TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/9 W266 2172990-1

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Veröffentlicht am 09.09.2021
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Entscheidungsdatum

09.09.2021

Norm

AlVG §38
AlVG §47
AlVG §49
AVG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W266 2172990-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Andreas KARWAS und Mag. Wolfgang SCHIELER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch seinen Erwachsenenvertreter RA Mag. Wolfgang Ruckenbauer, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Mattersburg vom 29.6.2017, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 7.9.2017, AZ: XXXX , betreffend Einstellung der Notstandshilfe von 28.4.2017 bis 18.5.2017, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Arbeitsmarktservice Mattersburg (in der Folge: AMS oder belangte Behörde) vom 29.6.2017 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum von 28.4.2017 bis 18.5.2017 keine Notstandshilfe erhalte (Spruchpunkt A).

Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt B).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am 28.4.2017 nicht eingehalten und sich erst wieder am 19.5.2017 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle gemeldet habe.

Eine aufschiebende Wirkung würde den aus generalpräventiver Sicht im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck, Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur bei gleichzeitiger Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung zu gewähren, unterlaufen. Aus diesem Grund überwiege das öffentliche Interesse gegenüber dem mit einer Beschwerde verfolgten Einzelinteresse.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er ausführte, dass er an einer psychischen Erkrankung leide und sich zum ehestmöglichen Zeitpunkt gemeldet habe. Eine Nachlässigkeit sei aufgrund der psychischen Erkrankung nachzusehen, da er nicht einsichtsfähig sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 7.9.2017 wurde die Beschwerde abgewiesen.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen und brachte ergänzend im Wesentlichen vor, dass die Feststellungen zu seiner Terminfähigkeit nicht richtig wären. Dass er nicht Terminfähig sei ergebe sich aus den im Alt erliegenden medizinischen Unterlagen und sei die Versäumung des Kontrollmeldetermins sohin nicht vorwerfbar.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt bezugnehmenden Verwaltungsakt am 10.10.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Nach erfolglosen Versuchen seitens des Bundesverwaltungsgerichts ein Gutachten betreffend die Terminfähigkeit des Beschwerdeführers von den der Behörde zur Verfügung stehenden Stellen einzuholen wurde ein allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie eingeholt, welches am 19.8.2021 beim Bundesverwaltungsgericht einlangte und mit Schreiben vom 20.8.2020 den Parteien zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen übermittelt wurde.

Die belangte Behörde verzichtete mit Schreiben vom 26.8.2021 auf eine Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hat innerhalb der Frist keine Stellungnahme abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den verwaltungsbehördlichen Akt, insbesondere in die Beschwerde und die vorgelegten Beweismittel sowie Einholung eines neurologisch psychiatrischen Gutachtens steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer bezieht, mit Unterbrechungen, seit vielen Jahren Notstandshilfe.

Der Beschwerdeführer bestehen folgende psychische Störungen:

?        Psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch F 19.2 seit 2010 bis dato abstinent.

?        Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik F 43.2.

?        Leichtgradiges organisches Psychosyndrom 07.2.

Seit dem 9. November 2016 ist RA Mag. Wolfgang RUCKENBAUER für den Beschwerdeführer als Erwachsenenvertreter bestellt und hat folgende Angelegenheiten zu besorgen: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, privaten Vertragspartnern und bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen sowie zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache des Beschwerdeführers am 6.2.2017 wurde der nächste Kontrollmeldetermin für den 28.4.2017 mitgeteilt. Der Termin wurde dem Erwachsenenvertreter per E-Mail vom selben Tag übermittelt.

Den Termin am 28.4.2017 nahm der Beschwerdeführer nicht wahr. Er meldete sich am 19.5.2017 wieder persönlich beim AMS. Der Beschwerdeführer verfügte nicht über die Einsichtsfähigkeit, die Bedeutsamkeit eines Kontrollmeldetermins zu verstehen, und nach dieser Einsicht zu handeln.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt.

Die Feststellungen zum Leistungsbezug des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden Bezugsverlauf vom 10.10.2017.

Die Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie dem bestellten Erwachsenenvertreter und die von diesem zu besorgenden Angelegenheiten beruhen insbesondere auf dem Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters des Bezirksgerichts Mattersburg, XXXX , vom 9.11.2016 sowie dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten eines Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie. Der Sachverständige kommt in seinem (Akten-) Gutachten aufgrund der im Akt einliegenden medizinischen Unterlagen unzweifelhaft und schlüssig zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer sowohl zum Zeitpunkt des Erhalts der Ladung am 6.2.2017, als auch am 28.4.2017 nicht in der Lage war die Folgen eines Fernbleibens einzusehen bzw. aufgrund einer Antriebshemmung sich nicht überwinden konnte seine Umgebung zu verlassen. Weiters war der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit zwar imstande, eine Ladung zur Kontrollmeldung entgegenzunehmen, nicht jedoch sich dem Inhalt der Ladung entsprechend zu verhalten.

Die Mitteilung des Kontrollmeldetermins am 6.2.2017 seitens des AMS wurde im gegenständlichen Fall vom Beschwerdeführer nicht bestritten und liegt das diesbezügliche Schreiben sowie ein Vermerk über die Verständigung des Sachwalters auch im Akt ein. Dies trifft ebenso auf den Umstand zu, dass der Beschwerdeführer den Kontrollmeldetermin am 28.4.2017 nicht wahrnahm und sich am 19.5.2017 beim AMS meldete.

3. Rechtliche Beurteilung:

Anzuwendendes Recht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes lauten:

„§ 47. (2) Personen, die Kontrollmeldungen einzuhalten haben, sind von der regionalen Geschäftsstelle in geeigneter Weise darüber zu informieren. Insbesondere muss jeweils die Zeit und der Ort der einzuhaltenden Kontrollmeldungen eindeutig bekannt gegeben werden.

§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören.

§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.“

Daraus folgt:

Gemäß § 9 AVG ist - insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt - diese von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Nach dem bereits angeführten Beschluss des Bezirksgerichts Mattersburg vom 9.11.2016 hat der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten, Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern und bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, für ihn zu besorgen.

Durch die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für einen bestimmten Aufgabenkreis wird die betreffende Person nur in ihrer rechtlichen Dispositionsfähigkeit, jedoch nicht in ihrer faktischen Handlungsfähigkeit beschränkt. Die Nichteinhaltung einer im Bereich des Faktischen liegenden gesetzlichen Verpflichtung, wie etwa der Wahrnehmung eines Kontrolltermins, steht nicht dem rechtsgeschäftlichen Handeln nahe, sondern kommt vielmehr dem deliktischen Handeln gleich. Insofern bedeutet die Bestellung eines Erwachsenenvertreters nur, dass die Vermutung des § 1297 erster Satz ABGB nicht gilt, sodass unter Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen zu prüfen wäre, ob der Betroffene - bezogen auf das in Rede stehende Verhalten – „eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig sei, welcher bei gewöhnlichen Fällen angewendet werden kann“ (vgl. VwGH 11.9.2019, Ra 2019/08/0067 mwN.).

Gemäß § 49 Abs. 2 AlVG ist eine Kontrollversäumnis dann entschuldigt, wenn ein triftiger Grund vorliegt.

Ein eingeschränkter Geisteszustand kann zu einer Entschuldigung einer Kontrollmeldeversäumnis führen. Dazu bedarf es allenfalls eines aktuellen Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen; war die Arbeitslose nicht in der Lage, die Bedeutung der Vorschreibung der Kontrollmeldung zu erfassen und sich dieser Einsicht entsprechend zu verhalten, so konnte ein Kontrolltermin überhaupt nicht wirksam vorgeschrieben werden (vgl. Julcher in Pfeil (Hrsg), Der AlV-Komm, § 49 AlVG Rz 13; vgl. auch VwGH 9.8.2002, 2002/08/0039).

Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer über den Kontrolltermin für den 28.4.2017 und die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung zwar informiert wurde, indem dies dem Erwachsenenvertreter zur Kenntnis gebracht wurde. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten neurologisch- psychiatrischen Gutachten ergibt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankungen nicht über die Einsichtsfähigkeit verfügte, die Bedeutsamkeit eines Kontrollmeldetermins zu verstehen, und nach dieser Einsicht zu handeln, indem er den vorgeschriebenen Termin wahrnahm.

Nach dem Gesagten ergibt sich somit, dass dem Beschwerdeführer der Kontrollmeldetermin für den 28.4.2017 nicht wirksam vorgeschrieben werden konnte, da er nicht in der Lage war die Folgen des Fernbleibens einzusehen und auch nicht in der Lage war sich dem Inhalt der Ladung entsprechend zu verhalten, weshalb auch die Sanktion nach § 49 Abs. 2 AlVG unzulässig war. Die Beschwerdevorentscheidung war sohin zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Erwachsenenvertreter Kontrollmeldetermin Notstandshilfe psychische Erkrankung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W266.2172990.1.00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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