TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/18 95/20/0649

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Veröffentlicht am 18.12.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. September 1995, Zl. 4.332.782/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekutioon zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 9. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 12. Dezember 1991 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 21. Februar 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen folgendes an:

"Ich bin Angehöriger der kurdischen Minderheit in der Türkei und Alevite. Ich bin Mitglied der Sozialistischen Partei SHP. Im Jahr 1975 kam es zu Zusammenstößen zwischen Sunniten und Aleviten in Erzincan. Ich wurde damals von der Polizei festgenommen und inhaftiert. Anschließend verzog ich nach Istanbul. Am 1.5.1991 nahm ich an einem stattfindenden Aufmarsch der SHP teil und wurde ich auch daher festgenommen und 15 Tage eingesperrt. Bei den Vernehmungen bekam ich Schläge mit dem Gummiknüppel und ich wurde bewußtlos. Sie haben damals von mir Geständnisse von ungeklärten Mordtaten erzwingen wollen. Ich habe jedoch nie verbrecherische Handlungen gesetzt. Verschiedene politische Parteien, darunter waren auch welche, die verboten sind, haben ohne mein Einverständnis Flugblätter und Plakate an mein Lebensmittelgeschäft geklebt und ich wurde daher immer beschuldigt, daß ich diesen Gruppierungen nahestehe.

In einem Jahr wurde ich mindestens zehn Mal aus diesem Grunde auf die Polizeistation gebracht und jeweils ein bis zwei Tage festgehalten und verhört.

Als weiteren Fluchtgrund möchte ich angeben, daß ich von meinen Wohnungsnachbarn nicht mehr geduldet werde, da ich nicht in die Moschee gehe. Es kam aus diesem Grund ständig zu Streitigkeiten.

Weitere Fluchtgründe habe ich nicht."

Mit Formularbescheid vom 5. März 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht. In der Begründung wurde auf die vom Beschwerdeführer individuell genannten Fluchtgründe nicht eingegangen.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer zunächst Begründungs- und Verfahrensfehler geltend und führte im Sachverhalt aus, wie folgt:

"Ich bin Angehöriger der in der Türkei lebenden kurdischen Minderheit und in der Ortschaft P, die ausschließlich von Kurden bewohnt wird, geboren.

Wegen der schwierigen Lebensverhältnisse in diesem Ort bin ich 1972 nach E verzogen, wo ich bis 1980 gelebt habe. Auch in dieser Stadt wurde ich wegen meiner Zugehörigkeit zum kurdischen Volk bzw. zur alewitischen Glaubensgemeinschaft verfolgt. Im Jahre 1975 wurde ich als Mitglied der sozialistischen Partei verhaftet, da ich für die Erlangung der kurdischen Freiheit eingetreten bin und Flugzettel verteilt habe. Seit dieser Zeit war ich den türkischen Behörden verdächtig und wurde immer wieder kurzfristig in Haft genommen und befragt, sobald es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken kam. Auch fanden häufig Hausdurchsuchungen statt, da man nach Beweisen für meine Zusammenarbeit mit den kurdischen Aufständischen suchte. Diese Zustände veranlaßten mich, 1980 nach Istanbul zu ziehen, wo ich längere Zeit unangemeldet lebte. Ich betrieb auf den Namen meiner Gattin ein Lebensmittelgeschäft. 1989 stellten die Behörden meine Identität fest und wurde ich 14 Tage in Haft genommen, hiebei verhört und geschlagen. Nach dieser Zeit stand ich unter ständiger Beaufsichtigung der Polizei, dessen ungeachtet nahm ich am 1. Mai 1990 an einer Demonstration der sozialistischen Partei teil, was zur Folge hatte, daß ich neuerlich von der Polizei gesucht wurde und sodann, nachdem sie mich gefunden hatten, wiederum verhört und geschlagen wurde. Auf diesen Gründen war es mir auch nicht möglich, einen Reisepaß zu erhalten und bin ich im Dezember 1991 ohne Reisepaß in Österreich eingetroffen und habe am 12.12.1991 in Traiskirchen um Gewährung des politischen Asyls angesucht."

Mit Bescheid vom 18. April 1994 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers infolge Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in Rumänien gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0355, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu der von ihr entscheidungswesentlich herangezogenen Verfolgungssicherheit kein Parteiengehör eingeräumt und dieser das Vorliegen von Verfolgungssicherheit in der Beschwerde mit ausreichend konkreten Argumenten bekämpfte hatte.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte sie dazu aus, der Beschwerdeführer habe im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befände und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Im weiteren führte sie aus:

"Erfahrungsgemäß gehorcht eine Verfolgung einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül. Es muß für staatliche Organe Grund für die Annmahme bestehen, der Asylwerber sei ein Gegner des herrschenden Systems und die Verfolgung würde dem begegnen. Für den Fall, daß der Asylwerber nur in untergeordneter Rolle politisch tätig war oder allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar ist, erscheint eine Verfolgung nicht glaubhaft.

Die erkennende Behörde wird in ihrer Ansicht, daß es sich bei Ihren Ausführungen lediglich um solche handelt, die fabuliert sind, durch deren marginale Substanz bestärkt. So ist es Ihnen anläßlich Ihrer Ersteinvernahme nicht gelungen, die von Ihnen aufgestellten Behauptungen näher mit Fakten zu untermauern."

Im übrigen beurteilte sie die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten mehrfachen Verhöre und Anhaltungen infolge ihrer mangelnden Intensität als nicht asylrelevant und bemerkte zu der, vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Anhaltung vom Mai 1991 (in der Berufung: 1990), dieser Inhaftierung fehle der zeitliche Konnex zu seiner Ausreise. Der vom Beschwerdeführer behauptete "Hader" mit seinen Nachbarn, vermöge ebenfalls Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zunächst ist der Beschwerde zuzugeben, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung unter Zuhilfenahme der Annahme eines "Kosten-Nutzen-Kalküls" der Organe des Verfolgerstaates unschlüssig und nicht nachvollziehbar ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0198). Auch die weitere oben wörtlich wiedergegebene Erwägung zur Beweiswürdigung entspricht den gesetzlichen Erfordernissen einer verständlichen Darlegung ihrer Beweggründe keineswegs, insbesondere, da aus den Ausführungen der belangten Behörde auch nicht zu entnehmen ist, daß "nähere Fakten" zur Untermauerung der vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen erfragt, jedoch unbeantwortet geblieben seien.

Dennoch muß der Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben, weil der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden kann, wenn sie davon ausgeht, den - wenn auch mehrfachen - Anhaltungen und Verhören des Beschwerdeführers fehle der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zur Ausreise (Flucht) eines Asylwerbers aus seinem Heimatland. Dies rechtfertigt die Annahme, eine AKTUELLE Verfolgungsgefahr liege im Zeitpunkt der Ausreise nicht mehr vor, es sei denn, daß konkrete Umstände anderes indizieren. Derartige ergänzende Umstände wurden vom Beschwerdeführer jedoch nicht vorgebracht. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde den (für den Beschwerdeführer im günstigsten Fall anzunehmenden) Zeitpunkt seiner letzten Inhaftierung 1. Mai 1991 als in keinem zeitlichen Zusammenhang mehr zu seiner erst im Dezember dieses Jahres erfolgten Ausreise stehend angesehen hat (ausgehend von den Behauptungen in der Berufung wäre dies sogar ein Zeitraum von eineinhalb Jahren gewesen).

Insgesamt erweist sich daher die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200649.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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