Entscheidungsdatum
16.09.2021Norm
AlVG §10Spruch
I407 2238723-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Vorsitzender und die fachkundigen Laienrichter Florian TAUBER und Mag. Stefan WANNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des AMS, XXXX vom 06.11.2020, Zl. XXXX beschlossen:
A)
Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Arbeitsmarktservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Herr XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) bezog bis zum 28.10.2020 aufgrund eines Antrags vom 17.04.20 Arbeitslosengeld.
2. In der Betreuungsvereinbarung vom 25.09.2020 (gültig bis 24.03.2021) wurde vereinbart, dass das Arbeitsmarktservice XXXX , Regionale Geschäftsstelle (im Folgenden: belangte Behörde) den Beschwerdeführer bei der Suche nach einer Stelle als Bauhilfsarbeiter bzw. Hilfsarbeiter unterstützen werde. Das Arbeitsausmaß sei Vollzeit und der gewünschte Arbeitsort seien die Bezirke XXXX . Der Arbeitsplatz müsse mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.
3. Am 15.10.2020 wies die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein Stellenangebot als Hilfsarbeiter für Pflasterarbeiten bei dem Dienstgeber XXXX (im Folgenden: Dienstgeber P) zu.
4. In der Folge sollte der Beschwerdeführer am 23.10.2020 wegen der Nichtannahme bzw. dem Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen werden. Er war jedoch nicht erreichbar und erklärte auch schriftlich keine Einwände hinsichtlich der konkret angebotenen Entlohnung, der angebotenen beruflichen Verwendung, der vom Unternehmen geforderten Arbeitszeit, der körperlichen Fähigkeiten, Gesundheit und Sittlichkeit, der täglichen Wegzeit für Hin- und Rückweg sowie Betreuungspflichten. Sonstige berücksichtigungswürdige Gründe wurden vom Beschwerdeführer nicht angegeben.
5. Mit Schreiben vom 27.10.2020 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht schwer heben dürfe. Er habe dies auch telefonisch dem potentiellen Dienstgeber mitgeteilt.
6. Mit Antrag vom 23.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer Notstandshilfe.
7. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.10.2020 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §10 AlVG für den Zeitraum 23.10.2020 bis 28.10.2020 verloren hat.
8. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 06.11.2020 sprach die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandhilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum 29.10.2020 bis 17.12.2020 verloren hat.
9. Mit Schreiben vom 19.11.2020 legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die vorgenannten Bescheide ein.
10. Die belangte Behörde veranlasste daraufhin einen Untersuchungstermin am 09.12.2020 zur Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob die betreffende Tätigkeit dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen wäre. Von diesem Termin wurde der Beschwerdeführer telefonisch am 25.11.2020 verständigt.
11. Mit Stellungnahme vom 18.01.2021 legte die belangte Behörde die beiden Bescheide samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und erklärte, dass es sich bei der zugewiesenen Tätigkeit laut dem Dienstgeber um keine sehr schwere Arbeit handeln würde. Das zu tragende Gewicht würde zwischen 2 und 20 kg liegen. Der Beschwerdeführer habe den entsprechenden Untersuchungstermin zur Erstellung eines Gutachtens zur Klärung der Frage, ob die betreffende Tätigkeit zumutbar sei, bisher nicht wahrgenommen. Ein entsprechendes Gutachten würde umgehend nachgereicht werden.
12. Mit Eingabe vom 25.02.2021 wurde das ärztliche Gutachten von Dr. Thomas Scheiring, vom 17.02.2021 vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer schwere muskuläre Belastungen zu 50%, sowie bückende oder hockende bzw. kniende Belastungen zu 25% einschränken solle.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer bezog aufgrund eines Antrages vom 17.04.2020 bis zum 28.10.2020 Arbeitslosengeld. Ab 29.10.2020 bezog der Beschwerdeführer aufgrund eines Antrages vom 23.10.2020 Notstandshilfe.
1.2. Am 15.10.2020 wurde ihm von der belangten Behörde das folgende Stellenangebot bei dem Dienstgeber P zugewiesen (Anonymisierungen und Kürzung durch das Bundesverwaltungsgericht):
„Zur Erweiterung unseres Teams suchen wir noch
1 Hilfsarbeiter/in für Pflasterarbeiten.
ab sofort bis Mitte November
ANFORDERUNGEN:
- körperliche Fitness
- handwerkliches Geschick
- der Tätigkeit entsprechende Deutsch-Kenntnisse
- Führerschein B ist von Vorteil
ARBEITSZEIT:
- befristet bis Mitte November
- Vollzeitbeschäftigung
ARBEITSORT:
- hauptsächlich im Bezirk XXXX
- Mitfahrgelegenheit XXXX
KONTAKT/BEWERBUNG:
Bitte bewerben Sie sich […]
Tel.: XXXX
Entgeltangaben des Unternehmens:
Das Mindestentgelt für die Stelle als Hilfsarbeiter/in für Pflasterarbeiten. beträgt 1.938,86 EUR brutto pro Monat auf Basis Vollzeitbeschäftigung. Bereitschaft zur Überzahlung.
[…] „
1.3. Arbeitsort der zugewiesenen Beschäftigung wäre in XXXX oder XXXX . Der Beschwerdeführer ist in XXXX wohnhaft und somit ca. 20 Kilometer vom Dienstgeber in XXXX entfernt. Der Beschäftigungsort wäre für ihn mit dem Auto in ca. 30 Minuten erreichbar. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen der Wohnadresse und dem Dienstort dauert je nach Abfahrtszeit jeweils zwischen 50 und 120 Minuten pro Strecke. Es sind regelmäßige Verbindungen gegeben. Zudem hätte der Beschwerdeführer den Dienstort mit einer vom Dienstgeber bereitgestellten Mitfahrgelegenheit erreichen können.
1.4. Der Beschwerdeführer hat sich auf die angebotene Stelle nicht beworben und gab an, er könne aufgrund eines Bandscheibenvorfalls nicht schwer heben.
1.5. In dem von der belangten Behörde geführten Verfahren wurde der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und festgestellt. Insbesondere führte die belangte Behörde vor Erlassung des gegenständlichen Bescheides keinerlei Ermittlungen dahingehend durch, ob die zugewiesene Beschäftigung bei der Dienstgeberin P dem Beschwerdeführer iSd § 9 AlVG körperlich zumutbar gewesen wäre.
Entsprechende Ermittlungen wurden erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides getätigt. Am 24.11.2020 wurde der potenzielle Dienstgeber zum Belastungsprofil der Tätigkeit als Pflastereigehilfe befragt. Demnach müsse ein Pflastereihelfer das benötigte Material an den Arbeitsplatz transportieren. Dabei müsste Gewicht von bis zu 20 kg getragen werden. Es handle sich dabei um eine schwere, aber keine sehr schwere Tätigkeit. Weiter wurde durch die belangte Behörde ein medizinisches Gutachten eingeholt, wonach der Beschwerdeführer an einer Ansatzentzündung der Rückenmuskulatur am Becken leide. Er solle daher schwere muskuläre Beanspruchung im Ausmaß von 50% einschränken sowie bückende und kniende Arbeitshaltungen zu 25% einschränken. Besondere Verantwortung, psychische Belastung, Stress und Akkord- oder Fließbandarbeit seien dauernd zu vermeiden.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.
2.2. Der Umstand des Bezuges des Arbeitslosengeldes bzw. in weiterer Folge der Bezug der Notstandshilfe wird durch den unbedenklichen Akteninhalt bescheinigt.
2.3. Die Feststellungen zum Inhalt des zugewiesenen Inserates wurden dem im Akt einliegenden Stellenangebot entnommen.
2.4. Die Feststellungen zur Entfernung des Arbeitsortes und dessen Erreichbarkeit basiert auf einer Abfrage in „Google-Maps“ vom 15.06.2021 sowie auf den Angaben im gegenständlichen Stellenangebot.
2.5. Dass sich der Beschwerdeführer nicht auf die betroffene Stelle beworben hat, ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den Aktenvermerken der belangten Behörde vom 20.10.2020 und dem Schreiben der belangten Behörde an den Beschwerdeführer vom selben Tag. Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 27.10.2020 schildert, er habe mit dem Dienstgeber telefoniert und diesem erklärt, er könne nicht schwer heben, ist anzumerken, dass es sich hierbei um keine Bewerbung handelt. Selbiges wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.
2.6. Das Unterlassen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes durch die belangte Behörde ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus der Mitteilung des Beschwerdeführers vom 27.10.2020 in welcher er konkret auf seine körperlichen Beschwerden hinwies. Die Behörde ging in ihrem Bescheid vom 06.11.2020 nicht auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers ein und äußerte sich auch nicht dazu, ob die zugewiesene Stelle diesem zumutbar sei. Auch Feststellungen zum Anforderungsprofil der Tätigkeit wurden nicht getroffen.
Die Feststellungen zu den nach der Bescheiderlassung getätigten Ermittlungsschritten und -ergebnissen ergeben sich aus dem Akteninhalt der belangten Behörde und dem dem Bundesverwaltungsgericht am 25.02.2021 vorgelegten medizinischen Gutachten vom 17.02.2021.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.
3.2. Zu A) Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung:
3.2.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2017/24, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1) wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3. zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Das Modell der Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).
Zielsetzung des § 28 VwGVG ist, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch Ro 2014/03/0063, Ra 2014/03/0054 und Ra 2016/04/0007).
Aus der Judikatur des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung, d.h. im Tatsachenbereich, zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen und dass die verfahrensrechtliche Möglichkeit einer Rückverweisung eben nur ausnahmsweise möglich sein soll und hinsichtlich der Voraussetzungen der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG streng zu prüfen ist (vgl. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0168; VwGH vom 26.01.2011, 2009/07/0094).
Gemäß des Erkenntnisses des VwGH vom 28.03.2008, 2005/12/01878, zu § 66 Abs. 2 AVG ist eine Zurückverweisung nach dieser Norm nur dann zulässig, wenn die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne dieser zitierten Norm kann sich dabei immer nur im Tatsachenbereich stellen, wobei es allerdings nicht maßgebend ist, ob eine Verhandlung im kontradiktorischen Sinn oder nur eine Vernehmung der Partei erforderlich ist. Die Voraussetzung für eine Kassation nach § 66 Abs. 2 AVG ist daher auch dann erfüllt, wenn zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nur die Vernehmung einer Partei erforderlich ist.
In seinem Erkenntnis vom 20.02.2014, 2013/09/0166-10, zu einem Sachverhalt nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz stellte der VwGH zum Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde Folgendes fest:
„Gemäß § 60 AVG (...) sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (...). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrensparteien und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. 05.2005, 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern den Verwaltungsgerichtshof seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie in § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, insoweit zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung „auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26.02.2009, 2007/09/0088, mwN).
Damit stellt der Verwaltungsgerichtshof den Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde ausführlich dar.
3.2.3. Im gegenständlichen Fall erscheint für den erkennenden Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung zumindest fraglich. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen, im Zuge der Bescheiderlassung hinreichende Ermittlungen bezüglich der Zumutbarkeit des Stellenangebots durchzuführen.
Macht die arbeitslose Person gesundheitliche Einschränkungen geltend, die sie für die zugewiesene Beschäftigung unter Umständen als nicht geeignet erscheinen lassen könnten, besteht die Verpflichtung der regionalen Geschäftsstelle, dies durch die Veranlassung entsprechender Untersuchungen und durch die Einholung von Gutachten zu klären (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 15. Lfg (März 2018), § 9, Rz 225). Die belangte Behörde hätte daher ermitteln müssen, ob die zugewiesene Stelle in Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers zumutbar ist und ob hierdurch seine Gesundheit gefährdet wird.
Es ist in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern.
Auch eine Verletzung des Parteiengehörs kann eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen, wenn es nicht saniert wurde. Eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs durch die erste Instanz ist dann als saniert anzusehen, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hat, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im Rechtsmittel gegen den (eine ausreichende Darstellung der Beweisergebnisse enthaltenden) erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen (vgl. VwGH 27.12.2018, Ra 2015/08/0095, mwN).
Konkret teilte der Beschwerdeführer am 27.10.2020 mit, dass er nicht schwer heben dürfe. Trotz dieser Mitteilung wurde von der Behörde am 06.11.2020 der verfahrensgegenständliche Bescheid erlassen. Nähere Ermittlungen und Feststellungen zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers oder zum genauen Tätigkeitsprofil der avisierten Stelle und der durch die Tätigkeit verwirklichten körperlichen Belastung erfolgten zuvor nicht. Die Begründung des besagten Bescheides beschränkt sich auf eine kurze Zusammenfassung der zugrundeliegenden Vorschriften des AlVG und die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich nicht beworben hätte und keine Nachsichtsgründe vorlägen.
Erst nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides wurden entsprechende Ermittlungsschritte gesetzt, ein ärztliches Gutachten in Auftrag gegeben und Details zum Belastungsprofil der Tätigkeit als Pflastereigehilfe beim Dienstgeber erfragt. Das entsprechende Gutachten langte bei der belangten Behörde am 19.02.2021 ein, somit erst nach der Vorlage des Aktes an das Bundesverwaltungsgericht.
Insgesamt ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen. Sie hat keine konkreten Feststellungen zur infrage stehenden Zumutbarkeit der Beschäftigung getroffen und dementsprechend auch keine Beweiswürdigung oder rechtlichen Erwägungen diesbezüglich dargelegt. Grundlegende Ermittlungsschritte wurden erst nach der Bescheiderlassung und teilweise erst nach erfolgter Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gesetzt. Eine auch nur grundlegende Auseinandersetzung mit den Ermittlungsergebnissen durch die belangte Behörde erfolgte nicht.
Weder aus dem Bescheid der Behörde noch aus den sonstigen Unterlagen geht hervor, inwieweit das vom Dienstgeber ganz allgemein erfragte Tätigkeitsprofil den vom Gutachter festgestellten körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers entsprochen hat. Zudem war es dem Beschwerdeführer bisher nicht möglich, zu den Ermittlungsergebnissen der belangten Behörde Stellung zu nehmen oder Gegenbeweise zu erbringen.
Es kann somit nicht festgestellt werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Dies zumal die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt allenfalls durch Einvernahme des Beschwerdeführers und ergänzende Rückfrage beim Dienstgeber, inwieweit die zugewiesene Stelle den Anforderungen des Gutachtens entspricht, feststellen könnte. Währenddessen hätte bei Feststellung des Sachverhaltes durch das BVwG eine Verhandlung vor dem Senat unter Ladung der Parteien und allenfalls des Sachverständigen sowie des Dienstgebers stattzufinden.
Es war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides - nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens betreffend die Zumutbarkeit der gegenständlichen Beschäftigung - an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren konkret zu prüfen haben, ob die Beschäftigung im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers angemessen gewesen wäre und ob dadurch seine Gesundheit gefährdet worden wäre.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe insbesondere die zur Zuweisungsfähigkeit und Vereitelungshandlung zitierte Rechtsprechung); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In der rechtlichen Beurteilung zu Punkt A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH ausgeführt, dass im erstinstanzlichen Verfahren notwendige Ermittlungen und Feststellungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 zweiter Satz inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlung heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen Regelung (vgl. OGH vom 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Beschäftigung Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Notstandshilfe ZumutbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I407.2238723.1.00Im RIS seit
28.10.2021Zuletzt aktualisiert am
28.10.2021