hätten damals bewaffnet gegen die russischen Besatzungsgruppen gekämpft. Sein Vater sei auch in dem Kampf involviert gewesen. Später hätten alle diese Gruppierungen gegen die Taliban gekämpft. Die Taliban hätten ihre Gegend erobert. Ca. zwei Wochen hätten sie von ihrem Vater nichts gehört, er habe jedoch von den Taliban flüchten können. Sein Onkel sei von den Taliban auf der Flucht angeschossen worden und sei wahrscheinlich daran gestorben. Sie hätten ihn seitdem nicht mehr gesehen. Daraufhin seien sie in den Iran geflüchtet. Dort hätten sie illegal gelebt und Probleme gehabt, weil sie Afghanen und Sunniten gewesen wären. Im Iran habe er keine Zukunft und keine Rechte. Deshalb sei er geflohen. In Afghanistan kenne er niemanden, er kenne sich dort nicht aus und Rückkehrende würden schlecht behandelt werden. Sie würden Rückkehrende in Afghanistan als Landesverräter bezeichnen.

3. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 08.11.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer niemals von Seiten des afghanischen Staates verfolgt worden sei, insbesondere nicht aus Gründen der Genfer Konvention. Er habe in Afghanistan niemals Probleme mit staatlichen Behörden gehabt und sei auch nie aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden. Er habe den Iran aufgrund der allgemeinen schlechten Lage, besonders für afghanische Flüchtlinge, verlassen. Der vorgebrachte Fluchtgrund habe nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Des Weiteren würde eine Rückkehr nach Afghanistan keine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten. Es bestehe für ihn keine Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder Gefahr der Vollstreckung einer Todesstrafe. Eine Rückkehr nach Kabul sei möglich und zumutbar. Kabul sei relativ sicher und verfüge über einen Flughafen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass seine Lebensgrundlage im Herkunftsland entzogen wäre oder er in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Er verfüge über eine zehnjährige Schulbildung und habe bereits als Schweißer, Lagerarbeiter und Bauarbeiter gearbeitet. Er sei jung, gesund und in einem erwerbsfähigen Alter, sodass davon auszugehen sei, dass er in seinem Heimatland in der Lage sei, nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Des Weiteren habe er keine Verwandten oder Bekannte in Österreich. Es liege somit kein Familienbezug in Österreich vor. Es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hindeuten würden.

4. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid mit Eingabe vom 11.12.2017 durch seine damalige bevollmächtigte Vertretung, die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, fristgerecht Beschwerde. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass die Länderfeststellungen mangelhaft gewesen seien, diese würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. Die belangte Behörde sei auch nicht auf die tatsächliche Situation von Personen eingegangen, denen westliche Orientierung vorgeworfen werde. Eine gezielte Verfolgung von Rückkehrern werde auch durch die UNHCR Richtlinien bestätigt. Des Weiteren habe die Behörde nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer Afghanistan im Kindesalter verlassen habe. Er habe keinerlei soziale oder familiäre Kontakte in Afghanistan. Die Sicherheitslage in Kabul sei außerdem besonders prekär, dazu verwies der Beschwerdeführer auf den Kommentar von Thomas RUTTIG vom 28.08.2017, wonach Kabul als interne Fluchtalternative, mangels Zumutbarkeit, ausscheide. Der Beschwerdeführer verwies auch auf die Berichte vom Internationalen Komitee vom Oktober 2017 und von Amnesty International vom Oktober 2017, wonach sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan verschlechtern würde, insbesondere auch für die Rückkehrer aus westlichen Ländern. Außerdem seien die staatlichen Schutzmechanismen in ganz Afghanistan sehr schwach bzw. würden gänzlich fehlen. Besonders in Gebieten, welche die Taliban kontrollieren würden, fehle jegliche Schutzfähigkeit. Schlussendlich sei auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft gewesen. Der Beschwerdeführer habe sehr wohl Fluchtgründe betreffend seinen Herkunftsstaat geltend gemacht. Außerdem habe er sich aufgrund seines zweijährigen Aufenthaltes in Österreich an die „westliche Kultur“ angepasst und sei bereits gut integriert. Laut dem zitierten Bericht von Amnesty International vom Oktober 2017 seien speziell als „westlich“ wahrgenommene Personen ein Ziel der Taliban.

Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 12.12.2017 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 14.12.2017 in der Gerichtsabteilung W173 einlangte.

6. Mit Eingabe vom 04.02.2021 legte der Beschwerdeführer durch seine damalige bevollmächtigte Vertretung, die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Integrationsunterlagen vor. Die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH legte ihre Vollmacht mit Schreiben vom 11.12.2020 zurück.

7. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.03.2021 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W173 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 zugewiesen, wo dieses am 01.04.2021 einlangte.

8. Mit Eingabe vom 19.05.2021 gab der Rechtsanwalt Dr. Helmut Blum seine Vollmacht bekannt.

9. Mit Eingabe vom 08.06.2021 legte die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH ihre Vollmacht zurück.

10. Mit Eingabe vom 15.06.2021 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung weitere Integrationsunterlagen vor.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.06.2021 eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle seiner Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Im Zuge der Verhandlung legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung weitere Integrationsunterlagen vor und gab eine Stellungnahme ab. Dazu führte er im Wesentlichen aus, dass die Länderfeststellungen sehr klar feststellen würden, dass für eine Rückkehr soziale, ethnische und familiäre Netzwerke zur Verfügung stehen müssten. Rückkehrer aus dem Ausland, insbesondere aus dem Iran, seien für die afghanische Gesellschaft als solche erkennbar und würden in der Gesellschaft als misstrauisch wahrgenommen werden. Das Bestehen eines Netzwerkes sei auch erforderlich, um in Afghanistan Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten zu bekommen. Es sei auch festgehalten, dass staatliche Unterstützung den Rückkehrern nicht zustehe. Dies bestätige auch der länderkundige Sachverständige Dr. RASULY in seinem Gutachten für das BVwG. Nachdem dem Beschwerdeführer ein derartiges Netzwerk nicht zur Verfügung stehe, werde jedenfalls ersucht, subsidiären Schutz zu gewähren. Ob der Abfall vom Islam in Österreich zur Asylgewährung führen könne, werde das Gericht entscheiden. Es spreche aber aufjedenfall für die Integration in Österreich. Des Weiteren verwies er auf die vorgelegten Integrationsunterlagen.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Parwan geboren. Er ist afghanischer Staatsbürger, Tadschike und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi, Deutsch und etwas Englisch. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Sein Vater heißt XXXX und ist ca. 51 Jahre alt. Seine Mutter heißt XXXX und ist ca. 49 Jahre alt. Sein Vater ist Tagelöhner und seine Mutter Hausfrau. Er hat vier Brüder, XXXX (ca. 36 Jahre), XXXX (ca. 33 Jahre), XXXX (ca. 25 Jahre) und XXXX (ca. 18 Jahre).

Seine Familie lebt in XXXX , im Iran. Er hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie.

Zwei Tanten mütterlicherseits leben im Iran. Sein Onkel väterlicherseits ist bereits verstorben.

Er lebte bis zu seinem achten Lebensjahr in seinem Heimatdorf, wo sein Vater Grundstücke besitzt.

Danach ist er mit seiner Familie in den Iran, zuerst für zehn Jahre in die Stadt XXXX , danach nach XXXX übersiedelt. Sie lebten in Mietwohnungen. Im Iran besuchte er neun Jahre die Grundschule. Er arbeitete ab seinem 17. Lebensjahr bis zur Ausreise nach Europa als Hilfsarbeiter (Schweißer, Lagerarbeiter und Bauarbeiter).

Er stellte am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Kindesalter. Ihm droht in seiner Herkunftsregion keine Verfolgung durch die Taliban.

1.2.2. Der Beschwerdeführer wuchs als sunnitischer Muslim auf, ist derzeit jedoch wenig religiös interessiert und lebt in Österreich nicht nach islamischen Verhaltensregeln. Er ist am 01.06.2021 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Er glaubt an einen Gott, steht aber dem Islam kritisch gegenüber. Er erzählte jedoch nur zwei Freunden aus seiner Unterkunft von seiner Abkehr vom Islam, sonst niemandem und lebt diese auch nicht offen aus. Der Beschwerdeführer hat keine konfessionslose Überzeugung verinnerlicht, welche er auch in Afghanistan ausleben würde. Er tritt nicht gegen den Islam auf und geht keiner neuen religiösen Überzeugung nach. Es ist niemandem in Afghanistan bekannt, dass er in Österreich angab, kein Muslim mehr zu sein.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer aufgrund seines aktuellen Desinteresses am Islam oder wegen der Nichtbefolgung islamischer Vorschriften weder physische noch psychische Gewalt.

1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht auch aufgrund dessen, dass er im Iran aufwuchs und Farsi spricht, bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.

1.2.4. Ebenso droht ihm aufgrund seines langen Aufenthaltes in Europa keine individuelle Gefahr.

1.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit Juli 2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Er besuchte mehrere Deutschkurse und bestand am 23.06.2017 das ÖSD Zertifikat A2. Am 20.12.2018 bestand er die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten der Sprachkompetenz B1 des Österreichischen Integrationsfonds.

Im Jahr 2016 nahm er an der Kompetenzanalyse der XXXX teil.

Von Juni 2016 bis September 2017 leistete er gemeinnützige Tätigkeiten für die Marktgemeinde XXXX .

Im Jahr 2017 war er ehrenamtlich beim Verein „ XXXX “ tätig. Von März bis Juli 2017 war er ehrenamtlich für die Marktgemeinde XXXX tätig. Von April bis Juni 2017 erledigte er im Landesforstgarten XXXX gemeinnützige Arbeiten.

Im Jahr 2018 leistete er einen freiwilligen Hilfsdienst (Schnee schaufeln) für die „ XXXX “ des Vereins „ XXXX “. Im September 2019 nahm er am „ XXXX “ Testverfahren zur „ XXXX “ im Rahmen des XXXX teil.

Im Jahr 2020 wirkte er beim Freiwilligenprojekt des Sozial- und Gesundheitssprengels XXXX und Umgebung „ XXXX “ als freiwilliger Helfer mit.

Er wirkte auch bei der Aktion „ XXXX “ mit und leistete Hilfs- und Dolmetschertätigkeiten in der örtlichen Grundversorgungsstelle (Flüchtlingsheim XXXX ).

Von 04.10.2019 bis 07.01.2020 arbeitete er als Hausbetreuer in XXXX . Er meldete dazu bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX ein Gewerbe an. Er legte dieses Gewerbe am 07.01.2020 zurück. Im Jänner 2020 war er bei XXXX als Aushilfe geringfügig beschäftigt tätig.

Am 27.05.2021 schloss er mit der XXXX in XXXX einen Arbeitsvertrag als Hausbetreuer in Ganztagsbeschäftigung mit einem Bruttolohn von EUR 1.860,17, unter der Bedingung einer Aufenthaltsberechtigung und einer Beschäftigungsbewilligung, ab.

In seiner Freizeit spielt er Fußball im Verein SV XXXX und Volleyball. Er hat auch einen Spielpass des ÖFB. Er trainiert gerne im Fitnessstudio und trifft sich mit Freunden.

Er führt eine Beziehung, lebt mit seiner Freundin jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt.

Am 01.06.2021 trat er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus.

Von seinen Vertrauenspersonen wird er als freundlich, gut integriert, offen, aufgeschlossen, zuverlässig, fröhlich, ruhig, höflich, kommunikativ, interessiert, lernwillig, fleißig, verlässlich, unkompliziert, verantwortungsvoll, motiviert, pünktlich, aktiv, sportlich, bemüht, kooperativ, unterstützend und engagiert beschrieben.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4.    Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer hat bedingt dadurch, dass er im Alter von acht Jahren Afghanistan verließ und sich seither nicht mehr dort aufgehalten hat, keine Heimatprovinz.

Dem Beschwerdeführer ist auch eine Neuansiedelung in einer anderen Region Afghanistans aufgrund der derzeitig unsicheren Sicherheitslage seit der Machtübernahme durch die Taliban verbunden mi seinen individuellen Umständen in Verbindung mit der dort allgemein angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation derzeit nicht zumutbar.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan als Kind im Alter von acht Jahren verlassen und nie alleine und auf sich gestellt in Afghanistan gelebt. Er hat den Großteil seines Lebens außerhalb seines Herkunftsstaates verbracht. Er verfügt in Afghanistan über keine Verwandten und somit über kein familiäres Netzwerk, mit dessen Unterstützung er sich eine Existenzgrundlage aufbauen könnte. Er hat nie in einer afghanischen Großstadt gelebt und ist mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten und Strukturen nicht vertraut.

Der Beschwerdeführer ist ein junger und arbeitsfähiger Mann. Er hat zwar Berufserfahrung, als Hilfsarbeiter (Schweißer, Bauarbeiter, Lagerarbeiter) im Iran und als Hausbetreuer in Österreich, hat neun Jahre die Schule im Iran besucht, er hat jedoch keine Berufsausbildung. Die ohnehin schwierige Situation am Arbeitsmarkt wird durch die große Zahl von Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan und den zahlreichen Binnenvertriebenen, die sich vor allem in den Großstädten ansiedeln, weiter verschärft. Auch die Ernährungssituation hat sich zuletzt deutlich verschlechtert. Es wäre dem Beschwerdeführer, der Afghanistan im Kindesalter verließ und den Großteils seines Lebens im Ausland verbrachte, über keine Berufsausbildung verfügt, in Afghanistan keine Angehörigen hat und mit den afghanischen Gepflogenheiten nicht vertraut ist, daher in der aktuellen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, eine Arbeit zu finden. Er wäre daher, um für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können, in besonderer Weise auf familiäre oder sonstige Unterstützung vor Ort angewiesen, die ihm aber, wie ausgeführt, nicht zur Verfügung steht.

Die beim Beschwerdeführer vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen und allgemeinen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan wieder Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer Neuansiedlung in Afghanistan liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.5.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan mit Stand 11.06.2021, Version 4 - auszugsweise (LIB)

?        UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, August 2021 (UNHCR 2021)

?        Kurzinformation der Staatendokumentation, Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan, Stand 20.08.2021 (KI Staatendokumentation)

?        Homepage der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19 abgerufen am 23.08.2021 und https://covid19.who.int/region/emro/country/af, abgerufen am 23.08.2021 (WHO)

1.5.1   Allgemeine aktuelle Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (LIB).

Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern (UNHCR 2021).

Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten. (UNHCR 2021)

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (KI Staatendokumentation).

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (KI Staatendokumentation).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (KI Staatendokumentation).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (KI Staatendokumentation).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (KI Staatendokumentation).

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (KI Staatendokumentation).

Priorität für die Vereinten Nationen (VN) hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-Sicherheitsrat Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (KI Staatendokumentation).

1.5.2 Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6 % unter der nationalen Armutsgrenze (LIB).

1.5.3. Ethnische Gruppen

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9% Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (LIB)

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land. Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIB).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Heute werden unter dem Terminus t?jik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (LIB).

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB).

1.5.4. Taliban

In Afghanistan sind unterschiedliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB).

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt. Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (LIB).

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als "Islamisches Emirat Afghanistan", der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (LIB).

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban Führer auch nach außen auf (KI Staatendokumentation).

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird (KI Staatendokumentation).

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht (KI Staatendokumentation).

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an (KI Staatendokumentation).

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (KI Staatendokumentation).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (KI Staatendokumentation).

1.5.5. Auswirkungen der COVID-19 Pandemie

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf., einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (WHO).

Aktuelle Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (LIB).

Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die COVID-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln. Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff. Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen. Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4% der Bevölkerung sind geimpft (LIB).

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN – d.s. ca. € 37,-) (LIB).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt. Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (LIB).

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei. Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben, wobei gemäß dem WFP zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (LIB).

1.5.6. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017. Genaue Angaben zur Größe der Gemeinschaft der Ahmadi und der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (LIB).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB).

1.5.6.1. Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Weder in der afghanischen Verfassung noch im Strafgesetzbuch wird Apostasie erörtert, und daher sollte Apostasie im Einklang mit der Scharia bestraft werden. Eine wichtige Bedingung ist, dass die Ablehnung des Islams und die Konversion freiwillig sein müssen, um als Apostasie zu gelten. Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion gilt als Apostasie und ist sowohl nach der sunnitischen Hanafi-Rechtsprechung als auch nach der schiitischen Jafari-Rechtsprechung verboten. Die Scharia sieht die Verhängung der Todesstrafe gegen erwachsene, geistig gesunde Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen. Frauen werden sowohl nach der Hanafi- als auch nach der Jafari-Jurisprudenz anders bestraft als Männer, wobei beide die Auspeitschung und Schläge vorschreiben, um sie zur Rückkehr zum Islam zu bewegen (LIB).

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zu den Geburtsdaten des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation im Iran gründen auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben sowie den vorgelegten Nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

2.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten –genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.2. Dass dem Beschwerdeführer, der Afghanistan als Kind verlassen hat, in seiner Herkunftsregion keine Verfolgung durch Taliban droht, ergibt sich aus einer lebensnahen Betrachtung und Würdigung seiner eigenen Angaben.

In seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zuerst an, dass im Iran das Leben schwer gewesen sei. Er habe sich nicht weiterbilden dürfen, weil er afghanischer Staatsbürger sei. Es würde sehr viel Geld kosten, den Ausweis, den er von der iranischen Behörde bekommen habe, jedes Jahr zu verlängern. Er habe viele Schwierigkeiten von den iranischen Behörden bekommen, weil er afghanischer Staatsbürger sei. Nach Afghanistan wolle er nicht zurück, weil dort Krieg herrsche und seine Familie im Iran lebe. (vgl. AS 15)

In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte der Beschwerdeführer hingegen zusammengefasst vor, dass sein Vater Mitglied der Partei „ XXXX “ gewesen sei. Sie hätten damals bewaffnet gegen die russischen Besatzungsgruppen gekämpft. Sein Vater sei auch in dem Kampf involviert gewesen. Später hätten alle diese Gruppierungen gegen die Taliban gekämpft. Die Taliban hätten ihre Gegend erobert. Ca. zwei Wochen hätten sie von ihrem Vater nichts gehört, er habe jedoch von den Taliban flüchten können. Sein Onkel sei von den Taliban auf der Flucht angeschossen worden und sei wahrscheinlich daran gestorben. Sie hätten ihn seitdem nicht mehr gesehen. Daraufhin seien sie in den Iran geflüchtet. Dort hätten sie illegal gelebt und Probleme gehabt, weil sie Afghanen und Sunniten gewesen wären. Im Iran hätte er keine Zukunft und keine Rechte. Deshalb sei er geflohen. In Afghanistan kenne er niemanden, er kenne sich dort nicht aus und Rückkehrende würden schlecht behandelt werden. Sie würden Rückkehrende als Landesverräter bezeichnen. (vgl. AS 118)

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer zunächst an, dass er ein Kind gewesen sei, als er Afghanistan verlassen habe. Er habe Afghanistan nie mehr gesehen. Er habe dort niemanden und kenne die Menschen dort nicht. Er wisse nicht, was er bei einer Rückkehr dort machen solle. Er wäre dort obdachlos. Außerdem herrsche Krieg und es gebe Anschläge in Afghanistan. Es sei dort nicht sicher, er könnte durch eine Bombe sein Leben verlieren. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 10 f).

2.2.3. Zunächst spricht gegen eine auch von ihm ernstgenommene Bedrohung durch die Taliban, dass er diese vermeintlich bis heute aktuelle Gefahr, wie bereits dargestellt, in der Erstbefragung überhaupt nicht erwähnte, erst in der Einvernahme vor dem Bundesamt brachte er die vermeintliche Fluchtgeschichte vor (vgl. AS 15).

Das erkennende Gericht verkennt dabei nicht, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017). Jedoch ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf dazu der Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419 mit Verweis auf VwGH 28.02.2019, Ra 2018/14/0366).

In der mündlichen Verhandlung verwies er zunächst nur auf die schlechte Sicherheitslage, das fehlende Netzwerk in Afghanistan und seinen Austritt aus dem Islam, erst auf Nachfrage durch seinen Rechtsvertreter gab er an, dass er auch aufgrund der Probleme seines Vaters mit den Taliban im Jahr 1999 nicht nach Afghanistan zurückkehren wolle. Die Taliban würden auch andere Familienmitglieder töten, wenn sie seinen Vater nicht finden würden. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 11) Würde sich der Beschwerdeführer tatsächlich aufgrund der angeblichen Probleme seines Vaters mit den Taliban bedroht fühlen, hätte er diesen Umstand auch vor den überwiegend vergleichsweise harmloseren Rückkehrbefürchtungen vorgebracht. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 10 f)

Zudem ist die vorgebrachte vermeintliche Fluchtgeschichte auch dahingehend nicht glaubhaft, da der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keine, oder nur wenige Angaben dazu machen und selbst diese nur sehr detaillos und vage wiedergeben konnte. Während er vor dem Bundesamt noch etwas detaillierter auf das angeblich fluchtauslösende Geschehen eingegangen ist, gab er dieses in der mündlichen Verhandlung auffallend oberflächlich, bloß in zwei Sätzen an (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 11). Es machte nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um ein wahres fluchtauslösendes Ereignis handelt, vielmehr ist davon auszugehen, dass die vorgebrachte Geschichte konstruiert ist.

Schlussendlich sind, selbst bei Wahrunterstellung der vermeintlichen fluchtauslösenden Ereignisse, die Befürchtungen des Beschwerdeführers schon dem Grunde nach weder nachvollziehbar noch plausibel. Er konnte im gesamten Verfahren nicht konkret erklären, weshalb die Leute, die seinen Vater damals bedroht hätten, ihn bedrohen oder umbringen sollten. Er selbst war damals erst acht Jahre alt gewesen und war seitdem nicht mehr in Afghanistan gewesen. Er war nie ein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen. (vgl. AS 119) Außerdem verneinte er eine persönliche Bedrohung (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 11). Es ist daher auch unklar, wie die Taliban den Beschwerdeführer überhaupt erkennen oder finden sollten, bzw. welches Interesse diese haben sollten, den Beschwerdeführer zu bedrohen. Seine Angabe, dass die Taliban den Familienmitgliedern etwas antun würden, wenn sie seinen Vater nicht finden würden (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 11), ist auch aufgrund des langen Zeitraumes, der seit den vermeintlichen Geschehnissen vergangen ist, weder glaubhaft noch plausibel.

In einer Gesamtbetrachtung dieser Überlegungen ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban droht, dies obwohl die Taliban mittlerweile die Macht in Afghanistan übernommen haben.

2.2.4. Die Feststellungen zu den religiösen Überzeugungen des Beschwerdeführers und seinem Umgang damit ergeben sich aus den folgenden Erwägungen:

Zur Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0426, mit Verweis auf VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0091-0092, mwN). Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 26.02.2018, E 3296/2017/16, kommt für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, der inneren (Glaubens-)Überzeugung maßgebliche Bedeutung zu und ist dabei insbesondere der persönliche Eindruck wesentlich.

Ein ähnlicher Beurteilungsmaßstab hat somit auch bei der Beurteilung der Frage, ob eine Apostasie, also ein Abfall vom muslimischen Glauben, tatsächlich dauerhaft vorliegt, zu gelten. Für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie ist jedenfalls Voraussetzung, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, mit Verweis auf EuGH 4.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, Rn. 88).

Der Beschwerdeführer brachte erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor, dass er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten sei, sich keiner Religionsgemeinschaft mehr zugehörig fühle und aus diesem Grund in Afghanistan Verfolgung fürchte (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 8 ff). Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vermittelten den Eindruck eines jungen Mannes, der sich an den strengen Verhaltensvorschriften des Islam stört, sowie gesellschaftliche und religiöse Zwänge in Afghanistan und im Iran kritisch sieht. Im Einzelnen gab er insbesondere an, dass er nicht an den Islam glaube, er habe in den letzten fünf bis sechs Jahren nicht gebetet. Von seiner Familie sei er zum Beten gezwungen worden und er habe mitmachen müssen, sonst hätte ihm etwas passieren können. Außerdem trinke er Alkohol und esse Schweinefleisch. Zwar gab er an, dass er an einen Gott glaube, der die Menschheit erschaffen habe und sie nicht bestrafen wolle, wohingegen der Gott im Islam böse sei. Außerdem glaube er nicht, dass Gott es brauche, dass er bete. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 8 f). Jedoch konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er seine vermeintliche Religionslosigkeit offen auslebt und dies auch im Fall der Rückkehr nach Afghanistan tun würde. So gab er an, nur seinen zwei Freunden in seinem Zimmer in der Unterkunft davon erzählt zu haben, sonst habe er es in der Unterkunft niemanden erzählt, da es jemanden in der Unterkunft gebe, der sehr radikal muslimisch sei. Seinen Eltern habe er es auch nicht erzählt, da sein Vater strenggläubig sei. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 9)

Gegen einen offenen Umgang des Beschwerdeführers mit dem vermeintlichen Glaubensabfall spricht auch, dass er diesen im Asylverfahren erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorbrachte. Dies, obwohl er die Entscheidung zur Abkehr vom Islam seinen Angaben nach bereits vor fünf bis sechs Jahren getroffen haben will (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 8). In der Einvernahme vor der Behörde am 18.10.2017 und in der mit 11.12.2017 datierten Beschwerde bezeichnete er sich jedoch jeweils noch als sunnitischer Muslim (vgl. AS 115, 302) und erwähnte einen Glaubensabfall nicht. Auf Vorhalt seiner Aussage bei der Behörde gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass er nicht gewusst habe, dass man aus dem Islam austreten könne. Er wisse nun, dass man auch ohne Religion leben könne. (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 8). Diese Erklärung überzeugt dahingehend nicht, da er den Glaubensabfall nicht nur nicht erwähnte, sondern jeweils ausdrücklich angab, Muslim zu sein. Auch dies spricht nicht dafür, dass es sich um ein ihm persönlich wichtiges Anliegen gehandelt hätte.

Aus Sicht des erkennenden Gerichtes ist nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer, der seinen eigenen Angaben zufolge schon von Österreich aus – wo ihm dafür jedenfalls keine Sanktionen drohen – etwa gegenüber seinen Mitbewohnern als auch gegenüber seinen Eltern nicht den Mut gehabt hatte, über seinen Religionsabfall zu sprechen, dies in Afghanistan tun würde. Gerade dies zeigt auch, dass er seine Distanz zum Glauben nicht in einer Art und Weise verinnerlicht hat, aufgrund derer ihm in Afghanistan auch in der aktuellen Lage, in welcher die Taliban die Macht übernommen haben, Verfolgung drohen würde. Von der Richterin befragt, wie ein Außenstehender erkennen sollte, dass er kein Muslim mehr sei, sagte er zwar, dass man sehen könne, dass er nicht bete, nicht faste und in keine Moschee gehe. Abgesehen davon trete er nicht offen gegen den Islam auf und rede auch nicht darüber (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 9 und 12).

Es ist durchaus glaubhaft, dass der Beschwerdeführer derzeit in Österreich nicht nach islamischen Verhaltensregeln lebt und insbesondere nicht betet oder fastet. Dass allein dies in Afghanistan zu asylrelevanter Verfolgung führen würde, ist aus den vorliegenden Länderinformationen – trotz der Machtübernahme durch die Taliban - jedoch nicht ableitbar. Der formale Austritt des Beschwerdeführers aus der islamischen Glaubensgemeinschaft am 01.06.2021 ist durch die vorgelegte Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 21.06.2021 objektiviert (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, Beilage ./2), ist aber für sich genommen nicht geeignet, einen Glaubensabfall aus innerer Überzeugung zu beweisen. Der Beschwerdeführer verneinte, dass er islamkritisch auftreten würde, er respektiere alle Religionen und würde nichts Schlechtes sagen (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 9). Dass er einer neuen religiösen Überzeugung nachgehen würde, brachte er im gesamten Verfahren nicht vor, es sind auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen.

Die Feststellung, dass niemandem in Afghanistan bekannt ist, dass der Beschwerdeführer in Österreich angab, kein Muslim mehr zu sein, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan keine Angehörigen hat und niemanden kennt und, wie ausgeführt, schon in Österreich nicht glaubhaft offen mit diesem Thema umgeht.

Insbesondere auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer gewonnenen persönlichen Eindrucks gelangt das erkennende Gericht daher zu dem Schluss, dass er eine konfessionslose Überzeugung nicht derart verinnerlicht hat, dass er sie auch in seinem Heimatstaat leben würde. Dass er alleine wegen seines aktuellen Desinteresses am Islam und der Nichtbefolgung islamischer Verhaltensregeln bei einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten hätte, ist auch angesichts dessen, dass er seine Überzeugung schon in Österreich nicht offen auslebt, nicht hinreichend wahrscheinlich.

2.2.5. Seinem weiteren vorgebrachten Grund für die Gewährung internationalen Schutzes, dass er im Iran aufgewachsen sei und Farsi spreche und, dass er aufgrund dessen in Afghanistan Probleme bekommen werde (vgl. AS 119/120) sowie in der Gesellschaft misstrauisch wahrgenommen werden würde (vgl. Niederschrift vom 21.06.2021, S. 12), sind die zitierten Länderinformationen entgegen zu halten. Es ist zwar richtig, dass Rückkehrende aus dem Iran als solche erkennbar sind. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi oder Dari mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. UNHCR verzeichnete jedo

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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