TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/3 I416 2216516-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.05.2021
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Entscheidungsdatum

03.05.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG 2005 §58 Abs13
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §4 Abs2
AsylG-DV 2005 §8 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch


I416 2216516-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Ägypten, vertreten durch den RA Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin stellte erstmals am 30.06.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) am 22.02.2019, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen wurde. Außerdem wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Ägypten zulässig ist. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.04.2019, GZ: I422 2216516-1/7E, wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 18.02.2020, XXXX , zurückgewiesen.

2.       Mit schriftlichem Antrag vom 14.05.2020 ersuchte die Beschwerdeführerin die belangte Behörde um Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG und fügte dem Antrag ein Schreiben in arabischer Schrift sowie einen E-Mail-Verkehr zwischen ihrer Tochter und ihrem damaligen Rechtsvertreter an. Im Formularvordruck erklärte die Beschwerdeführerin unter Punkt I. Angaben zur Integration Folgendes: „2014 – 2017 XXXX ( XXXX ) wurde aus politischen Gründen entlassen. Es besteht wegen dieser Tätigkeit ein Haftbefehl in Ägypten. Es wird Antrag auf Mangelheilung zu Reisepass und Geburtsurkunde gestellt, Art. 8 MRK Begründung gleich dem Antrag der Tochter XXXX .“

3.       Die belangte Behörde sendete der Beschwerdeführerin am 03.09.2020 eine Ladung zur persönlichen Antragstellung und zur Beibringung von Unterlagen und forderte mit Verbesserungsauftrag vom 03.09.2020 die Vorlage einer ausführlichen schriftlichen Antragsbegründung in deutscher Sprache, eines Lichtbildes gemäß § 5 AsylG-DV, eines gültigen Reisedokuments im Original und einer Geburtsurkunde oder eines dieser gleichzuhaltendes Dokument im Original, sowie allenfalls eines Nachweises der Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung oder der Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit jeweils binnen vier Wochen ab Zustellung des Verbesserungsauftrages. Es erfolgte zudem eine Belehrung über die Möglichkeit der Einbringung eines begründeten Antrags auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV sowie die Folgen einer mangelnden Mitwirkung gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG.

4.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid der belangten Behörde vom 26.01.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.).

5.       Am 27.01.2021 erfolgte ein Ersuchen der belangten Behörde an die Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug (AFA) der LPD XXXX um nachweisliche Zustellung des Bescheids an der aufrechten Meldeadresse der Beschwerdeführerin mittels Zustellschein.

6.       Mit Bericht vom 11.02.2021 wurde die belangte Behörde von der AFA in Kenntnis gesetzt, dass Versuche der Zustellung am 03.02.2021 und 06.02.2021 negativ verlaufen wären und ein hinterlegter Verständigungszettel zur Kontaktaufnahme unbeachtet geblieben sei. Es habe sich jedoch die Rechtsanwaltskanzlei Klammer telefonisch gemeldet und auf eine bereits bei der belangten Behörde hinterlegte Vertretungsvollmacht berufen. Die Kanzlei hätte die Zustellung des Briefes an sie gefordert und erklärt, dass sie in Kenntnis dieses Briefes sei und bereits Einspruch erhoben hätte. Am 11.02.2021 sei ein Sachbearbeiter der APA von der belangten Behörde darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Vertretungsvollmacht lediglich für die Tochter der Beschwerdeführerin gelegt worden sei. Die Kanzlei Klammer sei am 11.02.2021 über diesen Umstand aufgeklärt worden und habe dabei angekündigt, umgehend eine Vollmacht zur Vertretung der Beschwerdeführerin einzubringen. Dem Schreiben der AFA wurde ein weiterer Bericht vom 06.02.2021 beigelegt, wonach ein Nachbar an der Meldeadresse der Beschwerdeführerin erklärt habe, dass die betreffende Wohnung seit August 2020 leer stehe und er sich an keine Personen ägyptischer Herkunft erinnern könne. Zuletzt hätten Flüchtlinge aus Syrien dort gelebt. Zudem wurde am 07.02.2021 nachweislich ein Auskunftsersuchen an die Hausverwaltung gesendet.

7.       Am 11.02.2021 und am 22.02.2021 langte bei der belangten Behörde eine Vertretungsvollmacht des RA. Dr. Gregor KLAMMER ein und wurde ersucht, den aktuellen Bescheid zu übermitteln.

8.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 16.03.2021 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und begründete diese im Wesentlichen damit, dass sie persönlich den Antrag auf Ausstellung des humanitären Aufenthaltstitels gestellt und ihre Geburtsurkunde im Original vorgelegt habe. Sie sei nach Erhalt der Ladung bei der belangten Behörde vorstellig geworden und sei ihr dabei mitgeteilt worden, dass es sich bei der Ladung aufgrund ihrer persönlichen Antragstellung um einen Irrtum gehandelt habe. Zudem bedeute ihr (bereits seit 2014) fehlender Reisepass nicht, dass ihre Identität nicht glaubhaft wäre – vielmehr läge die Kopie ihres Reisepasses in ihrem Niederlassungsakt bei der MA35 ein und hätte die belangte Behörde diesen einsehen können bzw. müssen. In der Bestimmung § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG werde nicht gefordert einen Reisepass vorzulegen, sondern nur einer erkennungsdienstlichen Behandlung zuzustimmen, wenn diese gefordert werde. Trotz der gegenläufigen Judikatur wäre eine Klärung der Identität schon aus dem Niederlassungsakt möglich gewesen und sei von ihr nicht verlangt worden sich einem Erkennungsdienst zu unterziehen.

9.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.03.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Die Beschwerdeführerin ist ägyptische Staatsangehörige und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie ist keine begünstigte Drittstaatsangehörige und es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Sie hält sich seit dem rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens am 25.04.2019 unrechtmäßig in Österreich auf.

Am 14.05.2020 stellte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens. Mit diesem Antrag stellte sie gleichzeitig einen Antrag auf Mängelheilung bezüglich der Vorlage ihrer Geburtsurkunde und ihres Reisepasses.

Die belangte Behörde hat, ohne über den Antrag auf Mängelheilung zu entscheiden, den Antrag nach § 55 AsylG – nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages ein gültiges Reisedokument und eine Geburtsurkunde binnen eingeräumter Frist vorzulegen bzw. dem Hinweis auf die Möglichkeit der Stellung eines begründeten Antrags auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV - mangels Mitwirkung gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückgewiesen und daher ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, dessen Ausführungen zu Feststellungen erhoben wurden, ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie aus dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen auf die Feststellungen des rechtskräftigen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.04.2019, GZ: I422 2216516-1/7E. Zudem gab die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Formularvordruck zu ihrem Antrag nach § 55 AsylG an, ägyptische Staatsbürgerin zu sein.

Im Verfahren kamen zudem keine Hinweise auf ein bestehendes Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu und ist sie aufgrund der aufrechten und rechtskräftigen Rückkehrentscheidung, GZ: I422 2216516-1/7E, nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Die Feststellungen zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG samt dem darin enthaltenen Antrag auf Mängelheilung ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

Die Feststellung, dass die belangte Behörde über den Antrag auf Heilung nicht entschieden hat, ergibt sich ebenso unzweifelhaft aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid:

Anzuwendende Rechtslage:

Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2).

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z. 1 vorliegt.

§ 58 Abs. 11 AsylG lautet: „Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1.       das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2.       der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.“

Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Gemäß § 4 Abs. 1 der AsylG-DV kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1.       im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2.       zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3.       im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

§ 8 AsylG-DV lautet auszugsweise:

"§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1.       gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2.       Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3.       Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4.       erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde."

§ 28 VwGVG lautet auszugsweise:

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

Anwendung auf den gegenständlichen Beschwerdefall:

Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084). Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über die zugrundeliegenden Anträge würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens ist daher aufgrund der zurückweisenden Entscheidung in dem im Spruch bezeichneten Bescheid nur, ob diese Zurückweisung nach § 58 Abs. 11 Ziffer 2 AsylG 2005 zu Recht erfolgte.

Dazu ist auszuführen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag gemäß § 55 AsylG vom 14.05.2020 auch einen Antrag auf Heilung des Mangels vom Erfordernis der Vorlage des Reisepasses und der Geburtsurkunde gestellt hat, über den die belangte Behörde jedoch im bekämpften Bescheid nicht abgesprochen hat.

Nach der völlig unmissverständlichen Bestimmung des § 4 Abs. 2 AsylG-DV ist über einen Antrag auf Zulassung der Heilung - sofern ihm nicht stattgegeben wird - in Form der Zurückweisung oder der Abweisung abzusprechen. Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine derartige negative Entscheidung über einen solchen Antrag in einem eigenen Spruchpunkt des verfahrensabschließenden Bescheides zu erfolgen hat. Aus der genannten Bestimmung ergibt sich somit die evidente Absicht des Gesetzgebers, dass über die - einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 AsylG vorgelagerte - Frage der mangelnden Berechtigung eines Antrags auf Zulassung der Heilung von Mängeln schon aus Rechtsschutzgründen ausdrücklich abgesprochen werden soll (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Die belangte Behörde wies den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG mit der Begründung zurück, dass die Beschwerdeführerin während der gewährten Frist die näher bezeichneten Dokumente gemäß § 8 AsylG-DV nicht beibrachte und auch keinen Mängelheilungsantrag nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV stellte. Diese Begründung widerspricht jedoch dem vorliegenden Akteninhalt, da die Beschwerdeführerin bereits im Formularvordruck zum Antrag gemäß § 55 AsylG einen Antrag auf Heilung dieses Mangels – gemeint gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV - stellte, die belangte Behörde diesen Antrag jedoch in weiterer Folge im Rahmen ihrer Entscheidung völlig außer Acht gelassen hat.

Eine von der belangten Behörde vorgenommene Antragszurückweisung gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005, ohne Abspruch über einen auf § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 gestützten Heilungsantrag des Fremden, ist, wie auch die darauf aufbauenden Spruchpunkte, rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht kann die Entscheidung über den Heilungsantrag im Beschwerdeverfahren weder selbst nachholen noch inhaltlich über die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 entscheiden, weil es damit die Sache des Fremden überschreiten würde. Es ist daher nur die ersatzlose Behebung des Bescheides der belangten Behörde möglich (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Das völlig Außerachtlassen von Parteianträgen oder Parteivorbringen durch eine Verwaltungsbehörde kann aber teilweise als willkürliches Verhalten bzw. eine willkürliche Verfahrensführung der Behörde ausgelegt werden, womit der inhaltlich rechtswidrige Bescheid bereits aus diesem Grund zu beheben war. Ein inhaltlich rechtswidriger Zurückweisungsbescheid ist dementsprechend „ersatzlos“ zu beheben, um den Weg für eine (erstmalige) Entscheidung der Verwaltungsbehörde in der Hauptsache frei zu machen (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG §28 VwGVG (Stand 15.2.2017, rdb.at) Rz 39 mit Verweis auf VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115 und 03.08.2016, Ro 2016/07/0006 sowie Rz 77).

Darüber hinaus ist – weil in einem antragsbedürftigen Verfahren der Antragsteller den Gegenstand bzw. die „Sache“ des Genehmigungsverfahrens bestimmt (VwGH 29.10.2015, 2015/07/0019; 22.06.2016, Ra 2016/03/0027; vgl. auch VwGH 12.09.2016, Ro 2016/04/0014) – auch dann mit ersatzloser Behebung vorzugehen, wenn in einem antragsbedürftigen Verfahren im Bescheid fälschlicherweise über etwas anderes abgesprochen wurde als beantragt worden war. In Bezug auf die Rechtsfolgen ist hier allerdings zu unterscheiden: Ein solches Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes erledigt nämlich nur diese fälschlich entschiedene Sache, in der keine „positive“ Sachentscheidung ergehen darf, endgültig und mit Sperrwirkung. Damit ist allerdings der eigentlich gestellte Antrag wieder offen, sodass die Verwaltungsbehörde in der Folge erstmals über diese „richtige“ (beantragte) Sache abzusprechen hat (Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG §28 VwGVG (Stand 15.2.2017, rdb.at) Rz 76 mit Verweis auf Rz 39).

Mit diesen Überlegungen ist schon der gedankliche Weg zu jener Fallgruppe geebnet, bei der die Verwaltungsbehörde einen (verfahrenseinleitenden) Antrag zu Unrecht, das heißt obwohl die Prozessvoraussetzungen objektiv vorlagen, zurückgewiesen hat. Wie zuvor dargestellt, kann das Verwaltungsgericht diesfalls nicht gleich meritorisch über den Antrag entscheiden (vgl. VwGH 28.05.2015, Ro 2014/07/0096), weil „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung ist und ansonsten die zuständige Behörde – die noch nie über das Meritum des Antrags befunden hat – umgangen würde (Rz 39). Vielmehr ist ein inhaltlich rechtswidriger Zurückweisungsbescheid „ersatzlos“ zu beheben (vgl. auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0124), um den Weg für eine (erstmalige) Entscheidung der Verwaltungsbehörde in der Hauptsache frei zu machen (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115; 03.08.2016, Ro 2016/07/0006; Leeb, Verfahrensrecht 110; ferner AVG § 7 Rz 24, § 66 Rz 106, 109). Anders ausgedrückt folgt aus der Behebung in diesem Fall nur das Verbot eines neuerlichen (negativen) Bescheides in der Zulässigkeitssache (Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG §28 VwGVG (Stand 15.2.2017, rdb.at) Rz 77).

Die „ersatzlose Behebung“ durch das VwG kann unterschiedliche Rechtsfolgen haben, weil je nach Aufhebungstatbestand ein weiteres Verfahren zu unterlassen oder ausnahmsweise durchzuführen sein kann (vgl. Rz 74 ff, AVG § 66 Rz 97; VwGH 25.03.2015, Ro 2015/12/0003), ohne dass dies aus einem solchen Spruch des Erkenntnisses allein hervorgeht. Dementsprechend kommt der Begründung solcher Entscheidungen (auch ohne besondere Anordnung im AVG) traditionell besondere Bedeutung für deren Rechts(kraft)wirkungen zu (vgl. AVG § 66 Rz 108 ff; sehr weit gehend VfGH 13.09.2013, B 389/2013 unter Hinweis auf die Judikatur zu Vorstellungsbescheiden gem Art 119a Abs. 5 B-VG aF; siehe hingegen VwGH 03.08.2016, Ro 2016/07/0006).

Der Verfahrensgesetzgeber hat dies durch die Anordnung des § 28 Abs. 5 VwGVG bekräftigt, demzufolge die Behörden im Fall einer Aufhebung des Bescheides – bei unveränderter relevanter Sach- und Rechtslage (vgl. VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0044; Hauer, Gerichtsbarkeit3 Rz 205) – verpflichtet sind, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VwG entsprechenden Rechtszustand herzustellen (zur Anwendbarkeit auf ersatzlose Behebungen siehe VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115; 23.03.2016, Ra 2016/12/0008; Fister/Fuchs/Sachs, VwGVG § 28 Anm 17 f; Hauer, Gerichtsbarkeit3 Rz 205; Pabel, Verfahrensrecht 414). Somit ist die Behörde an die Rechtsansicht des VwG gebunden und darf bei gleich gebliebenem Sachverhalt nicht zu einem anderen Ergebnis kommen (VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0076) (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG §28 VwGVG (Stand 15.2.2017, rdb.at) Rz 73).

Die belangte Behörde wird sich daher im weiter zu führenden Verfahren mit dem Antrag auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV vom Erfordernis des § 8 AsylG-DV auseinanderzusetzen und nach mangelfreien Ermittlungen darüber auch formell abzusprechen haben, wobei - wie bereits ausgeführt - darüber kein gesonderter Bescheid zu ergehen hat, sondern mit der Sachentscheidung zu verbinden ist.

Aus Sicht des erkennenden Richters ist eine ersatzlose Behebung der angefochtenen Entscheidung der belangten Behörde somit im Sinne des Gesetzgebers, da über den Antrag auf Mangelheilung nicht abgesprochen wurde und die Erlassung eines Bescheides damit per se den gesetzlichen Bestimmungen widerspricht. Es handelt sich somit um eine materiell-rechtliche Erledigung der Rechtssache in Form einer negativen Sachentscheidung, nach welcher die Entscheidung der belangten Behörde über den verfahrenseinleitenden Antrag sowie den Antrag auf Mängelheilung wieder offensteht.

Zum Antrag der Beschwerdeführerin, das Bundesverwaltungsgericht möge nach Durchführung einer Verhandlung einen Aufenthaltstitel erteilen, wird festgehalten, dass Gegenstand des anhängigen Verfahrens ausschließlich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung war, weshalb eine Entscheidung in der Sache schon aus diesem Grund nicht in Frage kommt und die Anträge daher unzulässig sind (vgl. VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0059).

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe ersatzlose Behebung Integration Interessenabwägung Kassation mangelhafter Antrag Mangelhaftigkeit Mängelheilung Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Reisedokument Urkundenvorlage Vorlagepflicht Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2216516.2.00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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