TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/11 W250 2189823-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
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Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77

Spruch


W250 2189823-4/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von XXXX (sowie eine Vielzahl an Aliasnamen), geb. XXXX (sowie eine Vielzahl an Aliasdaten), Staatsangehörigkeit Marokko alias Algerien, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.06.2013 unter Angabe falscher Identitätsdaten einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 04.07.2014 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von 10 Jahren befristeten Einreiseverbot erlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.08.2014 abgewiesen. Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieb unrechtmäßig in Österreich und wurde mehrfach straffällig.

2. Am 11.04.2018 stellte der BF einen Asylfolgeantrag, bei welchem er wiederum falsche Identitätsdaten angab. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.04.2018 wurde der dem BF auf Grund dieses Antrages zukommende faktische Abschiebeschutz aufgehoben. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.04.2018 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war. Der Asylfolgeantrag vom 11.04.2018 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 01.09.2018 vollinhaltlich zurückgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.03.2019 als verspätet zurückgewiesen.

3. Der BF wurde am XXXX als XXXX , geb. am XXXX , identifiziert und die marokkanische Botschaft stimmte der Übernahme des BF zu.

4. Während seiner Anhaltung in Strafhaft wurde der BF am 04.05.2021 zur möglichen Schubhaftverhängung einvernommen. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass er gesund sei, keine Dokumente besitze und die marokkanische Staatsbürgerschaft habe. Er habe in Österreich nie legal gearbeitet, nehme Drogen und missbrauche Alkohol. In Österreich befänden sich keine Familienangehörigen und auch sonst habe er keine sozialen Beziehungen in Österreich erlangt. Sein Aufenthalt sei unstet gewesen. Er wolle in seine Heimat zurück und nicht länger in Haft verbleiben. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.06.2021 wurde über den BF Schubhafthaft zu Sicherung der Abschiebung angeordnet. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 11.06.2021 wird der BF in Schubhaft angehalten. Die gegen den Schubhaftbescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.06.2021 abgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

5. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 04.10.2021 unter Anschluss einer Stellungnahme die Akten gemäß §22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. In der Stellungnahme wird nach Darlegung des maßgeblichen Sachverhalts insbesondere ausgeführt, dass die Abschiebung des BF für den 08.10.2021 vorgesehen sei. Diese Stellungnahme wurde dem BF zum schriftlichen Parteiengehör übermittelt, eine Stellungnahme langte beim Bundesverwaltungsgericht nicht ein.

6. Am 07.10.2021 teilte das Bundesamt mit, dass von der marokkanischen Vertretungsbehörde das Heimreisezertifikat nicht rechtzeitig ausgestellt worden sei, weshalb die Abschiebung des BF nunmehr am 02.11.2021 erfolgen werde. Ergänzend teilte das Bundesamt am 08.10.2021 nach diesbezüglicher Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht dazu mit, dass die Ausstellung des Heimreisezertifikates nicht erfolgt sei, da am XXXX der zuständige Mitarbeiter der marokkanischen Vertretungsbehörde unerwartet abwesend gewesen sei. Auf Ersuchen der marokkanischen Vertretungsbehörde sei der Flug am 08.10.2021 storniert und auf den 02.11.2021 verschoben worden. Da die Flugverschiebung auf Ersuchen der marokkanischen Vertretungsbehörde erfolgt sei, sei mit einer zeitgerechten Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF zu rechnen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.6.)

Der unter Punkt I.1. – I.6. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF hat keine Dokumente vorgelegt, die seine Identität bescheinigen. Er wurde von der marokkanischen Vertretungsbehörde als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert. Der BF ist volljährig und besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Der BF wird seit 11.06.2021 in Schubhaft angehalten, die Frist zur Überprüfung der Schubhaft endet am 11.10.2021.

2.3. Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Erkrankungen vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

3. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF hat in seinen Verfahren auf Grund seiner Anträge auf internationalen Schutz falsche Identitätsdaten angegeben.

3.2. Der BF hielt sich ohne Meldeadresse in Österreich auf und hat sich dadurch den Fremdenbehörden entzogen.

3.3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.07.2014 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen, diese ist rechtskräftig und durchsetzbar.

3.4. Der BF stellte am 11.04.2018 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor und wurde der BF in Schubhaft angehalten. Der diesbezüglich dem BF zukommende faktische Abschiebeschutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.04.2018 aufgehoben, mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.04.2018 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.

4. Zur familiären und sozialen Komponente:

4.1. Der BF hat in Österreich keine familiären und sonstigen nennenswerten sozialen Beziehungen.

4.2. Der BF geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, er ist nicht selbsterhaltungsfähig und weist keine Integrationsmerkmale auf.

4.3. Er verfügt über keine Geldreserven.

4.4. Der BF hat in Österreich keinen gesicherten Wohnsitz.

5. Zur Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft:

5.1. Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtlichen Verteilungen auf:

5.1.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 21.11.2013, rechtskräftig am 26.11.2013, wurde der BF nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall Suchtmittelgesetz – SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Die dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 13.07.2013 begangen.

5.1.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 18.02.2014, rechtskräftig am 18.02.2014, wurde der BF nach §§ 15, 127 Strafgesetzbuch – StGB, §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB und nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Die dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 01.01.2014 begangen.

5.1.3. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 27.05.2014, rechtskräftig am 30.05.2014, wurde der BF nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB und § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Die dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 21.01.2014 begangen.

5.1.4. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 10.11.2015, rechtskräftig am 14.11.2015, wurde der BF nach §§ 24 Abs. 1 Z. 1 erster Fall, 27 Abs. 1 Z. 1 zweiter Fall SMG, § 125 StGB, § 15 StGB iVm §§ 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, 27 Abs. 3 SMG, § 146 StGB und §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 12.08.2015 begangen.

5.1.5. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 05.07.2016, rechtskräftig am 10.11.2016, wurde der BF nach § 88 Abs. 1 StGB und §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 12.08.2015 begangen.

5.1.6. Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 25.04.2017, rechtskräftig am 28.04.2017, wurde der BF nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB und §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Die letzte der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Taten hat der BF am 08.01.2017 begangen.

5.1.7. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 25.09.2018, rechtskräftig am 29.09.2018, wurde der BF nach §§ 15, 127 StGB, § 297 Abs. 1 erster Fall StGB, § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 107 Abs. 1 StGB und § 27 Abs. 2a erster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 18.01.2018 begangen.

5.1.8. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 03.03.2020, rechtskräftig am 09.03.2020, wurde der BF nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 22.11.2019 begangen.

5.1.9. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 23.02.2021, rechtskräftig am 23.03.2021, wurde der BF nach §§ 15, 127 StGB verurteilt. Unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 03.03.2020 wurde keine Zusatzstrafe verhängt.

5.2. Der BF wurde bereits von 17.03.2018 bis 02.07.2018 und von 12.07.2019 bis 22.10.2019 in Schubhaft angehalten. Er wurde beide Male aus der Schubhaft entlassen, da die Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht absehbar war.

5.3. Der BF wurde im Februar 2021 als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert und wurde von der marokkanischen Vertretungsbehörde zugesagt, ein Heimreisezertifikat für den BF auszustellen. Die Abschiebung des BF war für den 08.10.2021 organisiert, die Vorführung des BF vor die marokkanische Vertretungsbehörde zur Ausstellung des Heimreisezertifikates war für den XXXX vereinbart. Auf Grund einer unvorhersehbaren Abwesenheit des betreffenden Mitarbeiters der marokkanischen Vertretungsbehörde erfolgte am XXXX keine Ausstellung des Heimreisezertifikates und wurde der Abschiebeflug des BF auf Ersuchen der marokkanischen Vertretungsbehörde auf 02.11.2021 umgebucht.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes und in die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das Asylverfahren sowie die bisherigen Schubhaftverfahren des BF betreffend und durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die Asylverfahren sowie die bisherigen Schubhaftverfahren des BF betreffend, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der BF bisher keine Dokumente vorgelegt hat, die seine Identität bescheinigen. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf den von der marokkanischen Vertretungsbehörde übermittelten Daten, unter denen der BF identifiziert worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Da seine Anträge auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab- bzw. zurückgewiesen wurden, konnte die Feststellung getroffen werden, dass der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter ist.

1.3. Die Feststellung zur Anhaltung des BF in Schubhaft seit 11.06.2021 ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.4. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach beim BF eine Haftunfähigkeit vorliegen würde. Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus der Anhaltedatei ergeben sich Anhaltspunkte für gesundheitliche Beschwerden des BF. Solche hat er weder in seiner Schubhaftbeschwerde vom 14.06.2021 noch im gegenständlichen Verfahren vorgebracht.

2. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

2.1. Dass der BF in seinen Asylverfahren falsche Identitätsdaten angegeben hat, ergibt sich aus den diesbezüglichen Verwaltungsakten, die in den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes über die Beschwerden des BF in seinen Asylverfahren einliegen. Laut der Niederschrift über die Erstbefragung des BF am 29.06.2013 gab er an, dass er XXXX heiße und am XXXX geboren sei. In der Niederschrift vor dem Bundesamt am 03.04.2014 gab er an, dass er am XXXX geboren sei. Seine Identitätsdaten stellte er auch in der in diesem Verfahren durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht richtig. Im Verfahren auf Grund seines Asylantrages vom 11.04.2018 nannte der BF die bereits in der Erstbefragung am 29.06.2013 angegebenen Daten, behauptete jedoch, algerischer Staatsangehöriger zu sein.

2.2. Wie sich aus dem Akteninhalt und auch der eigenen Aussage des BF in der Einvernahme vom 04.05.2021 ergibt, wählte der BF in Freiheit befindlich stets einen unsteten Aufenthalt und war daher für die Behörde nicht greifbar.

2.3. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.07.2014 erlassenen Rückkehrentscheidung beruhen auf dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen diesen Bescheid betreffend.

2.4. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der BF seinen Asylantrag am 11.04.2018 während seiner Anhaltung in Schubhaft stellte und zu diesem Zeitpunkt auch eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorlag. Dass der diesbezügliche faktische Abschiebeschutz rechtskräftig aufgehoben wurde, ergibt sich aus dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend.

2.5. Aufgrund der Aktenlage ergibt sich, dass der BF über keinerlei familiäre oder anderweitige wesentliche soziale Kontakte in Österreich verfügt. Dass er bisher keinerlei legale Berufstätigkeit in Österreich ausgeübt hat, gesteht er in der Einvernahme vom 04.05.2021 zu. Dass der BF über keine Geldreserven verfügt, ergibt sich aus den Angaben in der Anhaltedatei. Dass der BF über keine Wohnmöglichkeit verfügt ergibt sich insbesondere daraus, dass er eine solche weder in seiner Schubhaftbeschwerde vom 14.06.2021 behauptet hat noch im Rahmen des Parteiengehörs im gegenständlichen Verfahren mitgeteilt hat.

2.6. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus dem Strafregister.

2.7. Die Feststellung, dass der BF bereits zwei Mal in Schubhaft angehalten wurde und jeweils entlassen werden musste, da die Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht absehbar war, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister.

2.8. Dass der BF im Februar 2021 als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert wurde und seine Übernahme zugesichert wurde, ergibt sich aus dem diesbezüglichen Schreiben der marokkanischen Vertretungsbehörde, das im Verwaltungsakt einliegt. Die Umstände, die zur Verschiebung der Abschiebung des BF von 08.10.2021 auf 02.11.2021 geführt haben, ergeben sich aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 08.10.2021.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen. Von der Möglichkeit im Verfahren eine Stellungnahme abzugeben, hat der BF keinen Gebrauch gemacht.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.

3.1.4. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, der BF wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft angehalten.

3.1.5. Das Gericht geht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus.

Der BF hat durch die konsequente Angabe von falschen Identitätsdaten und sein mehrfaches Untertauchen seine Abschiebung behindert, weshalb der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG erfüllt ist. Am 11.04.2018 stellte er einen Asylfolgeantrag, als bereits eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag und er in Schubhaft angehalten wurde. Der diesbezüglich faktische Abschiebeschutz wurde rechtskräftig aufgehoben. Es sind daher auch die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z. 4 und Z. 5 FPG erfüllt.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG ist bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Da gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht und er seine Abschiebung behindert hat ist daher insgesamt der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt sind gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung des Fremden in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Der BF verfügt im Inland über keinerlei enge soziale, berufliche oder familiäre Anknüpfungspunkte und ist auch nicht selbsterhaltungsfähig, weshalb keinerlei soziales Netz vorhanden ist, welches ihn vom Untertauchen bewahren könnte. § 76 Abs. 3 Z 9 FPG ist daher gegenständlich ebenfalls nach wie vor erfüllt.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3, Z 4, Z 5 und Z 9 FPG vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.6. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

Der BF wurde bereits zwei Mal in Schubhaft angehalten, musste jedoch jeweils wieder entlassen werden, da die Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF nicht absehbar war. Dieser Umstand war maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Feststellung der Identität des BF durch seine konsequente Angabe falscher Identitätsdaten nicht möglich war. Der BF kann daher gemäß § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG insgesamt 18 Monate in Schubhaft angehalten werden.

Das Bundesamt bereitete die Abschiebung des BF für den 08.10.2021 vor, musste diesen Termin jedoch auf Ersuchen der marokkanischen Vertretungsbehörde auf 02.11.2021 verschieben, da die rechtzeitige Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht erfolgte. Insgesamt hat das Bundesamt auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hingewirkt und erscheint die Abschiebung des BF am 02.11.2021 auch möglich.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF weist neun Vorstrafen auf, wobei er insbesondere mehrfach wegen Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Vermögensdelikten verurteilt wurde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass der BF seine erste Straftat, die zu seiner Verurteilung führte, bereits ca. zwei Wochen nach Stellung seines ersten Asylantrags begangen hat und ihn danach weder gerichtliche Verurteilungen noch die Anhaltung in Strafhaft von weiteren einschlägigen Straftaten abhalten konnten. Gerade an der Verhinderung der Drogenkriminalität liegt ein besonders hohes öffentliches Interesse und ist im Fall des BF mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er neuerlich rückfällig wird. Dies insbesondere auch deshalb, da er über keine finanzielle Mittel verfügt und seinen Aufenthalt in der Vergangenheit bereits mehrfach durch den Verkauf von Suchtmittel finanziert hat. Das öffentliche Interesse an der gesicherten Außerlandesbringung des BF überwiegt daher den Schutz der persönlichen Freiheit des BF bei weitem.

Den persönlichen Interessen des BF kommt daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung – zumal der BF bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die österreichische Rechtsordnung missachtet und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändert.

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

3.1.7. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des BF besteht, zumal der BF trotz seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich noch nie über eine Meldeadresse außerhalb einer Justizanstalt bzw. eines Polizeianhaltezentrums verfügt hat und er sich durch Untertauchen vor den Behörden verborgen gehalten hat.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

3.1.8. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.9. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben, insbesondere folgt die Entscheidung der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Identität illegale Einreise Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W250.2189823.4.00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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