TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/8 L517 2245216-1

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Veröffentlicht am 08.09.2021
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Entscheidungsdatum

08.09.2021

Norm

AlVG §25
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs4
VwGVG §22 Abs3
VwGVG §28 Abs1

Spruch


L517 2245216-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter*innen Mag. SIGHARTNER und Frau PACHLER als Beisitz über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX zu XXXX in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 13 Abs. 4 und 22 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt B) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Das AMS XXXX (in der Folge „AMS“ bzw. „bB“) erließ am 12.07.2021 einen Bescheid und sprach im Spruchpunkt A) aus, dass XXXX (in der Folge „bP“) gem. § 25 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von EUR 1.073,52 verpflichtet sei. Im Spruchpunkt B) wurde gem. § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtverfahrensgesetz (VwGVG) die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid ausgeschlossen.

Begründend führte die bB zu Spruchpunkt A) aus, dass aufgrund der Entscheidung des BVwG vom 05.07.2021 die Verpflicherung der bP zum Rückersatz des angeführten Betrages bestehe.

Zu Spruchpunkt B) verwies die bB auf § 13 VwGVG und führte aus, dass bereits eine Entscheidung über die Beschwerde der bP in der Hauptsache vorliege und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausschließlich dazu führen würde, dass die Eintreibung der offenen Forderung zu Lasten der Versichertengemeinschaft verzögert würde, obwohl mit einer anderslautenden Entscheidung in der Sache zugunsten der bP nicht mehr zu rechnen sei. Aus diesem Grund überwiege in gegenständlicher Angelegenheit das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der offenen Forderung und sei daher die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der bP vom 02.08.2021 (beim AMS am 03.08.2021 eingelangt), mit der sie beantragt, den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gem. § 22 Abs. 3 aufzuheben.

Die bP begründete ihre Beschwerde wie folgt:

„Die belangte Behörde hat mit Bescheid und 16. März 2021 eine Sperre der Notstandshilfe für den Zeitraum von 1. März bis 11. April 2021 gemäß § 10 AlVG verhängt. Binnen offener

Frist habe ich gegen diese Entscheidung Beschwerde eingebracht, welche seitens der belangten Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung vom 8. April 2021 abgewiesen

wurde. Am 16. April 2021, binnen offener Frist, habe ich einen Vorlageantrag gestellt,

meine Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit der Entscheidung vom 5.7.2021 meine Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Ich habe nun die Möglichkeit gegen diese Entscheidung innerhalb von

6 Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine

ordentliche Beziehung süße außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu

erheben.

Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat mir mit Schreiben vom 30. Juli 2021 einen positiven

Rechtsschutz zwecks Einbringung einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof vollen Rechtsschutz gewährt.

Meine rechtsfreundliche Vertretung wird daher binnen offener Frist eine außerordentliche

Revision an den Verwaltungsgerichtshof einbringen.

Beschwerdegründe:

Gern. § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß

Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung.

Gern. § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der

durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug

dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache

ergehenden Bescheid aufzunehmen.

Die Behörde hat den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung „tunlichst“

schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen. Daraus folgt,

dass die Behörde verpflichtet ist, den Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden

Wirkung in den Bescheid über die Sachentscheidung als eigenen Spruchpunkt zu integrieren,

wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung die Voraussetzungen für den Ausschluss bereits

gegeben sind. Es handelt sich dabei um einen von der Entscheidung in der Hauptsache

trennbaren, selbständigen Nebenabspruch (VwGH 26. 8. 1996, 96/11/0188; 17. 2. 2000,

97/18/0564).

Weil durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Rechte und Pflichten für die Parteien dahingehend festgelegt werden, dass der Bescheid - obwohl er noch nicht rechtskräftig

ist - sofort vollstreckt bzw. in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann, dh seine Rechtswirkungen mit der Erlassung eintreten (VwSlg 5897A/1962; VwGH 13. 5. 1982, 82/06/0034; 21. 11. 2006, 2006/21/0171), ist er in den Spruch des Bescheides aufzunehmen.

Gern. § 13 Abs. VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß § 3 Abs. 2

VwGVG keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter

Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat

über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten

des Verfahrens zurückzustellen.

Die gern. § 13 Abs. 1 VwGVG ex lege eintretende aufschiebende Wirkung der Berufung

kann von der Behörde ausgeschlossen werden, wenn die vorzeitige Vollstreckung des angefochtenen Bescheides im Interesse einer Partei wegen Gefahr im Verzug dringend geboten

ist.

Neben dem Interesse der Partei kann auch das „Interesse des öffentlichen Wohles“ die vorzeitige „Vollstreckung“ des Bescheides dringend gebieten. Wenn auch davon ausgegangen

werden kann, dass das öffentliche Interesse, dh das Interesse der Allgemeinheit und des

Staates, in den vom demokratisch legitimierten Parlament erlassenen Gesetzen seinen Niederschlag findet, genügt das allgemeine öffentliche Interesse an der Einhaltung der Gesetze

nicht, um den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung zu rechtfertigen, da

er diesfalls die Regel und nicht die Ausnahme wäre.

Es muss sich um ein besonderes öffentliches Interesse handeln, aus dem wegen der „triftigen Gründe“ des konkreten Falles die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides „sachlich

geboten“ ist (Hengstschläger, ÖJZ 1973, 539; vgl auch VfSIg 11.196/1986; 16.460/2002;

17.346/2004).

Für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung genügt es nicht, dass ein

Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen „Vollstreckung“ des

Bescheides besteht, sondern es muss darüber hinaus noch die Umsetzung des Bescheides

in die Wirklichkeit wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sein. „Gefahr im Verzug“

bedeutet, dass bei Aufschub der „Vollstreckung“ des Bescheides ein erheblicher Nachteil

für die Partei oder ein „gravierender Nachteil“ für das öffentliche Wohl (VwGH 24. 5.

2002, 2002/18/0001) droht (VwGH 4. 5. 1992, 89/07/0117; 3. 7. 2003, 2002/20/0078; 7. 9.

2004, 2001/18/0019).

Dringend geboten ist die vorzeitige Vollstreckung und damit der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur dann, wenn die fachliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts

durch die Behörde zum Ergebnis führt, dass die gravierende Gefahr für den Fall des Zuwartens konkret besteht (VwGH 22. 3. 1988, 87/07/0108).

Da meine Interesse als Berufungswerberin an der aufschiebenden Wirkung meines

Rechtsmittels und das Interesse der belangten Behörde oder das öffentliche Interesse bzw.

das Interesse der Versichertengemeinschaft an der sofortigen Umsetzung des Bescheides

in die Wirklichkeit gegenüber stehen, hat die belangte Behörde eine Interessenabwägung

zwischen dem Rechtsschutzinteresse der Berufungswerberin und den entgegenstehenden

Interessen der belangten Behörde oder des öffentlichen Wohles oder der Versichertengemeinschaft vorzunehmen (VwGH 3. 7. 2003, 2002/20/0078; VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028).

Nach der Rechtsprechung des VWGH (VwGH Ro 2018/08/0005 E 24. Mai 2018) habe ich

als Notstandshilfebezieherin, um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, insbesondere die Umstände, die mein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in meiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechende Feststellungen des AMS für die Eindringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) meiner Beschwerde gegen die

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal

das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres

Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.

Daher möchte ich anführen, dass ich seit der Verhängung der Sperre für den Zeitraum von

1.3. bis 31.7.2021 ich lediglich folgende Zahlungen erhalten habe (Beilage ./A):

€ 1057,52 Notstandshilfe am 22.4.2021

€ 430,40 Notstandshilfe am 5.5.2021

€ 80,70 Krankengeld am 12.5.2021

€ 134,50 Notstandshilfe am 6.7.2021

Aktuell habe ich auf mein Konto ein Minus iHv € 864,41 (Beilage ./A).

Ich habe am 1.7.2021 zu als Küchenhilfe zu arbeiten begonnen (Beilage ./B). Bis dato habe

ich keinen einzigen Lohn überwiesen bekommen.

Ich wohne aktuell in der Wohnung meiner Mutter. Frau XXXX , (Beilagen ./C, ./D,

./E. ./F).

Meine Mutter ist selbst Bezieherin von Notstandshilfe (Beilage ./G).

Gegen die negative Erkenntnis des BVwG werde ich eine außerordentliche Revision einbringen und habe dafür von der Arbeiterkammer OÖ einen positiven Rechtsschutz bekommen

(Beialge ./H).

Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung

im Rahmen einer Interessensabwegung meine Interessen stärker berührt als die Interessen

der Versichertengemeinschaft, denn ich kann auf Grund der finanziellen und wirtschaftlichen

Lage den von der belangten Behörde geforderten Betrag nicht zurückzahlen.

Im Rahmen der Interessensabwägung kann man meines Erachtens sehen, dass weder Gefahr

im Verzug droht noch bei Aufschub der Vollstreckung des Bescheides ein erheblicher

Nachteil für die belangte Behörde bzw. die Versichertengemeinschaft oder ein gravierender

Nachteil für das öffentliche Wohl bzw. die Versichertengemeinschaft droht. Auch ist dadurch

die Eindringlichkeit des Überbezuges nicht gefährdet.

Darüber hinaus ist die Entscheidung des BVwG noch nicht rechtskräftig geworden und

nimmt aus meiner Sicht die belangte Behörde die Beweiswürdigung und Entscheidung des

VwGH unzulässigerweise vorweg, denn die belangte Behörde geht von einer negativen Entscheidung aus.

Ich beantrage daher gemäß § 22 Abs 3 VwGVG den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung

der Beschwerde aufzuheben.

Zum Beweis des bisherigen Vorbringens lege ich die Beilagen ./A bis ./H vor.“

Die Beschwerde wurde von der bB am 10.08.2021 am BVwG vorgelegt.

Die bP steht seit 01.07.2021 in einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis zur XXXX . Seit 05.07.2016 ist die bP an der Adresse XXXX , Unterkunftgeber: XXXX , gemeldet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das bisherige Ermittlungsverfahren als hinreichend, um den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Aus den angeführten Gründen konnte der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Akteninhalt dem gegenständlichen Beschluss im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden.

Die Feststellungen hinsichtlich der Beschäftigung der bP ergeben sich aus einem vom erkennenden Gericht am 13.08.2021 abgefragten Sozialversicherungsdatenauszug, der Hauptwohnsitz ergibt sich aus den Angaben der bP sowie einer Anfrage beim zentralen Melderegister.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.2. Das VwGVG sieht vor, dass eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung hat (§ 13 Abs. 1 VwGVG), solange diese Wirkung nicht mit Bescheid (§ 13 Abs. 2 VwGVG) oder mit Beschluss (§ 22 Abs. 2 VwGVG) aberkannt bzw. ausgeschlossen worden ist. Auch ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung (§ 15 Abs. 2 VwGVG), wenn die Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat.

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte 2, § 13 VwGVG K 12).

Gemäß § 13 Abs. 4 VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Gleichzeitig hat die Behörde den Parteien eine Mitteilung über die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht zuzustellen; diese Mitteilung hat den Hinweis zu enthalten, dass Schriftsätze ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht unmittelbar bei diesem einzubringen sind. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 und Beschlüsse gemäß Abs. 1 und 2 auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

2.3. Gegenständlich wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde nicht mit einem eigenständigen verfahrensrechtlichen Bescheid ausgeschlossen, sondern wurde dies im Spruchpunkt B) des in der Hauptsache ergangenen Bescheides vom 12.07.2021 ausgesprochen.

Was die Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 2 VwGVG anbelangt, entsprechen diese Großteils jenen, die § 64 Abs. 2 AVG normiert (vgl. Lehofer, Die aufschiebende Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 2014, 5ff.). Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zeigen, dass § 13 VwGVG weitgehend der Bestimmung des § 64 AVG nachgebildet wurde (RV 2009 BlgNR XXIV. GP). Da der Judikatur zu § 64 Abs. 2 AVG die Notwendigkeit einer Abwägung bei Gegenüberstellung öffentlicher Interessen und jener des Berufungswerbers ebenfalls zu entnehmen ist (VwGH vom 03.07.2002, Zl. 2002/20/0078), kann damit ohne Weiteres auf diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zurückgegriffen werden, um die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung an Hand der dort aufgestellten Kriterien zu überprüfen (vgl. VwGH vom 01.09.2014, Ra 2014/03/0028).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Rechtsmitteln gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 64 Abs. 2 AVG hat die Rechtsmittelinstanz zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der belangten Behörde die Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gegeben waren (VwGH vom 29.09.2005, Zl. 2005/11/0123; VwGH vom 28.06.2001, Zl. 99/11/0243).

Die zuständige Behörde hat eine Interessenabwägung durchzuführen und darzulegen, worin die Gefahr im Verzug besteht, die einen vorzeitigen Vollzug des Bescheides dringend gebietet (Hengstschläger/Leeb, AVG, zu § 64 Rz 31). In der Interessenabwägung sind die Interessen des Beschwerdeführers gegen die berührten öffentlichen Interessen und allfälliger weitere Parteien abzuwägen, wobei in einem ersten Schritt festzustellen ist, welche Interessen überwiegen.

Im gegenständlichen Fall begründete die belangte Behörde den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung damit, dass bereits eine Entscheidung über die Beschwerde der bP in der Hauptsache vorliege und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausschließlich dazu führen würde, dass die Eintreibung der offenen Forderung zu Lasten der Versichertengemeinschaft verzögert würde, obwohl mit einer anderslautenden Entscheidung in der Sache zugunsten der bP nicht mehr zu rechnen sei. Aus diesem Grund überwiege in gegenständlicher Angelegenheit das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der offenen Forderung und sei daher die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen.

Die bP ist in der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung diesem Vorhalt substantiiert entgegengetreten und hat Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass sie seit 01.07.2021 in einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis steht.

Unter Berücksichtigung des im Rahmen eines Provisorialverfahrens eingeschränkten Prüfungsmaßstabes (gemäß § 13 Abs. 5 letzter Satz VwGVG hat das Bundesverwaltungsgericht "ohne weiteres Verfahren" unverzüglich zu entscheiden, vgl. Dünser, Beschwerde und Vorverfahren bei der Behörde, ZUV 2013, 12 ff.) vermag das erkennende Gericht die Erwägungen der belangten Behörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen.

Auch wenn im Rahmen einer Interessenabwägung zunächst ein erhebliches öffentliches Interesse an einer Verhinderung von Missbrauch und der Beibehaltung des disziplinierenden Zwecks der Rückzahlungsverpflichtung gegeben ist, kommt das erkennende Gericht bei weiterer Prüfung zum Ergebnis, dass die vom Gesetz geforderte Voraussetzung der dringend gebotenen Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die bP geht seit 01.07.2021 einer Vollzeit-Beschäftigung nach, die mit einem entsprechend regelmäßigen Einkommen verbunden ist. Dieses Beschäftigungsverhältnis bestand auch im Zeitpunkt der Erlassung des der Beschwerde zugrundeliegenden Bescheides am 12.07.2021. Die Einbringlichkeit der Rückforderung ist daher nicht gefährdet und ist mangels Gefahr in Verzug ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht geboten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt B) ersatzlos zu beheben.

Angemerkt wird, dass mit dem gegenständlichen Erkenntnis eine Entscheidung in der die Rechtssache erledigenden Entscheidung (Rückzahlung der unberechtigt empfangenen leistung) nicht vorweggenommen wird. Auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Hauptsache (§ 25 AlVG) kommt es im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dem Wortlaut zufolge nicht an (vgl. VwGH vom 11.04.2011, AW 2011/17/0005).

Eine mündliche Verhandlung ist entfallen, da das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 5 VwGVG verpflichtet ist, über die Beschwerde "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden", was impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. VwGH vom 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Rechtsprechung des VwGH zu § 25 Abs 1 Satz 3 AlVG wonach der Leistungsempfänger dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten ist, wenn sich ohne sein Verschulden aufgrund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheides ergibt, dass die Leistungen nicht oder nicht in diesem Umfang gebühren, ist umfangreich und einheitlich. Im gegenständlichen Fall haben sich keine Besonderheiten ergeben, welche eine höchstgerichtliche Überprüfung erfordern. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Beschäftigung Einbringlichkeit Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L517.2245216.1.00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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