TE Vwgh Beschluss 2021/10/5 Ra 2020/18/0424

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des L O, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2020, I401 2106457-2/4E, I401 2106457-3/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, beantragte am 4. April 2015 internationalen Schutz, weil er in seinem Herkunftsstaat von Boko Haram bedroht worden sei.

2        Mit Bescheid vom 19. April 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 29. September 2015 als unbegründet ab.

4        Am 12. September 2018 stellte der Revisionswerber den nunmehr relevanten Folgeantrag auf internationalen Schutz. Aus den vorgelegten Verfahrensakten ergibt sich, dass das Verfahren gemäß § 28 Abs. 1 AsylG 2005 durch Aushändigung einer Aufenthaltsberechtigungskarte (§ 51 AsylG 2005) zugelassen wurde.

5        Mit Bescheid vom 11. Mai 2020 wies das BFA diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest und verhängte ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers vom 21. Dezember 2018 auf Ausstellung einer Karte für Geduldete ab.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 12. September 2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde, als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen eine Verletzung der Verpflichtung des BVwG zur Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung geltend macht.

8        Über die Revision hat der Verwaltungsgerichtshof mit verfahrensleitender Anordnung vom 21. Dezember 2020 das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Dass das Verfahren, soweit es die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG betraf, wegen Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung fehlerhaft gewesen wäre, zeigt die Revision nicht auf:

13       Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG - der auch in nach dem BFA-VG zu führenden Verfahren, insbesondere was die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG betrifft, anzuwenden ist - kann die Verhandlung (u.a. dann) entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichts, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen. Dieses Ermessen ist jedenfalls im Licht des Art. 6 EMRK zu handhaben. Dies gilt sinngemäß auch für Art. 47 GRC (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0226, mwN).

14       Zunächst ist anzumerken, dass sich die Revision mit der Bestimmung des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG gar nicht auseinandersetzt, sondern lediglich einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG geltend macht.

15       Dessen ungeachtet ist eine fehlerhafte Ausübung des durch § 24 Abs. 2 VwGVG eingeräumten Ermessens betreffend die Durchführung einer Verhandlung insgesamt nicht ersichtlich. Die Revision argumentiert, in der Beschwerde sei geltend gemacht worden, das BFA habe im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz entgegen einem vom Revisionswerber vorgelegten klinisch-psychologischen Sachverständigengutachten die ausreichende Anpassungsfähigkeit des Revisionswerbers für eine Rückkehr nach Nigeria angenommen. Tatsächlich diagnostizierte dieses Gutachten, das im Zuge eines pflegschaftsrechtlichen Verfahrens vor einem Bezirksgericht eingeholt wurde, beim Revisionswerber zwar eine Anpassungsstörung, hielt jedoch auch fest, dass diese (kombiniert mit erhöhter Ängstlichkeit und Antriebsminderung) nicht so stark ausgeprägt sei, dass der Revisionswerber nicht in der Lage wäre, sich selbst um seine Anliegen zu kümmern. Der bereits in der Beschwerde erhobene und in der Revision wiederholte Vorwurf, das BFA (und ihm folgend das BVwG) sei von einer „überdurchschnittlichen Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit“ des Revisionswerbers ausgegangen, „obwohl der Sachverständige [...] die Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit [als] eindeutig gemindert und behandlungsbedürftig“ eingestuft hätte, ist nicht nachvollziehbar.

16       Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist die Frage, ob das BVwG zu Recht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen hat, nach § 21 Abs. 7 BFA-VG zu beurteilen.

17       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

18       Im vorliegenden Fall hielt das BFA fest, der Revisionswerber habe eine „Lebensgefährtin“, von der er finanziell unterstützt werde. Die beiden würden nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben, die „Lebensgefährtin“ halte sich jedoch drei bis vier Tage in der Woche beim Revisionswerber auf. Rechtlich folgerte das BFA, dass kein durch Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben vorliege und im Hinblick auf den Eingriff in das Privatleben eine Interessenabwägung zuungunsten des Revisionswerbers ausfalle.

19       In der Beschwerde bestritt der Revisionswerber in diesem Zusammenhang nicht den festgestellten Sachverhalt, sondern strebte lediglich eine andere rechtliche Würdigung an, nämlich im Sinne des Vorliegens eines „schützenswerten Privatlebens“.

20       Indem das BVwG ergänzend festhielt, der Revisionswerber und seine „Bekannte“ seien zu keinem Zeitpunkt an derselben Wohnadresse gemeldet gewesen und aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister ergebe sich, dass sie verheiratet und mit ihrem Ehemann seit dem Jahr 1995 an einer gemeinsamen Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet sei, weshalb mit dem Revisionswerber keine Lebensgemeinschaft vorliege, legte es seiner Beurteilung keinen gegenüber der Entscheidung des BFA in einem relevanten Punkt veränderten Sachverhalt zugrunde. Auch von den tragenden Erwägungen der Beweiswürdigung des BFA wich das BVwG nicht ab.

21       Die Revision legt somit (auch) für die Rückkehrentscheidung nicht dar, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen wäre.

22       Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 sowie zur Abweisung des Antrages auf Ausstellung einer Karte für Geduldete enthält die Revision kein spezifisches Zulässigkeitsvorbringen.

23       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180424.L01

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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