Entscheidungsdatum
09.09.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W124 2180205-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am XXXX erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Zuge welcher er angab, er sei afghanischer Staatsangehöriger und habe zuletzt in der afghanischen Provinz Kunduz gelebt. Er gehöre der Volksgruppe der Usbeken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an. Der BF sei ledig, verfüge über keine Schulbildung und habe vor seiner Ausreise als Schweißer gearbeitet. Er sei mit seiner Schwester, seinem Schwager und seinem Neffen aus Afghanistan ausgereist. Im Herkunftsstaat würden noch seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester leben.
Zu den Fluchtgründen führte er an, dass es Grundstücksstreitigkeiten gegeben habe. Sein Onkel sei sehr mächtig. Sie seien unter Druck gesetzt worden, worauf man Afghanistan in Richtung Westen verlassen habe.
I.2. Am XXXX erfolgte – unter Anwesenheit der Schwester des BF als Vertrauensperson – die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt). Zur Person gab der BF an, er heiße XXXX und sei im Iran geboren. Er habe drei Jahre lang eine Schule besucht und in Afghanistan als Schweißer gearbeitet. Zuletzt habe er im Dorf XXXX in der Provinz Kunduz gelebt. Sein Vater sei verstorben als er zwei Jahre alt war; seine Mutter habe zwischenzeitlich erneut geheiratet. Neben seiner Schwester, welche mit ihm nach Österreich reiste, habe er noch eine weitere Schwester und einen Stiefbruder. Im Herkunftsstaat würden noch zwei Onkel und zwei Tanten, sowie drei Cousins leben. Sein Stiefvater sei zugleich auch sein Onkel (und der Halbbruder seines verstorbenen Vaters).
Hinsichtlich seines Lebens in Afghanistan führte der BF an, dass seine Familie in der eigenen Landwirtschaft tätig sei. Er habe nach dem Tod seines Vaters die Hälfte des bewirtschafteten Grundstücks und Hauses geerbt. Sein Stiefvater, seine Mutter und Geschwister würden im Haus leben. Die finanzielle Situation vor der Ausreise sei mittelmäßig gewesen. Sein Schwager habe die Kosten für die Reise nach Österreich bezahlt.
Zu seinen Fluchtgründen führte er an, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei. Sein Onkel gehöre zu den Taliban und habe vom BF verlangt, seine Schwester – welche in Afghanistan als Lehrerin gearbeitet habe – zu töten „da dies eine Schande sei“. Seine Schwester habe vor ihrem Wegzug nach Kabul in einer Schule unterrichtet, welche dann von den Taliban niedergebrannt worden sei. Man habe dem BF eine Waffe gegeben und er sei nach Kabul gereist; habe dann drei oder vier Nächte bei seiner Schwester in Kabul verbracht und sei daraufhin mit der Schwester, seinem Schwager und seinem Neffen aus Afghanistan ausgereist. Er habe seiner Schwester nicht erzählt, was der Onkel von ihm verlangt habe.
Auf die Frage, aus welchen Gründen der BF bei seiner Erstbefragung nur Angaben zu Grundstücksschwierigkeiten getätigt habe und nicht etwa über eine mögliche Tötung der eigenen Schwester, gab der BF an, er habe nur kurz Zeit gehabt und drei Fragen beantwortet. Auf Nachfrage, warum der BF nicht in Kabul geblieben sei, entgegnete der BF, dass ihn die Taliban auch in Kabul finden würden. Sein Onkel könne nicht nach Kabul, da er von der Polizei gesucht werde. Ein Mann habe ihn jedoch in Kabul kontaktiert und nachgefragt, ob er die Schwester bereits getötet habe. Der BF habe diese Frage bejaht und diesem Mann dann die Waffe zurückgegeben. Der Mann habe ihn daraufhin nicht weiter kontaktiert und sei gegangen. Am nächsten Tag sei er dann mit seiner Schwester, seinem Schwager und Neffen aus Afghanistan ausgereist.
Die Drohungen habe er weder der Polizei (und/oder dem Dorfältesten) in Kunduz noch in Kabul angezeigt. Seine Geschwister oder seine Mutter habe der Onkel – nach der Ausreise des BF aus Afghanistan – nicht bedroht.
Im Herkunftsstaat sei er nicht politisch tätig gewesen. Er habe nie persönlich wegen seiner Volksgruppen-, Religions-, oder Rassenzugehörigkeit noch mit den afghanischen Behörden Probleme gehabt. Er sei in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft.
Befragt zu seinem Aufenthalt in Österreich gab der BF an, dass er Deutsch lerne, seinen Hauptschulabschluss nachholen wolle, fallweise ehrenamtlich arbeite, Fußball spiele und Sport treibe. Er habe Kontakt mit österreichischen Bekannten, besuche jeden Freitag eine Moschee in Salzburg und sei nicht Mitglied in einem Verein.
Abschließend gab die Vertrauensperson des BF – seine Schwester und somit jene Person, welche laut Angaben des BF hätte getötet werden sollen – zu Protokoll, dass sie von diesen Geschehnissen nichts wusste. Sie habe gedacht, ihr Bruder habe Angst und sie habe deswegen zu ihm gesagt, er könne mit nach Europa kommen.
Im Zuge der Einvernahme wurden folgende verfahrensrelevante Dokumente in Vorlage gebracht:
- Zertifikat ÖSD Deutsch Niveau A 1;
- Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds;
- Mehrere Bestätigungen über absolvierte Deutschkurse sowie Grund- und Basisbildungen;
- Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuz über geleistete ehrenamtliche Tätigkeiten;
- Bestätigung der Stadt XXXX über gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerbende.
I.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie betreffend die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
I.4. Mit fristgerechter Beschwerde vom XXXX wurde dieser Bescheid vollinhaltlich wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, der BF habe den Herkunftsstaat einerseits wegen der Begehrlichkeiten des Onkels im Zusammenhang mit dem Grundstück des BF sowie aufgrund der geforderten Ermordung der eigenen Schwester verlassen.
Hinsichtlich des Verfahrens wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht gegenständlich nicht nachgekommen sei. So verkenne das Bundesamt, dass der afghanische Staat im Zusammenhang mit nichtstaatlicher Verfolgung weder schutzfähig noch schutzwillig sei. Es habe zudem eine mangelhafte Beweiswürdigung vorgenommen; die Länderinformationen sowie UNHCR Richtlinien würden die Schilderung des BF untermauern und bestätigen. Ferner habe die belangte Behörde eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul oder Mazar-e-Sharif sei aufgrund der prekären Sicherheits- und Versorgungslage vor allem für Rückkehrer nicht zumutbar. Bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens sowie richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der BF den Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe bzw. im Fall seiner Rückkehr die reale Gefahr für Leib und Leben bestehe, weshalb ihm internationaler Schutz gewährt werden müsse.
I.5. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.
I.6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG XXXX wurde die gegenständliche Rechtssache der vormals zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
I.7. Am XXXX fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Das Bundesamt nahm mit zwei Vertretern (nachfolgend: BehV1 und BehV2) an der mündlichen Beschwerdeverhandlung teil. Aktualisierte Länderfeststellungen, der EASO Informationsbericht zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren und Informationen zur IOM Reintegrationsunterstützung wurden dem Vertreter des BF (nachfolgend: RV) bereits vor der mündlichen Verhandlung zwecks Stellungnahme übermittelt.
Im Zuge der Verhandlung wurde eine Bestätigung über einen Externisten-Pflichtschulabschluss (in Kopie) vorgelegt; darin wird festgehalten, dass die noch ausständige Mathematik-Teilprüfung voraussichtlich Herbst 2020 stattfinden soll.
Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
[…]
R: Halten Sie die Angaben, die Sie bei der Polizei bzw. beim BFA gemacht haben, aufrecht und entsprechen diese der Wahrheit?
BF: Ja, diese entsprechen alle der Wahrheit.
R: Wie ist Ihr Name? Bitte schreiben Sie Ihren Vor- und Familiennamen und das Geburtsdatum auf.
BF schreibt auf einen Zettel seinen Namen „ XXXX “ und sein Geburtsdatum „ XXXX “. (Beilage ./A)
R: Wo sind Sie geboren? Dorf, Distrikt und Stadt?
BF: Ich bin im Iran geboren.
R: Wo genau im Iran?
BF: In XXXX .
R: Geben Sie bitte die Städte und Orte an, an denen Sie seit Ihrer Geburt bis zu Ihrer Ausreise gewohnt haben.
BF: Ich bin, wie gesagt, im Iran in XXXX in XXXX geboren und war bis zum 2. Lebensjahr dort. Ab dem 2. Lebensjahr war ich in Kunduz im Dorf XXXX . Gelebt habe ich dort bis zum 17. Lebensjahr. Dann reiste ich über Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland etc. nach Österreich.
R: Bei der Erstbefragung am XXXX haben Sie bei der Polizei gesagt, dass Sie am XXXX geboren sind und nicht im Iran, sondern in Kunduz.
BF: Nein, das habe ich nicht gesagt.
R: Ich halte Ihnen vor, was Sie bei der Polizei ausgesagt haben.
BF: Nein, dort sagte ich genau dasselbe wie heute.
R: Haben Sie an der von Ihnen zuerst angegebenen Adresse in Kunduz alleine gelebt?
BF: Nein, mit meiner Familie. In Afghanistan habe ich mit meiner Mutter, meinem Stiefvater, meiner Schwester und mit meinem Halbbruder zusammengelebt. Die älteste Schwester, die heute da ist, war nicht dort.
R: Wo hat Ihre älteste Schwester gelebt?
BF: Sie hat bei ihren Schwiegereltern, zugleich auch Onkel mütterlicherseits zusammengelebt.
R wiederholt die Frage.
BF: Ebenfalls in XXXX .
R: Hat Ihre älteste Schwester immer in XXXX gelebt?
BF: Ich weiß es nicht so genau. Ich glaube, dass sie vorher auch im Iran gelebt hat. Ich kann mich nicht so gut erinnern. Aber sie hat ebenfalls zu dem Zeitpunkt, als die Taliban Kunduz übernommen haben, in Kunduz gelebt. Sie war Lehrerin. Die Taliban haben die Schule zerstört und haben nach Lehrer gesucht. Deshalb hat sie weggehen müssen.
R: Ist sie vor Ihnen weggegangen oder nach Ihnen?
BF: Vor mir.
R: Wohin ist Ihre Schwester dann gegangen?
BF: Nach Kabul ist sie gezogen.
R: Wie lange hat sie dort gelebt?
BF: 3 oder 4 Tage hat sie dort gelebt.
R: In welchem Bezirk?
BF: Das weiß ich nicht.
R: Hat sie vorher schon in Kabul gelebt?
BF: Nein, ich glaube nicht, dass sie in Kabul gelebt hat.
R: Wie viele Geschwister hat Ihr Vater?
BF: Er hat viele Geschwister. Er hat 5 Halbschwestern.
R: Wie viele Brüder?
BF: Zwei Brüder.
R: Wo leben diese?
BF: In Afghanistan in XXXX , sie sind alle verheiratet. Ich kenne die genaue Adresse von ihnen nicht.
R: Ist es dasselbe Dorf, wo Sie vorher gelebt haben?
BF: Ja, das Dorf ist sehr groß.
R: Wie viele Häuser?
BF: Ca. XXXX Häuser, soweit ich weiß.
R: Wie heißen die beiden Onkeln vs?
BF: XXXX und XXXX .
R: Wie bestreiten diese beiden ihren Lebensunterhalt?
BF: Sie sind in der Landwirtschaft tätig.
R: Besitzen sie selber Felder?
BF: Nein. Ein Teil davon gehört meiner Mutter.
R: Wem gehören die anderen Teile?
BF: Ein Teil davon gehört dem jüngeren Bruder.
R: Welchem jüngeren Bruder?
BF: XXXX .
R: Ist das Ihr älterer oder jüngerer Onkel?
BF: XXXX ist der jüngste Onkel.
R: Welche Schul- und Berufsausbildungen haben Sie?
BF: Ich habe nur drei Jahre die Schule besucht. Das war kein richtiger Unterricht dort, wir haben den Koran gelernt. Gearbeitet habe ich als Schweißer.
R: Wie lange haben Sie als Schweißer gearbeitet?
BF: Ich habe nicht direkt gearbeitet, ich war dort einfach als Gehilfe vier Jahre lang tätig.
R: Was haben Sie dort genau gemacht?
BF: Ich war einfach in dem Geschäft. Ich habe dort sauber gemacht, das Essen gebracht und nebenbei gelernt und zugeschaut.
R: Wie hat das Geschäft bzw. der Betrieb geheißen, wo Sie gearbeitet haben?
BF: Dort haben die Geschäfte keinen bestimmten Namen. Es war ein Geschäft im Dorf.
R: Wer war der Inhaber dieses Geschäftes?
BF: Es war ein Mann, den haben wir Meister genannt. Ich weiß es nicht mehr, ich war damals sehr jung. Jetzt weiß ich es, XXXX . Wir haben ihn immer Meister XXXX genannt.
R: Haben Sie, außer, dass Sie in diesem Betrieb tätig waren, auch andere Arbeiten verrichtet?
BF: Wenn freitags frei war, habe ich die Tiere, also Kühe auf die Felder gebracht und aufgepasst.
R: Wie würden Sie Ihre damalige finanzielle Lage beschreiben?
BF: Normal.
R: Normal im Vergleich zu den anderen Bewohnern im Dorf?
BF: Ich kann es so beschreiben, im Vergleich zu anderen Leuten: wenn sie einen Sack Reis hatten, dann hatten wir zwei. Wir hatten eigene Felder, dort haben wir Lebensmittel angebaut.
R: Was haben Sie dort angebaut?
BF: Weizen, Reis, je nachdem, saisonbedingt.
R: Haben Sie dabei mitgearbeitet?
BF: Freitags, wo ich nicht im Geschäft arbeiten musste, habe ich auf den Feldern geholfen.
R: Arbeiten Sie in Österreich?
BF: Ich habe keine Arbeitserlaubnis.
R: Haben Sie schon einen Arbeitgeber, der für Sie um eine arbeitsrechtliche Bewilligung angesucht hat?
BF: Nein. Zweimal habe ich beim Magistrat gearbeitet. D.h. in zwei Jahren durften wir jeweils ein Monat in jedem Jahr arbeiten.
R: Wie viele Cousins vs haben Sie?
BF: Viele, ich kann mich jetzt nicht erinnern. Sie haben bestimmt jetzt weitere Kinder bekommen, ich bin jetzt in Österreich und weiß nichts.
R: Würden Sie in Österreich jede Arbeit annehmen?
BF: Ja, warum nicht?
R: Wie geht es Ihrer Mutter und Ihren beiden Geschwistern?
BF: Meine Mutter ist Hausfrau, meine Schwester ist schon verheiratet und lebt bei ihren Schwiegereltern. Mein Bruder arbeitet in der Landwirtschaft.
R: Wie alt ist Ihr Bruder?
BF: Ich weiß es nicht genau, er ist zwischen XXXX und XXXX Jahre alt.
R: Wie geht es Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern?
BF: Ich weiß es nicht.
R: Warum wissen Sie es nicht?
BF: Ich bin in Österreich. Wenn ich dort anrufe, belästigen meine Onkeln vs meine Mutter und gestatten ihr nicht mit mir zu reden, weil ich eine ehrenlose Person bin.
R: Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Mutter angerufen?
BF: Vor fünf Monaten.
R: Haben Sie mit ihr gesprochen?
BF: Ja. Sie war bei meiner Tante ms und ich rief meinen Cousin an und er gab ihr das Handy.
R: Wo wohnt Ihre Tante ms?
BF: Sie ist ebenfalls in XXXX .
R: Was war der Inhalt des Gespräches?
BF: Ich habe gefragt, wie es ihr geht. Ich kann auch nicht viel mit ihr reden, weil sie dann weint.
R: Was hat sie dann geantwortet?
BF: Sie sagte, dass es ihr gut geht.
R: Hat Ihre Mutter Sie auch etwas gefragt?
BF: Sie fragte mich, wie es mir geht.
R: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?
BF: Ich glaube, dass es im Jahr XXXX war, ich habe das Jahr in Österreich erfahren. Ich weiß es aber nicht genau.
R: Wie alt waren Sie, als Sie Afghanistan verlassen haben?
BF: Ich war XXXX Jahre alt.
R: Wie weit hat Ihre Schwester, die in Österreich lebt, von Ihren Elternhaus entfernt gelebt?
BF: XXXX zu Fuß lebte sie entfernt von uns. Zwischen XXXX , genau weiß ich es nicht.
R: Mit wem hat Ihre Schwester dort gelebt?
BF: Mit Ihrem Mann und Onkel ms.
R: Was arbeitet Ihr Schwager bzw. was hat er gearbeitet?
BF: Er war Automechaniker.
R: Hat er eine eigene Werkstatt gehabt?
BF: Nein, er hat gearbeitet für jemanden.
R: Was würden Sie befürchten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?
BF: Ich habe Angst um mein Leben und um meine Ehre.
R: Warum haben Sie Angst um Ihr Leben und um Ihre Ehre?
BF: Meine Schwester war Lehrerin und unterrichtete Mädchen. Mein Onkel vs war bei den Taliban und hatte dort eine besondere Position. Aus diesem Grund verlangte er von mir, meine Schwester zu töten. Nachdem Kunduz von den Taliban übernommen wurde und meine Schwester nach Kabul ging, beauftragte mich mein Onkel vs meine Schwester in Kabul zu finden und sie zu töten. Er gab mir eine Pistole und ein Nokia Handy und etwas Geld für die Reise nach Kabul. Er sagte mir auch, dass ein Mann namens XXXX mich in Kabul kontaktieren wird. Als ich in Kabul ankam, hat der Mann mich kontaktiert. Ich habe auch meine Schwester kontaktiert und sagte ihr aber nichts darüber, was mein Onkel durch mich mit ihr vor hat, weil sie zu dem Zeitpunkt schwanger war. Dieser Mann kam am nächsten Tag nach meiner Reise nach Kabul zu mir und fragte mich, wie es aussehen würde. Ob ich schon alles erledigt hätte. Ich habe dem Mann dann gesagt, dass ich meine Schwester getötet hätte. Ich habe eine Kugel von der Pistole abgefeuert und so habe ich ihm gezeigt, dass ich meine Schwester getötet hätte. Ich gab ihm die Pistole zurück und das war es. Am nächsten Morgen in der Früh reiste ich mit meiner Schwester nach Pakistan. Ich konnte meine Schwester auf keinen Fall umbringen, sie war schwanger.
R: Sie haben gesagt, Ihre Schwester war Lehrerin. Welche Fächer hat sie unterrichtet?
BF: Sie hat in einer Schule alles unterrichtet, was man unterrichten konnte in dieser Schule. Es ging so lange, bis die Taliban Kunduz übernahmen, danach zündeten sie die Schule an.
R: Hat Ihre Schwester als Lehrerin eine bestimmte Ausbildung in bestimmten Schulfächern gemacht?
BF: Sie hat etwas gelernt, aber ich weiß nicht was.
R: Wo hat sie ihre Ausbildung gemacht?
BF: Ich war sehr jung, ich weiß es nicht. Soweit ich weiß, glaube ich, dass sie ihre Ausbildung oder die Hälfte ihrer Ausbildung im Iran gemacht hat.
R: Wo hat Ihre Schwester ursprünglich als Lehrerin gearbeitet?
BF: Ich weiß es nicht so genau, da meine Schwester verheiratet war, als sie Lehrerin wurde und meine Onkeln vs waren alle religiöse Mullahs und diese haben mir den Kontakt mit meiner Schwester bzw. Onkeln ms verboten. Soweit ich mich erinnern kann, glaube ich, dass sie in einer Schule namens „ XXXX “, das glaube ich, weiß ich nicht genau, unterrichtet hat.
R: Ist diese Schule im Dorf bzw. wie weit ist diese Schule vom Dorf entfernt?
BF: Ich glaube, diese Schule befand sich in der Stadt.
R: In welcher Stadt?
BF: XXXX .
R: Wie weit ist Ihr Heimatdorf von der Stadt XXXX entfernt?
BF: Das weiß ich nicht. Ich war damals sehr jung, hatte kein Auto. Ich weiß nur, dass diese Schule sich in der Stadt befand.
R: Wie oft waren Sie in der Stadt XXXX ?
BF: Das weiß ich nicht, öfters, sehr oft. Ich war damals noch sehr jung.
R: Wissen Sie, wie lange Ihre Schwester in der Stadt XXXX als Lehrerin gearbeitet hat?
BF: Nein.
R: Hat Ihre Schwester in XXXX über einen längeren Zeitraum gearbeitet? Waren das mehrere Jahre/Monate/Wochen?
BF: Weiß ich nicht. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es gesagt.
R: Warum war denn Ihr Onkel vs nicht begeistert davon, dass Ihre Schwester als Lehrerin gearbeitet hat?
BF: Weil mein Onkel vs mit den Taliban zusammengearbeitet hat und dort eine besonders wichtige Position hatte. Die Taliban haben ihn aufgefordert zuerst bei sich in der Familie bzw. der Verwandtschaft anzufangen und die Ehre wiederherzustellen.
R: Was heißt „zuerst bei sich in der Familie bzw. der Verwandtschaft anzufangen“?
BF: Die Taliban sind allgemein dagegen, dass die Frauen etwas lernen. Aus diesem Grund haben sie auch die Schule angezündet. Damit haben sie gemeint, dass mein Onkel es verhindern soll, dass meine Schwester als Lehrerin tätig ist bzw. sie beseitigen soll, weil sie das gemacht hat. Ich durfte auch keine normale Schulbildung haben, außer den Koran lernen.
R: In welchem Zeitraum vor dem Verlassen Ihres Heimatdorfes wurde die Schule angezündet?
BF: Das weiß ich nicht mehr, ich kann mich nicht mehr erinnern, ob das nach dem Weggehen meiner Schwester gewesen ist oder davor.
R: Können Sie sich noch erinnern, wie viel Zeitraum dazwischen gelegen ist, zwischen dem Anzünden der Schule und Ihrem Verlassen des Heimatdorfes?
BF: Ich war in XXXX , als die Schule angezündet wurde.
R: Was haben Sie zu diesem Zeitpunkt in XXXX gemacht?
BF: Ich war zuhause und erfuhr, dass die Schule angezündet wurde.
Anmerkung der D: Zuhause meint der BF in XXXX .
R: Wie lange sind Sie dann ungefähr noch im Heimatdorf verblieben, nachdem die Schule angezündet wurde?
BF: Innerhalb einer Woche ungefähr bin ich dann nach Kabul gegangen.
R: Sie haben gesagt, Ihr Onkel vs hat eine besondere Position bei den Taliban eingenommen. Welche besondere Position hat Ihr Onkel vs?
BF: Er hat von Kindesbeinen an religiösen Unterricht bekommen.
R: Haben Sie den auch bekommen?
BF: Ja, ich wurde gezwungen.
R: Sie haben gesagt, Ihr Onkel vs hat eine besondere Position bei den Taliban eingenommen. Welche besondere Position hat Ihr Onkel vs?
BF: Ich weiß es nicht welche Position er gehabt hat, aber er wollte und er war bemüht immer aufzusteigen bei den Taliban. Er wollte Kommandant und noch mehr bei ihnen werden.
R: Welche Position hat Ihr Onkel schon gehabt?
BF: Ich weiß nur, dass sehr viele Leute unter ihm gearbeitet haben.
R: Woher wissen Sie, dass er es in der Hierarchie der Taliban immer versucht hat aufzusteigen?
BF: Wir haben im selben Haushalt gewohnt. Es kamen sehr viele Leute zu ihm und er hatte mit vielen Leuten Kontakt.
R: Was wollten diese Leute von ihm?
BF: Das weiß ich nicht. Ich durfte nicht viel dort bleiben. Ich habe das Essen und Tee gebracht und musste dann wieder weggehen.
R: Wer war XXXX ?
BF: Es war eine Person, die in XXXX gelebt hat, aber ich kannte ihn, weil er immer wieder zu Gast zu uns bzw. zu meinem Onkel vs gekommen ist. Mehr weiß ich über diesen Mann nichts.
R: Warum hat Ihr Onkel XXXX nach Kabul geschickt?
BF: XXXX hat auch in Kabul gelebt. Er hat zwischen Kabul und XXXX gependelt. Der Onkel gab ihm den Auftrag, mich zu kontrollieren, ob ich den Auftrag ausgeführt habe oder nicht.
R: Wie konnte der XXXX sicher sein, dass Sie den Auftrag erfüllt haben?
BF: Er hatte keine andere Wahl, er glaubte mir.
R: Warum wurden gerade Sie beauftragt, Ihre ältere Schwester zu ermorden?
BF: Wie ich bereits gesagt habe, mein Onkel vs hatte bei den Taliban eine besondere Position und sie forderten ihn auf, bei sich anzufangen und die Ehre wiederherzustellen. Sie haben ihm gesagt, dass seine eigene Nichte als Lehrerin arbeitet und dadurch etwas tut, was für die Taliban nicht in Ordnung ist und er dazu verpflichtet ist, sie zu beseitigen. Er beauftragte mich, meine Schwester umzubringen um die Ehre wiederherzustellen.
R: Woher wissen Sie, dass Ihr Onkel diesen Auftrag bekommen hat?
BF: Das liegt auf der Hand. Wenn von seiner Familie jemand etwas tut, was für die Taliban nicht in Ordnung ist, wie kann er dann andere Menschen auffordern, diese Dinge nicht zu tun. Deshalb sagten die Taliban, er soll bei sich beginnen.
R: Hat es zu dieser Zeit, als Ihre Schwester noch Lehrerin war, Übergriffe gegeben?
BF: Das weiß ich nicht.
R: Haben Sie mit Ihrer Schwester darüber gesprochen?
BF: Nein.
R: Gehen Sie davon aus, wenn es zu Übergriffen gekommen wäre, dass diese dann mit Ihnen darüber gesprochen hätte? Haben Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?
BF: In Afghanistan hatten wir kein gutes Verhältnis, da mein Onkel das verhindert hat, dass ich meine Schwester besuchen gehe, weil er gegen meinem Onkel ms war und meine Schwester dort geheiratet hat. Seitdem wir in Österreich sind, verstehen wir uns gut.
R: Haben Sie über Ihr Fluchtvorbringen bzw. das Fluchtvorbringen Ihrer Schwester besprochen, nachdem Sie Afghanistan verlassen haben?
BF: Der Fluchtgrund meiner Schwester war ja klar, sie hat mir nur gesagt, dass die Taliban sie nicht in Afghanistan in Ruhe lassen würden. Nur das hat sie mir gesagt, mehr nicht.
R: Haben Sie Ihre Schwester einmal näher befragt bzw. nachgefragt?
BF: Nein.
R: Hat es Sie interessiert, was Ihrer Schwester genau passiert ist?
BF: Ich habe gewusst, wie es in Kunduz zugegangen ist, wie es in Afghanistan zugeht und warum sie weggegangen ist. Mehr habe ich nicht gefragt. Wenn ein Onkel vs einen Bruder beauftragt seine Schwester umzubringen, braucht man da nicht mehr viel fragen.
R: Hat es, als Ihre Schwester in dem Dorf als Lehrerin tätig war, Ihnen den Auftrag gegeben von Ihrem Onkel vs Ihre Schwester umzubringen?
BF: Nein, bis die Taliban Kunduz übernommen haben, war das nicht der Fall. Er hat aber sehr oft gesagt, warum meine Schwester unterrichten würde und warum sie keine Burka tragen würde.
R: War Ihr Onkel zu diesem Zeitpunkt schon bei den Taliban aktiv? Übernahm er schon eine Position unter den Taliban?
BF: Er war schon immer aktiv bei den Taliban. Er ist nicht nur ein Einzelfall gewesen, viele Leute haben für die Taliban gearbeitet in meinem Dorf.
R: Wie lange haben Sie sich selbst in Kabul aufgehalten, nachdem Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben?
BF: Einen Tag bin ich geblieben und am nächsten Tag reisten wir, meine Schwester und ich ab. Sie hat mir gesagt, ich soll mitkommen.
R: Beim BFA haben Sie am XXXX gesagt, dass Sie drei oder vier Tage in Kabul gewesen wären.
BF: Nein, das habe ich nicht gesagt. Sie fragten, wie lange meine Schwester geblieben ist, aber ich nicht.
R: Im Protokoll selbst steht „Ich besuchte sie dann auch in Kabul und wohnte etwa 3 oder 4 Nächte bei meiner Schwester“
BF: Nein, das habe ich nicht gesagt. Es ist ja auch lange her, ich kann mich jetzt nicht gut erinnern.
R: Können Sie sich vorstellen, warum Ihr Onkel nicht selbst Ihre ältere Schwester umgebracht hat?
BF: Er konnte nicht nach Kabul reisen.
R: Was hat Ihren Onkel gehindert nach Kabul zu reisen?
BF: Er ist einer der Taliban und die Polizei hat nach ihm gesucht. In Kunduz war es so, dass die Polizei mit den Taliban zusammengearbeitet hat. Ich habe es selbst gesehen, dass er mit der Polizei zu tun hatte.
R: Woher wissen Sie, dass Ihr Onkel von der Polizei in Kabul gesucht wurde?
BF: Ich wusste es, weil mein Onkel nicht so einfach in eine andere Provinz reisen konnte. Er hatte Schwierigkeiten in die Stadt XXXX zu gehen. Deswegen wusste ich das.
R: Warum sind Sie selbst dann nicht in Kabul bzw. in eine andere Stadt geblieben, nachdem es für Ihren Onkel eine gewisse Gefahr dargestellt hat, sich dort aufzuhalten?
BF: Wie ich gesagt habe, er hat bei den Taliban eine besondere Position gehabt und er hatte auch dementsprechend überall seine Spitzel in jeder Provinz. Er könnte mich überall ausfindig machen.
R: Sind seine Spitzel in der Stadt sicher gewesen?
BF: Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass er viele Spitzel hatte und sie waren überall unterwegs.
R: Warum war dann Ihr Onkel in den Städten nicht sicher?
BF: Er hatte trotzdem Angst.
R: Vor wem?
BF: Von der Regierung, von den Amerikanern. Es sterben täglich 3000 Leute.
R: Wurden Ihre Mutter und insbesondere jetzt Ihr Bruder, der jetzt ca. XXXX Jahre alt ist, jemals bedroht?
BF: Sie wurden nicht bedroht aber werden meinetwegen sehr oft belästigt.
R: Warum werden Ihre Mutter und Ihr Bruder ihretwegen belästigt?
BF: Weil ich meine Schwester nicht umgebracht habe und meine Schwester so ist, wie sie ist.
R: Woher weiß denn Ihr Onkel vs, dass Ihre Schwester nicht umgebracht wurde?
BF: XXXX war in Kabul, er hat ihn informiert.
R: Wird jetzt Ihr Bruder bedroht?
BF: Nein, er wird aber gequält, er muss immer zum Mullah gehen und den Koran lernen. Er darf keine Schule besuchen.
R: Wie bestreiten Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt?
BF: Ich bekomme XXXX Euro staatliche Hilfe. Diesen Betrag bekomme ich wöchentlich. Das ist unterschiedlich. XXXX Euro.
R: Wo wohnen Sie? In einem Heim oder Privat?
BF: Seit einer Woche lebe ich mit einem Freund in einer Privatwohnung. Das meiste von der Miete zahlt mein Freund und ein Viertel zahle ich. Ich zahle XXXX Euro.
R: Wie bezahlen Sie das, wenn Sie im Monat nur ca. XXXX Euro bekommen? Was bleibt Ihnen dann zum Leben?
BF: Seit einer Woche, weil ich privat lebe, kriege ich XXXX Euro monatlich. Ich habe insgesamt mit Strom, Wasser und alles XXXX Euro gezahlt und den Rest für Lebensmittel.
R: Gehen Sie einer caritativen Tätigkeit nach?
BF: Ich habe mich bemüht vor der Corona Situation freiwillige Arbeiten zu finden, aber es war ohne Erfolg und dann hat sich die Situation geändert.
R: Haben Sie in Österreich einen Freundeskreis?
BF: Ja.
R: Gehören diesem Freundeskreis auch Österreicher an?
BF: Ja. Dort, wo ich Fußball spiele.
R fragt auf Deutsch: Sprechen Sie Deutsch und verstehen Sie die deutsche Sprache?
BF (auf Deutsch): Ja sicher.
R (auf Deutsch): Beschreiben Sie mir Ihren typischen Alltag vom Aufstehen bis zu dem Zeitpunkt, wenn Sie dann ins Bett gehen.
BF (auf Deutsch): Ich stehe um 8 Uhr auf, dann gehe ich dusche, dann mache ich Frühstück, danach gehe ich raus, treffe Freunde. Wenn ich eine Termin habe, mache ich mein Termin fertig.
R (auf Deutsch): Was für ein Termin haben Sie?
BF (auf Deutsch): Keine Ahnung, überall.
R (auf Deutsch): Welchen letzten Termin hatten Sie?
BF (auf Deutsch): Letzten Termin habe ich, ich war bei Schule.
R (auf Deutsch): Haben Sie jeden Tag schule?
BF (auf Deutsch): Nein, meine Schule ist jetzt eigentlich fertig.
R (auf Deutsch): Haben Sie früher jeden Tag die Schule besucht?
BF (auf Deutsch): Ja.
R (auf Deutsch): Von wann bis wann mussten Sie die Schule besuchen?
BF (auf Deutsch): 8 bis 15 Uhr.
R (auf Deutsch): Was machen Sie jetzt in der Zeit, wenn Sie mit der Schule fertig sind?
BF (auf Deutsch): Anfang jetzt mein Termin, mein. Am August fange ich zu Fußballspielen an.
R (auf Deutsch): Fangen Sie als Profifußballer an oder?
BF (auf Deutsch): Mein Team heißt XXXX .
R (auf Deutsch): Haben Sie dafür einen Vertrag, bekommen Sie dafür Geld?
BF: (auf Deutsch): Nein habe ich jetzt leider nicht.
R (auf Deutsch): Wie gedenken Sie in Zukunft Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten?
BF (auf Deutsch): Ich habe früher als Schweißer gearbeitet und würde jetzt eine Ausbildung machen. Schweißerausbildung, Metalltechniker.
R (auf Deutsch): Was haben Sie früher geschweißt? Welche Art Schweißer?
BF (auf Deutsch): Das war schneiden, schweißen.
R: Mit welcher Methode haben Sie geschweißt?
BF: In Österreich ist das so, in Afghanistan schweißt man alles. Z.B. Fenster.
R: Wie schweißen Sie in Afghanistan?
BF: Fenster, Türen und Metalle.
R: Haben Sie schon einmal in einer Werkstatt zugeschaut, wie in Österreich geschweißt wird, wenn Sie sich dafür interessieren?
BF: Ich war von der Schule aus dort und habe zugeschaut.
R: Da hat man Ihnen sicher erklärt, mit was man schweißt?
BF: Wir waren nur einmal an einem Tag zu Gast dort. Mehr weiß ich nicht.
R: Sind Sie in einem Verein, in einer Organisation oder dergleichen Mitglied?
BF: Nein.
R: Wie heißen Ihre beiden besten österreichischen Freunde?
BF: Es sind viele. Einer heißt XXXX , ich kenne seinen Nachnamen nicht. Der andere heißt XXXX (phonetisch). Seine Mutter ist XXXX , sein Vater ist XXXX .
R: Wo wohnt XXXX ? Können Sie mir die Adresse sagen?
BF: Ich kenne seine genaue Adresse nicht, er lebt in XXXX .
R: Waren Sie bei ihm schon zuhause? Haben Sie ihn besucht?
BF: Nein.
R: Sind Sie verheiratet?
BF: Nein.
R: Leben Sie in einer Lebensgemeinschaft?
BF: Nein, ich hatte eine Freundin, aber wir sind getrennt. Ich konnte sie nicht finanziell erhalten.
R: Ist sie Österreicherin gewesen?
BF: Ja.
R: Leiden Sie an irgendwelchen Krankheiten? Sind Sie in ärztlicher Behandlung?
BF: Nein.
R: Haben Sie Familienangehörige in Österreich?
BF: Ja, meinen Schwager und meine Schwester.
R: Wo wohnen Ihre Schwester und Ihr Schwager?
BF: In XXXX .
R: Werden Sie finanziell von Ihrer Schwester bzw. Ihrem Schwager unterstützt?
BF: Ja, zu 100%.
R: Was heißt zu 100%?
BF: Sie kaufen mir Schuhe, Gewand, mit dem Geld, was ich vom Staat bekomme, komme ich nicht weiter.
R: Was arbeitet Ihr Schwager bzw. Ihre Schwester?
BF: Er arbeitet als XXXX . Meine Schwester ist zuhause. Ihre Kinder sind klein.
R: Unterstützen Sie Ihre Schwester bzw. die Familie Ihrer Schwester?
BF: Was ich kann, tue ich für sie.
R: Was ist das?
BF: Wenn sie mich braucht, zahlt sie mir die Fahrkarte und ich passe auf die Kinder auf, wenn sie selber Termine zu erledigen haben.
R: Wie oft kommt das vor?
BF: Einmal ist es vorgekommen, es ist nicht oft vorgekommen. Ich meine, dass ich das auch in Zukunft machen werde, wenn es vorgekommen sollte.
BF wird auf den Entschlagungsrecht hingewiesen.
R: Sind Sie gerichtlich vorbestraft bzw. läuft gegen Sie ein Strafverfahren bzw. sind Sie verwaltungsstrafrechtlich belangt worden bzw. läuft gegen Sie ein Verwaltungsstrafverfahren?
BF: In Österreich nicht.
RV: Sie haben damals erzählt, dass der Kontakt zu drei Cousins, die in Kabul studiert haben, regelmäßig war. Besteht dieser Kontakt noch immer?
BF: Nein, ich habe keinen Kontakt mit ihnen.
RV: Warum haben Sie keinen Kontakt mehr?
BF: Ich habe es nicht notwendig.
R: Was haben die drei Cousins studiert?
BF: Ich weiß es nicht.
RV: Sie haben bei der Erstbefragung etwas von Grundstücksschwierigkeiten erzählt mit dem Onkel. Das ist auch als Fluchtgrund niedergeschrieben worden. Wieso wurde beim ersten Mal nicht die Geschichte mit der Schwester und deren beauftragten Tötung erzählt?
BF: Ich war dort in XXXX bei der Polizeistation. Ich habe mein Gewand in die Waschmaschine getan. Ich hatte nur ein Oberteil an. Es kam eine weibliche Polizistin. Sie sagte mir, dass ich nun dran wäre. Ich sagte, dass ich nichts anhabe. Sie ging und es kamen zwei Polizisten. Sie sagten mir, dass ich nun zu der Einvernahme kommen solle. Es waren 60 Personen dort. Das, was man mich befragt hat, habe ich geantwortet. Es gab nicht genug Gelegenheit um alles zu sagen. Man hat mich dann nach dieser Befragung weggeschickt.
R: Ich habe Sie heute ausführlich über Ihr Fluchtvorbringen gefragt, warum haben Sie von den Grundstücksstreitigkeiten heute nichts erwähnt?
BF: Wenn Sie mich gefragt hätten, hätte ich es gesagt.
RV: Was für eine Rolle spielen diese Grundstücksschwierigkeiten in Ihrem Fluchtvorbringen?
BF: Jetzt gibt es kein Grundstück mehr, der Onkel hat alles verkauft.
R: Welcher Onkel hat es verkauft?
BF: Der Talib.
R: Wie konnte Ihr Onkel die Grundstücke verkaufen, wenn er gar nicht der Eigentümer war?
BF: Dort gibt es so etwas nicht. Sie wissen das wahrscheinlich besser. Wenn zwei ältere am Tisch sitzen, erledigt sich das.
R: An wen hat er die Grundstücke verkauft?
BF: Das weiß ich nicht, aber er hat sie verkauft.
RV: Wie lange sind Sie schon beim Sportsverein XXXX ?
BF: Zwischen 2 und 2,5 Jahren.
RV: Wie lange haben Sie diese Schule in Österreich besucht und welche Schule ist das?
BF: Seit einem Jahr und drei Monaten besuche ich die Schule.
RV: Ist die Schule abgeschlossen?
BF: Nein, ich muss noch eine Mathematikprüfung ablegen. Diese Prüfung ist etwas schwierig.
RV: Wenn Sie diese Prüfung abgelegt haben, ist die Schule dann beendet?
BF: Ja.
RV: Können Sie dann mit einer Lehre anfangen?
BF: Wenn ich die Aufenthaltsberechtigung habe, dann schon. Ohne Aufenthaltsberechtigung kann ich keine Lehre anfangen.
RV: Keine weiteren Fragen.
BehV1: Sie gaben in der Einvernahme vor dem BFA am XXXX an (S. 9), dass Sie noch nie in Kabul gewesen seien. Auf der S. 10 haben Sie angegeben, dass Sie drei bis vier Tage in Kabul bei Ihrer Schwester waren. Zusätzlich ist in der EV nicht von der Rede von einem Aufenthalt in Kabul. Heute geben Sie in der Verhandlung vor dem BVwG an, dass Sie einen Tag in Kabul gewesen wären. Was sagen Sie dazu? (S.9 des Protokolls vom XXXX )
BF: Ich habe heute behauptet, dass ich zwei Tage war. An einem Tag war ich dort und am nächsten Tag bin ich abgereist. Gemeint war, dass ich vor dem Vorfall nie in Kabul war.
BehV1: Welche Schulbildung hatte Ihre Schwester als Lehrerin?
BF: Das weiß ich nicht. Woher soll ich das wissen. Würde ich es wissen, würde ich es sagen.
BehV1: Sie gaben heute vor dem BVwG an, dass Sie keine normale Schulbildung haben durften. Wie konnte dann Ihre Schwester eine normale Schulbildung als Lehrerin haben?
BF: Ich habe schon bereits gesagt, dass meine Schwester eine Ausbildung im Iran gemacht hat. Ich weiß nicht viel mehr über ihre Ausbildung.
BehV1: Können Sie den Kontakt zu den drei Cousins wiederherstellen?
BF: Ich brauche kein Kontakt zu ihnen.
BehV1 wiederholt die Frage.
BF: Ich habe momentan keine Kontaktdaten von ihnen. Ich muss suchen.
R: Was meinen Sie damit, dass Sie keine Kontaktdaten haben?
BF: Sie haben Ihr Facebook-Account geändert.
R: Wissen Sie in welchem Stadtteil Ihre Cousins gelebt haben?
BF: Das weiß ich nicht.
BehV2: Sie haben heute von einem Nokia Handy gesprochen. Von wem haben Sie dieses Nokia Handy bekommen und für welchen Zweck haben Sie das Handy bekommen?
BF: Mein Onkel vs hat es mir gegeben und meinte, wenn ein Anruf kommt, soll ich es entgegennehmen.
R: Hat es einen Anruf gegeben?
BF: XXXX hat mich angerufen.
R: Was wollte er von Ihnen?
BF: Fragte, was ich getan habe, ob ich den Auftrag erfüllt habe oder nicht.
R: Haben Sie sich persönlich mit ihm getroffen oder haben Sie es am Telefonat belassen?
BF: Ich habe ihn in weiterer Folge dann getroffen.
BehV2: Haben Sie überlegt sich dieses Handy zu entledigen, nachdem Sie sich in einer Millionenstadt befunden haben?
BF: Nein, warum sollte ich das tun?
BehV1: Wie konnte eigentlich der XXXX sicher sein, dass Sie den Auftrag erfüllt haben?
BF: Er hat es geglaubt. Er war gezwungen, es zu glauben.
R: Wieso war er es gezwungen zu glauben?
BF: Mir ist aufgefallen, dass er sich nicht sehr genau erkundigt hat. Ich weiß nicht, was der Hintergrund dafür gewesen ist.
[…]
I.8. Mit Ladung vom XXXX wurden dem BF Länderinformationen zur allgemeinen Situation in Afghanistan, der EASO Country Guidance sowie Informationsbericht zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, Informationen zur IOM Reintegrationsunterstützung und UNHCR Richtlinien übermittelt.
I.9. Am XXXX fand eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt.
Im Zuge der Verhandlung wurden ein Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem vom XXXX sowie ein Werkvertrag des BF im Zusammenhang mit der Auslieferung von Speisen eines Restaurants (in Kopie) vorgelegt.
Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
[…]
R: Zur Integration: Sie haben vorgelegt ein freies Gewerbe. Was machen Sie da genau? Können Sie Ihre Tätigkeit beschreiben?
BF: Ich bin ein Zusteller für ein Restaurant.
R: Ist das für ein Restaurant oder für mehrere Restaurants?
BF: Ich habe nur einen Vertrag mit einem XXXX Restaurant. Ich stelle Essen zu für dieses Restaurant.
R: Sind Sie dort der einzige Zusteller?
BF: Dieses XXXX Restaurant hat mehrere Filialen. In XXXX , wo ich bin, sind wir XXXX Zusteller.
R: Seit wann üben Sie diese Tätigkeit als Zusteller aus?
BF: Seit ca. 4 Monaten.
R: Was haben Sie monatlich durchschnittlich verdient?
BF: XXXX Euro.
R: Haben Sie irgendwelche Unterlagen, das belegen kann, was Sie verdienen? Bitte reichen Sie das nach.
BF: Als Selbständiger habe ich keinen Lohnzettel, aber ich habe Rechnungen, die ich vorlegen kann.
BFV: Diese reichen wir nach.
R: Bitte für jedes Monat diese Rechnungen vorlegen.
BF wird eine Frist dafür von zwei Wochen eingeräumt, diese Rechnungen für die jeweiligen letzten 4 Monate und den SV-Auszug vorzulegen.
R: Sind Sie sozialversichert? Legen Sie bitte einen aktuellen SV-Auszug vor.
BF: Ich habe eine E-Card dabei.
R: Wie viele Stunden arbeiten Sie am Tag?
BF: 11 Stunden.
R: Können Sie erklären, wie das Ganze abläuft?
BF: Ich bin täglich von 11 Uhr bis 23 Uhr im Restaurant. Wenn die Leute Essen bestellen, dann liefere ich.
R: Wie sind Sie beteiligt? Wie wird abgerechnet?
BF: Ich habe einen fixen Betrag mit dem Restaurantbesitzer ausgehandelt. Ich bekomme XXXX Euro fix und die Versicherungskosten und alles andere wird vom Restaurantbesitzer bezahlt. Es ist unabhängig davon, wie viel ich zustelle.
R: Sind Sie an den Lieferungen zusätzlich beteiligt? Bekommen Sie auch etwas?
BF: Wenn ich Trinkgeld bekomme, schon. Sonst nichts. Wenn man es zusammenrechnet im Monat, bekomme ich XXXX Euro Trinkgeld.
R: Was zahlen Sie Miete?
BF: XXXX Euro.
R: Betriebskosten?
BF: Inklusive Betriebskosten.
R: Haben Sie einen Mietvertrag, haben Sie diesen schon vorgelegt?
BF: Nicht im Original.
BFV wird aufgefordert, den Mietvertrag im Original innerhalb von zwei Wochen vorzulegen.
R: Sie haben letztes Mal vorgelegt: Eine Bestätigung über den Externisten-Pflichtschulabschluss. Da war das Fach Mathematik noch offen. Sie sagten, Sie werden eine Prüfung ablegen. Haben Sie diese Prüfung abgelegt?
BF: CORONA-bedingt bis jetzt hatte ich noch keinen Termin.
R: Bringen Sie noch eine Bestätigung innerhalb von zwei Wochen, dass CORONA-bedingt bis jetzt kein Prüfungstermin für das Fach Mathematik stattfand.
R: Hat sich sonst an Ihrem Privat und Familienleben seit der letzten Verhandlung vom 10.06.2020 etwas geändert?
BF: Ich lebe mit einem Mädchen zusammen. Sie ist meine Freundin.
R: Wie heißt Ihre Freundin? Wann ist Ihre Freundin geboren?
BF: XXXX und sie ist in XXXX geboren. Ihr Geburtsdatum kenne ich nicht. Sie ist aber XXXX Jahre alt. Ich habe sie nicht nach ihrem Geburtsdatum gefragt.
R: Wie lange sind Sie mit ihr zusammen?
BF: Seit XXXX Monaten.
R: Wie heißt ihr voller Name?
BF: Ich nenne sie mit ihrem Namen.
R: Wie heißt sie mit Familiennamen?
BF: Das kann ich nicht auswendig. XXXX (nach langem Zögern).
R: Wie groß ist Ihre Wohnung?
BF: Ich habe einen Salon und ein Zimmer.
R: Wie groß ist dann der Salon im Vergleich zum Verhandlungsraum XXXX ?
BF beschreibt es damit, dass es sich um eine Raumgröße hinter dem Schreibtisch zur angrenzenden Mauer handelt (ca. ein Sechstel des VH-Saales).
R: Wer zahlt die Miete? Sie oder Ihre Freundin?
BF: Wir beide gemeinsam.
R: Geht Ihre Freundin arbeiten?
BF: Ja. Sie arbeitet Teilzeit und sie studiert.