TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/21 W208 2216772-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2021
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Entscheidungsdatum

21.06.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W208 2216772-1/15E
W208 2216774-1/16E
W208 2216773-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Iran, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 28.02.2019, Zl. 1068302907-180740009; Zl. 1068303109-180740025; Zl. 1211179010-181035435; nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird Folge gegeben und XXXX , XXXX und XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (BF2) verließen im Jahr 2015 den Iran und bekamen nach legaler Einreise (Visum aufgrund der beabsichtigten Aufnahme eines Studiums durch die BF1) in Österreich einen Aufenthaltstitel der Wiener Landesregierung ausgestellt, welcher mehrmals verlängert wurde, zuletzt bis zum 08.08.2018 (BF2, AS 49).

Am 07.01.2018 sind die BF1 und der BF2 nach einem Besuch im Iran das letzte Mal vor ihrer Asylantragstellung legal aus Teheran nach Österreich eingereist.

Am 06.08.2018 stellten die Beschwerdeführer (BF) einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gaben sie an, durch Freunde in Österreich das Christentum kennen gelernt zu haben und sich nunmehr taufen lassen zu wollen. Da die Familie bei ihrem letzten Besuch im Iran im Jänner 2018 von ihrem Vorhaben erfahren hätte, würden sie nun dort den Tod fürchten (BF2, AS 21; BF1, AS 18).

Am 14.02.2019 wurden die BF 1 und der BF2 von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen (sowie jenen der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin, BF3) niederschriftlich einvernommen.

Die Drittbeschwerdeführerin ist die am XXXX in Österreich nachgeborene gemeinsame Tochter der BF1 und des BF2 und stellte durch die BF1 und den BF2 als gesetzliche Vertreter am 31.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung gab die BF1 an, dass sie als schiitische Muslima geboren und auch so von ihren strenggläubigen Eltern erzogen worden sei. Sie wolle jetzt Christin sein und sei auch bereits Christin geworden. Nachgefragt gab sie an, Katholikin zu sein (BF1, AS 97). Als Fluchtgrund führte sie im Wesentlichen an, dass sie ihre Heimat verlassen habe, da sie bei ihrer Rückkehr in den Iran getötet werden würde, zumal sie zum Christentum konvertieren wolle und es jedem Moslem erlaubt wäre sie zu töten (BF1, AS 102).

Sie bestätigte, dass die Niederschrift rückübersetzt wurde und es keine Verständigungsprobleme gab (BF1, AS 107).

Bei der Befragung beim BFA führte der BF2 ebenfalls an, dass er als schiitischer Muslim geboren und von strenggläubigen Eltern erzogen worden sei. Nunmehr sei er Katholik (BF2, AS 101). Als Fluchtgrund führte er im Wesentlichen an, dass man im Iran herausgefunden habe, dass er dem Islam gegenüber abgeneigt und aus dem islamischen Glauben ausgetreten sei. Es seien ein paar Dinge vorgefallen, welche Gefahr für sein Leben verursachen könnten. Seine ganze Familie wisse, insbesondere seine Eltern und der Onkel väterlicherseits, dass er konvertieren würde und es gebe keine Möglichkeit mehr für eine Rückkehr in den Iran (BF2, AS 106).

Er bestätigte, dass die Niederschrift rückübersetzt und alles richtig und vollständig protokolliert wurde (BF2, AS 110-111).

Für die BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht (BF1, AS 106).

2. Mit den angefochtenen Bescheiden (alle zugestellt am 05.03.2019) wurde die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den IRAN zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte den BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsatz vom 25.03.2019 erhoben die BF durch ihre damalige Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang.

Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass sich die BF nicht mit dem islamischen Glauben identifizieren würden und aufgrund eines steigendes Interesses am christlichen Glauben zum Christentum konvertiert seien. Da der Onkel des BF2 im Iran von dieser Konversion erfahren habe und gedroht hätte sie zu verraten, hätten sie aus Angst um ihr Leben den Asylantrag gestellt. Sie würden in Österreich regelmäßig den Gottesdienst besuchen und ihren Glauben öffentlich ausleben können. Außerdem würden sie einen Taufvorbereitungskurs besuchen und sich anschließend taufen lassen wollen. Bei einer Rückkehr würden den BF im Iran Sanktionen des iranischen Regimes wegen Konversion drohen. Des Weiteren wurde auf die Situation von Frauen im Iran hingewiesen und für die BF1 und die BF3 die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe alleinstehender Frauen im Sinne der GFK geltend gemacht.

Aufgrund ihrer inneren Überzeugung und zwar ihrer Ablehnung des Islams sowie der Konversion zum Christentum seien die BF bei einer Rückkehr der Gefahr willkürlicher Verhaftungen, Folterungen, Misshandlungen oder auch der Todesstrafe ausgesetzt und bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative, zumal Apostasie einen Straftatbestand im gesamten Land darstelle. Zum Beweis der inneren Überzeugung des christlichen Glaubens der BF wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des Pfarrers der Gemeinde XXXX , XXXX , beantragt.

4. Mit Schriftsatz vom 26.03.2019 (eingelangt am 01.04.2019) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem BVwG vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.07.2020 (OZ 6) wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 03.08.2020).

Mit Vollmacht vom 01.02.2021 (eingelangt am 03.02.2021) übernahm die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen die Rechtvertretung der BF.

5. Am 06.12.2020 übermittelte die Landespolizeidirektion Niederösterreich einen Abschlussbericht (BF2, OZ 7), GZ: XXXX , hinsichtlich des Verdachts auf Körperverletzung der BF1 zum Nachteil von XXXX (eine Bekannte/Freundin des BF2, in der Folge HF genannt) und des Verdachts auf Körperverletzung sowie des Verdachts auf Nötigung des BF2 zum Nachteil der BF1, sowie des Verdachts auf Verleumdung der HF zum Nachteil der BF1.

6. Am 07.12.2020, XXXX , erließ das Bezirksgericht XXXX eine Einstweilige Verfügung nach § 382e EO, mit der über den BF2 ein Annäherungs- und Kontaktverbot zur BF1 für die Dauer eines Jahres verhängt wurde.

7. Mit Schreiben vom 16.04.2021 wurden die BF, das BFA sowie der Pfarrer der Gemeinde XXXX , als Zeuge zu einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 12.05.2021 geladen und wurden die BF und das BFA in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das BVwG beabsichtigt das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, in der neuesten Version (COI-CMS https://staatendokumentation.at bzw. https://ecoi.net) als Feststellungen zur Situation im Iran seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Überdies wurde den BF aufgetragen, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieser Ladung mindestens 3 Zeugen zu nennen, die in der Verhandlung vor dem BVwG über ihre religiösen Aktivitäten in Österreich Auskunft geben könnten.

Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Das BFA entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung.

8. Mit Schreiben vom 29.04.2021 übermittelte die Rechtsvertretung der BF1 und der BF3 eine Stellungnahme, in dem sie drei Zeugenanträge zum Beweisthema der innerlichen Konversion der BF1 zum Christentum bekannt gab, darunter der bereits als Zeuge geladene Pfarrer XXXX , sowie zwei Bekannte aus der Pfarre der Gemeinde der BF1 XXXX und XXXX (Taufpatin der BF3). Des Weiteren wurde eine getrennte Verfahrensführung beantragt, da die BF1 bereits seit ca. eineinhalb Jahren von ihrem (noch) Ehemann, dem BF2, getrennt lebe und es eine aufrechte Einstweilige Verfügung mit einem Annäherungs- und Kontaktverbot gebe. Schließlich wurde zum Gesundheitszustand der BF3 ausgeführt, dass diese in laufender medizinischer Behandlung stehe.

Gleichzeitig wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

?        Medizinische Unterlagen betreffend die BF3 (Ambulanzprotokoll vom 13.08.2020 und Ambulanzbericht vom 15.04.2021),

?        Schreiben des Pfarrers XXXX vom 26.04.2021, aus welchem hervorgeht, dass die BF1 regelmäßig die Sonntagsgottesdienste in seiner Gemeinde besucht hat, dort gemeinsam mit der BF3 getauft wurde und am Leben in der Pfarrgemeinde teilgenommen hat (solange sie dort gewohnt hat),

?        Einstweilige Verfügung des BG XXXX vom 07.12.2020, XXXX ,

?        Schreiben vom 26.04.2021 des Betreibers einer Flüchtlingsunterkunft, über die guten Deutschkenntnisse und die bemühte Integration der BF1.

?        ÖSD Zertifikat vom 14.07.2017, Niveau B2 bestanden,

?        Taufscheine, ausgestellt am 17.12.2019, über die Taufe der BF1 und der BF3, je am 15.12.2019 von Taufspender Pfarrer XXXX in XXXX .

9. Mit Schreiben vom 04.05.2021 beantragte der Rechtsvertreter des BF2 die Einvernahme folgender Zeugen:

?         XXXX , Pfarrer in XXXX

?         XXXX , Diakon der Pfarrgemeinde XXXX ,

XXXX , Asylberechtigter wohnhaft in XXXX

10. Das BVwG führte am 12.05.2021 unter Beiziehung einer Dolmetschrin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF1 und der BF2, deren jeweilige Rechtsvertretung teilnahmen, an welcher der vom BF2 namhaft gemachte XXXX (Z2) wurde persönlich vor Ort und der Gemeindepfarrer von XXXX (Z1) via „Zoom“ als Zeugen einvernommen.

Die Einvernahme der BF1 wurde am Vormittag und wie beantragt mit ausreichend Zeitabstand zur am Nachmittag durchgeführten Einvernahme des BF2 entsprechend dem mit Einstweiliger Verfügung vom 07.12.2020 verhängten Annäherungs- und Kontaktverbot durchgeführt. Wobei dem BF2 im Rahmen der Rückübersetzung auch die Inhalte der Befragung der BF1 und des Z1 zur Kenntnis gebracht wurden.

Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person, ihren Fluchtgründen (auch betreffend die minderjährige BF3) sowie Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen und zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten, dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI) – Iran, vom 12.05.2021, Version 2, Stellung zu nehmen.

Der BF2 legte ergänzend folgende Unterlagen vor:

?        Verlustmeldung vom 23.04.2021, wonach am 10.09.2020 die E-Card, seine fremdenrechtlichen- und Reisedokumente sowie seine Aufenthaltsberechtigungskarte in Verlust geraten sind, (Beilage ./2). Die Differenz zwischen den Datumsangaben wurde damit erklärt, dass ihm zuerst gesagt worden wäre, er solle warten, ob die Unterlagen, die in einer Tasche waren, nicht noch auftauchen, was nicht der Fall war.

?        Kopie des Taufscheins, das Original wird ebenfalls vorgelegt und stimmt mit der Kopie überein, wonach der BF2 am 15.12.2019 durch den Pfarrer XXXX getauft wurde (Beilage ./3 zur VHS).

Seitens der Rechtsvertretung der BF1 wurde eine mit 11.05.2021 datierte Stellungnahme zu den aktuellen Länderfeststellungen des Herkunftsstaates der Staatendokumentation im Zuge der mündlichen Verhandlung eingebracht (Beilage ./1 zur VHS), aus welcher im Wesentlichen hervorgeht, dass die BF1 bei einer Rückkehr sowohl aufgrund ihres Abfalls vom Islam und ihrer Konversion zum Christentum als auch aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen gemeinsam mit der BF3 als alleinstehende Frau im IRAN einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein werde. Überdies sei der Gesundheitszustand der BF3 zu berücksichtigen, welcher regelmäßiger fachärztlicher Beobachtung und allfälliger zukünftiger Operationen bedürfe, welche im IRAN nicht gewährleistet seien, weshalb der BF1 und der BF3 in eventu der Status der susbsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.

Eine Strafregisterabfrage der BF1 und des BF2 wurde jeweils am Tag der Verhandlung durchgeführt und bescheinigt beiden BF Unbescholtenheit. Die gesamte Verhandlungsschrift wurde dem BFA und der Rechtsvertretung der BF1 zur Kenntnis gebracht, die keine Stellungnahme abgaben. Der BF2 erlangte im Rahmen der Rückübersetzung Kenntnis von der gesamten Verhandlungsschrift.

11. Die Rechtsvertretung des BF2 übermittelte in der Folge dem BVwG eine mit 02.06.2021 datierte schriftliche Stellungnahme (OZ 15) betreffend das aufgrund des Abschlussberichtes zu GZ: XXXX beim Landesgericht XXXX geführte Strafverfahren zu XXXX , wonach laut beigelegter Niederschrift der mündlichen Hauptverhandlung am 12.01.2021 das Verfahren für eine Probezeit für zwei Jahren, bei dauernder Nachsicht der Pauschalkosten in Folge Mittellosigkeit des Angeklagten, eingestellt wurde. Weiters wurde mitgeteilt, dass keine weiteren Strafverfahren anhängig seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu den Personen der BF

1.1.1. Die BF1 ist eine volljährige iranische Staatsangehörige. Sie trägt den im Erkenntniskopf genannten Namen und ist am dort angeführten Datum geboren.

Sie stammt aus XXXX , in der Provinz CHUZESTAN und lebte dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich im Haus bei ihren Schwiegereltern (BF1, AS 99). Sie gehört der Volksgruppe der Perser an, spricht Farsi (Muttersprache) und Deutsch (Prüfung auf Niveau B2 positiv abgelegt). Sie hat in ihrem Herkunftsstaat 12 Jahre lang die Grundschule und dann 5 Jahre die Universität besucht und dort einen Abschluss in der Fachrichtung Informations- Kommunikationstechnologie gemacht und arbeitete in Iran als Angestellte in diesem Bereich (BF1, AS 97, VHS 6, 9).

Der BF 2 ist der volljährige Ehemann der BF 1 (er ist ihr Cousin mütterlicherseits) (Heirat 2014 in XXXX führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Er ist iranischer Staatsangehöriger. Er stammt ebenfalls aus XXXX und hat dort im Baugewerbe gearbeitet (VHS 23).

Die BF1 ist mit dem BF2 traditionell und standesamtlich verheiratet und hat mit ihm eine gemeinsame am XXXX geborene mj. Tochter (BF3). Die Ehe wurde am 30.07.2014 im Herkunftsstaat geschlossen (BF1, VHS 7; Heiratsurkunde, BF2, AS 27). Die BF 1 und der BF2 sind kurz nach ihrer Eheschließung im Jahr 2015 nach Österreich ausgereist (BF1, AS 99). Die BF reisten legal nach Österreich ein und stellten am 06.08.2018 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie hielten sich davor aufgrund einer bis 08.08.2018 gültigen Aufenthaltsberechtigung legal in Österreich auf (BF2, AS 49).

Die BF1 und der BF2 leben derzeit getrennt. Der BF 2 ist aus der gemeinsamen Wohnung in XXXX weggezogen und eine vorübergehende Beziehung mit einer anderen Frau eingegangen mit der er plante Geschäfte zu machen. Die BF1 ist mit der mj. BF3 aus XXXX ebenfalls in ein anderes Bundesland weggezogen und will sich scheiden lassen. Der BF2 hat per Videotelefonie regelmäßigen Kontakt zu seiner Tochter der BF3 und kennt deren Adresse nicht (VHS 11, 24).

Gegen den BF2 ist aufgrund einer zur Anzeige gebrachten Auseinandersetzung (Abschlussbericht BF2, OZ 7) mit Einstweiliger Verfügung nach § 382e EO ein Annäherungs- und Kontaktverbot gegenüber die BF1 auf 100 Meter für die Dauer eines Jahres ab 07.12.2020 verhängt worden (BG XXXX , XXXX ).

In der Hauptverhandlung vom am 12.01.2021 zu XXXX wurde das aufgrund des Abschlussberichtes zu XXXX beim Landesgericht XXXX geführte Strafverfahren gegen den BF2 für eine Probezeit für zwei Jahre bei dauernder Nachsicht der Pauschalkosten in Folge Mittellosigkeit des Angeklagten eingestellt (BF2, OZ15). Die Anzeige gegen die BF1 wurde zurückgezogen (VHS 19). Weitere Strafverfahren gegen den BF2 oder die BF1 sind nicht anhängig (BF2, OZ 15).

Die Verwandtschaft der BF lebt größtenteils in Iran:

Der Vater der BF1 ist dort Landwirt. Sie hat eine Schwester und einen Bruder, welche beide verheiratet sind und einen eigenen Haushalt führen (VHS 9).

Das der Onkel väterlicherseits (vs) des BF2 im Iran bei den staatlichen Sicherheitskräften arbeitet, steht nicht fest (VHS 11, BF2, AS 104).

Die BF1 und der BF2 sind seit ihrer erstmaligen Einreise in Österreich und vor ihrer Asylantragstellung dreimal in den Iran gereist. Bei ihrer letzten Reise in den Iran im Jänner 2018 haben sie ihrer Familie von der beabsichtigten Asylantragstellung und Konversion erzählt.

Die BF haben seit ihrer Asylantragsstellung im August nur mehr wenig Kontakt mit ihrer Familie. Insbesondere zur Familie des BF2 besteht kaum Kontakt, ausgenommen ein Anruf zum Geburt der Tochter (VHS 26). Die BF hat seit ca. einem halben Jahr wieder etwas Kontakt zu ihren Eltern (VHS 7). Die wirtschaftliche Situation der Familien in Iran ist stabil (VHS 9).

Die BF1 hat auch noch Kontakt zu einigen Freunden im Iran, denen sie auch von ihrer Konversion erzählt hat (VHS 11).

Die BF1 und der BF2 sind gesund und arbeitsfähig. Die BF3 steht unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle wegen Herzschmerzen und einer angeborenen Erkrankung im Unterleibsbereich (vgl. Ambulanzberichte als Beilage zum Schreiben vom 29.04.2021)

Die BF sind in Österreich nicht Mitglied in Vereinen oder anderen Organisationen.

Die BF1 die im Iran Informations- und Kommunikationstechnologie bis zum Niveau Bacheolor (VHS 8) studiert hat, bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung, hat in Österreich zu keinem Zeitpunkt gearbeitet und ist nicht selbsterhaltungsfähig, möchte jedoch in Zukunft ein Studium aufnehmen (Mathematik) (VHS 17).

Der BF2 hat in Österreich gearbeitet und bisher keine Leistungen aus der Grundversorgung empfangen. Er war selbstständig mit einer Transportfirma (Gewerbeberechtigung für Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen (BF2, AS 104, 113; VHS 25). Derzeit lebt er von der Unterstützung von Freunden (Z2, VHS 31) und möchte wieder eine Firma gründen (VHS 25).

Die BF1 und der BF2 verfügen über Deutschkenntnisse auf Niveau B2, Prüfung bestanden (BF1, Zeugnis vorgelegt mit Stellungnahme vom 26.04.2021; BF2, AS 329).

Die BF1 und der BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten und haben keinen Asylausschlussgrund gesetzt.

Die BF3 ist die in Österreich am XXXX geborene, minderjährige Tochter der BF1 und des BF2. Sie ist iranische Staatsagehörige. Für sie stellten die BF1 und der BF2 als gesetzliche Vertreter am 31.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF3 ist eine unmündige Minderjährige und nicht strafmündig.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Die BF1 und der BF2 sind vor ihrer Asylantragstellung am 07.01.2018 legal mit einem eigenen Reisepass und im Besitz eines gültigen Visums von Teheran aus nach Wien geflogen und eingereist. Danach sind sie nicht mehr in den Iran zurückgekehrt.

1.2.1. Die BF1 wuchs in Iran als schiitische Muslima auf und entstammt einer streng religiösen Familie.

Die BF1 war ursprünglich muslimischen Glaubens, interessierte sich aber bereits in Iran für das Christentum und kam in Österreich näher mit dem Christentum in Kontakt (VHS 10, 17). Sie ist in Österreich insbesondere durch Freunde zum röm.-kath. Glauben gekommen, darunter zwei Freundinnen ( XXXX und XXXX ), welche nunmehr im Ausland leben und einen Freund des BF2 ( XXXX ) (VHS 12). Die BF1 meldete am 19.02.2019 ihren Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (BF1, AS 129) und konvertierte zum Christentum.

Sie hat in Österreich auch iranische Freunde, denen sie allen von ihrer Konversion erzählt hat, obwohl diese das teilweise nicht gutheißen (VHS 11).

In Österreich hat die BF1 seit September 2018 regelmäßig über zumindest ein Jahr die Gottesdienste in der röm.-kath. Kirche in XXXX besucht, und wurde vom Pfarrer (Z1) der Kirche dort am 15.12.2020 - nach Besuch eines Vorbereitungskurses und einer Aufnahmefeier - am 15.12.2019 getauft (VHS 13, 17).

Die BF1 verfügt über tiefergehendes Wissen zum Christentum und zum katholischen Glauben.

Die BF1 hat ca. 1 Jahr lang jeden Samstag den Taufunterricht besucht und sich sehr interessiert am Glauben gezeigt. Sie hat auch oft das Gespräch mit anderen Gläubigen gesucht und einmal im Monat am Pfarrcafé teilgenommen.

Es wird festgestellt, dass sich die BF1 ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt hat, sich öffentlich dazu bekennt und den neuen Glauben praktiziert sowie am Leben der Kirchengemeinde aktiv teilgenommen hat. Im Moment ist es ihr aufgrund ihrer Wohnsituation (abgeschiedene Lage weit entfernt von einer Kirche bzw. Kirche fußläufig sehr schwer zu erreichen) nicht möglich sich aktiv in einer Pfarrgemeinde einzubringen, jedoch nimmt sie regelmäßig am Online Gottesdienst teil (VHS 15). Auch will die BF1 Mitmenschen den christlichen Glauben näherbringen (VHS 17). Der christliche Glaube wurde wesentlicher Bestandteil der Identität der BF1. Es ist davon auszugehen, dass sich die BF1 aus innerer Überzeugung zum Christentum bekennt und dementsprechend im Falle einer Rückkehr nach Iran nicht zum Islam zurückkehren, sondern Christin bleiben und diesen Glauben aktiv leben würde.

1.2.1. Der BF2 wuchs im Iran als schiitischer Muslim auf und entstammt einer streng religiösen Familie. Im Iran wandte sich der BF nicht tiefergehend dem Christentum zu und missionierte nicht. Dem BF wird dies auch nicht von iranischen Behörden oder Privatpersonen unterstellt.

In Österreich hat der BF2 zunächst gemeinsam mit der BF1 ab September 2018 regelmäßig die Gottesdienste in XXXX und einen Vorbereitungskurs besucht.

Er meldete seinen Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gemeinsam mit der BF1 am 19.02.2019 (BF2, AS 125).

Am 15.12.2020 wurde er vom Pfarrer (Z1) der Kirche in XXXX getauft.

Der BF2 verfügt über Grundkenntnisse zum Christentum und zum katholischen Glauben.

Der BF2 ist in Österreich nicht aus einem innerem Entschluss zum Christentum konvertiert und die christliche Glaubensüberzeugung ist aktuell nicht derart ernsthaft, sodass sie Bestandteil der Identität des BF2 wurde. Es wird davon ausgegangen, dass sich der BF2 im Falle einer Rückkehr nach Iran nicht privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen wird. Der BF2 tritt nicht spezifisch gegen den Islam oder die Religion generell auf. Er hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Iran als Glaubensabfall gewertet werden würden.

Der BF2 ist in Österreich im Unterschied zu seiner Frau nicht missionarisch tätig und beabsichtigt nicht ernsthaft, dies in Zukunft zu tun. Die Verwandten / Freunde des BF im Iran wissen von den oben festgestellten christlichen Aktivitäten des BF in Österreich teilweise Bescheid. Von den Verwandten und Freunden des BF, die davon wissen, geht jedoch keine Bedrohung aus.

Insbesondere konnte eine konkrete Bedrohung – weder gegenüber der BF1 noch des BF2 – durch den Onkel des BF2 nicht festgestellt werden.

Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung des BF2, in der die Anerkennung oder die Ausübung der christlichen Glaubensprinzipien zum Ausdruck kommt, und dass diese zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden sind, liegt nicht vor.

Der BF2 brachte keine weiteren Gründe, warum er eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchtet, vor.

1.2.3. Für die minderjährige BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht (BF1, AS 106).

1.3.     Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI) zu Iran, Stand 12.05.2021, Version 2, ergibt sich:

Sicherheitslage

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (USDOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (USDOS 11.3.2020). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw.. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2020).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Selbst anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden also diskriminiert. Vertreter dieser religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2020). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 18.2.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 10.2020).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt. Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ befanden sich 2019 mindestens 109 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion in Haft (USDOS 10.7.2020).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw.. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2020).

Christen

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 23.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als „christlich“ anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020, BAMF 03.2019), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 26.2.2020).

Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 23.5.2018; vgl. BAMF 3.2019). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam (ÖB Teheran 10.2020). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw.. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (USDOS 10.6.2020).

Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BAMF 3.2019, BFA 23.5.2018, Open Doors 2021). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 23.5.2018; vgl. ÖB Teheran 10.2020), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 10.2020). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 23.5.2018; vgl. Open Doors). Im Weltverfolgungsindex 2021 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem achten Platz (2020: Platz 9). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Im Berichtszeitraum ist die Zahl der verhafteten Christen des Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr (169) gesunken. Es gab keine breitangelegte Verhaftungswelle, auch wenn es im Juni 2020 eine Razzia gab. Eine genaue Zahl wird im Bericht nicht genannt (Open Doors 2021). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt. Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert waren (AI 18.2.2020). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 26.2.2020).

Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 23.5.2018). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2020). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw.. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018).

Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden auch 2018 und 2019 viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw.. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf (ÖB Teheran 10.2020).

Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw.. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2020).

Es liegen keine Daten bzw.. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 10.2020).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden „kontrolliert“, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2019). Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen, und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet. Im Frühling und Sommer 2017 wurden mehrere evangelikale und assyrische Christen verhaftet und wegen „illegaler Kirchenaktivität“ zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach 16 festgenommenen Christen im Jahr 2017, stieg diese Zahl im Jahr 2018 dramatisch. Im November und Dezember 2018 wurden ca. 150 Christen – die meisten kurzzeitig – festgenommen und anschließend angewiesen, sich von anderen Christen fernzuhalten. Über die genauen Zahlen der Verhaftungen/Verurteilungen gibt es keine detaillierten Informationen. Fakt ist aber, dass die Zahl der Verhaftung von Konvertierten seit einer Ansprache des obersten Führers vor einigen Jahren, als er vor der steigenden Zahl der sogenannten häuslichen Kirchen gewarnt hatte, extrem angestiegen ist. Allein im August 2020 sind 35 neu Konvertierte verhaftet worden, und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen, wie „Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen“, „Verbreitung vom zionistischen Christentum“ und „Gefährdung der inneren Sicherheit“ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden. Einem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte zufolge haben Beamte des Geheimdienstministeriums im Juli 2019 das Haus einer christlichen Familie in der Stadt Bushehr im Süden Irans gestürmt und viele Angehörige dieser Familie verhaftet (ÖB Teheran 10.2010).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019). Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw.. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden (ÖB Teheran 10.2020), bzw.. um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020). Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw.. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten in den Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr nach Iran weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw.. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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